- La peste
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Die Pest (französischer Originaltitel: «La Peste») ist ein Roman von Albert Camus aus dem Jahr 1947.
Nach fünf Jahren langer Arbeit stellte Albert Camus am Ende des ersten Nachkriegsjahres 1946 seinen Roman «Die Pest» fertig. Bereits kurz nach der Veröffentlichung im Juni 1947 wurde das Werk ein Riesenerfolg. Als eines der bedeutendsten Romane der Résistance und der französischen Nachkriegsliteratur ist die Chronik zum Allgemeingut der europäischen Kultur und damit weltberühmt geworden. Es gehört insbesondere in Frankreich zur Pflichtlektüre an den Schulen.
Werkhintergrund sind Albert Camus persönliche Erfahrungen – insbesondere die des Zweiten Weltkriegs. Somit ist «Die Pest» eine Reflexion aus distanziertem Blickwinkel über den Widerstand der Menschen gegen physische und moralische Zerstörung, bildet jedoch gleichzeitig einen wichtigen Bestandteil in Camus Philosophie, der Auseinandersetzung mit der Absurdität. Da die Handlungsgeschichte die Struktur eines Dramas mit fünf Akten aufweist, wurde das Werk in vielen Ländern auch als Theaterstück aufgeführt.
Inhaltsverzeichnis
Zur Entstehung des Romans
Die biographischen Besonderheiten Albert Camus spiegeln sich wie in vielen seiner Werken auch im Roman «Die Pest» wider. Der relativ lange Entstehungszeitraum von fünf Jahren, in Biographien häufig als «Pestjahre» oder «Exil» bezeichnet, bietet inhaltlich viel Material:
Im September 1939 nach Ausbruch des Krieges meldet sich Albert Camus freiwillig zum Militärdienst. Aufgrund seiner Tuberkuloseerkrankung wird er jedoch abgewiesen. Nachdem er seine Redaktionsstelle verloren hatte, reist der Autor nach Oran, die Heimat seiner zweiten Frau (Francine Faure). Im März 1940 erhält er eine Stelle als Redaktionssekretär bei dem erfolgreichen Abendblatt «Paris-Soir», welche den Umzug in die Hauptstadt fordert. Zunächst fällt ihm die Trennung von seiner Heimat Algier recht schwer, da er in Paris noch ein Unbekannter ist. Dennoch beendet er innerhalb kürzester Zeit seine erste Werkgruppe, welche aus dem Roman «Der Fremde», dem Essay «Der Mythos von Sisyphos» und dem krönenden Drama «Caligula» besteht. Diese Trilogie verschafft ihm den ersten Durchbruch. Im gleichen Jahr beginnt er die Arbeit an seinem Roman «Die Pest».
Sein rastloses Leben während des Weltkrieges spielt sich zwischen Frankreich und Algerien ab. Nach der großen Anstrengung für die Fertigstellung seiner Trilogie bricht 1942 seine Lungenerkrankung erneut aus; es folgt eine Kur nach Südfrankreich, woraufhin er nach Paris zurückkehrt und wenig später die Arbeit bei der Widerstandszeitung «Le Combat» in Paris aufnimmt. Im letzten Kriegsjahr wird er Vater von Zwillingen – Catherine und Jean.
Die von Albert Camus erlebte Geschichte des Zweiten Weltkriegs, der nationalsozialistischen Konzentrationslager und der Judenvernichtung, der Stalinschen Schauprozesse sowie des ersten Atombombenabwurfs forderte für ihn eine Reflexion. «Die Pest» bietet ihm entsprechende Möglichkeiten, die persönlichen Elemente seines Belagerungszustandes in Oran, die lange Trennung von seiner Frau und auch seine Erfahrungen der monatelangen Krankenhausaufenthalte wegen seiner Tuberkulose zu verarbeiten. Zitat Camus: „Il n’y a rien de plus ignoble que la maladie.“ (dt.: Es gibt nichts Schändlicheres als die Krankheit; Todd, Oliver: Albert Camus. Une vie. (Kap.21 «Halte à Oran») S.269.). Durch die Hauptfigur Rieux entdeckt er während seines Schreibens an dem Roman eine neue Art des Humanismus, welche mit Solidarität gleichgesetzt werden kann. Dadurch spannt Camus den Bogen vom Absurden über die Revolte bis hin zum Humanismus.
