Jahnn

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Hans Henny Jahnn (ganz links) bei der Gründung der Deutschland-Abteilung des PEN-Clubs, 1948

Hans Henny Jahnn geb. Jahn (* 17. Dezember 1894 in Stellingen; † 29. November 1959 in Hamburg) war ein deutscher Schriftsteller, Orgelreformer und Musikverleger (Ugrino-Verlag).

Im Zentrum des schriftstellerischen Werks Hans Henny Jahnns steht durchgehend die existentielle Angst, die dem Menschen unauflöslich bleibt und nur von der Liebe und dem Mitleiden mit anderen Menschen und mit der Schöpfung überwunden werden kann. Der Verlust von Liebe und Zuwendung ist daher immer ein tragischer Sturz in fundamentale Qualen über die reine Trauer hinaus. Diese Weltsicht trifft sich bei Jahnn mit einer hohen Schätzung einer idealisierten harmonikalen pythagoreischen Ästhetik, die sich in tief verankerter Religiosität für die Würde des Menschen ausspricht und gegen die fehlgeleiteten Entwicklungen in Gesellschaft und Kultur wendet. Jahnn zeigt sich dabei in seinen Romanen als offener Atheist.

Mit seinem Werk ist Hans Henny Jahnn eine singuläre Erscheinung in der deutschen Literatur und lässt sich keiner Bewegung zuordnen. Die spätexpressionistischen Elemente in seinem Frühwerk überwand er schnell zugunsten eines originären Stils in der Art eines „magischen Realismus“.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn eines Schiffbauers besuchte ab 1904 die Realschule in St. Pauli, wo er auch Gottlieb Harms (1893–1931, später Musikschriftsteller) kennenlernte, dann ab 1911 die Oberrealschule Kaiser-Friedrich-Ufer in Hamburg-Eimsbüttel, auf der er 1914 sein Abitur machte. Jahnn emigrierte 1915 zusammen mit Harms nach Norwegen, um dem Ersten Weltkrieg zu entgehen. Ende 1918 kehrte er zunächst nach Hamburg zurück, zog dann für kurze Zeit aufs Land bei Eckel. Hier lebte er mit Gottlieb Harms und Franz Buse (1900–1971, damals Bildhauer). Auch andere Personen, wie Ellinor Philips (1893–1970), Jahnns spätere Ehefrau, wohnten dort. Obwohl sich Jahnn öffentlich nie dazu bekannte und heiratete, gilt als eindeutig erwiesen, dass er von Jugend an homosexuelle Beziehungen, so u. a. zu Harms, der seine große Liebe war und neben dem er bestattet liegt, unterhalten hat.

1919 gründeten Jahnn, Harms und Buse gemeinsam die Künstlergemeinschaft Ugrino. Sie entstand – wie viele ähnliche Gruppen in der Weimarer Republik – aus dem Bedürfnis nach neuer Sinnstiftung und als Alternative der von vielen als enttäuschend empfundenen Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Die Gemeinschaft Ugrino wollte Kunstwerke aller Art erhalten und neue schaffen. Insbesondere sollten auf einem eigenen Grundstück, das teilweise auch gekauft wurde, Sakralbauten errichtet werden (Architekt: Jahnn). Letztlich blieben aber die meisten Pläne der Gemeinschaft Ugrino unausgeführt. Erfolgreich war die Gründung des Ugrino-Verlags (1921) zusammen mit Gottlieb Harms, in dem Werke barocker und vorbarocker Komponisten erschienen, die von der Fachwelt anerkannt werden.

Gleichfalls im Jahr 1919 veröffentlichte Jahnn das Drama Pastor Ephraim Magnus, für das er 1920 mit dem renommierten Kleist-Preis ausgezeichnet wurde (UA 1923). Weitere Dramen folgten. Manche Presseorgane taten sich schwer mit Jahnns Stücken, stellten sie doch oft extreme Gefühlslagen und Handlungen dar (Inzest, Homosexualität, Verstümmelung…). Die Stücke wurden teils heftig kritisiert, teils aber auch aus berufenem Munde (Thomas Mann) aufs höchste gelobt.

