Kurzzeit-Kreationismus

Kurzzeit-Kreationismus
Albrecht Dürer: Adam und Eva, 1507

Der Junge-Erde-Kreationismus (engl: Young Earth creationism) ist eine Richtung des Kreationismus, die davon ausgeht, dass die Erde und das Leben auf ihr vor höchstens 10.000 Jahren durch das direkte Handeln Gottes geschaffen wurden. Er wird von Gläubigen vertreten, die annehmen, dass die im 1. Buch Mose genannten sieben Schöpfungstage jeweils 24 Stunden entsprechen und lückenlos die erste Woche nach einem absoluten Beginn der Zeit beschreiben. Das buchstäbliche Verständnis der gesamten Bibel ist in ihren Augen ein wahrheitsgetreuer historischer Bericht, aus dem sich die Größenordnung der seitdem vergangenen Zeit berechnen lässt. Die Anhänger sind außerdem der Ansicht, dass ihren Thesen im Rahmen einer Schöpfungswissenschaft Vorrang vor der Naturwissenschaft oder zumindest eine Gleichstellung zusteht.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte des Junge-Erde-Kreationismus

Ursprung

Der Junge-Erde-Kreationismus hat seine frühesten Wurzeln im Judentum. So wurde die Ansicht, dass die Erde jung sei und in 6 Tagen erschaffen wurde, z. B. von Flavius Josephus (jüdischer Historiker aus dem 1. Jahrhundert) geteilt.

Über weite Strecken der Geschichte der Christenheit war der Junge-Erde-Kreationismus die Mehrheitsmeinung. Es gab zum damaligen Zeitpunkt auch noch keine wissenschaftlichen Hinweise, die dem widersprochen hätten. Es wurde allgemein geglaubt, dass das Universum buchstäblich so wie in der Genesis geschildert, von einem Schöpfer erschaffen wurde. Diese Ansicht wurde auch von vielen Gründern der modernen Wissenschaft geteilt, z. B. Kopernikus, Kepler, Faraday, Galileo, Maxwell, Newton, Pascal und Steno. Erst mit der Weiterentwicklung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden ergaben sich viele Hinweise, die den Glauben an eine junge Erde erschütterten.

Niedergang als wissenschaftliche Hypothese

Die Unterstützung für den Junge-Erde-Kreationismus nahm vom 18. Jahrhundert an mit der Entwicklung der neuen Wissenschaft der Geologie ab. Die frühen Geologen kamen zu der Ansicht, dass die Erde alt sein müsse, um die große Menge geologischer Phänomene, die sich beobachten ließen, erklären zu können. James Hutton, der heute als der Vater der modernen Geologie gilt, vertrat die Meinung, die Erde müsse viel älter sein. Er meinte sogar, sie sei unendlich alt.

Huttons Hauptargument war, dass die Phänomene der Erdoberfläche, die er sah, nicht in einer kurzen Zeitspanne durch eine Katastrophe entstanden sein konnten, sondern dass dieselben Prozesse, die sich heute auf der Erde beobachten lassen, diese hervorgebracht hatten (Uniformitätsprinzip). Da alle diese Prozesse langsam abliefen, müsse die Erde alt sein, um diese Veränderungen hervorzubringen. Schon nach kurzer Zeit kam die Wissenschaft auf ein Erdalter von einigen Millionen Jahren – immer noch kurz im Vergleich zu den heute gängigen Zahlen, aber weit mehr als die wenigen Tausend Jahre einer wörtlichen Auslegung der Bibel.

Huttons Gedanken wurden durch Sir Charles Lyell im frühen 19. Jahrhundert populär. Durch den tatkräftigen Einsatz von Lyell kamen die Öffentlichkeit und die Gemeinschaft der Wissenschaftler dazu, die Vorstellung von einer alten Erde anzunehmen. Mitte des Jahrhunderts hatte die etablierte Wissenschaft den Junge-Erde-Kreationismus als eine ernstzunehmende Hypothese verworfen. Viele der führenden Geologen der damaligen Zeit waren selbst Geistliche, wie z. B. Reverend William Buckland, der erste Professor für Geologie an der Universität Oxford. Auch viele religiöse Gruppen gaben den Junge-Erde-Kreationismus als eine buchstäbliche Beschreibung der Erdgeschichte auf und kamen zu der Ansicht, der biblische Schöpfungsbericht sei bildlich zu verstehen.

