KPP Eichberg

KPP Eichberg

Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Eichberg bei Kiedrich im Rheingau (Hessen) ist eine bereits 1815 als Irrenhaus gegründete Einrichtung, die heute zum Zentrum für Soziale Psychiatrie Rheinblick in Eltville zählt. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden in der ursprünglich aus Teilen des Kloster Eberbachs hervorgegangene Anstalt im Rahmen der nationalsozialistischen Rassenhygiene zahlreiche Menschen getötet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Anfänge als „Irrenhaus“

Die Gründung des „Irrenhauses Eberbach“ im Jahr 1815 ging auf ein Edikt des Herzogtums Nassau zurück, worin ein Teil des Klosters Eberbachs für diese Zwecke zur Verfügung gestellt werden sollte. Am 16. August 1815 wurde die Einrichtung mit vier Geisteskranken eröffnet. Die Nähe zum „Korrektionshaus“, einer Art „Besserungsanstalt“ für sozial deviante Menschen, war allerdings noch Ausdruck eines auf die „Abweichung“ der Betroffenen abzielenden Grundverständnisses. Dennoch entwickelte sich allmählich eine Art Krankheitsverständnis, das sich etwa in dem damals eingerichteten Hilfsverein für die Versorgung entlassener psychisch Kranker ausdrückt, welcher in der Region von insgesamt über 1200 zahlenden Mitgliedern unterstützt wurde und die Betroffenen bei der Reintegration in die Gesellschaft (Arbeit, Wohnung etc.) unterstützte. - Schon bald wurden die Räumlichkeiten zu klein. Daraufhin erfolgte die Planung einer eigens auf die damals propagierten Bedürfnisse einer Heilanstalt ausgerichteten Anlage. Historischen Berichten ist zu entnehmen, dass die errichteten Gebäude zu den schönsten Anstalten Deutschlands gezählt wurden. Entgegen manchen anderen Einrichtungen für psychisch Kranke, wurde die Klinik an einer weithin sichtbaren Stelle errichtet. Damit wurde der Eindruck vermieden, man wolle die Kranken nur verstecken. 1849 konnte die Anstalt dann auf einem Gelände südöstlich des Klosters die „Landes-Heil- und Pflegeanstalt Eichberg“ eröffnet werden. 160 Patienten siedelten in die neuen Gebäude um. Die Auswahl des ersten Direktors erfolgte nach einem Auswahlverfahren, in dessen Rahmen die Bewerber neben ihrer wissenschaftlichen Reputation auf eine Reise durch Deutschland geschickt wurden, um sich nach Verbesserungen in der Behandlung psychisch Kranker zu erkundigen und diese in eine wissenschaftliche Erörterung und später in die Behandlung der Patienten einfließen zu lassen. Die Wahl fiel auf den damals 29jährigen Ludwig Snell. Dieser zeichnete sich neben seinem Ansatz als „Somatiker“ durch frühe sozialpsychiatrische Ansätze aus, deren Umsetzung ihn dann aber erst nach seinem Wechsel in eine Anstalt in Hildesheim über die Grenzen bekannt werden ließen. - Nachdem auch die neuen Gebäude nicht mehr ausreichten, wurde ein Teil der Kranken zwischenzeitlich wieder in den Klostergebäuden untergebracht, bis 1884 weitere Gebäude bezugsfertig waren. Zu dieser Zeit wurde auch der zwischenzeitlich in den Hintergrund getretene Hilfsverein unter der Bezeichnung „Eichberger Hilfsverein für entlassene Geisteskranke“ durch den damaligen Direktor Dr. Schroeter wiederbelebt. Nachdem in dieser Zeit auch innerbauliche Verbesserungen durchgeführt wurden, verkamen im weiteren Verlauf die ursprünglich humanitär ausgeprägten Ansätze insbesondere unter dem Eindruck knapperer finanzieller Möglichkeiten. So priesen sich in Deutschland immer mehr Anstalten damit, wirtschaftlich selbständig zu „überleben“, was in Anbetracht der psychisch und oft auch körperlich angegriffenen Menschen nur durch übermäßige Nutzung von deren noch vorhandener Arbeitskraft ermöglicht werden konnte. Nachdem in den Anfängen der Heil- und Pflegeanstalten biologische Erklärungsansätze die noch gängigen religiös oder moralisch intendierten Stigmatisierungen der Betroffenen relativierten und damit den Weg zu einem Krankheitsverständnis öffneten, spitzten sich eben jene Erklärungsansätze ganz allmählich bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Sinne einer Erblehre zu, die letztlich die Grundlage für die dann einsetzende Ermordung tausender psychisch Kranker darstellen sollte. Bis zum Ersten Weltkrieg waren 750 Betten vorhanden. Im Verlauf de Krieges sank aufgrund der schlechten Ernährungs- und hygienischen Bedingungen die Anzahl auf ein Viertel im Verhältnis zu 1914. Von 1932 bis 1937 wurde diese Zahl bis auf 900 erhöht.