Obwohl Jahnn seit Beginn der 1930er Jahre vor der NSDAP gewarnt hatte und der linksliberalen DDP-Abspaltung Radikaldemokratischen Partei (RDP) beigetreten war,[1] wollte er doch nicht endgültig emigrieren und den Kontakt mit Deutschland nicht verlieren. Er war überzeugt, dass er als Schriftsteller nur in Deutschland seinen Lebensunterhalt sichern konnte. Darum blieb er z.B. Mitglied der Reichsschrifttumskammer. Die Nationalsozialisten standen ihm feindlich gegenüber (aufgrund seiner Stücke wurde er in der Presse u. a. als „Kommunist und Pornograph“ bezeichnet) und durchsuchten mehrfach seine Wohnung in Hamburg. Darum verließ Jahnn im Frühjahr 1933 Deutschland und hielt sich während der nationalsozialistischen Diktatur meist im Ausland auf, kehrte aber immer wieder für kurze Zeit nach Deutschland zurück. Seit 1934 wohnte er auf Bornholm in Dänemark, wo seine Schwägerin Sibylle, gen. Monna Harms, auf Jahnns Rat einen Bauernhof erworben hatte, den er bis 1950 bewirtschaftete. Auf Bornholm verfasste er auch den größten Teil seines Hauptwerkes Fluß ohne Ufer, einer gewaltigen Trilogie von über 2000 Seiten, deren letzten Band Epilog er nicht abschloss.

Seine Dramen „Spur des dunklen Engels“ und „Neuer Lübecker Totentanz“ wurden von seinem Patensohn Yngve Jan Trede vertont, dessen musikalische Hochbegabung Jahnn erkannte und förderte.

1950 kehrte er zurück nach Hamburg und setzte sich vor allem gegen die Entwicklung von Atombomben und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ein. Jahnn war Mitbegründer und erster Präsident der Freien Akademie der Künste in Hamburg. 1956 reiste er nach Moskau, am 29. November 1959 erlag er einem Herzleiden im Blankeneser Krankenhaus Tabea. Der Freund und Arzt Prof. Dr. Gotthold Möckel war in den letzten Stunden bei ihm.

Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Nienstedten. Die Grabanlage hat Jahnn gemäß den Vorgaben der Ugrino-Satzung entworfen. Sein letzter, wiederum unvollendeter Roman Jeden ereilt es erschien erst postum 1968, die Erzählung Die Nacht aus Blei, ein Auszug daraus, erschien schon im Jahr 1956.

Orgelbau und Harmonik

Schon als Jugendlicher befasste sich Jahnn mit dem Orgelbau. Er setzte sich für die Restaurierung wertvoller norddeutscher Barockorgeln ein (z. B. der Arp-Schnitger-Orgel in St. Jacobi, Hamburg) und forderte eine Neuorientierung des Orgelbaus unter Berücksichtigung harmonikaler Gesetzmäßigkeiten, wie sie bereits Schnitger gekannt habe. Obwohl etwa Albert Schweitzer, mit dem Hans Henny Jahnn korrespondierte, ähnliche Forderungen stellte, fand Jahnn nur mühsam Resonanz; auch sein Ruf als Autor umstrittener Theaterstücke machte es ihm zeitweise schwer, Auftraggeber zu finden. Dennoch wirkte er bei annähernd einhundert Orgelprojekten als Berater, Planer und Konstrukteur mit: Über eintausend Mensurenblätter (Kurvenmensuren) und Zeichnungen im Nachlass zeugen davon.

Die von Karl Kemper 1931 gebaute, von Orgelbaumeister G. Christian Lobback 1991 restaurierte Hans-Henny-Jahnn-Orgel der Heinrich-Hertz-Schule in Hamburg (der ehemaligen Lichtwark-Schule) erklingt heute regelmäßig in Konzerten. Die meisten Jahnn-Orgeln allerdings befinden sich nicht mehr in spielfähigem Zustand. Die ebenfalls 1931 entstandene Orgel der Ansgar-Kirche zu Hamburg-Langenhorn, von der Firma P. Furtwängler & Hammer nicht getreu den jahnnschen Plänen gebaut, soll im Jahr 2009 wieder funktionstüchtig gemacht werden.

