Kriegsverbrecherprozesse von Chabarowsk

Kriegsverbrecherprozesse von Chabarowsk

Der Kriegsverbrecherprozess von Chabarowsk war eine Reihe lange Zeit weitgehend vergessener[1] Gerichtsverhandlungen gegen zwölf Mitglieder der japanischen Guandong-Armee in der Stadt Chabarowsk Ende Dezember 1949. Unter den Angeklagten waren letzte Befehlshaber der Guandong-Armee Yamada Otozō und fünf weitere Generäle der Guandong-Armee[2], acht von ihnen waren Angehörige der Einheiten 731 (sechs) und 100 (zwei),[3] die übrigen höhere Behelfshaber, denen diese Einheiten unterstanden. Sie waren in der Mehrzahl (acht) Mediziner oder Biologen[4] und wurden wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Entwicklung, Produktion, sowie dem Einsatz chemischer und biologischer Waffen im chinesischen Schauplatzes des 2. Weltkrieges zu Haftstrafen zwischen zwei und fünfundzwanzig Jahren verurteilt.

Obwohl die Sowjetunion versuchte die Ergebnisse des Prozesses der Weltöffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, nahm die Weltöffentlichkeit wenig Kenntnis vom Prozess. Zum einen nahmen lediglich sowjetische Reporter am Prozess teil, zum anderen versuchten die Vereinigten Staaten erfolgreich, den Prozess als bloße kommunistische Propaganda darzustellen;[3] das US-amerikanische Oberkommando für Japan verbreitete die Behauptung, der Prozess sei nur ein Versuch von Verbleib etwa 375.000 japanischer Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft abzulenken.[2]

Schon während des Prozesses wurden die japanischen Angeklagten als Experten in der sowjetischen Massenvernichtungswaffenforschung eingesetzt.[2] 1956 wurde alle noch lebenden Inhaftierten von der UdSSR freigelassen und nach Japan abgeschoben.[1]

Inhaltsverzeichnis

Zusammensetzung des Gerichts

Den Vorsitz der Verhandlung führte der sowjetische Generalmajor der Justiz D. D. Tschertkow, als Beisitzer waren der Oberst der Justiz M. L. Ilnizki und der Oberleutnant der Justiz I. G. Worobjow berufen. Die Anklage wurde durch den Justiz-Staatsrat dritten Ranges L. N. Smirnow vertreten. Die angeklagten Generäle verfügten über je einen Anwalt. Die beiden Stabsoffiziere und die beiden Offiziere wurden von je einem Anwalt vertreten. Die Anwälte wurden durch die Moskauer Rechtsanwaltskammer und die Chabarowsker Regions-Rechtsanwaltskammer gestellt. Die drei angeklagten Unteroffiziere bzw. Gefreiten wurden vom Vorsitzenden der Rechtsanwaltskammer der Region Primor verteidigt.

Das Gutachten über bakteriologische und medizinischen Fragen wurde durch eine Sachverständigenkommission, bestehend aus: N. N. Shukow-Wereshnikow (Mitglied der Akademie der medizinischen Wissenschaften der UdSSR), W. D. Krasnow (Oberstarzt), Prof. N.N. Kossarew (Lehrstulleiter für Mikrobiologie am medizinischen Institut der Universität Chabarowsk), J. G. Liwkina (Dozentin am Lehrstuhl für Mikrobiologie am medizinischen Institut der Universität Chabarowsk), N. A. Alexandrow (Oberfeldveterinär) und O. L. Koslowskaja (Parasitologin) erstellt.

Die Angeklagten und ihre Verurteilungen[5]

  • General Otozō Yamada (Befehlshaber der Kwantung-Armee) – 25 Jahre Arbeitslager
  • Generalstabsarzt Ryūji Kajitsuka (Leiter der medizinischen Abteilungen) – 25 Jahre Arbeitslager
  • Generalstabsveterinär Takaatsu Takahashi (Leiter der Veterinär Abteilungen) – 25 Jahre Arbeitslager
  • Generalarzt Kiyoshi Kawashima (Leiter von Einheit 731) – 25 Jahre Arbeitslager
  • Generalarzt Shunji Satō (Leiter des medizinischen Service der 5. Armee) – 20 Jahre Arbeitslager
  • Oberstabsarzt Tomio Karasawa (Sektionsleiter bei Einheit 731) – 20 Jahre Arbeitslager
  • Oberstabsarzt Masao Onoue (Abteilungsleiter bei Einheit 731) – 12 Jahre Arbeitslager
  • Oberfeldarzt Toshihide Nishi (Leiter einer Division von Einheit 731) – 18 Jahre Arbeitslager
  • Oberfeldveterinär Zensaku Hirazakura (wissenschaftlicher Mitarbeiter von Einheit 731) – 10 Jahre Arbeitslager
  • Feldwebel Kazuo Mitomo (Mitglied von Einheit 100) – 15 Jahre Arbeitslager
  • Gefreiter Norimitsu Kikuchi (medizinisches Personal von in Abteilung 643) – 2 Jahre Arbeitslager
  • Gefreiter Yūji Kurushima (Labormitarbeiter in Abteilung 162) – 3 Jahre Arbeitslager

