Konzentrationslagerwesen

Konzentrationslagerwesen

Die Inspektion der Konzentrationslager (IKL) war die zentrale SS-Verwaltungs- und Führungsbehörde für die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bevor die Inspektion in das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt als „Amtsgruppe D“ eingegliedert wurde, trug sie nach Theodor Eickes Bezeichnung (SS-Rang) den Titel „Generalinspektion der Verstärkten SS-Totenkopfstandarten“.

Inhaltsverzeichnis

Eicke als Inspekteur aller Konzentrationslager

Sitz des Geheimen Staatpolizeihauptamtes in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin (Aufn. 1933)

Der Lagerkommandant des Dachauer Konzentrationslagers und SS-Oberführer Eicke, dessen Organisationsformen im Konzentrationslager Dachau für alle späteren KZ Modell standen, beanspruchte seit Mai 1934 den Titel Inspekteur der Konzentrationslager für sich. Im Zuge der Entmachtung der SA mittels der Morde im Rahmen der angeblichen "Röhm-Affäre" hatte er auf Anweisung Hitlers persönlich Röhm am 1. Juli erschossen.[1] Die parteiinterne Polizeifunktion der SS wurde am 20. Juli 1934 aus der Unterstellung unter die SA gelöst. Himmler ernannte Eicke kurz darauf auch offiziell zum Inspekteur der Konzentrationslager und zum Führer der SS-Wachverbände. Des Weiteren wurde die IKL als Dienststelle für Eicke eingerichtet. Auch diese hatte de facto seit Mai 1934 bestanden. Am 10. Dezember 1934 bezog die IKL ihre Diensträume in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße 8, wo sich das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapo) befand. Die IKL wurde diesem untergeordnet. Zu den Gebäuden vergleiche die Informationen zur Topographie des Terrors.

Der Leiter der IKL - zunächst Eicke - unterstand damit einerseits als SS-Angehöriger dem SS-Amt (ab 1935 SS-Hauptamt) und war andererseits über die Unterstellung unter die Gestapo Himmler als Polizeichef direkt zugeordnet. Diese Form der doppelten Unterstellung war charakteristisch für viele SS-Stellen und schuf für ihre Angehörigen Frei- und Interpretationsspielräume. Besonders Eicke wusste dieses System für seine eigenen Ziele zu nutzen und trug damit wesentlich dazu bei, dass die IKL faktisch die alleinige Verfügungsgewalt über alle KZ-Häftlinge hatte.

Die Inspektion von 1935 bis 1945

Bis zum Kriegsbeginn blieb die Inspektion der Konzentrationslager eine kleine Behörde. Ende 1935 waren 11 Mitarbeiter dort beschäftigt, bis Ende 1936 wuchs die Zahl auf 32. Am Ende des Jahres 1938 arbeiteten 45 Personen bei der Stelle. 1944 beschäftigte die Nachfolgeinstitution der IKL, die Amtsgruppe D im WVHA, 20 SS-Führer und etwa 80 SS-Männer. Die Mitarbeiter hatten einen relativ weitgefassten Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Anfangs variierte die Aufgabenverteilung noch, erst später bildeten sich bestimmte Abteilungen heraus. Zum zweiten Mann nach Eicke wurde Richard Glücks. Dieser wurde am 1. April 1936 von Eicke als Stabsführer des Inspekteurs der Wachverbände zur IKL geholt und stieg bald zu seinem Stellvertreter auf.

Im August 1938 bezog die Inspektion, die vorher in Berlin war, in Oranienburg ein großes Stabsgebäude am südlichen Rand des KZ Sachsenhausen, das wegen seiner charakteristischen dreiflügeligen Form auch „T-Gebäude“ genannt wurde.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Eicke als Kommandeur der SS-Totenkopf-Standarten an die Front abkommandiert.

Am 18. November 1939 wurde Glücks, rückwirkend zum 15. November 1939, zum Inspekteur der Konzentrationslager ernannt. Im Vergleich zu seinem Vorgänger blieb die Politik Glücks weitgehend unauffällig, da die wesentlichen Organisationsstrukturen bereits unter Eicke gefestigt worden waren.

