Kalacakra

Kalacakra
Kalacakra Mantra

Kālacakra (Kālacakra Laghutantra; Sanskrit, von Zeit (Kāla) und Rad (Cakra), meist mit Das Rad der Zeit übersetzt) ist ein spezielles Praxissystem aus der Gruppe der Annuttarayogatantras (unübertreffliches Yogatantra) des tibetischen Buddhismus. Der Name Kalacakra bezeichnet zugleich die tantrische Gottheit, als auch das der Praxis dieser Gottheit zugrundeliegende Wurzeltantra.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Kalacakra-Gottheit in Vereinigung

Kalacakra wurde nach der Überlieferung von Buddha Shakyamuni im Alter von 80 Jahren an der Stupa von Dhānyakaṭaka in Südindien gelehrt. Das mit Kalacakra verbundene Praxissystem wurde aber in Indien erst im 10. Jahrhundert verbreitet und gelangte sehr wahrscheinlich im Jahr 1027, indem der tibetische Kalacakra-Kalender beginnt, nach Tibet. Die Praxis auf das Kalacakra Gottheiten-Mandala gilt als eine der höheren tantrischen Meditationspraktiken, die eine schnelle Entwicklung des Praktizierenden bis zur Erleuchtung in einem Leben ermöglichen soll. Kalacakra ist ein sehr spät übertragenes höheres Tantra, das zum Anuttarayogatantra der Neuen Übersetzungstraditionen gehört. Es steht aufgrund seiner späten Übertragung und aufgrund seiner detaillierteren Darstellung neben den sogenannten Acht großen Heruka-Gottheiten (Bluttrinkern), Hayagriva, Guhyasamaja, Hevajra, Vajrakilaya, Yamantaka, Chakrasamvara, Amrita und Mamo.

Der Text des Kalacakra-Tantra "Rad der Zeit", beschreibt neben umfassenden Praxisanleitungen insbesondere auch Darlegungen zu den feinstofflichen Energiebahnen des menschlichen Körpers und auch Phänomene in äußeren und inneren Zeitzyklen sowie Wege zu deren Harmonisierung. Das Kalacakra-Tantra enthält daher auch viele Elemente der indischen Astrologie und trug stark zur Ausarbeitung der heute bekannten tibetischen Astrologie bei. Die Übertragung des Kalacakra-Tantra ist mit einigen Unterschieden in allen großen Schulen des tibetischen Buddhismus zu finden. Hauptsächlich wird Kalacakra aber von der Kagyü-, Sakya- und Gelug-Schule gelehrt, deutlich seltener in der Nyingma-Tradition. Es gibt mit der Schule der Jonangpa auch eine tibetische Tradition, die sich einzig und alleine auf die Übertragung und Praxis des Kalacakra-Tantra spezialisiert hat. Als die ältesten bekannten Lehrer des Kalacakra-Tantra in Tibet werden Dolpopa Sherab Gyaltsen (1292-1361) und Buton Rinchen Drup (1290-1364) angesehen.

Shambala-Mythos

Nach einer Überlieferung übertrug Buddha Shakyamuni das Kalacakra-Tantra zunächst an König Suchandra von Shambala, da die Zeit noch nicht reif sei, das Kalacakra-Tantra unter den Menschen auf der Erde zu verbreiten.

König Suchandra von Shambala

Dieser übertrug es an seine Nebenherrscher und deren Untertanen um das Reich Shambala zu einen. Das sagenumwobene Reich Shambala spielte folglich in der Verbreitung des Kalacakra-Tantra eine wichtige Rolle. Shambala soll ein Lebensbereich sein, der für spirituelle Entwicklung besonders günstig ist. Ob dieses sagenumwobene Reich auf der Erde zu finden ist, kann nicht mit letzter Gewissheit gesagt werden.

