Kettengangschaltung

Kettengangschaltung
Kettenschaltung.
9-fach-Ritzelpaket Modell R9 (Dura-Ace-kompatibel) des Herstellers SRAM.

Als Kettenschaltung bezeichnet man bei Fahrrädern ein Kettengetriebe, mit dessen Hilfe es möglich ist, die Übersetzung zwischen Tretkurbel und Hinterrad zu verändern, um bei unterschiedlichen Streckenverhältnissen und Fahrgeschwindigkeiten in einem für den menschlichen Körper günstigen Geschwindigkeits- und Kraftbereich treten zu können. Die Kettenschaltung ist das am häufigsten verwendete Fahrradgetriebe. Sie wird meistens als alleinige Schaltmöglichkeit verwendet, kann aber auch mit einer Nabenschaltung oder Tretlagerschaltung kombiniert werden. Hersteller von Kettenschaltungen sind beispielsweise Unternehmen wie Shimano, Campagnolo, SRAM (früher bekannt als Sachs) oder FSA.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau

Ritzelpaket und Schaltwerk mit langer Schaltschwinge am Hinterrad eines Geländefahrrads.

Eine Kettenschaltung besteht aus mehreren Zahnrädern, die nebeneinander an der Hinterradnabe angeordnet sind, mehreren Zahnrädern, die nebeneinander an der Tretkurbel angeordnet sind, einer Antriebskette, die über die Zahnräder läuft, je einer Schaltvorrichtung an den vorderen und hinteren Zahnrädern zum Wechseln der Zahnräder, über die die Kette läuft, und einem Kettenspanner zum Ausgleich der für die verschiedenen Zahnräder erforderlichen unterschiedlichen Kettenlänge. Die hintere Schaltvorrichtung wird üblicherweise als Schaltwerk bezeichnet, die vordere Schaltvorrichtung als Umwerfer. Die hinteren Zahnräder werden als Ritzel oder Zahnkränze und zusammenfassend als Ritzelpaket, Zahnkranzpaket oder Kassette bezeichnet, die vorderen als Kettenblätter. Einfache Kettenschaltungen verwenden nur ein Kettenblatt.

Abhängig vom Einsatzzweck des Fahrrades kommen Kettenblätter mit 22–44 Zähnen beim Geländerad (meist dreifach) oder 30–55 Zähnen beim Rennrad (zweifach 34–50, 39–53 oder dreifach 30-39-52) zum Einsatz. Das Ritzelpaket enthält bis zu elf (typischerweise 7–9) Ritzel, bei Zähnezahlen von 11 bis zu 34 Zähnen, bei Rennrädern oft nur bis 21 oder 25.

Die Kette ist so lang, dass sie gleichzeitig vorne und hinten auf dem größten Zahnrad laufen kann. Bei anderen Zahnradkombinationen muss der Kettenspanner die überschüssige Kettenlänge aufnehmen und die Kette gespannt halten.

Die Kette wird im Schaltwerk von der Schaltschwinge[1] geführt und gespannt. Die Schaltschwinge besteht aus zwei kleinen Zahnrädern, den sogenannten Kettenrädchen, die meist aus Kunststoff bestehen und senkrecht untereinander in einem Käfig angeordnet sind. Das obere Kettenrädchen heißt Kettenleiträdchen oder Kettenführungsrolle und dient zur Führung der Kette unter das gewünschte Ritzel. Das untere Kettenrädchen heißt Kettenspannrädchen oder Kettenspannrolle. Die Schaltschwinge ist um eine Achse drehbar, die entweder mit der Achse des Kettenleiträdchens zusammenfällt (sogenannte Zweipunktlagerung) oder etwas außerhalb liegt (sogenannte Dreipunktlagerung oder Pantograph).[2] Sie wird von einer Drehfeder gespannt, so dass die Kettenspannrolle die Kette nach hinten zieht und damit spannt. Die Schaltschwinge ist außerdem über eine Parallelogramm-Mechanik seitlich verschiebbar, um die Kette mittels des Kettenführungsrädchens auf das gewünschte Ritzel zu führen.