Zu Jahnns Auseinandersetzung mit Orgel und Orgelbau trat die bereits erwähnte Beschäftigung mit dem harmonikalen Weltbild. Dem bedeutenden deutschen Privatgelehrten Hans Kayser, dem Begründer der harmonikalen Grundlagenforschung im 20. Jahrhundert, verdankte der Orgelbauer und Orgelreformer Jahnn entscheidende Anregungen – aber auch der Schriftsteller: Perrudja, Jahnns in den späten 1920er Jahren verfasster, wohl bekanntester Roman, zeigt deutlich Kaysers prägenden Einfluss.

Werke

Werkausgaben

  • Werke und Tagebücher in sieben Bänden. Mit einer Einleitung von Hans Mayer. Hrsg. von Th. Freeman und Th. Scheuffelen. Hamburg 1974
  • Werke in Einzelbänden (Hamburger Ausgabe). Hrsg. von Uwe Schweikert. Hamburg 1985 ff.

Prosa

  • Perrudja, Roman, 1. Teil 1929, 2. Teil unvollendet
  • Fluß ohne Ufer, Romantrilogie
    • Das Holzschiff, 1949, überarbeitete Fassung 1959
    • Die Niederschrift des Gustav Anias Horn nachdem er 49 Jahre alt geworden war, 1949/50
    • Epilog, aus dem Nachlass veröffentlicht 1961
  • Die Nacht aus Blei, Erzählung, 1956
  • Ugrino und Ingrabanien, Romanfragment, aus dem Nachlass veröffentlicht, 1968

Dramen

  • Pastor Ephraim Magnus, 1919
  • Die Krönung Richards III., 1921
  • Der Arzt / Sein Weib / Sein Sohn, 1922
  • Der gestohlene Gott, 1924
  • Medea (Tragödie), 1926. 2. Fassung 1959
  • Neuer Lübecker Totentanz (zusammen mit Werner Helwig), 1931
  • Straßenecke, 1931
  • Armut, Reichtum, Mensch und Tier, 1933, 2. Fassung 1948
  • Spur des dunklen Engels, 1952
  • Thomas Chatterton (Tragödie), 1955
  • Die Trümmer des Gewissens, 1961

Auswahlbände

  • Dreizehn nicht geheure Geschichten, Erzählungen, Hamburg 1954
  • Eine Auswahl aus dem Werk. Mit einer Einleitung von W. Muschg. Freiburg i. Br. 1959
  • Das Hans Henny Jahnn Lesebuch. Hrsg. von U. Schweikert. Hamburg 1984