Der 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso sagt über Shambala:

"Gleichgültig ob Shambhala ein Ort irgendwo auf diesem Planeten ist, oder nicht, so kann er dennoch nur von denen gesehen werden, deren Geist und karmische Tendenzen rein sind."
(Handbuch der tibetischen Astrologie)

Erst im 10. Jahrhundert soll Kalacakra von Shambala aus an irdische Meister übertragen worden sein. Ziel der Kalacakra-Praxis ist es aber nicht an erster Stelle dieses sagenumwobene Reich zu finden, obwohl einige Lamas spezielle Praxisanleitungen für eine spirituelle Reise nach Shambala geschrieben haben, sondern wie bei allen buddhistischen Praktiken, Erleuchtung zu erlangen.

Shambhala Deeksha

Nach der Überlieferung ist die Shambhala-Deeksha und das regelmäßige Praktizieren der Meditation eines der effektivsten Mittel zur Reinigung von vergangenen unheilsamen Handlungen (Karma).
Buddha Shakyamuni erklärt die Wirkung der Meditation im folgenden Vergleich:

„Ebenso wie ein Licht in einem Moment die Dunkelheit in einem Raum vertreibt und alles hell erleuchtet, so vernichtet die Rezitation des Mantras und die Meditation über den heiligen ’Lichtstein’ das negative Karma, das man in unzähligen Leben angesammelt hat.
… Die Verbindung von ethischer Lebensführung und der Meditation bringt eine besonders starke Kraft hervor, um unheilsames Karma zu beseitigen.
… Beschäftigen wir uns mit dieser Meditationspraxis, sollten wir es mit der Motivation tun, unseren Geist von negativem Karma zu reinigen. Ähnlich wie ein Mond am Vollmondtag erstrahlt, wenn der Himmel wolkenlos ist, so sollten wir denken, daß wir die Tugenden unseres Geistes erstrahlen lassen und uns von den hindernden Eigenschaften reinigen wollen.“

Voraussetzung für die Durchführung der Shambhala Meditation ist die Initiation (Maha-Deeksha) des Praktizierenden. Es heißt: „Mit der Initiation wird ein Samen gesetzt, der von nun an nach seiner Verwirklichung drängt. Es ist eine Initiation zur Erleuchtung, der Beginn des erwachten Lebens.“

Es gibt nur wenige spirituelle Lehrer (Acharya), die die Maha-Deeksha durchführen können. Die meisten dieser “Botschafter“ Shambalas sind tibetische Lamas und leben heute im Exil in Indien, in den USA und in Europa. Neben diesen gibt es kaum nicht-tibetische “Shambhalācharyas“, einer der wenigen hier im Westen bekannten ist der spirituelle Lehrer Rom Dhao.

Prophetische Inhalte

Mit der Übertragung des Kalacakra-Tantra wurden auch prophetische Texte übertragen, deren Inhalt kriegerische Auseinandersetzungen darstellen. Demnach sollen Armeen, die der spirituellen Praxis feindlich gesinnt sind, zur Zeit des 25. Königs von Shambala über die zivilisierte Welt herfallen, um jede Möglichkeit für geistige Entwicklung zu zerstören.

Nach den Kalacakra-Texten wird die zivilisierte Welt aus dem Reich Shambala Beistand erhalten und die Angreifer werden zurückgeschlagen. Daraufhin soll ein neues Goldenes Zeitalter beginnen, das für die geistige Entwicklung besonders günstige Umstände bringt. Manche beziehen diese Vorhersagen auf einen wirklichen Konflikt, der in einigen hundert Jahren stattfinden soll. Andere gehen davon aus, dass diese Schilderungen keinen wirklichen äußeren Konflikt beschreiben, sich vielmehr symbolisch auf innere körperlich-geistige Prozesse des tantrischen Praktizierenden (Yogi) beziehen.

Tantrische Sichtweise

Kalacakra-Mandala

Üblicherweise beziehen sich tantrische Texte nur auf den tantrisch Praktizierenden (Yogi) selbst, der mit Hilfe von Meditation und Ritual die eigenen Geistesgifte (Unwissenheit, Hass, Gier, Eifersucht und Stolz) bekämpft. Diese Geistesgifte werden in vielen buddhistischen Texten auch als die "Feinde des Yogi" bezeichnet. Äußere Feinde sind der inneren Sichtweise des höheren Tantra fremd, da die äußere Wirklichkeit nicht als etwas vom Wesen des Praktizierenden Getrenntes betrachtet wird. Auch wenn sich das Kalacakra-Tantra in den prophetischen und astrologischen Teilen von den anderen höheren Tantras unterscheidet, liegt der Praxis des Kalacakra die gleiche innere Sichtweise zugrunde. Ohne diesen Hintergrund werden tantrische Texte verschiedentlich falsch ausgelegt.