Funktion

Eine Rücktrittnabe aus den 1950er Jahren mit drei Ritzeln für eine Kettenschaltung.

Die Schaltvorrichtungen können die Kette seitlich verschieben, kurz bevor sie auf die Zahnräder aufläuft. Wenn die Zahnräder sich drehen, kann somit die Kette auf verschiedene Zahnräder gelegt werden. Aus dem Verhältnis der Zähnezahlen des Kettenblattes und des Ritzels, auf denen die Kette gerade läuft, ergibt sich das Übersetzungsverhältnis des Kettentriebes.

Bei drei Kettenblättern vorne und zehn Ritzeln hinten sind im Prinzip 30 Gänge schaltbar. Ein Teil der Gänge, bei denen die Kette besonders schräg läuft, sind aufgrund des hohen Verschleißes, des reduzierten Wirkungsgrads und der unangenehmen Geräuschentwicklung jedoch nicht empfehlenswert. Außerdem ist die Übersetzung einiger Gänge nahezu identisch. Daher bietet zum Beispiel eine 27-Gang-Kettenschaltung nur 14 verschiedene Übersetzungen, die praktisch verwendbar sind.

Die Schaltvorrichtungen werden über Drehschalter oder Schalthebel bedient, die in Griffweite des Fahrers angeordnet sind und über Seilzüge mit den Schaltvorrichtugen verbunden sind. Die meisten Kettenschaltungen können heute indiziert geschaltet werden, das heißt, die Drehschalter oder Schalthebel rasten für jedes mögliche Zahnrad an einer definierten Stellung ein.

Historische Entwicklung

Schaltparallelogramm.

Die Kettenschaltung für Fahrräder wurde 1930 von Trullio Campagnolo erfunden und fand schnell Verbreitung bei Rennrädern. Anfangs wurden nur sogenannte Reibungsschaltungen benutzt, eine Indexierung wurde erst später eingeführt.

An dem einfachen Prinzip der Kettenschaltung hat sich bis heute nur wenig geändert, und doch haben die Kettenschaltungen einen Entwicklungsschub hinter sich, der sich vor allem in der Verbesserung der Qualität des Schaltvorganges niederschlägt. Er begann in den 1980er Jahren mit den ersten Indexschaltungen („Positron“ von Shimano und „Commander“ von Sachs). Bis zu jener Zeit waren die Kettenschaltungen fast ausschließlich den Rennrädern vorbehalten, denn es galt, den stufenlosen Schalthebel gefühlvoll genau so weit zu bewegen, bis die Kette auf das gewünschte Ritzel umsprang. Da keine Rasterung vorhanden war und auch die Ritzelform noch nicht der Kettenbewegung angepasst war, musste sogar zunächst leicht über den eigentlichen Gang hinaus geschaltet werden, um dann nach Aufliegen der Kette auf dem Ritzel den Schalthebel wieder leicht zurückzunehmen. Mit der Rasterung (genannt Indexierung) der Schalthebel konnte dies nun auch der weniger geübte Radfahrer bewerkstelligen. Da es anfänglich doch noch kräftig ratterte, bis die Kette den Klettervorgang auf das nächste Ritzel bewältigte, musste die Schaltfunktion noch weiter verbessert werden.

