Jakob Walcher

Jakob Walcher

Jacob Walcher (* 7. Mai 1887 in Wain; † 27. März 1970 in Ost-Berlin) war ein kommunistischer Politiker und Gewerkschafter.

Inhaltsverzeichnis

Leben

In der Arbeiterbewegung der Kaiserzeit

Jacob Walcher, 1912 Stuttgart

Als Sohn eines Kleinbauern wuchs Walcher in der streng protestantischen Enklave Wain (Oberschwaben) auf, wo er die Volksschule besuchte. Mit 15 Jahren ging er als Dreher zu Daimler-Benz nach Stuttgart und kam zum ersten Mal mit der Arbeiterbewegung in Berührung. Schnell wurde Walcher Mitglied im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV), im gleichen Jahr, 1906, trat er auch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei. In Stuttgart wurde er Mitbegründer des Vereins Freie sozialistische Jugend, bekannt auch als „Freie Jugend“. Er war dort von 1906 bis 1910 Vorsitzender dieser linkssozialdemokratischen Arbeiterjugendorganisation. Mehrere Jahre ging er am Wochenende zu Käte und Hermann Duncker, dort bekam er Grundlagen der allgemeinen und politischen Bildung vermittelt. In der Zeit nach 1909 war er in der Jugend- und Arbeiterbildung tätig, deshalb häufig bei politischen Debatten und eigenen Veranstaltungen im Waldheim Sillenbuch, einem bedeutenden Ort der Stuttgarter Arbeiterbewegung. 1910, als 23-Jähriger, wurde er zur SPD-Parteischule nach Berlin delegiert, dort lehrte Rosa Luxemburg, die ihn intellektuell förderte. Bei der Stuttgarter SPD-Zeitung Schwäbische Tagwacht arbeitete er als Redaktionsmitglied von 1911 bis 1914. Die Funktion als Bezirksvorsitzender des DMV übte er 1913 aus. Walcher gehörte zum Kreis der aktiven Kriegsgegner um Friedrich Westmeyer und somit ab 1914 zu den Kritikern der Burgfriedenspolitik der SPD. Er wurde daher gemeinsam mit seinen Kollegen Arthur Crispien und Edwin Hoernle aus der Redaktion der Schwäbischen Tagwacht entfernt und schloss sich dem Spartakusbund an.

In KPD, KPD-O und SAPD

Unter dem Eindruck der Oktoberrevolution in Russland hoffte Walcher auf einen Aufstand der deutschen Arbeiter, gemeinsam mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg plante er die Revolution. Im Dezember 1918 leitete Walcher zusammen mit Wilhelm Pieck den Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und war Mitglied des Vollzugsausschusses des Arbeiter- und Soldatenrates in Stuttgart. 1919 war er Pol. Sekretär der KPD in Stuttgart und 1919-1924 Mitglied der Zentrale der KPD.

Im Juli 1920 fuhr Walcher mit einer KPD-Delegation zu Lenin nach Moskau. Der erfahrene Gewerkschafter warb für die Mitarbeit der Kommunisten in den sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaften. Einen Wechsel dieser Position auf Druck Stalins konnte er, der 1924 bis 1926 Mitglied der Exekutive der Roten Gewerkschaftsinternationale in Moskau war und dann bis 1928 als Mitglied der Gewerkschaftsabteilung des KPD-ZKs arbeitete, jedoch nicht verhindern, 1928 wurde Walcher aus der KPD ausgeschlossen. Als Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei-Opposition, sowie zwischen 1928 und 1931 Mitglied von deren Leitung und Mitherausgeber der KPO-Zeitschrift Gegen den Strom kämpfte er gegen den erstarkenden Faschismus. Weil er ein Zusammengehen mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) unterstützte, wurde er jedoch gemeinsam mit Paul Frölich, August Enderle und Rosi Wolfstein aus der KPD-O ausgeschlossen. Innerhalb der SAPD wurde er 1932 hauptamtliches Mitglied des Parteivorstandes.

