Kasztner

Kasztner

Rudolf (Rezső) Kasztner (* 1906 in Kolozsvár, Ungarn, heute Cluj-Napoca, Rumänien; † 3. März 1957 in Tel Aviv, Israel) war ein ungarischer Gemeindeführer, Journalist und Jurist, der nach dem Zweiten Weltkrieg beschuldigt wurde, mit den Nationalsozialisten kollaboriert zu haben.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kasztner studierte Rechtswissenschaften und beherrschte fünf Sprachen fließend. Bereits in seiner frühen Studentenzeit wurde er überzeugter Zionist. Eine seiner wichtigsten Aktivitäten im Rahmen seines zionistischen Engagements war die publizistische Tätigkeit als politischer Korrespondent der Tageszeitung Új Kelet („Neuer Naher Osten“) in den 1920er Jahren.

Nachdem aufgrund der Machtpolitik der italienischen Faschisten und der deutschen Nationalsozialisten seine Heimatstadt Cluj in Nordsiebenbürgen durch den Zweiten Wiener Schiedsspruch Ungarn zugesprochen war, übersiedelte Kasztner 1940 nach Budapest. Dort wurde er 1943 stellvertretender Vorsitzender des „Komitees für Hilfe und Rettung“ (Waad Haezra veHazala, Teil der zionistischen Bewegung). Die Kontakte dieser Gruppe reichten zu ähnlichen Komitees in Bratislava (Slowakei) und Polen. Darüber hinaus hatten sie auch Verbindungen zu einer Gruppe von Geheimboten aus Palästina in Istanbul.

Das Komitee half jüdischen Flüchtlingen bereits vor der Besetzung Ungarns (Fall Margarethe), heimlich aus der Slowakei und Polen nach Ungarn zu kommen. Kasztner wusste spätestens nach dem Bericht von Rudolf Vrba von den Morden an den Juden in Auschwitz und versuchte, die Mitglieder seiner Gemeinde zu informieren (dazu gibt es eine längere Kontroverse). Selbst in Cluj, wo er als Jurist bekannt und angesehen war, konnten er und sein Rettungskomitee bestehend aus angesehenen einheimischen Bürgern nur einige wenige Juden davon überzeugen, dass sie sich in das 20 km entfernte Rumänien retten sollten.

Es wurde auch überlegt, einen bewaffneten Widerstand aufzubauen. Diese Idee konnte jedoch in Ungarn wegen des verbreiteten Antisemitismus' in der Bevölkerung nicht umgesetzt werden. Darüber hinaus waren die meisten jungen Juden bereits zum Arbeitsdienst eingezogen.

Das Komitee nahm unter der direkten Beteiligung Kasztners Kontakt zu einigen Leuten der SS auf, die für das Vernichtungsprogramm unter Adolf Eichmann verantwortlich war. Dieser hatte bereits bei der Besetzung Wiens aus Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Judenräte bestimmt, welche die Auswahl und Vorbereitung für die Transporte zu besorgen hatten. In der Slowakei hatten ähnliche Kontakte zwischen Gemeinden und SS zu Freikaufverhandlungen geführt. So kam es auch in Budapest zu einer Sammlung großer Geldsummen und Wertgegenstände wie Schmuck o. ä., die an die SS gezahlt wurden.

Nach der Besetzung Ungarns durch Deutschland (März 1944) wurde im Mai 1944 Joel Brand von Adolf Eichmann nach Istanbul geschickt, um - nach seinen Angaben - über die Freilassung von bis zu einer Million Juden im Austausch gegen 10.000 Lastwagen und anderes Material zu verhandeln.[1] Der Vorschlag stammte von Heinrich Himmler selbst, der Adolf Eichmann mit den Verhandlungen beauftragte.

Kasztner war überzeugt, dass dies das Ende des Mordprogramms einleiten würde und Transporte von Juden in die angebliche Freiheit folgen würden. So ging am 28. Juni 1944 ein Zug mit 1.684 Juden, die von einem Ausschuss der Gemeinde ausgesucht worden waren, aus Ungarn ab. Versprochen wurde, dass dieser Zug entweder in die Schweiz oder nach Spanien gehen sollte. Allerdings führte er die Passagiere in das KZ Bergen-Belsen. Unter ihnen befand sich auch Kasztners Familie. Adolf Eichmann ließ sie als Geiseln festhalten.

Im Juli 1944 bekam der SS-Offizier Kurt Becher von Himmler den Auftrag, mit Kasztner zu verhandeln. Bald darauf verhandelten auch SS-Leute mit dem Vertreter der jüdischen Hilfsorganisation in der Schweiz.