Ende 1941/Anfang 1942 kam es kriegsbedingt zu einem Funktionswandel der Konzentrationslager: die Häftlinge sollten verstärkt zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden. Daraus resultierte schließlich die Unterstellung der IKL als Amtsgruppe D unter das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA). Dessen Leiter Oswald Pohl hatte bereits seit Errichtung des KZ-Systems versucht, Einfluss auf die Verwaltung der Konzentrationslager zu erlangen. Dies gelang ihm teilweise dadurch, dass alle SS-Angehörigen der KZ dem KZ-Kommandanten zwar disziplinarisch, nicht jedoch fachlich unterstellt waren. Die fachlichen Weisungen empfingen die Abteilungsleiter der Konzentrationslager von der jeweils übergeordneten Stelle in der IKL (später Amtsgr. D). Dies entspricht ebenfalls der SS-Praxis der Doppelunterstellungen.

Die IKL besaß fast die alleinige Verfügungsgewalt über die KZ-Häftlinge. Die Einweisung und Entlassung von Gefangenen wurde dagegen durch die Gestapo (bzw. später durch das Reichssicherheitshauptamt) vorgenommen. Über alle lagerinternen Angelegenheiten entschied dagegen Eickes Behörde. Sie war auch über die systematischen Mordaktionen in anderen SS-Bereichen (zum Beispiel Ermordung der sowjetischen Kommissare, Aktion 14f13) informiert und koordinierte diese auch. Mit den KZ Auschwitz-Birkenau und Majdanek unterstanden der IKL auch zwei Konzentrationslager, die im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage" speziell als Vernichtungslager gebaut und verwendet wurden.

Hierarchie der SS innerhalb eines Lagers

Abteilungen, Zuständigkeiten

Innerhalb der IKL bildete sich die zentrale (politische) Abteilung als wichtigste Unterabteilung heraus, die das Leben der Häftlinge in jedem Lager wesentlich bestimmte.

Unter der Ägide Eickes wurden alle neuen Konzentrationslager nach dem Dachauer Modell strukturiert. Prinzipiell bedeutete das die Trennung der SS-Mannschaften in Angehörige der Wachtruppe oder der Kommandanturabteilungen. Innerhalb der Kommandantur wurden jeweils die gleichen Abteilungen gebildet. Damit bildete sich im Kern auch die immer gleiche Struktur des Führungspersonals in einem KZ aus:

  • Kommandant / Adjutant (der K. war zugleich Vorgesetzter der Wachmannschaften)
  • Schutzhaftlagerführer (in vielen Lagern zugleich Adjutant)
  • Verwaltungsführer
  • Beamter der Sicherheitspolizei (Gestapo oder Kripo) in der politischen Abteilung
  • Standortarzt
  • Totenkopfwachsturmbann (Wachmannschaft, z. T. um Hilfstruppen verstärkt)

Auch aufgrund der Personalpolitik der IKL-Chefs, die sich im Wesentlichen auf persönliche Beziehungen und Kameraderie gründete, gab es während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus nur eine kleine Elite von KZ-Führungspersonal. Im Gegensatz zu den Wachmannschaften wurden diese „Experten“ i. d. R. nicht zum Frontdienst herangezogen.

Aufgaben des Schutzhaftlagerführers

Die Aufgaben des Schutzhaftlagerführers und seines Adjutanten: der „Betrieb“ des Lagers im Sinne aller Befehle zur inneren Ordnung, Tagesablauf, Appelle etc. Die Hierarchie unter ihm: Die Rapportführer, der Arbeitseinsatzführer und evtl. die Oberaufseherin (wenn ein Frauenlager bestand) unterstanden ihm. Sie waren für die Ordnung im ganzen Lager und die Zuteilung der einzelnen Häftlinge in Aussenkommandos zuständig. Sie standen den Blockführern vor, die jeweils einen oder wenige Blocks beaufsichtigten.

Der Arbeitseinsatzführer war für den Arbeitseinsatz der Häftlinge nach berufsmäßigem Können und Leistungsfähigkeit bei den Innen- und Aussenkommandos verantwortlich. Alle Häftlinge des Lagers waren in einer sogenannten Berufskartei vom Arbeitseinsatzführer erfasst. Ihm unterstanden dazu die Arbeitsdienstführer (SS-Unterführer), die die Arbeitskommandos zusammenstellten und beaufsichtigten.

Die Blockführer bestimmten die Zusammensetzung der internen Arbeitskommandos, die jeweiligen Blockältesten und Stubenältesten aus den Reihen der Häftlinge. Als Funktionshäftlinge wurden von ihnen in einer weiteren „Teile-und-Herrsche-Strategie“ Häftlinge quasi als Hilfspolizei eingesetzt (vgl. Kapo (KZ)).