Insbesondere auch wegen der Entwicklung einer Vielzahl von zuverlässigen Datierungsmethoden seit Beginn des 20. Jahrhundert wird der Junge-Erde-Kreationismus heute im wissenschaftlichen Bereich als wissenschaftliche ernstzunehmende Hypothese vollständig abgelehnt. Dazu zählen zum Beispiel verschiedene unabhängige radiometrische Datierungsmethoden, welche ein weitaus höheres Erdalter ergeben, oder auch die Dendrochronologie. So ist etwa die sogenannte Hohenheimer Kurve der Dendrochronologie, die mittlerweile ununterbrochen bis 10.480 v. Chr. zurückreicht (Stand 2006), weder mit dem Junge-Erde-Kreationismus noch mit der als Lücken-Kreationismus (gap creationism) bezeichneten Mischung aus Junge- und Alte-Erde-Kreationismus zu vereinbaren.

Renaissance im religiösen Umfeld

Mit der Zunahme des christlichen Fundamentalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand ein neues Interesse am Junge-Erde-Kreationismus. Im Jahre 1923 schrieb der Siebenten-Tags-Adventist George McCready Price das Buch The New Geology (die neue Geologie), um eine fundamentalistische Antwort auf die Geologie zu geben. Die Inspiration für dieses Buch erhielt er zum Teil aus Patriarchen und Propheten, einem Buch von Ellen G. White, einer Mitbegründerin der Siebenten-Tags-Adventisten, in dem sie die katastrophalen Auswirkungen der Sintflut auf die Gestalt der Erdoberfläche beschreibt.

Price' Werk wurde von Henry M. Morris and John C. Whitcomb aufgegriffen und erweitert. Im Jahre 1961 veröffentlichten sie das Buch The Genesis Flood (die Sintflut). Morris und Whitcomb argumentierten, dass die Erde geologisch jung sei, und dass die meisten der geologischen Schichten im Laufe eines Jahres abgelagert wurden. (Dies ist genau die Ansicht, die Buckland 130 Jahre zuvor verworfen hatte.) Darauf aufbauend meinten sie „der letzte Zufluchtsort der Evolution verschwindet und die Aufzeichnung der Steine wird zu einem gewaltigen Zeugnis … für die Heiligkeit und Gerechtigkeit und Macht des lebendigen Gottes der Schöpfung“.

Dies wurde die Grundlage einer neuen Generation von Kreationisten, die sich um das von Morris gegründete Institute for Creation Research organisierten. Schwesterorganisation wie z. B. die als Missionsorganisation operierende Creation Research Society versuchen, die geologischen Formationen vom Standpunkt des Junge-Erde-Kreationismus neu zu interpretieren.

Die Gedanken von Morris hatten großen Einfluss auf den Kreationismus und auf die fundamentalistische Christenheit. Mit finanzieller Unterstützung durch reiche konservative Organisationen und Privatleute wurde seine sich als „kreationistische Wissenschaft“ bezeichnende Lehre innerhalb wie auch außerhalb der USA weit verbreitet. Seine Bücher wurden in mindestens 10 Sprachen übersetzt.

Die Renaissance des Junge-Erde-Kreationismus hatte aber keinen signifikanten Einfluss auf die moderne Wissenschaft. Der Kreationismus wird von der großen Mehrheit der Wissenschaftler abgelehnt und, soweit er sich wissenschaftlich gibt, als nicht seriös eingestuft. Er hatte aber einen signifikanten Einfluss auf das Bildungswesen, insbesondere in den USA, wo es immer wieder große Auseinandersetzungen darüber gibt, ob die Ansichten der Junge-Erde-Kreationisten an öffentlichen Schulen gelehrt werden dürfen [1].

Der Einfluss des Junge-Erde-Kreationismus beschränkt sich auf das orthodoxe Judentum und fundamentalistische protestantische Kirchen. Fast alle anderen christlichen Konfessionen lehnen die Konzepte des Junge-Erde-Kreationismus ab. Viele Theologen meinen, der Schöpfungsbericht aus dem 1. Buch Mose dürfe nicht wörtlich verstanden werden.

Charakteristik des Junge-Erde-Kreationismus

Junge-Erde-Kreationisten sind oft orthodoxe Juden oder evangelikale Christen, die den Schöpfungsbericht aus dem 1. Buch Mose als historisch genauen und zumeist auch als unfehlbaren Tatsachenbericht ansehen.

Die definierende Eigenschaft dieser Variante des Kreationismus ist die Auffassung, die Erde sei „jung“, und zwar in der Größenordnung von 6000-10000 Jahren. (Zum Vergleich: die gängige Altersbestimmung der Erde liegt bei 4,5 Milliarden Jahren.) Dieses Alter wird aus den genealogischen Angaben des 1. Buchs Mose und anderen Daten der Bibel abgeleitet. Die Berechnung ähnelt dem System, das von dem irischen Erzbischof James Ussher (1581–1656) aufgestellt wurde, der die Schöpfung auf das Jahr 4004 v. Chr. datierte.