Bedeutung innerhalb der Philosophie Camus
Auch innerhalb seiner Philosophie stellt der Roman eine Weiterentwicklung Camus' dar. In seinem Essay „Der Mythos von Sisyphos“ (1942, franz.: „Le mythe de Sisyphe“), dem Bühnenstück „Caligula“ (Uraufführung 1945) und in „Der Fremde“ entwickelt Camus seine Philosophie des Absurden, die einige Anklänge zum Existenzialismus besitzt. Camus wehrte sich jedoch sein ganzes Leben lang gegen diese Zuschreibung.
Auch „Die Pest“ hat diese Philosophie als Basis, geht jedoch über sie hinaus. Camus führt hier das Element der ständigen Revolte gegen die Sinnlosigkeit der Welt ein, wie sie in seinem Essay „Der Mensch in der Revolte“ („l’homme révolté“, 1958) später voll entwickelt wird. Insbesondere kommen aber die Werte Solidarität, Freundschaft und Liebe als möglicher Ausweg hinzu, wenn auch die Absurdität nie ganz aufgehoben werden kann.
An diesem Punkt ist festzuhalten, dass der Begriff «révolte», welcher im Zusammenhang mit dem Absurden häufig als Lösungsansatz Camus genannt wird, nicht unbedingt mit den deutschen Übersetzungen „Revolte, Rebellion oder Revolution“ gleichzusetzen ist, unter anderem da sich deren Inhalte (Umwälzung, Aufstand oder „Umkehrung“) außerhalb des Humanismus bewegen. Vielmehr bedeutete seine révolte, „zum Unabwendbaren ja zu sagen“ und „den uneingeschränkten Respekt vor dem anderen,“ vorauszusetzen, „mag er auch geächtet oder wegen einer verachtungswürdigen Tat verurteilt worden sein wie der Gefangene in seiner Erzählung «Der Gast»“. Aus diesem Grund ist die révolte für Camus nicht von der Solidarität zu trennen.
Inhalt und Aufbau
Camus schildert den Verlauf der Pestseuche in der gewöhnlichen Stadt Oran an der algerischen Küste aus Sicht der Hauptfigur Dr. Bernard Rieux, der sich jedoch erst am Ende des Romans als „Verfasser der Chronik“ zu erkennen gibt. Die Geschichte beginnt im Jahre „194…“. Einige tote Ratten und ein paar harmlose Fälle einer unbekannten Krankheit sind die Anfänge einer schrecklichen Pestepidemie, welche die ganze Stadt in den Ausnahmezustand bringt, sie von der Außenwelt abschottet und mehrere tausend Todesopfer fordert. Die Pest bedroht das menschliche Dasein der Bevölkerung und wird somit zu ihrem gemeinsamen Gegner. Jeder nimmt diesen schier ausweglosen Kampf gegen den schwarzen Tod auf seine Weise auf. Rieux kämpft als Arzt gleich dem Sisyphos gegen die Krankheit an und gerät unter anderem mit dem Pater Paneloux, welcher die Pest als Strafe Gottes zur Züchtigung des Menschen deutet, in einen Disput.
Das Absurde bleibt jedoch stetiger Begleiter. Unschuldige Kinder sterben genauso wie Menschen, die es verdient hätten, obwohl sich insgesamt das Prinzip erkennen lässt, dass die Pest nur Menschen ohne Solidarität tötet.
