Kieloben

Kieloben
Gekentertes, sinkendes Schiff nach Torpedoangriff (Bark Stifinder 1918)
Durchgekentertes Schiff nach Torpedoangriff (HMS Majestic 1915)

Unter Kentern versteht man in der Schifffahrt das (in der Regel seitliche) Umkippen eines Wasserfahrzeuges, zum Beispiel eines Schiffes oder Bootes. Ein Wasserfahrzeug kentert, wenn seine Stabilität (seine Fähigkeit, aufrecht zu schwimmen) zu stark verringert wird.

Im Extremfall kann sich ein gekentertes Boot noch weiter drehen, so dass es „kopfüber“ schwimmt und der Kiel nach oben zeigt. Der Vorgang wird auch als Durchkentern bezeichnet, die resultierende Schwimmlage als kieloben.

Schiffe und größere Boote sind nicht dafür ausgelegt zu kentern, außerdem sinken sie oft nach dem Kentern. Vor allem auf solchen Fahrzeugen besteht für die Besatzung eine beträchtliche Verletzungs- und eventuell auch Erstickungs- und Ertrinkungsgefahr. Kleinere Boote – offene Segeljollen und insbesondere Kanus – kentern hingegen relativ häufig, und das Verlassen und/oder Aufrichten des Bootes nach der Kenterung gehört zum grundlegenden Wissen der entsprechenden Wassersportler. Selbst auf kleinen Segelbooten besteht allerdings ein gewisses Verletzungspotential, wenn die Besatzung gegen den Mast und die Wanten geschleudert wird, wohingegen für Kanuten generell die Gefahr durch Felsen unter Wasser oder Ertrinken überwiegt.

Inhaltsverzeichnis

Kenterursachen

Meist führt menschliches Versagen zu allen in der Folge genannten Kenterursachen, etwa durch Navigationsfehler (Hindernisse im Wasser), falsche Steuerung in hohem Seegang, falsche Einschätzung der Wetterlage (Wind und Segelführung), falsche Stauung (übergehende Ladung), falsche Trimmung usw.

Wind und Wasser

Große Wellen oder harter Seegang können zum Kentern führen, besonders wenn sie seitlich auf das Wasserfahrzeug zulaufen. Es kann auch passieren, dass ein Schiff über den Bug kentert, wenn bei achterlicher, brechender See das Heck angehoben wird und sich der Bug in der nächsten Wellenflanke „festfrisst“.

Krängung aufgrund von Wind

Wind kann eine Kenterung in Form von starkem Seitenwind oder starken Windböen hervorrufen, insbesondere wenn sie überraschend auftreten oder mit Fehlern beim Steuern einhergehen. Diese Gefahr besteht besonders bei Sportbooten bei herannahenden Gewitterstürmen oder Föhnsturm, wenn die Segelfläche nicht rechtzeitig verringert wird, aber auch bei großen Frachtschiffen (z. B. hoch beladene Containerschiffe) auf dem Meer.

Bei Segelbooten wird die Stabilität außerdem kurzfristig verringert, wenn das Boot bestimmte Kursänderungen relativ zum Wind ausführt, ohne daß die Segelstellung angeglichen wird: Wenn das Segelboot auf Am-Wind-Kursen abfällt, erhöht sich kurzfristig der Winddruck im Segel, weil sich dem Wind nun eine größere Segelfläche bietet; die Krängung (Seitenneigung) nimmt zu. Auch beim Anluven auf Raumschots-Kursen führt kurzfristig zu höherem Winddruck und stärkerer Krängung. Solche Manöver können zum Kentern führen, wenn die Stabilität des Boots bereits vorher (beispielsweise wegen starken Windes) verringert war.

Wasserströmung, besonders unterschiedliche Strömungen mit starken Verschneidungslinien, können ebenfalls zum Kentern führen. Meist wird der Bug beim Überfahren der Verschneidungslinie von der neuen Strömungsrichtung erfasst und herumgerissen, dadurch fährt das Schiff eine sehr enge Kurve. Die Massenträgheit des Schiffs kann der schnellen Bewegungsänderung nicht folgen, das Schiff kentert auf die kurvenäußere Seite.

Hindernisse im Wasser Hindernisse wie Sandbänke, Felsen, Riffe, Buhnen, Brückenpfeiler, Bojen oder andere Seezeichen können Boote zum Kentern bringen, wenn auf sie (seitlich) aufgefahren wird. Auf Seen und großen Flüssen sind es meist überraschende, unentdeckte Hindernisse. Beim Wildwasserpaddeln stellen sie hingegen einen Teil der gesuchten Herausforderung dar.

Ladung und Gewichtsverlagerungen an Bord

Ladung

Die Ladung in Form gleichmäßiger Beladung und Ladungssicherung ist vor allem bei Frachtschiffen entscheidend für die Schiffsstabilität und Kentersicherheit. Dafür zuständig ist der Ladungsoffizier. Außer durch rutschende Ladung (vgl. z. B. Pamir) besteht auch Gefahr durch zu viel Wasser im Schiff, da das Wasser sehr stark die Schwimmstabilität beeinträchtigt. Bei Seekriegen führte vielfach nicht der Schaden durch Beschuss, Torpedo oder Mine direkt zum Untergang, sondern erst das eindringende Wasser reduzierte die Stabilität, bis das Schiff kenterte.