Urteil

Das Urteil wurde am 31. Dezember 1949 gesprochen, die Angeklagten wurden zu Arbeitslager zwischen 2 – 25 Jahren verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es wie folgt:

„Hinsichtlich der persönlichen Schuld der Angeklagten in der vorliegenden Strafsache hält das Militärtribunal für erwiesen:“

  1. Otozō Yamada, von 1944 bis zur Kapitulation Japans Oberbefehlshaber der japanischen Kwantung-Armee, leitete die verbrecherische Tätigkeit der ihm unterstellten Abteilungen 731 und 100, durch die ein Bakterienkrieg vorbereitet wurde, und billigte die bestialische Ermordung Tausender von Menschen, die in diesen Abteilungen im Rahmen aller möglichen Experimente zur Anwendung der Bakterienwaffen ums Leben kamen.
    Yamada traf Maßnahmen, damit die Abteilungen 731 und 100 vollauf zum Bakterienkrieg vorbereitet seien und ihre Leistungsfähigkeit genüge, den Bedarf der Armee an der Bakterienwaffe zu decken
  2. Kiyoshi Kawashima, von 1941 – 1943 Chef der Produktionsabteilung der Abteilung 731, war einer der leitenden Mitarbeiter der Abteilung, beteiligte sich an den Vorbereitungen zum Bakterienkrieg, befand sich auf dem Laufenden über die Tätigkeit aller Unterabteilungen und leitete persönlich die Züchtung todbringender Bakterien in Mengen, die völlig ausreichend waren, um die japanische Armee mit der Bakterienwaffe zu versorgen.
    Im Jahre 1942 beteiligte sich Kawashima an der Organisation des Kampfeinsatzes der Bakterienwaffen auf dem Territorium Zentralchinas. Während der ganzen Zeit seines Dienstes in der Abteilung 731 beteiligte sich Kawashima persönlich an der gewaltsamen Massentötung der im Innengefängnis befindlichen Häftlinge durch verbrecherische Versuche, bei denen sie mit Bakterien schwerer Infektionskrankheiten angesteckt wurden.
  3. Tomio Karasawa War Chef einer Gruppe der Produktionsabteilung der Abteilung 731, einer der aktiven Organisatoren der auf die Schaffung der Bakterienwaffe abzielenden Tätigkeit und somit Teilnehmer an der Vorbereitung zum Bakterienkrieg.
    In den Jahren 1940 und 1942 beteiligte sich Karasawa an der Organisation von Expeditionen, die unter der friedlichen Einwohnerschaft Chinas Seuchen verbreiteten.
  4. Ryūji Kajitsuka setzte sich bereits seit 1931 für die Anwendung der Bakterienwaffe ein. Als Chef einer Abteilung der Sanitätsverwaltung des japanischen Kriegsministeriums förderte er 1936 die Gründung und den Ausbau einer bakteriologischen Sonderformation, deren Leitung auf seinen Vorschlag hin der Oberst und spätere General Ishii übernahm.
    Im Jahre 1939 wurde Kajitsuka zum Chef des Sanitätsdienstes der Kwantung-Armee ernannt und leitete unmittelbar die Tätigkeit der Abteilung 731, die er mit allem für die Erzeugung der Bakterienwaffe notwendigen versorgte.
    Kajitsuka besuchte regelmäßig die Abteilung 731, war völlig im Bilde über ihre gesamte Tätigkeit, wußte von den bestialischen Verbrechen, die bei der experimentellen Infizierung von Menschen mittels Bakterien verübt wurden, und billigte diese Untaten.
  5. Toshihide Nishi war von Januar 1943 bis zur Kapitulation Japans Chef der Zweigstelle 673 der Abteilung 731 in der Stadt Sunu und persönlich an der Herstellung der Bakterienwaffe beteiligt.
    Als stellvertretender Chef der Unterabteilung 5 der Abteilung 731 bildete Nishi zur Führung eines Bakterienkrieges Kader von Fachleuten für die Sondereinheiten bei den Armeeverbänden aus.
