K.k. Weiberstrafanstalt Wiener Neudorf

K.k. Weiberstrafanstalt Wiener Neudorf

Die k.k. Weiberstrafanstalt Wiener Neudorf in Niederösterreich wurde 1853 als erstes von Nonnen geführtes Gefängnis in Österreich gegründet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Bis 1903 ist die Geschichte der k.k. Weiberstrafanstalt Wiener Neudorf ausführlich beschrieben, für die Zeit danach ist hingegen kaum Material auffindbar.

Monarchie

Von Gräfin Ida von Hahn-Hahn kam die erste Anregung, weibliche Sträflinge unter die Aufsicht von Klosterfrauen zu stellen. Unterstützung für ihren Plan fand sie unter anderem bei der Kaiserin-Witwe Karoline Auguste, dem Polizeidirektor Theodor Weiß von Starkenfels, dem Statthalter von Niederösterreich Doktor Josef Wilhelm Freiherr von Eminger sowie dem praktischen Arzt Hofrat Doktor Anton Schmidt Ritter von Tavera.

Am 1. August 1853 wurde durch Kaiser Franz Joseph I. mit Allerhöchster Entschließung der Orden der Frauen vom guten Hirten in Österreich zugelassen. Dieser war dafür ausgewählt worden, die Weiberstrafanstalt zu betreiben.

Als Kloster und gleichzeitig Gefängnis wurde in Wiener Neudorf südlich von Wien das ehemalige fürsterzbischöfliche Sommerschloss erworben und am 4. Oktober 1853 von den Klosterfrauen feierlich bezogen.

Aus einem Asyl für verwahrloste Mädchen kamen 16 Mädchen als Büßerinnen oder Freiwillige in das Kloster. Diese Büßerinnen wollten nach Absolvierung ihrer Strafzeit nicht mehr „in die Welt zurückkehren“, sondern im Kloster bleiben. Voraussetzung für deren Aufnahme war gute Führung.

Die ersten weiblichen Häftlinge kamen aus dem Wiener Gefangenenhaus am 5. Jänner 1854 nach Wiener Neudorf und aus Sorge, ob alles in dem neuen Gefängnis seine Ordnung habe, kam am 6. Jänner bereits um 8 Uhr Früh Statthalter Eminger zu Besuch.

Im Laufe seiner Geschichte hatte die Weiberstrafanstalt Wiener Neudorf prominente Besucher:

  • Kaiserin-Witwe Karoline Auguste

Zu Beginn des Jahres 1855 wurden weitere ehemals zum Schloss gehörige Objekte angekauft. Der ursprüngliche Plan, in ihnen ein Waisenhaus einzurichten, wurde fallengelassen.

Statthalter Eminger ließ daraufhin so genannte Zwänglinge zuweisen. Bei diesen Zwänglingen handelte es sich um Personen, welche entweder nach abgebüsster Strafe oder von vornherein auf behördliche Anordnung unter strenger Aufsicht zu ehrlicher Arbeit angehalten wurden. Die Dauer des Aufenthalts durfte nicht länger als drei Jahre betragen. Bei guter Führung konnte eine vorzeitige Entlassung verfügt werden. In Wiener Neudorf saßen bis zu 300 Zwänglinge – streng getrennt von den anderen Strafgefangenen – ein.

1856 wurde mit der Errichtung der neuen Strafanstalt begonnen und Kaiser Franz Joseph I. über die neue Form des Strafvollzugs bei weiblichen Häftlingen informiert. Ob man es tatsächlich wagte, ohne Wissen des Kaisers etwas in seinem Reich zu unternehmen oder ob er durch seinen Bruder, der die Gefängniskirche (Grundsteinlegung 13. Juni 1854, feierliche Einweihung 26. Juli 1855) erbauen ließ, inoffiziell darüber informiert und einverstanden war, ist nicht bekannt. Jedenfalls ließ Franz Joseph I. dem Orden aus der Staatslotterie eine Spende zukommen.

Als der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, dass geistliche Schwestern für die Leitung eines Frauengefängnisses verantwortlich waren, brachen heftige Diskussionen aus. Die liberale Presse sah es als skandalös an, dass die Kirche in den Strafvollzug miteinbezogen wurde und war grundsätzlich dagegen. Und dass der Herausgeber und Chefredakteur des „Wiener medizinischen Wochenblattes“, Leopold Wittelshöfer, der mehrere heftige Schmähartikel gegen die Weiberstrafanstalt in Wiener Neudorf veröffentlichte, mosaischen Glaubens war, brachte besondere Brisanz in die damalige Diskussion. Gegen ihn wurde sogar die Staatsanwaltschaft aktiv, da er gegen staatliche Institutionen hetzte und verurteilte ihn zu 20 Gulden Geldstrafe und einen Monat Arrest.

