Karnivorie

Karnivorie
Das Gemeine Fettkraut, eine fleischfressende Pflanze

Als Fleischfressende Pflanzen, auch Karnivoren oder Insektivoren, bezeichnet man Pflanzen, die mittels spezieller Organe Kleintiere, meist Insekten oder Spinnen, fangen und verdauen und so ihre Versorgung mit Stickstoff und anderen Nährstoffen verbessern.

Inhaltsverzeichnis

Ökologie

In der Regel besteht die Beute aus kleinen Insekten wie Mücken und Fliegen; größere Kannenpflanzen (Nepenthes) können auch kleine Säugetiere (z. B. kleine Nagetiere) verdauen. Reusenfallen und Moose sind auf Protozoen spezialisiert. Bei den Wasserschläuchen bilden zusätzlich zu Insekten planktische Algen einen erheblichen Teil (bis zu 50 %) der Beute, bei den Fettkräutern sogar Pollen (bis zu 70 %).

Die Bildung von Fallen ist für eine Pflanze sehr aufwändig, da Fangblätter sehr viel schlechter zur Photosynthese geeignet sind als normale Laubblätter. Karnivore Pflanzen wachsen daher in der Regel recht langsam. An nährstoffreichen Standorten, an denen auch viele andere Pflanzenarten zu gedeihen vermögen, werden sie leicht überwuchert. Sie sind daher nur dort konkurrenzfähig, wo andere Pflanzen durch Mangel an Nährstoffen nicht oder kaum wachsen können. Solche nährstoffarmen Standorte sind etwa Moore, tropische Regenwälder, tropische Tafelberge, Sand oder Felsen.

Außerdem muss eine ausreichende Versorgung mit Licht und Wasser gewährleistet sein, damit die Fangblätter genug Photosynthese zur Ernährung der Pflanze betreiben können. Karnivore Pflanzen kommen daher fast ausnahmslos an voll sonnigen oder zumindest sehr hellen Standorten vor. Die meisten Arten wachsen darüber hinaus gerne auf feuchten Böden, manche können ihren Wasserbedarf aber auch aus Nebel oder Tau decken. Die Mehrzahl der Arten benötigt zusätzlich eine hohe Luftfeuchtigkeit von über 70%.

Da fleischfressende Pflanzen einen großen Teil ihres Nährstoffbedarfs über die Fangblätter und nicht über die Wurzeln decken, sind sie oft sehr widerstandsfähig gegen ungünstige Bodenbedingungen. So tolerieren manche Arten etwa Sauerstoffmangel (Drosera, Pinguicula und viele andere Arten auf Moorböden), Schwermetallbelastung (Darlingtonia in Kalifornien, Sarracenia auf Neufundland, mehrere Arten von Nepenthes), extrem saure oder basische Böden (Drosera, Pinguicula, Sarracenia), Salzbelastung (Drosera am Weißen Meer, Nepenthes an Küstenstandorten), radioaktive Belastung (Utricularia im Abklingbecken eines stillgelegten Atomkraftwerks) und vieles mehr.

Grundsätzlich sind karnivore Pflanzen auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis vertreten. Durch ihre besonderen Standortsansprüche kommen sie jedoch besonders artenreich in Mooren der warmgemäßigten Zone (Sarracenia, Dionaea, Darlingtonia) sowie in tropischen Hochgebirgen vor (Heliamphora, Nepenthes, Brocchinia etc.). Im tropischen Regenwald sind nur wenige Arten zu finden, da es dort meist zu dunkel ist. Trockengebiete werden in der Regel gemieden; allerdings genügt manchen Arten bereits eine kurze Regenzeit. In Mittel- und Nordeuropa, also in kühl- und kaltgemäßigtem Klima, sind nur wenige Arten vertreten, in Österreich und Deutschland etwa 15 Arten.

Fallentypen

Man unterscheidet bei fleischfressenden Pflanzen fünf verschiedene Fallentypen. Je nach ihrer Fähigkeit zu einer Bewegung im Zusammenhang mit dem Fangen oder Verdauen der Beute lassen sich die Arten auch zusätzlich noch als aktiv oder passiv charakterisieren.