Einweihung

Der 14. Dalai Lama beim Kalacakra-Ritus, Januar 2003 in Bodhgaya

Einweihungen in das Kalacakra-Tantra werden auch im Westen erteilt. Sie wurden bislang unter anderem vom 14. Dalai Lama, von Kalu Rinpoche, Sakya Trizin und Penor Rinpoche gegeben. Bei diesen Einweihungen finden üblicherweise auch Belehrungen zu Ritualen, Vorträge zu Ethik und buddhistischer Philosophie statt. Die Zeremonie soll einen besonderen Segen für den Ort der Veranstaltung und die Teilnehmenden darstellen. Die mit Kalacakra verbundene Praxis wird auch als "Kalacakra für den Weltfrieden" bezeichnet, da sie auch eine völkerverbindende Funktion erfüllt.

Im Jahr 2002 war Graz Stätte einer Kalacakra-Übertragung. Es gibt einen Dokumentarfilm von Werner Herzog: "Rad der Zeit" (BRD 2003). Im Jahr 2006 gab es eine Kalacakra-Einweihung von Sakya Trizin in Deutschland am Niederrhein.

Literatur

deutsch

  • Edwin Bernbaum: Der Weg nach Shambhala: Auf der Suche nach dem sagenhaften Königreich im Himalaya. Papyrus, Hamburg 1982, ISBN 3-922731-03-1
  • Alexander Berzin: Kalachakra - Das Rad der Zeit. O.W.Barth Verlag, 2002, ISBN 3-502-61068-1 (oder als Online-Buch auf de.berzinarchives.com)
  • Philippe Cornu: Handbuch der tibetischen Astrologie. Theseus, Berlin 1999, ISBN 3-89620-141-7
  • Michael Henss: Kalachakra. Fabri-Verlag, Ulm 1998, ISBN 3980219968
  • Dalai Lama/Jeffrey Hopkins: Kalachakra-Tantra. Theseus Verlag, Berlin 2002, ISBN 3896201824
  • Gen Lamrimpa: Kalachakra - Die drei Zyklen der Zeit. Diamant-Verlag, 2002, ISBN 3980757226
  • Victoria LePage: Königreich Shambala. Hugendubl, München 2001, ISBN 3720521761
  • James Redfield: Das Geheimnis von Shambhala. Das dritte Buch von Celestine. Heyne/Ullstein, 2004, ISBN 3-453-19788-7

Kritische Literatur zum Thema

  • Bruno Waldvogel-Frei: Und der Dalai Lama lächelte... Die dunklen Seiten des tibetischen Buddhismus. Schwengeler, Berneck 2002, ISBN 385666386X
  • Victor und Victoria Trimondi: Der Schatten des Dalai Lama. Sexualität, Magie und Politik im Tibetischen Buddhismus. Patmos, Düsseldorf 1999, ISBN 3491724074
  • Martin Kamphuis: Kalachakra für den Weltfrieden? - Broschüre von Uli Zarembach veröffentlicht

englisch

  • Nor-Bzan-Rgyal-n/Khedrup Norsang Gyatso: Ornament of Stainless Light - An Exposition of the Kalachakra Tantra (Library of Tibetan Classics). Wisdom Publications, 2004, ISBN 0861714520
  • Gen Lamrimpa u.a.: Transcending Time - An Explanation of the Kalachakra Six-Session Guruyoga. Wisdom Publications, 1999, ISBN 0861711521
  • Jonathan Landaw u.a.: Taking the Kalachakra Initiation. Snow Lion Publications, 1997, ISBN 1559390840
  • Glenn H. Mullin: The Practice of Kalachakra. Snow Lion Publication, 1991, ISBN 0937938955
  • Geshe Lhundup Sopa: The Wheel of Time - The Kalachakra in Context. Snow Lion Publications, 1991, ISBN 1559390018

Weblinks


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