Im Aufbau seines Romans hat sich Albert Camus stark am Schema des klassischen Dramas orientiert. Die Entwicklung der Seuche geht gleichzeitig mit der Temperatur der Jahreszeiten (Hitze) einher. Vergleiche dazu die Tabelle:
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1. Frühling I. Akt: Exposition → Rieux findet Ratte, Pest beginnt 2. Sommer II. Akt: Anstieg → Pest wird stärker 3. Spätsommer III. Akt: Höhepunkt → Pest erreicht ihren Höhepunkt 4. Herbst IV Akt: Retardierendes Moment → Personen sterben bzw. Abfallende Handlung → Pest „fällt ab“ 5. Winter V. Akt: Auflösung/Katastrophe → zurück zur Normalität
Personenkonstellationen: PEST → Absurdität
Bereits im ersten Kapitel stellt Camus die wichtigsten Romanfiguren vor: Grand, ein Angestellter, der einen Roman schreiben will, jedoch nie über den ersten Satz hinauskommt, Paneloux, der Jesuitenpater, der die Pest als Strafe Gottes ansieht und dessen Predigten eine bedeutende Rolle spielen, Tarrou, ein politisch Engagierter, von dem niemand weiß, wo er herkommt, Rambert, ein Journalist, der nach Algerien kam, um einen Artikel über die „arabische Frage“ zu schreiben, es aber nie tut, Cottard, der einen Selbstmordversuch begeht sowie den Asthmatiker, einen Patienten von Rieux, der aufgehört hat, am Leben teilzunehmen und stattdessen Erbsen zählt.
In vielen Charakteren finden sich Verbindungen zu Camus' eigener Biographie, angefangen bei Grands Schreibblockaden für seinen Roman, über das politische Engagement Tarrous, bis hin zu Rieuxs Trennung von seiner Frau (wie Camus von Francine getrennt war) und den alle betreffenden Belagerungszustand durch die Pest, in Camus Leben durch den Krieg, sowie natürlich seine ihn lebenslänglich beeinträchtigende Krankheit, die Tuberkulose.
Charakter: Gestorben/überlebt: An der Pest erkrankt: → Verbindung zu Camus Biographie Rieux überlebt nein Enges Verhältnis zur Mutter, politisches Engagement; Kabylei, lange zeitliche Trennung von seiner Frau Tarrou gestorben ja Vater, politisches Engagement; Kabylei Rambert überlebt nein Journalistenberuf; Exilzeit Grand überlebt ja Schreibblockade Cottard verrückt geworden nein Verbindung zu «Sisyphos» (Selbstmordversuch als Absurdität) Paneloux gestorben ja Der Atheist Camus bringt anhand der Figur des Jesuitenpaters seine ablehnende Haltung gegenüber der Religion zum Ausdruck. Gruppierung in vier Phasen
Camus teilt in «Die Pest» die Menschen in vier Gruppen ein. Zunächst verfolgt er ähnlich, wie in seiner ersten Werkstufe erstellten Gruppierung drei Hauptgruppen: die der unwissenden Personen, jene, welche um von Absurdität und Revolte wissen und diejenigen, welche die Phase der Revolte überwunden haben und solidarisch handeln. Schließlich krönt er die drei ersten Phasen durch die vierte der universalen Liebe.
Phase 4 - Universale Liebe : Rieux Phase 3 - Haben Phase der Revolte überwunden u. sind solidarisch: Grand, Rambert, Castel
Phase 2 Tod Wissen um Absurdität und Revolte: Tarrou, Cottard Phase 1 Tod Unwissende Personen Wenn man das oben aufgeführte Schaubild betrachtet, ist auffällig, dass nur Personen, welche die Phase 3 erreicht haben, also solidarisch handeln, überleben.
