Andreas von Rinn

Andreas von Rinn

Anderl (Andreas) Oxner von Rinn war ein dreijähriger Junge, der nach einer Ritualmordlegende am 12. Juli 1462 im Nordtiroler Dorf Rinn von ortsfremden Juden im Zuge eines Rituales ermordet worden sein soll.

Im Jahr 1475 wurden die Gebeine des Kindes, angeregt durch den angeblichen jüdischen Kindsmord an Simon von Trient, in die Pfarrkirche von Rinn überführt. Die eigentliche Legende vom Ritualmord entstand allerdings erst um 1620. Der damalige Arzt am adeligen Damenstift in Hall, Hippolyt Guarinoni soll von dem Mord gehört haben und verfasste daraufhin im Jahr 1642 ein Buch über den Vorfall: „Triumph Cron Marter Vnd Grabschrift des Heilig Unschuldigen Kindts“. Der angebliche Tatort, der Judenstein bei Rinn, wurde daraufhin zum Wallfahrtsort und damit zu einem Beispiel des Antijudaismus in der katholischen Kirche. Weitere Schriften über den Ritualmord an Andreas von Rinn stammen von Pater Hadrian Kembter (1745), Pater Benedikt Cavallesio (1747) und Flaminius Cornelius, Senatsherr von Venedig.

Papst Benedikt XIV. erlaubte die Verehrung des Anderl durch die päpstliche BulleBeatus Andreas“ vom 22. Februar 1755 und nannte ihn „selig“ (beatus). Durch Volksschauspiele, die auf den Schriften von Guarinoni basierten und bis ins Jahr 1954 veranstaltet wurden, verbreitete sich die judenfeindliche Legende. Die Brüder Grimm veröffentlichten die Geschichte des Anderl im Jahre 1816 in ihrem ersten Band deutscher Sagen. 1893 erschien die Schrift „Vier Tiroler Kinder, Opfer des chassidischen Fanatismus“ des Wiener Geistlichen Joseph Deckert, mit welcher er die Legende weiter verbreitete und auch für die modernen Formen des Antisemitismus dienstbar machte.

Der Festtag des „Anderl von Rinn“ wurde schließlich 1953 vom Innsbrucker Bischof Paulus Rusch aus dem kirchlichen Kalender getilgt. 1985 wurden die Gebeine des Kindes aus der Pfarrkirche entfernt. 1994 wurde der Kult um den Judenstein von Bischof Reinhold Stecher offiziell verboten, der auch ein Fresko mit der Darstellung des Ritualmords in der Ortskapelle übermalen und die Kirche in „Mariä Heimsuchung“ umbenennen ließ.

Trotzdem findet nach wie vor alljährlich am Sonntag nach dem 12. Juli eine privat organisierte Wanderung von lokalen und regionalen Rechtsextremisten und katholischen Fundamentalisten zum „Judenstein“ bei Rinn statt. Entgegen der allgemeinen Linie der katholischen Kirche und entgegen den begründeten wissenschaftlichen Erkenntnissen über diese Legende haben sich einzelne Katholiken zustimmend zur Begehung des Festtags geäußert und sehen die Fiktivität des Ritualmords als nicht erwiesen an. Dazu gehören der vom Dienst suspendierte und in Österreich 1998 wegen Volksverhetzung verurteilte Kaplan und Mitorganisator der Wanderung, Gottfried Melzer, der Theologe und Engelwerk-Mitglied Robert Prantner und der ehemalige St. Pöltener Bischof Kurt Krenn.

Auf der rassistischen Website Stormfront wird die antisemitische Legende unter Berufung auf Prantner weiterhin verbreitet.

Literatur

  • Rainer Erb: „Es hat nie einen jüdischen Ritualmord gegeben“. Konflikte um die Abschaffung der Verehrung des Andreas von Rinn. Wien 1989
  • Bernhard Fresacher: Anderl von Rinn. Ritualmordkult und Neuorientierung in Judenstein 1945–1995. Innsbruck und Wien 1998, ISBN 3-7022-2125-5
  • Andreas Maislinger und Günther Pallaver: Antisemitismus ohne Juden - Das Beispiel Tirol. In: Wolfgang Plat (Hg.), Voll Leben und voll Tod ist diese Erde. Bilder aus der Geschichte der Jüdischen Österreicher. Herold Verlag, Wien 1988. ISBN 3-7008-0378-8
  • Albert Massiczek: Briefwechsel mit dem Bischof von Tirol DDr. Paul Rusch über die Ritualmord-Festspiele in Rinn in Tirol. Als Ms. vervielf., 2. Aufl., Wien 1963
  • Ingrid Strobl: Anna und das Anderle. Eine Recherche. Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-596-22382-2

Weblinks


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