Der technische Durchbruch gelang 1984, als Shimano bei der „Dura Ace“-Schaltung das Schrägparallelogramm von Suntour übernahm. Mit einem um etwa 25 Grad schräg angeordneten sogenannten Schrägparallelogramm verläuft der Schwenkweg der Schaltschwinge nicht nur nach innen, sondern gleichzeitig auch nach unten. Das entspricht zum einen der Kletterbewegung der Kette, zum anderen folgt die Schaltschwinge der Ritzelböschung. Dies bedeutet: Je weiter die Schaltschwinge nach innen schwenkt, umso weiter bewegt sich das Kettenführungsrädchen nach unten und hält damit den Abstand zu den nach innen größer werdenden Ritzeln nahezu konstant. Eine zweite Rückholfeder schließlich garantiert, dass, egal mit welchen Zahnunterschieden das Ritzelpaket bestückt ist, der Abstand vom Kettenführungsrädchen zu den Ritzeln immer zwischen 1 1/2 und 2 1/2 Kettenglieder beträgt. Das ist wiederum die optimale Voraussetzung für den nächsten Schaltschritt. Denn wird dieser Abstand größer, erfolgt der Gangwechsel nur zögerlich, da sich die seitlich bewegliche Schaltungskette zu weit abbiegen kann. Ist der Abstand zu klein, kann das Kettenführungsrädchen auf den Ritzeln schleifen.

Der nächste Innovationsschub verbesserte die Schaltqualität nochmals wesentlich: Mit ihrer „Hyperglide“-Zahnform ermöglichte Shimano im Jahre 1988 das Schalten sogar unter Last, was besonders bei Geländefahrrädern sehr vorteilhaft ist, denn immer wieder gibt es bei plötzlichen Steigungen Situationen, in denen nur ein Gangwechsel vor dem Stillstand des Rades bewahren kann. Das Besondere dieser Zahnform: Die Kette muss nun zum Gangwechsel nicht mehr über die Zahnspitzen hinweg auf das nächste Ritzel klettern, sondern sie läuft, Zahn in Zahn greifend, von einem Ritzel auf das nächste über. Um das zu erreichen, wurde zum einen die Zahnhöhe drastisch gekürzt, zum anderen der Zwischenraum von Zahn zu Zahn wannenförmig vergrößert und letztlich „Überlaufstellen“ geschaffen: An den Stellen, an denen die Zähne der benachbarten Ritzel nebeneinander stehen (diese Situation ist bei Ritzeln mit einem Zahn Unterschied einmal, bei zwei Zähnen Unterschied zweimal und bei drei Zähnen entsprechend dreimal usw. der Fall) wird die Zahnhöhe weiter reduziert (sie sehen fast wie abgebrochene Zähne aus, was des Öfteren zu Verwunderung von Unkundigen führt). Außerdem sind die Zähne seitlich flacher, so dass die Kette hier diagonal vom einen auf das andere Ritzel verlaufen kann.

Übersetzung und Ablauflänge

Die Ablauflänge, auch Raumgewinn oder Entfaltung genannt, ist diejenige Strecke, die das Fahrrad mit einer Kurbelumdrehung zurücklegt. Sie hängt von der Übersetzung des Kettengetriebes und dem Umfang des Hinterrades ab. Bezeichnet ZK die Zähnezahl des Kettenblatts und ZR die Zähnezahl des Ritzels, so ergibt sich die Übersetzung des Kettengetriebes zu

i = \frac{Z_K}{Z_R}

und damit die Ablauflänge L mit dem Umfang U des Hinterrades zu

L = U \cdot i =  U \cdot \frac{Z_K}{Z_R}\,

Die Wahl der Zähnezahl der beiden (bzw. drei) Kettenblätter im Verhältnis zueinander und zu den zur Verfügung stehenden Ritzeln ist recht komplex. Da sich das Übersetzungsspektrum beider Kettenblätter überschneidet, muss eine Lösung gefunden werden, bei der möglichst wenige der „fahrbaren“ Übersetzungen doppelt vorkommen. Als fahrbar gelten Übersetzungen, bei denen der Kettenschräglauf nicht zu groß ist – bei den heute üblichen 9- bzw. 10-fach-Kassetten sollten die beiden größten Ritzel nicht mit dem großen Kettenblatt, die beiden kleinsten Ritzel nicht mit dem kleinen Kettenblatt kombiniert werden.

