Konkrete Dichtung

Konkrete Dichtung

Die konkrete Poesie (lat. concretus „dicht, fest“, griechisch ποίησις (poiesis) - die Dichtung) bezeichnet in der Dichtung eine bestimmte Herangehensweise an die Sprache. Die Sprache dient dabei vordergründig nicht mehr der Beschreibung eines Sachverhalts, eines Gedankens oder einer Stimmung, sondern sie wird selbst zum Zweck des Gedichts.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Die konkrete Poesie verwendet die phonetischen, visuellen und akustischen Dimensionen der Sprache als literarisches Mittel. Diese Form der Literatur möchte sich nur noch auf ihre eigenen Mittel beziehen: Wörter, Buchstaben oder Satzzeichen werden aus dem Zusammenhang der Sprache herausgelöst und treten dem Betrachter „konkret“, d. h. für sich selbst stehend, gegenüber. Diese sprachliche Demonstration soll ein Gegenpol zur sprachlichen Reizüberflutung sein. Sprache hat keine Verweisfunktion mehr. Die Methode der konkreten Poesie ist eine antipoetische Meditation über die Bedingung der Möglichkeit der poetischen Sprechweise. Es gibt kein „Gedicht über“, sondern nur noch eine Realität an sich.

Geschichte

Der Begriff konkrete Poesie entstand - wie es bei vielen literarhistorischen Epochen geschah - in Anlehnung an die bildende Kunst, bei der die entsprechende Bezeichnung Konkrete Kunst lautete. Als das Konkrete eines Bildes bezeichnet man dort die Bildelemente Punkt, Linie, Fläche, Farbe (vgl. die Bilder Mondrians, Malewitschs oder Kandinskys).

In der Dichtung wurde der Begriff von Eugen Gomringer (geb. 1925) popularisiert (1953). Ursprünglich wurde er von dem Künstler und Kunsttheoretiker Öyvind Fahlström (Manifest für konkrete Poesie, 1953) benutzt. Die Wörter sind für Gomringer nicht mehr Bedeutungsträger, sondern sie werden als visuelle (d. h. das Sehen betreffende) und phonetische Gestaltungselemente eingesetzt. So soll beispielsweise mit der graphischen Anordnung des Textes seine inhaltliche Bedeutung unterstrichen oder ironisiert werden. Die entscheidende poetische Tätigkeit ist dabei die Konstruktion, die neuartige Zusammensetzung der einzelnen Sprachelemente. Gomringer nennt seine Gedichte „Konstellationen“.

Viele Vertreter der konkreten Poesie gehören dem Umkreis der Wiener Gruppe und der Stuttgarter Gruppe/Schule um Max Bense an.

Beispiel:

            wolke     wolke
         wolkewolkewolkewolke
       wolkewolkewolkewolke
          wolkewolkewolkewolke
           wolke     wolke
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Brasilien

In São Paulo (Brasilien) entstand die Konkrete Poesie unabhängig von den europäischen Entwicklungen. Unmittelbar nach der ersten Ausstellung über "Arte Concreta" (Konkrete Kunst) im Jahr 1956, publizierte die Gruppe "Noigandres" (Augusto de Campos, Décio Pignatari, Haroldo de Campos) in ihrer gleichnamigen Zeitschrift ein Manifest, in dem sie forderte, das Wort nicht mehr als bloßen Träger von Bedeutung wahrzunehmen, sondern in seiner Gesamtheit. Das Wort sollte als Artefakt poetisch werden. Für die Dichtung, so die Forderung, musste die Trennung von Signifikat und Signifikant aufgehoben werden.

Die Konkrete Poesie führte zu einer Umwälzung der brasilianischen Dichtung. Allerdings gab es bereits im Vorfeld der Militärdiktatur (1964-1985) Kritik an ihrer vordergründigen Indifferenz gegenüber gesellschaftlichen Ereignissen, vor allem die politische Linke forderte stattdessen eine Dichtung, die auf die sozialen Missstände im Land aufmerksam macht. Großen Einfluss entwickelte die Konkrete Poesie auf die Künstler des Tropicalismo (Caetano Veloso, Gilberto Gil, Gal Costa, Chico Buarque de Hollanda, José Carlos Capinam, Jards Macalé u.a.) Ende der 60er Jahre. Mit dem Tropicalismo gelang eine Überwindung der ideologischen Grabenkämpfe unter den Dichtern, gleichzeitig floss die Konkrete Poesie in die moderne brasilianische Musik ein.

Die brasilianische Konkrete Poesie führte vor allem seit den 70er Jahren zu einer grafischen Erneuerung des Wortes auf allen Ebenen der Gesellschaft, ihre Innovationen wurden ebenso in der Werbung wie in der politischen Propaganda genutzt. Der Einfluss der Konkreten Poesie ist bis in die Gegenwart spürbar, Künstler wie Arnaldo Antunes setzen die Tradition fort.

Gegenwart

Gruppen oder "die Vertreter" der konkreten Poesie gibt es heute mindestens nicht mehr so wie in den letzten Jahrzehnten. An die Stelle der Gruppen sind sehr wenige Einzelvertreter getreten, die - begünstigt durch die Entwicklung der Medien und auch der Werbung - kühner in ihren Entwürfen und Werken geworden sind. An die Stelle von starren Dogmen dieser gestalterischen Literatur (z. B. konkrete Poesie stellt ausschließlich sich selbst dar) ist das Spiel mit dem Wort und den Buchstaben getreten. Es geht vor allem um

  • das Spiel mit Bedeutungen
  • das Spiel mit der räumlichen Dimension der Schrift (z. B. verschiedener Schriftgrößen)
  • das Spiel mit der räumlichen Positionierung der Buchstaben/Worte

Es gibt inzwischen auch den Begriff des "Wortbildes" als Bezeichnung für dieses Sprachprodukt - neben der Bezeichnung "visuelle" oder "konkrete" Poesie. Gomringer hat sein Museum, andere Vertreter dieser Poesie haben beachtete Anthologien gemacht (s. E. Williams), die Entwicklung des visuellen Aspektes in der Schriftsprache aber geht weiter. Das spricht für ihre Dynamik - auch wenn sie im Literaturbetrieb fast unbeachtet bleibt. Konkrete Poesie ist die Leidenschaft der Intellektuellen unter den Poeten. Die Zeiten aber, in denen großartige Anthologien konkreter Poesie publiziert wurden, scheinen endgültig vorüber zu sein.

Dichter der konkreten Poesie

Siehe auch

Literatur

  • Emmett Williams (Hg.): an anthology of concrete poetry, edition hansjörg mayer, New York, Villefranche, Frankfurt, Stuttgart 1967 (eine der besten Anthologien der konkreten Poesie sowie von internationaler Relevanz) (manufactured in the United States; without ISBN)

Weblinks


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  • Gerz — Gẹrz,   Jochen, bildender Künstler und Lyriker, * Berlin 4. 4. 1940; lebt seit 1966 in Paris. Gerz kam über die konkrete Dichtung zur bildenden Kunst (»Foto/Texte«); er gilt mit Environments, Aktionen und Videos sowie Foto und Objektserien als… …   Universal-Lexikon

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