Sonnentau/Klebefalle mit Beute

Klebefallen

Klebefallen funktionieren über ein klebriges Sekret, welches über Drüsen auf den Blättern selbst oder an den Spitzen kleiner Tentakeln austritt, mit denen die Blätter besetzt sind. Pflanzengattungen, die diese Fangmethode verwenden, sind Sonnentau (Drosera), Fettkräuter (Pinguicula), Regenbogenpflanzen (Byblis), Wanzenpflanzen (Roridula), das Taublatt (Drosophyllum) und die Liane Hakenblatt (Triphyophyllum) sowie die größte Gattung der Karnivoren, die Schusspflanzen (Stylidium). Jede dieser Gattungen hat die Karnivorie unabhängig von den anderen entwickelt.

Das Insekt wird durch das duftende Sekret angelockt und bleibt daran haften. Durch seine Versuche, sich zu befreien, bleibt es mit immer mehr Körperteilen am klebrigen Sekret hängen; bei den aktiven Klebefallen der Gattungen Drosera und Pinguicula wird dies auch noch durch zusätzliche Bewegungen der Fangblätter unterstützt. Die Mehrheit aller Arten mit Klebefallen schüttet anschließend Enzyme aus, welche die dann folgende Verdauung durchführen, einige verlassen sich jedoch zur Zersetzung auf Kommensalen (insbesondere Wanzen) die die Beute fressen. Hier werden die Nährstoffe erst über den Umweg der Ausscheidungen der Tiere von der Pflanze aufgenommen.

Klappfalle der Venusfliegenfalle mit Beute

Klappfallen

Die Fangtechnik der Klappfalle ist die wohl bekannteste, wenn auch seltenste Fangmethode der Karnivoren. Es handelt sich dabei um die schnelle Schließbewegung zweier Blatthälften, die ausgelöst wird durch kleine Fühlhaare auf den Blattinnenseiten. Jede der zwei Blatthälften hat 3 bis 9 dieser Haare. Wird eines mehrmals oder verschiedene Haare einmal innerhalb kurzer Zeit berührt, so klappen die beiden Blatthälften zu. Die Reizkontrolle verhindert ein Schließen aufgrund von Regen oder Luftzügen. Nach dem Verschließen bildet sich zwischen den Blatthälften ein Hohlraum, in dem das Insekt durch Sekrete verdaut wird. Die Klappen öffnen sich nach ungefähr 8 Tagen wieder und geben die unverdaulichen Reste ihres Opfers frei. Die einzigen Pflanzen mit diesem Fangprinzip sind die beiden Arten Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) und Wasserfalle (Aldrovanda vesiculosa).

Saugfallen

Das Prinzip der Saugfallen funktioniert nur unter Wasser oder unter der Erde. Die Pflanze, die mit dieser Fangmethode fängt, baut in sich einen Unterdruck auf, der sich schlagartig ausgleicht und dabei Wasser und Beute in sich hinein saugt. Die einzige Gattung, die dieses Prinzip anwendet, ist die der Wasserschläuche.

Sarracenia purpurea/Fallgrubenfalle

Fallgrubenfallen

Bei den Fallgrubenfallen bilden die Blätter einen Hohlraum, in den das Insekt hineinfällt und aufgrund glatter Innenwände und kleinem Raum nicht oder schwer herauskommt. Dort gibt es zwei Untergruppen, nämlich die Krugpflanzen wie den Zwergkrug (Cephalotus), die Sumpfkrüge (Heliamphora) und die Kannenpflanzen (Nepenthes) einerseits und die Schlauchpflanzen wie die Schlauchpflanzen (Sarracenia) und deren nahe Verwandte, die monotypische Gattung Kobralilie (Darlingtonia) andererseits.

Reusenfallen

Erheblich komplizierter konstruiert sind die Reusenfallen, deren Vorkommen namengebend auf die Gattung der Reusenfallen (Genlisea) mit ihren 21 Arten und — in sehr verschiedener Art — die Papageien-Schlauchpflanze (Sarracenia psittacina) beschränkt ist. Allerdings scheinen auch adulte Kannen von Nepenthes aristolochioides Ansätze von Reusenbildung zu zeigen. Ihre Opfer — bei Genlisea ausschließlich Einzeller — können in der Reuse nur in eine Richtung weitergehen, bis sie in einer Art Magen angelangt sind, wo sie dann verdaut werden. Auch die beiden als entweder karnivor oder präkarnivor eingestuften Moosgattungen Colura und Pleurozia verwenden dieses Fangprinzip.