Noch bis in die 1960er Jahre wurde aus diesem Grund der sog. „Stufenkranz“ verwendet. Bei dieser Variante „griffen“ die Übersetzungen des kleinen Kettenblatts in die Lücken, die durch die 2-Zähne-Abstufung des Ritzelpakets bei Verwendung des großen Kettenblatts entstanden.

Heute dagegen werden Ritzelpakete verwendet, bei denen die Ritzelabstufung jeweils eine Differenz von einem Zahn aufweist und sich das Übersetzungsspektrum des kleinen Kettenblatts bei Vernachlässigung der nicht fahrbaren Übersetzungen mit einem kleinen Überschneidungsbereich an das des großen Blatts anschließt. Aus diesem Grunde wird im Straßenradsport heute fast ausschließlich die Kettenblatt-Kombination 53/39 verwendet. Mit einer Ritzel-Kassette, die bspw. die Zähnezahlen 11-12-13-14-15-16-17-18-19-21 hat, schließt sich so an die letzte fahrbare Übersetzung 53/18 mit einem Übersetzungs-Quotienten von 2,94 die Übersetzung 39/14 mit einem Quotienten von 2,79 an – im Überschneidungsbereich sind die Übersetzungen 53/19 und 39/14 mit 2,789 bzw. 2,786 sowie 53/18 und 39/13 mit 2,94 bzw. 3,00 nahezu identisch. Der verbleibende Überschneidungsbereich ist durchaus gewollt, weil sich dadurch der doppelte Schaltvorgang (Kettenblatt- und Ritzelwechsel) in bestimmten Rennsituationen vermeiden lässt.

Vor- und Nachteile

Vorteile

  • relativ einfacher Aufbau
  • niedriges Gewicht
  • in gepflegtem Zustand hoher Wirkungsgrad
  • großer Übersetzungsbereich
  • besonders in einfacher Ausführung sehr billig herstellbar

Nachteile

  • nur während des Tretens schaltbar
  • hoher Verschleiß und dadurch kurze Lebensdauer
  • hoher Wartungsaufwand[3]
  • schlechter Wirkungsgrad bei Verschmutzung und mangelnder Schmierung
  • starke Belastung durch Schmutz und Feuchtigkeit
  • Kette kann bei ungenauer Einstellung oder Geländefahrten leicht abspringen, verklemmen und Stürze verursachen
  • Kette und Schaltwerk liegen besonders bei Geländefahrrädern mit großen Ritzeln sehr tief und sind dadurch abreiss-gefährdet
  • Kette ist schlecht abdeckbar
  • Unpräzise Schaltleistung bei geringster Schieflage des Schaltwerkes/des Schaltauges
  • Verschmutzung der Hosenbeine, speziell beim Alltagsrad

Beim verschmutzungsarmen Einsatz auf asphaltierten Straßen kann eine regelmäßig gepflegte Kette eine Lebensdauer von 3000km erreichen. Der Einsatz im Gelände reduziert die Lebensdauer auf 1000-1500km.

Literatur

  • Michael Gressmann, Franz Beck, Rüdiger Bellersheim: Fachkunde Fahrradtechnik. 1. Auflage, Verlag Europa Lehrmittel, Haan-Gruiten, 2006, ISBN 3-8085-2291-7
  • Fritz Winkler, Siegfried Rauch: Fahrradtechnik Instandsetzung, Konstruktion, Fertigung. 10. Auflage, BVA Bielefelder Verlagsanstalt GmbH & Co. KG, Bielefeld, 1999, ISBN 3-87073-131-1

Einzelnachweise

  1. Christian Smolik: Online-Glossar VelotechnikSchaltschwinge.
  2. Explosionszeichnung des Schaltwerks Shimano XTR RD-M971 (PDF, 261 kB).
  3. Kettenpflege am Fahrrad - Mythen, Legenden und Unsinn

Siehe auch

Weblinks


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