Ähnlich wirkt sich bei kleineren Booten die (freiwillige) Gewichtsverlagerung (auf Segelbooten die sogenannte Trimmung) aus. Leichte Boote wie viele Kanus und Jollen können durch kontrollierte Gewichtsverlagerung nicht nur gesteuert werden, sondern benötigen sie auch zum Ausgleich von Strömung und Wellen (isb. Kanten bei Kanus) und seitlichem Winddruck (Krängung bei Segelbooten). Eine falsche Gewichtsverlagerung führt hingegen ebenfalls zum Kentern. Eine solche falsche Gewichtsverlagerung kann auf Ruderbooten und Kanus auch durch (unabsichtlich) unterschneidende Ruder- bzw. Paddelblätter entstehen: Wenn das Blatt ohne Widerstand durch das Wasser schneidet, können Ruderer und Paddler mit der Bewegung, mit der sie üblicherweise gegen den Wasserdruck anarbeiten, ihr Boot zum Kentern bringen; zudem wird ein gegebenenfalls geplantes Steuer- oder Aufrichtmanöver (z. B. Paddelstütze) durch Unterschneiden teilweise oder vollständig wirkungslos, was die Stabilität noch stärker beeinträchtigt.

Mischform: Harte Kursänderung

Der Flugzeugträger USS Ronald Reagan krängt bei Rudertests; kleinere Boote können durch Kursänderungen sogar kentern

Harte Kursänderungen können auf kleinen Booten zum Kentern führen, weil dadurch die (zum bewegten Boot relative) Strömung und das Trägheit der Bootsmasse ungünstig zusammenwirken. Harte Kursänderungen führen zu Verwirbelungen im Wasser, die generell die Stabilität von Booten beeinträchtigen. Zum einen steht ein hart (d. h. extrem) eingeschlagenes Ruder schon von sich aus in einem Winkel, der stark von der Kiellinie und der Fahrtrichtung des Bootes abweicht; das Wasser kann ein solches Ruder nicht mehr laminar umströmen, was zu Verwirbelungen führt. Zudem drückt die die Trägheit ein Boot bei einer harten Kursänderung zunächst noch weiter in die ursprüngliche Fahrtrichtung; für solche Seitwärtsbewegungen sind Boote naturgemäß nicht stromlinienförmig gebaut, was wiederum einen Abriß der laminaren Strömung und damit Verwirbelungen provoziert.

Zugleich bremst das Wasser, noch dazu bei Verwirbelungen, das Boot ab. Die Bootsmasse, die sich oberhalb der Wasseroberfläche befindet, wird hingegen nicht abgebremst – das Boot neigt sich daher in Richtung der ursprünglichen Fahrtrichtung (Krängung). Dank der eingeleiteten Kursänderung erfolgt diese Neigung nicht entlang der Längsachse des Bootes, sondern zumindest teilweise seitwärts, also in einer Richtung, in der Boote generell weniger Stabilität haben.

Auf Segelbooten kommt je nach Kurskorrektur noch ein weiterer Stabilitätsverlust durch den veränderten Winddruck im Segel hinzu (siehe oben).

Das Heck eines über den Bug kenternden Kajaks kippt über den Paddler

Kentern: seitlich, über den Bug oder über das Heck

Große Schiffe kentern generell seitlich, weil sie zu schwer und Wellen und Hindernisse zu klein sind, um ihre Längsstabilität zu beeinträchtigen.

Auch Boote kentern meist seitlich, zum Teil aber auch über den Bug. Bei Optimisten z. B. kann schon ein starker achterlicher Wind ausreichen, um den Bug in das Wasser zu drücken und das Boot zum Überschlagen zu bringen. Trimarane können aufgrund der Rumpfanordnung und des Rumpfabstands kaum seitwärts kentern und laufen daher grundsätzlich höhere Kentergefahr über den Bug, wenn der zum Beispiel durch harte Kursänderungen eintaucht und sich in eine Wellenflanke bohrt.

Kürzere Kanus, insbesondere Wildwasserkanus, kentern seitlich wie auch über Bug oder Heck. Vor allem beim Spielbootfahren und Squirtboating, bei denen das Boot sogar absichtlich auf Bug oder Heck aufgerichtet werden kann, führt ein Gleichgewichtsverlust leicht zum Kentern und wird billigend in Kauf genommen.

Die Mannschaft versucht, durch Gewichtsverlagerung das Kentern zu verhindern

Maßnahmen gegen Kentern

Katamarane segeln auf nur einem Rumpf am schnellsten, sind dabei aber kenter-anfällig

Es gibt keine Wasserfahrzeuge, die absolut unkenterbar sind, z. B. kann auch ein U-Boot kentern. Lediglich Rettungsinseln bzw. -bojen mit einem kugel- oder tonnenähnlichen Aufbau und einem Gewichtskiel sind kentersicher, so lange kein Wasser eindringt.