Aufgaben der politischen Abteilung

Die Aufgaben/Zuständigkeiten der politischen Abteilung des Lagers waren: Registrierung von Neuzugängen, Entlassungen, Verlegungen, polizeiliche Aufgaben wie die Reaktion auf Tod oder Flucht der Häftlinge, deren Vernehmung (meist verbunden mit Folter oder deren Androhung), Führung der Häftlingskartei. Leiter war immer ein Beamter der Geheimen Staatspolizei (d. h. in der Regel ein Beamter der Kriminalpolizei). Er unterstand der jeweiligen Gestapoleitstelle, erhielt aber häufig auch unmittelbar Anweisungen und Befehle durch das RSHA, Amt IV (dort in der Regel dem Amt C 2 - Schutzhaftangelegenheiten). Z. Bspl. gingen Exekutionsbefehle vom RSHA unmittelbar an die Politische Abteilung. Umgekehrt waren die Führungsberichte über Schutzhaftgefangene an das RSHA zu richten. Vom RSHA wurden auch einzelne Einweisungen und Entlassungen von Schutzhaftgefangenen verfügt.

Der Chef der Politischen Abteilung war als Gestapobeamter dem RSHA bzw. der zuständigen Gestapoleitstelle verantwortlich. Er unterstand dieser sowohl sachlich als auch disziplinarisch. Das gleiche galt für seinen Vertreter. Die anderen Angehörigen der Politischen Abteilung unterstanden als Angehörige der Waffen-SS einerseits fachlich ebenfalls der Gestapo, gehörten aber zur Stabskompanie des Lagers und unterlagen der Disziplinargewalt des Kommandanten.

Aufgaben des Verwaltungsführers

Ihm unterstand die Abteilung Verwaltung (auch: Abteilung IV, Standortverwaltung, mit ihren SS-Unterführern und SS-Männern des Verwaltungsdienstes). Er war verantwortlich für Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und Besoldung des Kommandanturstabes, der Wachmannschaften sowie für die Unterkünfte, Verpflegung und Bekleidung der Häftlinge. Er war wie in einem Wirtschaftsunternehmen der leitende Buchhalter für den Nachweis aller Sachgüter und deren aktuellem Stand und die Verwaltung und Instandhaltung von Immobilien verantwortlich. Auch die Belieferung des Lagers mit Nahrungsmitteln erfolgte über seine Abteilung. Interne Abrechnungen hatte er so aufzubereiten, wie sie von dem übergeordneten Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, Amt D IV, unter Glücks bzw. Gerhard Maurer, angefordert wurde. Ein wichtiger Zweig war dabei die Gefangeneneigentumsverwaltung, die die gesamten, von den Häftlingen mitgebrachten und in der Effektenkammer sortierten, gebündelte und aufbewahrten Effekten (Geld, Wertsachen, Bekleidung usw.) umfassten. Diese Abteilung war strafrechtlich und disziplinarisch bei Unterschlagung oder Veruntreuung von Vermögenswerten haftbar zu machen.

Aufgaben des Leitenden Arztes

Der Standortarzt leitete nach den Ausführungen von R. Höss in der Regel mehrere Ärzte, die ihm nachgeordnet waren. Sie waren für Folgendes einzuteilen: Dem Truppenarzt oblag die ärztliche Betreuung der SS-Wachmannschaften; die weiteren Lagerärzte wurden durch Dienstpläne den einzelnen Lagern / -bereichen (Männer-, Frauenlager etc.) zugeteilt. Ihre Aufgabe bestand neben ihren folgenden Hauptaufgaben auch in der ärztlichen Versorgung der Häftlinge. Dabei ging es vor allem um hygienische Aspekte zur Vermeidung von Seuchen und die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Häftlinge, wofür sie sich im Krankenrevier/-block gefangen gehaltener Ärzte als Hilfsärzte und -pflegepersonal bedienten. Ihre nach Höss zentralen „nichtärztliche Aufgaben" waren ...