Ermordungen während der Zeit des Nationalsozialismus

Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus spitzte sich die Ideen eines sog. „Sozialdarwinismus“ zu. Psychisch Kranke, insbesondere Patienten mit Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis und geistig beeinträchtigte Menschen, wurden als erblich belastet verstanden. Dieses Verständnis psychischer Krankheiten und Behinderungen sollte im Sinne der einsetzenden „Rassenhygiene“ bald dafür ausreichen, Tausende gegen ihren Willen zu sterilisieren und später im Rahmen der Aktion T4 zu ermorden. Der Eichberg fungierte dabei sowohl als Durchgangsstation als auch als Tötungslager.

Im Jahre 1939 ließen die Nationalsozialisten 178 Patienten der Klinik Eichberg zwangssterilisieren.

Im Januar 1939 wurde Friedrich Mennecke Direktor des Eichbergs. Ab 1941 war die Anstalt während der so genannten Aktion T4 als „Zwischenanstalt“ Durchgangsstation für etwa 2.200 Menschen, die in den Gaskammern der Tötungsanstalt Hadamar umgebracht wurden. Dabei wurden die Opfer in grauen Bussen der „Gemeinnützige Krankentransport GmbH“ („Gekrat“) mit verhängten Scheiben zum Bahnhof in Hattenheim gebracht.

In der für 900 Patienten ausgelegten Anstalt wurden bis zu 1.800 Personen in zum Teil dreigeschossigen Betten untergebracht. Im Zweiten Weltkrieg, ab 1941, wurden dann auch auf dem Eichberg selbst Menschen getötet. Allein in der Kinderstation, die unter der Leitung von Menneckes Stellvertreter Walter Schmidt stand, wurden mindestens 430 Kinder ermordet. Dies geschah teilweise in Zusammenarbeit mit der Universitätspsychiatrie Heidelberg. Ab 1942 bis zur Befreiung 1945 wurden auch Erwachsene getötet. Nach Klinikunterlagen waren dies insgesamt mehr als 3.600 Menschen, darunter 600 eigene Patienten und 2.000 Hertransportierte. Die Klinik wurde nach dem Ende des „Dritten Reiches“ weiter als psychiatrische Abteilung geführt. Die Geschehnisse wurden jedoch erst viele Jahre später auch vor Ort kritisch reflektiert. Einige der verantwortlichen Mitarbeiter konnten ihren Dienst trotz ihrer Vergangenheit ungestraft fortsetzen. Erst viel später wurde vor Ort ein Denkmal errichtet, das an die Ermordungen erinnern soll. Insgesamt wurden in Deutschland mehr als 100.000 Menschen Opfer der Aktion T4.

Nachkriegszeit

Nachdem in der Nachkriegszeit erneut ein Anwachsen der Patientenzahlen zu verzeichnen war, die dann auch teilweise jahrelang dort ihr Leben in Krankensälen fristeten, machte die Psychiatrie-Enquête den Weg in die sozialpsychiatrische Ära frei. Diese nannte die Ungleichbehandlung psychisch Kranker im Vergleich zu körperlich Kranken erstmals beim Namen und brachte entsprechende Gesetze zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker auf den Weg. In der Folge konnten die Kliniken mehr Personal einstellen. Leider wurden die Möglichkeiten erst in den Achtziger Jahren umfassender genutzt. Dann erfolgten jedoch die erforderlichen Umbauten, um die noch üblichen Krankensääle aufzulösen. Die dann aufkommende Enthospitalisierungswelle zeigte, dass viele Auffälligkeiten der Patienten eher durch die jahrelange Internierung in geschlossenen Sälen bedingt waren, als durch die Erkrankung selbst. Die Veränderungen in der Klinik waren allerdings nur durch zunehmende sozialpsychiatrische Angebote in den bis dahin nur schlecht versorgten Regionen flankiert.

Heutige Nutzung

Pflichtversorgung Rheingau-Taunus-Kreis

Mittlerweile ist der Eichberg eine Klinik am Zentrum für soziale Psychiatrie (s.u.) mit 214 stationären Planbetten sowie weiteren 20 Plätzen in der Wiesbadener Tagesklinik und einer Institutsambulanz vor Ort mit Zweigstelle in Wiesbaden. Die stationären Patienten werden von 320 Vollzeit-Pfegekräften betreut. Neben der Versorgung der psychisch Kranken auf offenen, psychotherapeutischen und geschlossenen Stationen erfolgt auch eine Suchtkrankenbehandlung mit Entgiftung für Alkohol- und Drogenabhängige. Die Abteilungen arbeiten zusammen mit anderen Anbietern komplementärer regionaler Hilfen inklusive Suchtberatungsstellen und sozialpsychiatrischen Zentren.

