Kritische Studienausgabe

Kritische Studienausgabe

Als historisch-kritische Ausgabe bezeichnet man in der Editionswissenschaft eine Ausgabe eines Textes, die auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden Textträger die Entstehungsgeschichte des Textes nachzeichnet und einen möglichst authentischen, von Fehlern bereinigten Text präsentiert. Neben der Texterschließung bietet eine solche Ausgabe einen textkritischen Apparat sowie Dokumente zur Entstehungsgeschichte, Erläuterungen und weitere Hilfsmittel. Durch die Akribie und Ausführlichkeit der Texterschließung bietet sie – im Gegensatz zu einfachen Leseausgaben – eine verlässliche Grundlage für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Text.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Historisch-kritische Ausgaben, besonders Gesamtausgaben, sind wissenschaftliche Großprojekte, die sehr personal- und kostenaufwändig sind und sich zum Teil über Jahre oder Jahrzehnte hinziehen. Ihre Erarbeitung findet meist in Universitäten, Akademien oder Archiven statt und wird öffentlich gefördert. Ihr Hauptanliegen ist, das Werk eines bedeutenden Denkers oder Literaten für die Forschung zu erschließen und der Nachwelt zu erhalten. Die ersten historisch-kritischen Werkausgaben gab es im 19. Jahrhundert; als besonders prägend ist die Weimarer Goethe-Ausgabe, auch als Sophien-Ausgabe bekannt, zu nennen.

Warum „historisch“?

Das Attribut historisch bedeutet hier, dass alle überlieferten Textträger (Manuskripte, Typoskripte, Drucke) gesichtet und bezüglich ihrer Rolle für die Textgenese bewertet werden. Daraus lassen sich in der Regel verschiedene Bearbeitungsstufen rekonstruieren, die in die Biographie des Autors eingeordnet werden können. Es müssen allerdings nicht alle Textstufen komplett abgedruckt werden. Es ist ausreichend, eine Version (üblicherweise entweder die Editio princeps oder die Ausgabe letzter Hand) als Vergleichsbasis auszuwählen und als Lesetext zu edieren. In einem textkritischen Apparat werden dann die Abweichungen der anderen Textstufen dokumentiert. Ergänzend dazu werden oft Manuskripte (zumindest in Auszügen) als Faksimile abgedruckt und/oder transkribiert. Auf der Basis der Transkription können dann aus Streichungen, Überschreibungen, Einfügungen, der Verwendung verschiedener Schreibgeräte etcetera verschiedene Bearbeitungsstufen innerhalb eines Textträgers rekonstruiert und beschrieben werden. Somit wird das gesamte zur Edition verwendete Material aufbereitet und dem Leser zugänglich gemacht.

Warum „kritisch“?

Das Attribut kritisch bezieht sich darauf, dass die Textträger nicht nur abgedruckt, sondern auch kritisch untersucht und bewertet werden. Bei Textvarianten muss zum Beispiel unterschieden werden, ob sie auf Schreibfehler im Manuskript, Druckfehler, Überarbeitungen des Autors oder Eingriffe des Herausgebers zurückzuführen sind. Gerade bei älteren Texten ist die Frage der Autorisation oft nicht leicht zu beantworten. Erkannte Fehler werden vom Editor korrigiert; diese Korrekturen werden aber in der Regel nicht stillschweigend durchgeführt, sondern im Apparat dokumentiert. Manchmal werden Fehler über Jahrhunderte von Ausgabe zu Ausgabe übernommen und erst durch eine historisch-kritische Ausgabe korrigiert.

Bei Varianten zwischen Textträgern sind vom Autor veröffentlichte Versionen grundsätzlich von unveröffentlichten Handschriften oder Typoskripten zu unterscheiden: Verschiedene veröffentlichte Fassungen sind als gleichberechtigt anzusehen, auch wenn meist nur eine als Basis des edierten Textes ausgewählt wird. Handschriften und Typoskripte sind zwar oft authentischer, weil frei von fremden Eingriffen, jedoch nicht vom Autor für die Veröffentlichung vorgesehen und müssen daher anders bewertet werden.

Bestandteile

Neben Textteil, Apparat und den oben genannten Angaben zu Textvarianten und Fehlerkorrekturen enthält eine historisch-kritische Ausgabe üblicherweise folgende Bestandteile:

  • Sämtliche erhaltenen Vorarbeiten zu einem Werk, zum Beispiel Notizen, Exzerpte, Schemata etc. (Paralipomena)
  • Nennung der Quellen, die der Autor zum Verfassen des Werkes herangezogen hat (evtl. auszugsweiser Abdruck der Quellen)
  • Dokumente zur Entstehungsgeschichte des Werkes (z. B. Briefe oder Tagebucheinträge des Autors, in denen das Werk genannt ist)
  • Erläuterung der Wirkungsgeschichte eines Werkes zu Lebzeiten des Autors (z. B. anhand von Rezensionen, Verkaufszahlen, Äußerungen von Zeitgenossen etc.)
  • Anmerkungen zu Sachbezügen, veralteten Wendungen etc., die aus heutiger Sicht kommentierungsbedürftig sind

Siehe auch

Literatur

Bodo Plachta: Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte. Reclam, Stuttgart 1997, ISBN 3-15-017603-4 (UB 17603: Literaturstudium)


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