Amendement Bennigsen

Amendement Bennigsen

Die Lex Bennigsen (auch: Amendement Bennigsen) ist ein vom nationalliberalen Abgeordneten Rudolf von Bennigsen während der Verfassungsberatungen eingebrachter und am 22./27. März 1867 vom konstituierenden Reichstag umgesetzter Antrag zur Änderung des Verfassungstextes des Norddeutschen Bundes[1].

Konkret wurde durch den Antrag der Art. 17 Satz 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 eingeführt:

"Die Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidiums werden im Namen des Bundes erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt."

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Dies bedeutete abgesehen von § 74 der Paulskirchenverfassung die Einführung der Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers für Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidiums in die konstitutionelle Monarchie und gleichzeitig die erstmalige Einführung der Verantwortlichkeit des Regierungschefs für Anordnungen und Verfügungen des Staatsoberhaupts in das bundes- (bzw. reichs-) deutsche Verfassungsrecht überhaupt. Während der Monarch auch weiterhin nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden konnte, ermöglichte das Institut der Gegenzeichnung nun zumindest die (parlamentarische) Kontrolle der monarchischen Rechtsakte[2]. Der Bundeskanzler war bis dahin nur vom Präsidium abhängig gewesen, welcher ersteren ernannte (Art. 15 Abs. 1).

Die Modalitäten der Verantwortlichkeit wurden allerdings nicht definiert.

Daneben bedingte die Gegenzeichnungspflicht die Aufwertung der Bedeutung des Amtes des Bundeskanzlers, die der Bedeutung der späteren leitenden Reichsminister gleichkam. Die neue umfassende Verwaltungsaufgabe führte weiterhin dazu, dass eine den Bundeskanzler unterstützende Behörde, das Bundeskanzleramt, eingerichtet wurde[3].

Weitere Entwicklung

Deutsches Kaiserreich

Die Bestimmung blieb auch in Art. 17 Satz 2 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 (RV) erhalten:

"Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers werden im Namen des Reichs erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt."

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs wurde dann im Rahmen der Einführung der parlamentarischen Monarchie (Oktoberreform)[4] durch das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1918, S. 1274)[5] (vgl. die Änderungen an Art. 15 RV) aus Art. 17 RV der Passus "welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt" gestrichen.

Weimarer Republik

In Art. 50 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) hieß es dann wieder:

"Alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solche auf dem Gebiete der Wehrmacht, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister. Durch die Gegenzeichnung wird die Verantwortung übernommen."

Das semipräsidentielle Regierungssystem der Weimarer Republik behielt sowohl dem Reichspräsidenten als auch dem Reichskanzler Exekutivbefugnisse vor.

Der Reichspräsident konnte durch Anklage gem. Art. 59 WRV persönlich zur Verantwortung gezogen werden; das gegenzeichnende Reichsregierungsmitglied übernahm die politische Verantwortlichkeit für die Rechtsakte des Staatsoberhaupts.

Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürften gem. Art. 54 WRV (wie auch schon gem. Art. 15 der Oktoberverfassung von 1918) zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen musste zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluss sein Vertrauen entzog (destruktives Misstrauensvotum).

Bundesrepublik Deutschland

In Art. 58 Satz 1 des Grundgesetzes ist der Passus über die Verantwortlichkeit nicht mehr enthalten:

"Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister."

Im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik wurde die Exekutivkompetenz weg vom Bundespräsidenten hin zur Bundesregierung verschoben, die direkt der parlamentarischen Kontrolle unterliegt.

Während auch hier der Bundespräsident nur durch die Präsidentenanklage nach Art 61 GG persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann, übernimmt das gegenzeichnende Regierungsmitglied aber auch weiterhin gegenüber dem Bundestag die politische Verantwortung für die Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten[6].

Der Bundeskanzler unterliegt ebenfalls weiterhin direkt der parlamentarischen Kontrolle; anders jedoch als noch in der Weimarer Republik sieht das Grundgesetz in Art. 67 nun ein konstruktives Misstrauensvotum vor.

Quellen

  1. Karl Kroeschell: Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1992, S. 1. ISBN 3-8252-1681-0;
    Heinrich Otto Meisner: Bundesrat, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (1867–1871), in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1914), 2. Aufl., Königstein 1981, S. 78.
  2. Jörn Ipsen: Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 16. Aufl., München 2004, Rn 514. ISBN 3-472-06053-0
  3. Heinrich Otto Meisner: Bundesrat, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (1867–1871), in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1914), 2. Aufl., Königstein 1981, S. 78.
  4. Werner Frotscher, Bodo Pieroth: Verfassungsgeschichte, 5. Aufl., München 2005, Rn 462 ff. ISBN 3-406-53411-2
  5. Ernst Rudolf Huber (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. III: Deutsche Verfassungsdokumente 1900–1918, 3. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln 1990, Nr. 206. ISBN 3-17-005060-5
  6. Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1999, Rn 665. ISBN 3-8114-7499-5

Weblinks


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