  1. Bei ankommenden Judentransporten hatten sie die arbeitsfähigen männlichen sowie weiblichen Juden auszusuchen.
  2. Bei dem Vernichtungsvorgang an den Gaskammern hatten sie anwesend zu sein und sich zu überzeugen, dass die Vernichtung jeweils vollständig war.
  3. Die Zahnärzte hatten sich durch fortgesetzte Stichproben davon zu überzeugen, dass die Häftlingszahnärzte der Sonderkommandos bei allen Vergasten bzw. Getöteten vor der Verbrennung die Goldzähne zogen und in die bereitstehenden, gesicherten Behältnisse warfen (hier am Bspl. Auschwitz).
  4. Arbeitsunfähig gewordenen Juden, die voraussichtlich innerhalb von vier Wochen nicht wieder arbeitsfähig werden konnten, waren auszumustern und der Vernichtung zuzuführen.
  5. Sie hatten die sogenannten „verschleierten Exekutionen" durchzuführen. Da diese Exekutionen aus politischen Gründen nicht bekannt werden durften, sollte als Todesursache danach eine im Lager übliche natürliche Todesursache bescheinigt werden.
  6. Anwesenheit bei Exekutionen der Standgerichte, um den Tod festzustellen.
  7. Sie hatten bei Anträgen auf körperliche Züchtigung die zu bestrafenden Häftlinge auf Hinderungsgründe zu untersuchen und beim Vollzug dieser Strafe anwesend zu sein.
  8. Sie hatten an „fremdvölkischen" Frauen Schwangerschaftsunterbrechungen vorzunehmen.

Darüber hinaus hatten die Ärzte Gelegenheit oder z. T. den Auftrag medizinische Forschungsvorhaben an lebenden oder zum Zweck der Untersuchung hingerichteten Häftlingen zu betreiben. Dazu bestanden vielfältige Beziehungen mit nationalsozialistischen Lehrstuhlinhabern der medizinischen Fakultäten im gesamten Reichsgebiet. Soweit das mit dem Lager verbundene Standesamt für einzelne tote Häftlinge Todesbescheinigungen benötigte, waren diese dem Zweck entsprechend zu fälschen (falscher Arztname, falsche Todesursache).

Personal

Führung

Die Historikerin Karin Orth[2] wies in einer Studie nach, dass die Führungsebene der Konzentrationslager (Kommandanten und Leiter der Abteilungen) sich immer wieder aus einer kleinen Gruppe von SS-Angehörigen rekrutierte, die dafür u. a. im Kriegsverlauf nicht zum Fronteinsatz kommandiert wurden. Unter Ausklammerung der etwa 110 Lagerärzte, die einer etwas stärkeren Fluktuation unterlagen, umfasste diese Gruppe ungefähr 207 Männer und einige wenige Frauen. Orth weist auf zahlreiche Gemeinsamkeiten in der sozialen Herkunft, dem Lebensweg (Geburtsjahrgänge um 1902) bis zum Eintritt in die SS und der politischen Prägung hin und spricht deshalb von einem regelrechten Geflecht oder "Netzwerk der Konzentrationslager-SS".[3]

Stärke

Für Januar 1945 werden von Orth 37.674 Männer und 3.508 Frauen als Angehörige der KZ-Wachmannschaften genannt.[4]

Rotation

Der Rotation des Personals zwischen Konzentrationslagern und den militärischen Verbänden der SS wird auf mindestens 10.000 SS-Angehörige beziffert; einige Historiker schätzen deren Anzahl auf 60.000.[5] Dieser Personalaustausch widerlegt die Behauptungen, die Waffen-SS hätte keinerlei Beziehungen zu den SS-Wachen der Konzentrationslager gehabt.

Poststücke zum Thema

Verschiedene Poststücke belegen die Präsenz der KZ im Postwesen:

Siehe auch

Literatur

  • Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Eine politische Organisationsgeschichte. Hamburger Edition, Hamburg 1999, ISBN 3930908522
  • Karin Orth: Die Konzentrationslager-SS, dtv, München, 2004. ISBN 3423340851
  • Johannes Tuchel: Konzentrationslager. Organisationsgeschichte und Funktion der „Inspektion der Konzentrationslager“ 1934-1938, Oldenbourg, 1991. 425 Seiten. ISBN 3764619023 - bzw: Die Inspektion der Konzentrationslager 1938-1945. Das System des Terrors. Edition Hentrich, Berlin 1994, ISBN 3894681586.
  • Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, Alber, München 1946, zuletzt: Heyne, München 1995, ISBN 3-453-02978-X

Einzelnachweise

  1. Dr. Zdenek Zofka: Die Entstehung des NS-Repressionssystems http://www.km.bayern.de/blz/report/01_04/1.html, Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit in Bayern, Aufruf vom 02.02.2007
  2. Karin Orth auf histsem.uni-freiburg.de
  3. Orth: Die Konzentrationslager-SS, 2000. S. 151f)
  4. Orth: Die Konzentrationslager-SS, 2000. S. 54)
  5. Mirsoslav Karny: Waffen-SS und Konzentrationslager. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, hrsg. von Ulrich Herbert u.a., Bd. 2, fiTb 15516, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-15516-9, S.791-193

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