Das Prinzip der Pesterkrankung, lässt sich am Unterschied zwischen Rambert und Grand beim Betrachten von Schaubild 2 verdeutlichen. Beide überleben, da sie früh Solidarität gezeigt haben (- dritte Phase). Grand erkrankt jedoch an der Pest, wohingegen Rambert verschont bleibt. Der Journalist besitzt die Liebe zur seiner Frau und nimmt gleichzeitig den Kampf gegen die Pest auf, um eben diese Liebe zu erhalten. Zunächst sagt er: «Ich habe genug von den Leuten, die für eine Idee sterben, mich interessiert nur noch, von dem zu leben und an dem zu sterben, was ich liebe», und schließlich wird er vom Egoisten zum Altruisten bekehrt und tritt dem Hilfstrupp bei. Darum bleibt er gesund.
Das Erreichen von Phase 4
Es gibt unterschiedliche Arten gegen die Pest zu kämpfen: Mit physikalischen Mitteln eines Mediziners oder mit metaphysischen Mitteln, wie im Roman der Jesuitenpater Paneloux. Doch nur Rieux erreicht die vierte Phase.
Gegen Ende der Pestepidemie herrscht für Rieux eine «endgültige Niederlage, die die Kriege beendet und noch aus dem Frieden ein unheilbares Leiden macht. … er glaubte zu wissen,…daß für ihn selbst ein Friede niemals mehr möglich sein werde, so wie es für die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, oder für den Mann, der seinen Freund begräbt, keinen Waffenstillstand gibt.» (S. 343.) Man möchte meinen, diese Einstellung sei mit einer Resignation (Phase 2) gleichzusetzen. Doch Dr. Bernard Rieux bediente sich nicht nur in seinem Kampf als Arzt der Revolte (nicht dt. Revolution), sondern indem sich die Figur am Ende als «Verfasser [dieser Chronik]… in der Rolle des sachlichen Zeugen bekennt», erreicht er die höchste Phase – die universale Liebe. Um spätere Generationen vor dem Schlaf des Vergessens zu bewahren, hat Rieux die Aufzeichnungen gemacht. Er weiß, «daß der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet. . . und daß vielleicht der Tag kommen wird, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und erneut aussenden wird, damit sie in einer glücklichen Stadt sterben» (S.366) und steht damit auf höchster Stufe.
Historischer Kontext
«Résistance-Interpretation»
Obwohl die «Die Pest» ein metaphysischer Roman ist, in dem die Seuche das Böse symbolisiert, das jeder Mensch in sich trägt, ist eine Anspielung auf den Zweiten Weltkrieg und das besetzte Frankreich unverkennbar. Da die zeitgenössischen Leser genau das durchlebt hatten, was Albert Camus in seinem Roman am Bild von Oran beschreibt, war für sie dieser Aspekt sofort einleuchtend.
Bereits das im Roman vorangestellte Zitat von Daniel Defoe: „Es ist ebenso vernünftig, eine Art Gefangenschaft durch eine andere darzustellen, wie irgend etwas wirklich Vorhandenes durch etwas, das es nicht gibt.“ weist auf den allegorischen Charakter des Werkes hin.
Im ersten Satz: „Die seltsamen Ereignisse, denen diese Chronik gewidmet ist, haben sich 194… in Oran abgespielt.“ verwendet Camus eine ungenaue Zeitangabe, was einerseits auf die Zeitlosigkeit seiner Thematik hinweist, welche aussagt, dass die Pest/der Krieg zu jedem Zeitpunkt zurückkehren könnten. Andererseits ist „194…“ als eindeutige Anspielung auf die Kriegsjahre und die Okkupation zu verstehen. Sei es 1940, das Jahr, in dem Frankreich von den Deutschen besetzt wird und Albert Camus drei Monate in der Stadt Oran verbringt oder 1943, in dem die „Sperrstundenherrschaft“ sogar Paris ergriffen hat. Diese Daten deuten auf eine «Résistance-Interpretation» beziehungsweise auf eine Betrachtungsweise, welche die Krankheit Pest nicht nur mit Krieg sondern auch mit Totalitarismus viel mehr mit Nazismus, Faschismus teilweise gar Kommunismus gleichsetzt.