Präkarnivorie

Bei Wanzenpflanzen (Roridula) und den Bromeliengattungen Brocchinia und Catopsis spricht man von sogenannten Präkarnivoren (mit Ausnahme von Brocchinia reducta). Es handelt sich um Pflanzen, die nicht alle Voraussetzungen erfüllen, um als fleischfressende Pflanze anerkannt zu werden, was zumeist bedeutet, dass sie zwar Insekten fangen, aber keine Vorrichtungen zur Verdauung besitzen. Ein interessantes Zwischenstadium findet sich bei den Wanzenpflanzen, die ihren Fang indirekt durch eine Symbiose verwerten, indem sie die Ausscheidungen von den symbiotisch mit ihr lebenden Wanzen Pameridea marlothii sowie Pameridea roridulae und Spinnen (Synaema marlothii) als Blattdünger aufnehmen, welche sich von ihrem Fang ernähren.

Gattungen und Arten karnivorer und präkarnivorer Pflanzen

Über 1000 verschiedene Arten sind bekannt (davon über 300 Schusspflanzen und über 200 Wasserschläuche), die in neun Familien und 14 Gattungen eingeteilt werden, davon sind fünf Gattungen monotypisch. Dabei werden immer noch weitere Arten entdeckt, insbesondere bei den Fettkräutern und den Sonnentauen, aber auch ganze Gattungen, die bisher nicht als karnivor galten, können sich durch nähere Untersuchungen als karnivor herausstellen (zuletzt 2007 die Schusspflanzen). Zwar sind nicht alle fleischfressenden Pflanzen direkt miteinander verwandt, aber fast alle Arten (bis auf den Zwergkrug, die Bromelien Catopsis berteroniana und Brocchinia reducta sowie die Schusspflanzen) gehören entweder zu den Ordnungen der Nelkenartigen (6 Gattungen), der Lippenblütlerartigen (4 Gattungen) oder der Heidekrautartigen (4 Gattungen).

Bei den Moosen steht die Forschung noch relativ am Anfang, nur für zwei Arten (Colura zoophaga und Pleurozia purpurea, beide aus der Ordnung der Jungermanniales) ist zumindest Zoophagie (der Fang) belegt, ein Nachweis für Verdauung und Nährstoffaufnahme steht jedoch noch aus.

Gefäßpflanzen

Moose

Siehe auch

Quellen

  • Barthlott Wilhelm, Porembski Stefan, Seine Rüdiger, Theisen Inge: Karnivoren, Stuttgart 2004, ISBN 3-8001-4144-2
  • Guido J. Braem : Fleischfressende Pflanzen, München 2002, ISBN 3-8043-7249-X
  • D´Amato Peter: "The Savage Garden: Cultivating Carnivorous Plants" 1998, ISBN 0-89815-915-6
  • Darwin Charles: Insectenfressende Pflanzen, Stuttgart 1876 Online auf Wikisource
  • Lowrie Allen: Carnivorous Plants of Australia, Vol. 1-3, Englisch, Nedlands, Western Australia, 1987 - 1998
  • Slack Adrian: Karnivoren, Stuttgart 1985, ISBN 3-8001-6158-3

Weiterführende Literatur

  • Adlassnig W., Peroutka M., Lichtscheidl I. K., Lambers H.: The roots of carnivorous plants in: Plant Soil, Vol. 274, 2005
  • Bastian Annette: Fleischfressende Pflanzen, 2003, ISBN 3-936782-06-7
  • Carow Thomas, Fürst Ruedi: Fleischfressende Pflanzen, Nüdlingen 2000, ISBN 3-9801839-1-2
  • A. M. Ellison, M. J. Gotelli: Evolutionary ecology of carnivorous plants in: Trends Ecol. Evol., Vol. 16, 2001
  • Feßler Alfred: Fleischfressende Pflanzen für Haus und Garten, Stuttgart 1982, ISBN 3-440-05070-X
  • B. E. Juniper, R. J. Robins, D. M. Joel: The carnivorous plants, London 1989
  • F. E. Lloyd: The carnivorous plants, New York 1942
  • Labat Jean-Jacques : Fleischfressende Pflanzen, Stuttgart 2003, ISBN 3-8001-3582-5
  • "Das Taublatt", Fachzeitschrift der Gesellschaft für Fleischfressende Pflanzen, seit 1984

Weblinks


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