    Er beteiligte sich persönlich an der Ermordung inhaftierter chinesischer und sowjetischer Staatsbürger, indem er sie mit Bakterien akuter Infektionskrankheiten ansteckte.
    Um die verbrecherische Tätigkeit der Zweigstelle und der Abteilung 731 zu vertuschen, befahl Nishi im Jahre 1945, als die Sowjettruppen sich der Stadt Sunu näherten, alle Gebäude, Einrichtungen und Dokumente der Zweigstelle zu verbrennen, was auch ausgeführt wurde.
  6. Masao Onoue war der Chef der Zweigstelle 643 der Abteilung 731 in der Stadt Chailin. Er erforschte neue Arten der Bakterienwaffe und stellte Materialien für die Abteilung 731 bereit.
    Unter seiner Leitung wurden zur Führung des Bakterienkrieges Kader von Fachleuten ausgebildet.
    Onoue wußte von der Massentötung der Inhaftierten in der Abteilung 731 und begünstigte durch seine Tätigkeit dieses ungeheuerliche Verbrechen.
    Am 13. August 1945 verbrannte Onoue, um die Spuren der verbrecherischen Tätigkeit der Zweigstelle zu verwischen, mit eigener Hand alle Gebäude, Materialvorräte und Dokumente der Zweigstelle.
  7. Shunji Satō war ab 1941 Chef der bakteriologischen Abteilung in der Stadt Kanton, die den Decknamen Nami trug, und wurde 1943 zum Chef der analogen Abteilung Ej in der Stadt Nanking ernannt. An der Spitze dieser Abteilung stehend, beteiligte Satō sich an der Schaffung der Bakterienwaffe und an der Vorbereitung zum Bakterienkrieg.
    Als späterer Chef des Sanitätsdienstes der 5. Armee, die zur Kwantung-Armee gehörte, leitete Satō die Zweigstelle 643 der Abteilung 731 und gewährte ihr, von dem verbrecherischen Charakter der Tätigkeit der Abteilung und der Zweigstelle wissend, seinen Beistand bei der Erzeugung der Bakterienwaffe.
  8. Takaatsu Takahashi war als Chef des Veterinärdienstes der Kwantung-Armee einer der Organisatoren der Erzeugung der Bakterienwaffe, leitete unmittelbar die verbrecherische Tätigkeit der Abteilung 100 und trägt die Verantwortung für die Durchführung bestialischer Versuche, durch die Häftlinge mit Bakterien akuter Infektionskrankheiten angesteckt wurden.
  9. Zensaku Hirazakura stellte als Mitarbeiter der Abteilung 100 persönliche Forschungen an, auf dem Gebiete der Erzeugung und Anwendung der Bakterienwaffe.
    Er beteiligte sich mehrmals an Sondererkundungen längs der Grenzen der Sowjetunion, die das Ziel verfolgten, die wirksamsten Verfahren für einen Bakterienüberfall auf die UdSSR zu klären, und vergiftete dabei Gewässer, insbesondere im Dreistromgebiet.
  10. Kazuo Mitomo, Mitarbeiter der Abteilung 100, beteiligte sich unmittelbar an der Herstellung der Bakterienwaffe und erprobte persönlich die Wirkung der bakterien an lebenden Menschen, die er auf diese qualvolle Weise tötete.
    Mitomo war Teilnehmer bakteriologischer Sabotageunternehmungen gegen die UdSSR im Dreistromgebiet.
  11. Norimitsu Kikuchi arbeitete als Sanitätspraktikant im Laboratorium der Zweigstelle 643 der Abteilung 731, beteiligte sich unmittelbar an der Erforschung neuer Arten der Bakterienwaffe und an der Kultivierung von Unterleibstyphus- und Dysenteriebaszillen. 1945 besuchte Kikutschi einen speziellen Umschulungskurs, wo Fachleute für die Führung eines Bakterienkrieges ausgebildet wurden.
  12. Yūji Kurushima arbeitete als Laborant einer Zweigstelle der Abteilung 731. Als Fachmann beteiligte er sich an der Kultivierung von Cholera- und Flecktyphusbazillen, sowie von Bakterien anderer Infektionskrankheiten und an der Erprobung von Bakteriengeschossen.