Sonstiges

Literatur

  • Rolf Italiaander, Hans Henny Jahnn: Das Buch der Freunde Diese Schrift wurde im Auftrag der Freien Akademie der Künste in Hamburg zum ersten Todestag des Dichters (29. November 1960) zusammengestellt
  • Der Uhrenmacher. Dem Andenken meines Urgroßvaters Matthias Jahnn (aus Niederschrift), in: Westfalen-Spiegel, Ardey Verlag GmbH, Dortmund, April 1953 (2. Jg., Ausgabe B) Seite 11-12
  • Elsbeth Wolffheim: Hans Henny Jahnn Reinbek 1989 (rororo-Bildmonografie) 432
  • Thomas Freeman: Hans Henny Jahnn Hamburg 1986
  • Hanns Henny Jahnn: Ugrino Jochen Hengst und Heinrich Lewinski. Revonnah Verlag Hannover 1991. ISBN 3-927715-08-5
  • Reiner Niehoff: Hans Henny Jahnn. Die Kunst der Überschreitung München 2001
  • Hans Mayer: Versuch über Hans Henny Jahnn Aachen 1994 ISBN 3-89086-998-X
  • Rüdiger Wagner: Der Orgelreformer HHJ Hg. Hans Heinrich Eggebrecht, Musikwissenschaftliche Verlags-Gesellschaft, Stuttgart 1970
  • dsb.: Hans Henny Jahnn. Der Revolutionär der Umkehr, Orgel, Dichtung, Mythos, Harmonik Hg. Hans Heinrich Eggebrecht, ebd. Murrhardt 1989
  • G. Christian Lobback: Der Orgelbauer HHJ und das harmonikale Gesetz in: Uwe Schweikert (Hg): "Orgelbauer bin ich auch" Hans Henny Jahnn und die Musik Igel, Paderborn 1994 ISBN 3927104892 (S. 11-18)
  • Zeitgenosse Hans Henny Jahnn: Ist der Mensch zu retten? Hamburger Literaturtage 1984, Dokumentation der Hamburger Hans-Henny-Jahnn-Wochen, veranstaltet von der Freien Akademie der Künste in Hamburg mit Unterstützung der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg anläßlich des 90. Geburtstages und 25jährigen Todestages Hans Henny Jahnns
  • G. Christian Lobback: HHJ und sein Bild von der Orgel Zs. Musik und Kirche 6/1994, S.323-328, Bärenreiter-Verlag
  • Walter Muschg: Gespräche mit HHJ Aachen 1994 ISBN 3-89086-899-1
  • Richard Anders: Begegnung mit Hans Henny Jahnn Aachen 1988 ISBN 3-89086-903-3
  • Ulrich Bitz & Jan Bürger & Alexandra Munz: Hans Henny Jahnn – Eine Bibliographie Aachen 1996 ISBN 3-89086-815-0
  • G. Christian Lobback: Klangpolarität und Klanggewichtung der Orgel bei Hans Henny Jahnn Vortrag 2. Juni 2004, Arbeitstagung der Vereinigung der Orgelsachverständigen in Deutschland, Elsa- Brändström-Haus Blankenese
  • Thomas Lipski: Hans Henny Jahnns Einfluß auf den Orgelbau. Phil.-Diss. Münster 1995, Hildesheim 1997 ISBN 3-487-10321-4. Vgl. Google-Buchsuche.
  • Lotti Sandt: Hans Henny Jahnn. Zur Literatur, Harmonik und Weltanschauung des Schriftstellers und Orgelbauers Verlag: Kreis der Freunde um Hans Kayser Bern/Walter Ammann, Bern 1997 ISBN 3-906643-16-6.
  • Adolf Meuer: Jahnns hinterlassenes Schauspiel „Der staubige Regenbogen“. Piscator inszenierte die Uraufführung in Frankfurt in: Kultur und Gesellschaft. Mitteilungs- u. Ausspracheblatt für Mitglieder und Freunde des Demokratischen Kulturbundes Deutschlands, Frankfurt a. M. 1961 (Nr. 5), Seite 13
  • Werner Helwig & Hans Henny Jahnn: Briefe um ein Werk. Europäische Verlagsanstalt. Frankfurt 1959
  • Werner Helwig: Bei Hans Henny Jahnn auf Bondegaard In: Merian-Heft „Bornholm“ 1969
  • dsb.: Die Parabel vom gestörten Kristall (biographisch-autobiographische Erinnerungen an H. H. Jahnn) von Hase & Koehler, Mainz 1977 ISBN 3-7758-0925-2
  • Michael Walitschke: Hans Henny Jahnns Neuer Lübecker Totentanz Stuttgart 1994
  • Theater der Freien Hansestadt Bremen (Hg): HHJ.: DIe Krönung Richards III Bremen, Spielzeit 1978/79 (ein inhaltsschweres Programmheft mit vielen Archivalien, insbes. aus der Staatsbibliothek Hamburg, vorrangig aus der Entstehungszeit) 127 S. ohne ISBN. (Premiere 9. Dezember 1978)
  • Jan Bürger: Der gestrandete Wal. Das maßlose Leben des Hans Henny Jahnn. Die Jahre 1894–1935. Aufbau-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-351-02552-1.
  • Toni Bernhart: "Adfection derer Cörper". Empirische Studie zu den Farben in der Prosa von Hans Henny Jahnn. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 2003, ISBN 3-8244-4547-6.

Weblinks

Quellen

  1. zu Jahnns RDP-Mitgliedschaft, siehe: Stephan Reinhardt (Hrsg.): Die Schriftsteller und die Weimarer Republik. Ein Lesebuch. Berlin 1982, S. 202

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