Erste Republik

Da nach dem 1. Weltkrieg die Ordensschwestern wegen gestiegener Aggressivität, Arbeitsverweigerungen und so weiter mit der Aufsicht über die weiblichen Gefangenen nicht mehr zu Recht kamen, wurde die Anstaltsleitung von einem Strafanstaltsdirektor übernommen, wobei die Nonnen ihren Dienst aber weiterhin versahen.

Die wahrscheinlich prominenteste Insassin dieser Frauenstrafanstalt während dieser Zeit war Auguste Caroline Lammer. Sie war die erste Frau Österreichs, die eine Bank gründete. Nach deren Konkurs wurde sie zu einer Haftstrafe verurteilt, während deren sie verstarb.

Drittes Reich

Nach dem Anschluss Österreichs an das 3. Reich wurde das Gefängnis aufgelassen und die weiblichen Häftlinge gruppenweise ins „Altreich“ abtransportiert. Was dort mit ihnen geschah, ist unbekannt. Die jugendlichen Zwänglinge hingegen durften bleiben.

Ab dem 19. März 1940 zog hier eine Polizeischule ein und ab 1942 ein Wehrmachtsspital. Am 15. Februar 1945 wurde die Anlage durch einen Bombenangriff schwer beschädigt.

Zweite Republik

Nach Kriegsende wurden drei erhalten gebliebene Gebäude wieder hergestellt und für eine höhere Schule adaptiert. 1982 zogen hier ein Gendarmerieposten und ein Rettungsdienst ein.

Haftgründe

Die inhaftierten Frauen saßen länger als ein Jahr hier ein. Weitaus häufigster Haftgrund waren Eigentumsdelikte (Diebstähle und Betrügereien), gefolgt von Vergehen gegen Leben und körperliche Sicherheit (vor allem Kindsmord). Verstöße gegen die Sittlichkeit spielten kaum eine Rolle, diese wurden meist im Zusammenhang mit anderen Straftaten abgehandelt.

Beschäftigung und Tagesablauf

Neu angekommene Sträfliche wurden zunächst gebadet und anschließend für maximal acht Tage in der Aufnahmezelle untergebracht. Während der ersten 24 Stunden hatte der Anstaltsarzt die Gefangene zu untersuchen und innerhalb von 48 Stunden war ein Besuch durch den Anstaltsseelsorger und eine Lehrerin zum Kennenlernen vorgesehen.

Neben der Beschäftigung der Gefangenen durch Arbeit (welcher Art diese war, wird leider nicht erwähnt) erhielten die Sträflinge auch Schulunterricht. Zu diesem Zweck wurden sie in zwei Klassen eingeteilt:

In die erste Klasse wurden Analphabetinnen und jene Häftlinge eingeteilt, die über „höchst mangelhafte Kenntnisse“ in den Unterrichtsgegenständen der Volksschule besaßen.

In die zweite Klasse kamen Frauen mit ungenügenden Kenntnissen in den Volksschulgegenständen.

Wochentags

  • 5:00 Uhr (Oktober – März 5:30 Uhr): wecken, aufstehen, ankleiden, Kleider und Schuhe reinigen, Namensaufruf, Verteilung der Morgensuppe und von Wasser, Arbeitsbeginn
  • Vormittags oder nachmittags: ein- bis zweimal täglich insgesamt eine Stunde in dem dafür vorgesehenen Hof Bewegung im Freien
  • 12:00 Uhr: Mittagessen und Ausgabe einer Brotportion sowie von Wasser in den Schlafsälen. Eine Stunde Pause, je zur Hälfte in den Schlafsälen und auf den Korridoren oder im Spazierhof.
  • 13:30 Uhr: Arbeitsbeginn
  • 18:30 Uhr (samstags 18:00 Uhr): Arbeitsschluss
  • 18:30 – 19:30 Uhr: dreimal wöchentlich Religionsunterricht in der Kirche durch den Anstaltspfarrer, einmal wöchentlich in den Arbeitssälen Vorlesung aus Büchern gemeinnützigen Inhalts durch eine Ordensfrau
  • 20:00 Uhr: Nach einer halbstündigen Pause Namensaufruf und Zählung in den Schlafsälen, Abendgebet und Nachtruhe

Sonn- und Feiertag

Sträflinge christlicher Konfession hatten an Sonn- und Feiertagen arbeitsfrei, Israeliten und Andersgläubige an ihren Feiertagen.