Junge-Erde-Kreationisten glauben, dass das Leben auf der Erde von Gott im Verlauf von 6 Schöpfungstagen zu je 24 Stunden in Form von Grundtypen bzw. definierten Arten („nach ihrer Art“) geschaffen wurde. Sie glauben auch, dass der biblische Bericht der Sintflut historisch wahr ist, und dass eine weltweite Flut vor ca. 4500 Jahren alles Leben auf der Erde vernichtet hat, abgesehen von den Lebewesen, die in der Arche Noah gerettet wurden.

Junge-Erde-Kreationisten widersprechen der Evolutionstheorie sowie vielen Theorien anderer wissenschaftlicher Gebiete wie der Physik, Chemie, Astronomie und Geologie: Sie lehnen die Werte absoluter physikalischer und chemischer Datierungsmethoden als unzuverlässig ab. Sie sehen die geologisch wesentliche Gestaltung der heutigen Erdoberfläche durch die Folgen von Katastrophen, wie zum Beispiel der Sintflut. Auch lehnen sie zufällige Entwicklung von Planeten, dem Sonnensystem oder dem Universum ab. Für die Linguistik postulierten sie die Schaffung aller Sprachen durch die Sprachverwirrung von Babel (Babelismus). Neanderthaler sehen sie als Exemplare des Jetztzeitmenschen in besonders hohem Alter und vermuten Irrungen von Datierungsmethoden bei fossilen Funden älter als 5000 bis 6000 Jahre. Insbesondere erachten sie keine Erklärung des Ursprungs der Welt, die Gott als den in der Bibel beschriebenen Schöpfer des Universums, des Lebens und der Arten durch rein naturwissenschaftlich fassbare Prozesse ersetzt, als erwiesen.

Sie sind der Auffassung, dass der Naturalismus sowie der Aktualismus (Uniformitarismus) als wissenschaftliches Grundprinzip ungeeignet sind, die Welt (vollständig) zu beschreiben, und meinen, dass sich die wissenschaftlichen (insbesondere die geologischen) Daten besser mit der Annahme einer jungen Erde und dem Katastrophismus (Sintflut) erklären lassen.

Theologische Aspekte

Die meisten protestantischen Kirchen und seit einigen Jahrzehnten auch die römisch-katholische Kirche vertreten die Auffassung, dass die Evolutionstheorie und das Christentum miteinander vereinbar sind.[2] Der Schöpfungsbericht der Bibel wird nicht wörtlich verstanden, sondern als Mythos, der Grundstrukturen des Menschseins und das Verhältnis des Menschen zu Gott (Gen 1, 26: "Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich") zum Ausdruck bringt.

Diese Auffassung wird von den meist evangelikalen Junge-Erde-Kreationisten nicht geteilt. Nach ihrem Bibelverständnis versteht sich 1. Mose 1-10 nicht als Mythos, sondern als Tatsachenbericht. Sie machen dies u. a. an den folgenden Punkten fest:

  • Die Form dieses Bibelabschnitts entspreche einem Berichtsstil, in dem auch an anderen Stellen der Bibel historische Fakten beschrieben seien.
  • Der Schöpfungsbericht werde im weiteren Verlauf der Bibel als Tatsache angesehen. Insbesondere habe Jesus selbst Bezug auf die Schöpfung (Markus 10,6) und die Sintflut (Matthäus 24,37 ff) genommen und sie damit als Wahrheit bestätigt.
  • Sie sehen in 2. Petrus 3,1-7 (besonders Vers 5) eine erfüllte Prophezeiung, dass die Menschen in späteren Zeiten nicht mehr an die Sintflut glauben würden.

Sie sehen darüber hinaus in anderen Varianten des Kreationismus Kompromisse der heiligen Schrift, die schwerwiegende theologische Probleme aufwerfen. Diese berühren ihrer Meinung nach grundlegende Lehren bis hin zur Frage nach der Erlösung. Sie verweisen hierbei insbesondere darauf, dass laut Bibel der Tod erst als Folge der Sünde der ersten Menschen in die Welt kam (z. B. Römer 5,12 und 1. Korinther 15,21), wohingegen in allen evolutionistischen Spielarten des Kreationismus schon die Vorfahren der Menschen bis zurück zu den ersten Einzellern der Sterblichkeit unterworfen waren (erst Tod, dann Mensch). Nach dem Junge-Erde-Kreationismus gilt die Reihenfolge Mensch - Tod.

Einzelnachweise

  1. Kitzmiller v. Dover Area School District (eng.)
  2. Christliches Menschenbild und moderne Evolutionstheorien Botschaft von Papst Johannes Paul II. an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften anlässlich ihrer Vollversammlung am 22. Oktober 1996

Siehe auch

Weblinks

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auf Englisch


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