„Auf Grund des Dargelegten hat das Militärtribunal des Wehrkreises die Schuld aller aufgezählten Angeklagten an Verbrechen, die unter Artikel 1 des Erlasses des Präsidiums des obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 fallen, für erwiesen erachtet und gemäß Artikel 319 und 320 der Strafprozeßordnung der RSFSR die Angeklagten unter Berücksichtigung des Grades ihrer persönlichen Schuld verurteilt:“

Urteil des Militärtribunals.[6]

Auswirkungen

Bereits mit der Ankunft der Amerikaner in Japan, war den USA bekannt, dass Japan erste Versuche im Bereich der biologischen Kriegsführung, sowohl gegen seine asiatischen Nachbarn als auch gegen die USA unternommen hatte. Als Sonderermittler wurde Murray Sanders bestimmt. Bereits nach seiner Ankunft bot sich ihm einer der Köpfe von Einheit 731, der Arzt Ryoichi Naito, als Übersetzer an. Als Mitschuldiger konnte er nun unmittelbar Einfluss auf die Verhöre nehmen. Mit den Ergebnissen erreichte Sanders, dass sich Douglas MacArthur, der damalige Oberkommandierender der Alliierten Mächte in Japan, für Naito und die anderen Kriegsverbrecher der Einheit 731 einsetzen würde.[7]

Der Chef des Bereichs für biologische Kriegsführung innerhalb der Kwantung-Armee Shiro Ishii, welcher sich auf das japanische Festland flüchten konnte, erhielt nach Verhandlungen mit Douglas MacArthur, Immunität. Als Gegenleistung gab er den Amerikanern alles, was er wusste und an Material retten konnte. Neben Ishii erhielten auch alle anderen Ärzte der Einheit 731 Immunität. Ishii wurde für das Verhör mit den sowjetischen Ermittlern von den USA vorbereitet, auch seine Tochter wurde präpariert, so dass sie keine Informationen über das freundschaftliche Verhältnis der Amerikaner mit den gesuchten Kriegsverbrechern ausplauderte.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Sowjetunion (Hrsg.): Prozessmaterialien in der Strafsache gegen ehemalige Angehörige der japanischen Armee wegen Vorbereitung und Anwendung der Bakterienwaffe. Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1950
  • Sheldon H. Harris: Factories of Death. Japanese Biological Warfare, 1932–1945, and the American Cover-up. Routledge, 2002 (überarbeitet Ausgabe)
  • Daniel Barenblatt: A Plague upon Humanity. The Secret Genocide of Axis. Japan’s Germ Warfare Operation. Harper Collins, 2004

Einzelnachweise

  1. a b Sören Urbansky: „Verbrecherische Versuche am Menschen Das chinesische Pingfang - Mahnmal und Ikone japanischen Terrors“, Neue Zürcher Zeitung vom 14. Januar 2006.
  2. a b c „Bakterien: Atombombe veraltet“, Spiegel 2/1950 vom 12. Januar 1950, S. 15ff.
  3. a b Takashi Tsuchiya: „The Imperial Japanese Medical Atrocities and Its Enduring Legacy in Japanese Research Ethichs“, Beitrag zu 8. World Congress of Bioethics, Peking, 8. August 2006 ([1], pdf).
  4. Jing-Bao Nie: “The Western Dismissal of the Khabravsk Trail as 'Communist Propaganda': Ideology, Evidence an International Bioethics”, Journal of Bioethical Inquiry, Springer Netherlands, Vol. 1, No. 1 (April 2004), S. 32ff., S. 34.
  5. Alle Rangangaben nach: Sowjetunion (Hrsg.), S. 4; Alle Angaben zu den Urteilen nach: Ebd., S 610f; Romanisierung geändert nach Hepburn-System
  6. Sowjetunion (Hrsg.), Prozessmaterialien in der Strafsache gegen ehemalige Angehörige der japanischen Armee wegen Vorbereitung und Anwendung der Bakterienwaffe, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1950, S. 606 – 610
  7. Alle Angaben nach Weltwoche Nr. 31/06 – „Der Teufel trug Kittel“
  8. Alle Angaben nach Weltwoche Nr. 31/06 – „Der Teufel trug Kittel“

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