Formstabile Segelboote (Jollen)

Bei den meisten Jollen schützt deren Formstabilität vor dem Kentern. Dabei wird Kentern durch "Ausreiten" verhindert. Die Segler bringen dabei ihr Körpergewicht auf die Luvseite. Alternativ oder gleichzeitig werden die Segel etwas geöffnet (gefiert), oder das Schiff wird zum Wind hin gedreht (Anluven), wodurch weniger Winddruck entsteht und dadurch weniger Krängung. Bei Starkwind werden die Krängung und die Kentergefahr durch Verkleinern der Segelfläche verkleinert (Reffen, oder grosses Segel bergen und kleinere Segel setzen).

Bei vielen (sportlicheren) Jollentypen (vor allem mit Rundspant, zum Beispiel Laser), ist das Kentern jedoch ein normaler Vorgang. Einer geübten Crew kann es im Verlauf der Kenterung sogar gelingen, durch ein „Übersteigen“ auf das Schwert zu „kentern, ohne nass zu werden“ und das Schiff ebenso wieder aufzurichten.

Ein Fahrten-Katamaran kann nach dem Durchkentern nur mit fremder Hilfe wieder aufgerichtet werden. Deshalb ist in seinem Rumpf knapp über der Wasserlinie eine Luke für einen Notausstieg angebracht, die nach dem Durchkentern deutlich über der Wasserlinie liegt und so einen Ausstieg auch bei mittlerem Seegang erlaubt.

Gewichtsstabile Segelboote (Yachten)

Bei Yachten hilft die durch den Kiel erzeugte Gewichtsstabilität vor dem Kentern. Bei zunehmender Krängung wirkt der Kiel zunehmend aufrichtend und gleichzeitig verringert sich durch die Krängung die dem Wind ausgesetzte Segelfläche. Daraus erklärt sich auch die große Gefahr, die die seltenen Teil- oder Totalverluste des Kiels – etwa infolge Materialversagens oder nicht ausgereifter innovativer Kielkonstruktionen – mit sich bringen.

Yachten mit intaktem Kiel richten sich, nachdem sie sich „flach auf das Wasser gelegt“ haben, also meistens wieder auf. Wenn Yachten kentern, dann kentern sie nicht (allein) durch Einwirkung des Windes, sondern in der Regel durch brechende Wellen. Meistens kentern sie ganz durch. Manchmal richten sich Yachten danach wieder auf (drehen sich ein mal um die Längsachse); dabei entstehen meist schwere Schäden am Rigg und am Schiff und schwere Verletzungen der Mannschaft.

Gewichtsstabile Schiffe

Passagier- und Frachtschiffe ziehen ihre Stabilität sowohl aus Gewicht als auch aus der Rumpfform. Ein Kiel mit schwerem Kielgewicht kann ein Kentern hinauszögern (Gewichtsstabilität). Bei großen Schiffen kann ein Kentern unter Umständen durch Gegenfluten verhindert werden.

Kanus

Flachwasserrennkajak mit geringer Ausgangsstabilität

Kanus ziehen ihre Stabilität hauptsächlich aus der Rumpfform. Je nach Bauweise ist die Stabilität eines unbewegten Kanus relativ gering. Insbesondere Kanus für Flachwasserrennen erhalten ihre Stabilität, ähnlich einem Fahrrad, großenteils durch die Bewegung; Anfänger kentern auf leicht gebauten Flachwasserkanus oft, bevor sie überhaupt ein Paddel ins Wasser getaucht haben. Aber auch auf Wildwasser unterstützt die Vorwärtsbewegung die Stabilität.

Mit der Eskimorolle oder notfalls der Eskimorettung kann ein gekentertes Kanu auch ohne aussteigen zu müssen wieder aufgerichtet werden. Infolgedessen werden häufige Kenterungen insbesondere beim Wildwasserpaddeln in der Regel billigend in Kauf genommen. Muß der Kanute das Boot verlassen, kann das eingedrungene Wasser auf dem Gewässer aus dem Kanu geleert und das Boot wieder bestiegen werden; oder das Kanu kann schwimmend oder mit einer Wurfleine an Land geholt und das eingedrungene Wasser dort ausgeleert werden, bevor das Boot wieder bestiegen wird. Auch ein Paddelfloat kann zum Aufrichten eines gekenterten Kanus genutzt werden.

Als Technik gegen Kentern helfen vor allem das Kanten und die Paddelstütze. Durch das Kanten wird das Kanu absichtlich geneigt, um so eine unabsichtliche, entgegengesetzte Neigung durch die Strömung zu verringern oder zu verhindern. Es wird somit die Stabilität zunächst kontrolliert verringert (Kanten), um sie anschließend aufrechterhalten zu können.

Siehe auch


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