Exil und Rückkehr, DDR

Mit der Machtübernahme Hitlers begannen für Walcher die Jahre der Emigration. Unter dem Decknamen Jim Schwab leitete er aus Paris die Exil-SAP, den jungen SAP-Genossen Willy Brandt schickte er zur politischen Arbeit nach Norwegen. 1933 führte er bei Paris Gespräche mit Leo Trotzki, die Konzeption einer 4. Internationalen scheiterte. Ihre politischen Differenzen waren zu groß. Im Pariser Lutetia-Kreis setzte Walcher sich für eine Einheitsfront aus Sozialdemokraten und Kommunisten gegen die Nationalsozialisten ein. Als die Wehrmacht in Frankreich einmarschierte, wurde er zweimal interniert. Er konnte fliehen und bekam über das Emergency Rescue Committee ein Visum für die USA. Sein Fluchtweg führte, wie der vieler deutscher Emigranten, über die Pyrenäen nach Lissabon und via Schiff in die USA, wo Walcher wieder als Dreher arbeitete. Seine Wohnung war im New Yorker Stadtteil Bronx. Im Council for a Democratic Germany unter der Leitung des Theologen Paul Tillich, in dem u.a. auch Bertolt Brecht mitarbeitete, entwarf er Vorschläge für die Gewerkschaftsarbeit in Deutschland nach dem Neubeginn.

1946, ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Walcher nach Deutschland zurück, als Sozialist entschied er sich für die sowjetische Besatzungszone, wo er zunächst der KPD, dann der neu gegründeten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) beitrat. In dieser Zeit brach er mit Willy Brandt, weil dieser sich zur SPD bekannte.

Als Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung Tribüne (1946–1949) kritisierte Walcher Missstände im Realsozialismus, weshalb er im Februar 1951 seinen Posten verlor. Im April 1951 wurde er vor die Landesüberprüfungskommission Berlin der SED gerufen; diese war Teil der Zentralen Parteikontrollkommission. Vorgeworfen wurden ihm seine führende Tätigkeit in KPO und SAPD, Kontakte zu L. Trotzki und seine Rolle als ein angeblicher „Verhinderer“ der nicht stattgefundenen Revolution von 1923. Die SED erklärte ihn, mit Beschluss vom 29. April 1951, zum „ärgsten Feind der Arbeiterklasse“, schloss ihn aus der Partei aus und degradierte ihn zum Archivarbeiter. In den Jahren der politischen Ächtung hielt ihm sein Freund Bertolt Brecht die Treue. 1956 wurde Walcher offiziell rehabilitiert, bis zu seinem Tod 1970 lebte er zurückgezogen mit seiner Frau Hertha Walcher in Berlin-Hohenschönhausen. Jacob Walchers Urne wurde in der Grabanlage Pergolenweg der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.

  • Hertha Walcher, geb. Gordon (* 9. August 1894 in Königsberg; † 27. Dezember 1990 in Berlin), war eine Frau mit internationaler kultureller Erfahrung, deshalb auch mehrsprachig. Über London kam sie nach Stuttgart und wirkte ab 1915 in der linken Sozialdemokratie, dann im Spartakusbund. In den 1920er Jahren war sie die Sekretärin von Clara Zetkin. Hertha Walcher übernahm die Aufgabe einer Kurierin zwischen der KPD und Lenin. Lenin vermittelte sie als Sekretärin zu Karl Radek, der in dieser Zeit im Kreml wohnte. In den Jahren 1933-39 war Hertha W. in Paris für SAP-Exilarbeit tätig. Ihre Urne wurde ebenfalls in der Grabanlage Pergolenweg der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.
Hertha Walcher und Clara Zetkin 1925 vor dem Reichstag

Werke

  • Ford oder Marx. Die praktische Lösung der sozialen Frage Berlin 1925.
  • Arbeitsgemeinschaft oder Klassenkampf. Berlin 1928.
  • Das rote Gewerkschaftsbuch. Berlin 1932. (Mitverfasser, mit August Enderle, Heinrich Schreiner, Eduard Weckerle)
  • Auf der falschen Seite. Ein überarbeiteter Vortrag des Chefredakteurs der Tribüne vor dem Personal des Aussenministeriums der Deutschen Demokratischen Republik über das Thema: Gewerkschaften in den kapitalistischen Ländern. Berlin 1950.
  • Zum II.KI-Kongreß delegiert. in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin 1970

Unveröffentlichte Buchmanuskripte Bundesarchiv (Deutschland) Nachlass Jacob Walcher SAPMO:

  • Die Sozialdemokratie in Stuttgart von 1906 bis 1914
  • Unsere Gewerkschaftsarbeit vom Beginn bis 1924
  • Mein Lebensweg, Autobiografie (Zeit 1887-1920)
Verschiedene Schriften

Auszeichnungen

Literatur

  • Ernst Stock/Karl Walcher: Jacob Walcher (1887 - 1970): Gewerkschafter und Revolutionär zwischen Berlin, Paris und New York. Berlin 1998. ISBN 3-89626-144-4

Bilder

Weblinks


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