318 ungarische Juden kamen selbst im August 1944 so noch in die Schweiz.[2] Schließlich folgte am 21. August 1944 (nach anderen Quellen am 24. August) der Befehl Himmlers, die weitere Deportation von Juden aus Budapest anzuhalten. Dieser Befehl sollte zu Spekulationen über die Rolle der ungarischen Gemeinde bei dem Versuch Himmlers, mit den Alliierten heimlich hinter Hitlers Rücken zu verhandeln, führen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich allerdings nur noch wenige Juden in Budapest, die meisten waren bereits nach Auschwitz gebracht. Ein kleinerer Teil wurde teils in den später bekannten Todesmärschen nach Österreich gebracht bzw. an der Reichsgrenze zu Ungarn im Bau des sogenannten Südostwalls eingesetzt.

Erst am 6. Dezember 1944 gab Adolf Eichmann grünes Licht für die bis dahin in Bergen-Belsen festsitzenden Geiseln zur Weiterfahrt in die Schweiz.

Im Winter 1944/45, als Kasztner bereits sicher in der Schweiz war, kehrte er noch einmal nach Deutschland zurück und fuhr mit Kurt Becher, der am 1. Januar 1945 zum SS-Standartenführer ernannt wurde, nach Berlin, um ein letztes Mal noch den Versuch zu unternehmen, Juden aus Konzentrationslagern zu retten. Möglicherweise trug unter anderem seine Intervention entscheidend dazu bei, dass die Verwaltung des KZ Bergen-Belsen zum Schluss noch die Häftlinge verschonte und sich den Briten ergab.

Nach der Schoa

Nach dem Krieg war Kasztner Zeuge im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und sagte zugunsten von Kurt Becher und Hans Jüttner, Chef des SS-Führungshauptamtes, und anderen hochrangigen Nazis aus.

Kasztner wanderte nach Israel aus und machte dort in der sozialdemokratischen Partei (Mapai) Karriere. In einem Zeitungsartikel wurde er Ende 1952 beschuldigt, den Tod vieler Juden mitverschuldet zu haben. Kasztner strengte einen Verleumdungsprozess an, der sich jedoch zu einem Verfahren gegen ihn selbst entwickelte.

Das Gericht akzeptierte die Beweise gegen Kasztner. Nach Aussage des Richters habe Kasztner "seine Seele dem Teufel verkauft". Darüber hinaus wurde Kasztner auch schuldig gesprochen, Nazis im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess geschützt zu haben.

Rudolf Kasztner, der sich seit seiner Einwanderung in Israel Israel Kasztner nannte, wurde am 3. März 1957 vor seiner Wohnung in Tel Aviv unter ungeklärten Umständen ermordet. Alle drei Attentäter wurden zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt, jedoch nach drei Jahren auf persönliche Intervention von Premier Ben Gurion begnadigt.

In einem Gerichtsverfahren nach seinem Tod entlastete das Oberste Gericht Israels Kasztner von den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, ausgenommen dem Vorwurf, dass er Nationalsozialisten geholfen habe, sich der juristischen Verfolgung zu entziehen.

Im Juli 2007 wurde Kasztners Privatarchiv der Jerusalemer Shoah-Gedenk- und -Forschungsstätte Yad Vashem übergeben. Verwandte Kasztners hoffen, „dass durch das umfangreiche Material – darunter drei Kisten relevanter Korrespondenz – zumindest sein Andenken von den ihm angehängten Vorwürfen dauerhaft befreit werden wird“.[3]

Literatur

  • Hilberg, Raul. The Destruction of the European Jews, Erstausgabe 1961, Edition Yale University Press, 2003. ISBN 0-300-09557-0
  • Baruch Kimmerling. Israel's Culture of Martyrdom, The Nation, 10. Januar 2005* On Trial,Time magazine, Auslandsnachrichten, 11. Juli 2005. (engl.)
  • Maoz, Asher. Historical Adjudication: Courts of Law, Commissions of Inquiry, and "Historical Truth", Law and History Review, University of Illinois Press, Vol. 18. No. 3, Herbst 2000. (engl.)
  • Report of Jewish Aid and Rescue Committee in Budapest 1942-1945. by Dr. Rezsoe Kasztner. T/37(237) Submitted during the course of the Adolf Eichmann trial and marked T/1113 (BO6-900, Vol. II, p. 908-910); auch zitiert als:
    • Israel Kastner, Report of the Rescue Committee in Budapest, 1942–1945 (übermittelt an den Zionistischen Kongress), 108 [Hebrew]. Zitiert von Richter Halevi, Cr.C. (Jm.) 124/53 Staatsanwalt v. Gruenvald, 44 P.M. (1965) 3, at 115 [Übersetzung: Leora Bilsky].
  • Segev, Tom. The Seventh Million: Israelis and the Holocaust, Owl Books edition, 2000, ISBN 0-8050-6660-8

Einzelnachweise

  1. Yehuda Bauer: „Onkel Saly“ − die Verhandlungen des Saly Mayer zur Rettung der Juden 1944/45, in Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 25 (1977), Heft 2, S. 190
  2. Menschen als internationale Handelsware
  3. "Kasztners Privatarchiv geht an Yad Vashem" - bitte zum Lesen den 23. Juli 2007 aufrufen!

Weblinks


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