Daneben erfolgt weiterhin die regionale Versorgung von Patienten aus dem Rheingau-Taunus-Kreis sowie die überregionale kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung durch die angegliederte Klinik Rheinhöhe sowie die Betreuung psychisch Kranker in einem Wohn- und Pflegeheim. Die Klinik Eichberg gehört als Erwachsenenpsychiatrische Klinik gemeinsam mit den genannten angegliederten Einrichtungen heute zum Zentrum für Soziale Psychiatrie Rheinblick in Eltville und wird vom Landeswohlfahrtsverband Hessen betrieben.

Die Pflichtversorgung für die Patienten der Landeshauptstadt Wiesbaden wurde an die Dr. Horst-Schmidt-Kliniken (HSK) in Wiesbaden-Dotzheim abgegeben. Die psychiatrische Abteilung wurde vergrößert und neugebaut. Viele Patienten lehnen die Behandlung dort ab, weil sie dort nur medikamentiös behandelt werden, aber keine ausreichende Psychotherapie bekommen. Außerdem fehlt der Erholungswert. Die Klinik Eichberg liegt landschaftlich in einer reizvollen Umgebung zwischen Weinbergen und Wald mit Blick auf den Rhein.

Forensik

Die frei gewordenen Kapazitäten in der Klinik Eichberg werden mittlerweile als Psychiatrischer Maßregelvollzug zur Entlastung der überfüllten forensischen Klinik Haina als gesonderte Abteilung genutzt.

Kulturzentrum KUZ

Im angegliederten Kulturzentrum finden zudem viele kulturelle Veranstaltungen statt. Die Idee des „KUZ“ steht im Zusammenhang mit damals einsetzenden sozialpsychiatrischen Entwicklungen und der Intention von größerer Gemeindenähe, die zumindest für die Patienten aus Stadt Wiesbaden aufgrund der ländlichen Lage nicht gegeben war. Das KUZ sollte dementsprechend im Umkehrschluss Angehörige, Anwohner und die Bevölkerung der Region durch sein offenes Kulturprogramm in die Einrichtung bringen, um so den Kontakt zu einem natürlichen sozialen Umfeld wenigstens innerhalb der Einrichtung zu ermöglichen. Heute arbeitet das KUZ äußerst erfolgreich und erstellt jedes Jahr ein Programm mit eigenem Musik- und Kleinkunstprogramm, kommunalem Kino. Besondere Erwähnung verdient das über die Grenzen hinaus bekannten Atelier, in dem Psychiatrieerfahrene unter offner, eher technischer als inhaltlicher Anleitung des Künstlers Helmut Mair frei malen und zeichnen können. Die Werke mancher dortigen Künstler wurden bereits überregional präsentiert und publiziert. Für die Arbeit mit den Patienten und das eigene Werk wurde Helmut Mair 2005 mit dem Kulturpreis des Rheingau-Taunus-Kreises geehrt. Das Atelier und das KUZ kann zu den im Programm angegebenen Öffnungszeiten besucht werden.

Weblinks

Literatur

  • Krausbeck, E.: Das Irrenhaus zu Eberbach. Die Geschichte der nassauischen Psychiatrie im Zeitalter des Biedermaiers in Eltville. Bad Ems, 1992
  • Faulstich, H.: Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949. Mit einer Topographie der NS-Psychiatrie. Freiburg, 1998
  • Eirund, W.: Auswirkungen biologischer Krankheitsmodelle auf die psychiatrische Behandlung. In: Vanja, C., S. Haas, G. Deutsche, W. Eirund, P. Sandner: Wissen und Irren. Psychiatriegeschichte aus zwei Jahrhunderten - Eberbach und Eichberg. Kassel, 1999
  • Eirund, W., S. Haas: Vom Irrenhaus in die Klinik für Psychiatrie... und zurück? In: Vanja, C., S. Haas, G. Deutsche, W. Eirund, P.. Sandner: Wissen und Irren. Psychiatriegeschichte aus zwei Jahrhunderten - Eberbach und Eichberg. Kassel, 1999
  • Sandner, P.: Der Eichberg im Nationalsozialismus. Die Rolle einer Landesheilanstalt zwischen Psychiatrie, Gesundheitsverwaltung und Rassenpolitik. In: Vanja, C., S. Haas, G. Deutsche, W. Eirund, P.. Sandner: Wissen und Irren. Psychiatriegeschichte aus zwei Jahrhunderten - Eberbach und Eichberg. Kassel, 1999
  • Peter Sandner: „Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus“, Gießen, 2003, ISBN 3-89806-320-8

50.03838.06027Koordinaten: 50° 2′ 18″ N, 8° 3′ 37″ O


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