  • 6:00 Uhr: wecken, aufstehen, ankleiden, Kleider und Schuhe reinigen, Namensaufruf, Verteilung der Morgensuppe und von Wasser
  • 8:00 Uhr: Gottesdienst
  • 9:30 Uhr: Unterricht in gemeinnützigen Tätigkeiten
  • 12:00 Uhr: Mittagessen und Ausgabe einer Brotportion sowie von Wasser in den Schlafsälen.
  • 20:00 Uhr: Namensaufruf und Zählung in den Schlafsälen, Abendgebet und Nachtruhe

In der Freizeit hatten die weiblichen Häftlinge Zeit zum Anhören von Lesungen durch Ordensfrauen oder Mitgefangene, zum Lesen, Erledigen von Schulaufgaben oder Schreiben von Briefen.

Verpflegung

Die Verpflegung von Strafgefangenen war in der Monarchie genau geregelt. Pro Gefangener und Tag gab es

  • 36 Gramm (meist pflanzliches) Fett und

Da die Arbeiten in der Weiberstrafanstalt als nicht anstrengend bezeichnet wurden und meist im Sitzen verrichtet werden konnten, war dieser Verpflegungsschlüssel, der sich auf Julius August Christian Uffelmann beruft, laut Gefängnisleitung ausreichend.

Über die Qualität der Kost gab Leopold Senfelder allerdings zu, dass sie beim Kosten besser schmeckt, als wenn man sie über viele Jahre hinweg vorgesetzt bekommt.

Hygiene

Das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum machte ein verstärktes Bemühen um Hygiene durch die Ordensfrauen als Verantwortliche notwendig.

  • Die Räume waren mit Kalk geweißelt, dieser Anstrich wurde jährlich erneuert.
  • Mindestens alle 14 Tage wurden die Fußböden gereinigt.
  • In jedem Raum gab es einen Spucknapf mit einer desinfizierenden Flüssigkeit.
  • Die Bettwäsche wurde alle 14 Tage, die Leibwäsche wöchentlich gewechselt.
  • Jeder Sträfling war verpflichtet, sich morgens und nötigenfalls auch tagsüber Gesicht und Hände zu waschen.
  • Ein Arzt besuchte täglich die Strafanstalt.
  • Einmal im Monat wurden Bäder verabreicht und zwar abwechselnd Vollbäder und Fußbäder.

Nach unseren modernen Maßstäben waren diese Hygienemaßnahmen katastrophal. Im Jahr 1859 kam es zu einer Flecktyphusepidemie, der 20 Frauen zum Opfer fielen und 1866 kamen durch die Cholera 16 Personen ums Leben.

Zwischen 1853 und 1902 verstarben in der Weiberstrafanstalt Wiener Neudorf von 6.726 weiblichen Sträflingen 846. Die häufigste Todesursache war die Lungentuberkulose.

Aber auch Stefan Grossmann bekrittelte 1905 in seinem Buch „Österreichische Strafanstalten“ verwundert den Reinlichkeitsbegriff der österreichischen Behörden und der die Frauenstrafanstalt leitenden Klosterschwestern. Zu den weiteren Kritikpunkten von ihm gehörte der Umstand, dass selbst Besucher mit amtlicher Besuchserlaubnis sich nur eine Stunde lang im Gefängnis aufhalten durften. Nur alle vier bis sechs Wochen war es erlaubt, je einen Brief zu empfangen beziehungsweise abzusenden, aber dies nur mit unbedenklichem Inhalt. (Den Zwänglingen stand dieses Recht übrigens nicht zu.)

Dass in der Gefängniskirche der Altarraum mit der Kanzel und die Messbesucher mittels eines massiven Gitters voneinander getrennt waren, fand er genauso wenig zufriedenstellend wie den Umstand, dass die Arrestantinnen während der Arbeit mit Beten, dem Singen heiliger Lieder oder dem Vorlesen aus heiligen Büchern berieselt wurden, um sie von den bösen Dingen abzulenken.

Literatur

Leopold Senfelder: „Die k.k. Weiberstrafanstalt in Wiener Neudorf 1853 – 1903“, Wien, 1903, im Selbstverlag der Anstaltsleitung

Stefan Grossmann: „Österreichische Strafanstalten“, Wiener Verlag – Wien und Leipzig, 1905

Martin Gschwandtner: „Die Macht des Geldes - Die Krisen-Republik und die Geschichte von Auguste Caroline Lammer und ihrer kleinen Regionalbank 1920 – 1937“, Universität Salzburg, Diplomarbeit 2003


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