Symbole für den Krieg
«Die Pest» enthält eine Reihe von Symbolen für den Krieg, welche sich sowohl auf einzelne Begriffe als auch auf ganze Situationsbeschreibungen beziehen. Die folgenden Textbeispiele sind aus der Karl Rauch Verlag-Ausgabe von 1958 gewählt: Zu Beginn der Pestepidemie, kaum ist die Seuche beim Namen genannt, vergleicht Rieux Pest und Krieg miteinander und setzt die beiden Begriffe sogar gleich: «Es hat auf der Erde ebenso viele Pestseuchen gegeben wie Kriege. Und doch finden Pest und Krieg die Menschen immer gleich wehrlos.» (S.46). Daraufhin verurteilt er den Krieg als unsinnig, was als Anspielung auf den „Komischen Krieg“, den „Drôle de guerre“ (dt. Sitzkrieg), zu verstehen ist. «Wenn ein Krieg ausbricht, sagen die Leute: ‚Es kann nicht lange dauern, es ist zu unsinnig.’ Und ohne Zweifel ist ein Krieg wirklich zu unsinnig, aber das hindert ihn nicht daran, lang zu dauern. Dummheit ist immer beharrlich.» (S.46) Die Absurdität des Krieges wird mit diesem Gegensatz thematisiert. Der nachgestellte Satz könnte sich sowohl auf die Dummheit Nazideutschlands als auch auf die beharrliche Dummheit aller Kriegsführer beziehen. In jedem Fall sind die anfänglichen Zitate im Roman als deutliche Hinweise auf eine kriegsbezogene Interpretation zu begreifen.
Des Weiteren sind zahllose knappe Textbeispiele zu finden, bei deren Wortwahl der Leser unweigerlich an Krieg erinnert wird. Die Stichwörter beschreiben doppeldeutige Situationen, in denen Krieg und Pest beliebig austauschbar sind: Rationierung, Sperrstunde, Ausnahmezustand, Patrouillen… usw. (S.211) oder «Kanonendonner» (S.354) sind nur einige Beispiele.
Vor allem jedoch wird von «Trennung und Verbannung» (S.197), von den langen «… Stunden des Gefangenseins» (S.143) – dem «Belagerungszustand» (S.200) gesprochen, in welchem jeder zeigen kann, was für ein Mensch er in Wirklichkeit ist. Die Situation der hilflosen Bevölkerung in einem von der Welt abgeschnittenen Ort, in der jeder auf seine Art und Weise gegen die Pest ankämpft oder sie einfach nur erträgt wird deutlich: «… nicht die Nacht des Kampfes, sondern des Schweigens…[die Ruhe folgt] der Pest dem Angriff auf die Tore» (S.342).
Symbole für Nazideutschland
Die Zitate am Ende des Buches nennen den Terminus Krieg oft nicht einmal, dafür sind sie jedoch genauer auf Nazismus ausgerichtet. Wie am Beispiel zu sehen:
- «Bald war man auch genötigt, die an der Pest Gestorbenen zur Einäscherung zu führen. Aber dazu brauchte man den alten Verbrennungsofen, der sich außerhalb der Tore im Osten der Stadt befand. … dicker ekelerregender Rauch über den östlichen Vierteln der Stadt.» (S. 211)
Die genaue Ortsangabe „im Osten der Stadt“ stimmt mit den Stadtorten der damaligen Krematorien in Berlin überein, wo Juden und andere Opfer aus den Konzentrationslagern verbrannt wurden. Doch bereits der Abtransport in die KZs lässt sich bei genauem Lesen finden: «…und die Gleise auf der Höhe der Verbrennungsanstalt abbog, die auf diese Weise Endstation wurde.» (S. 211).
Ein anderes Zitat beschreibt die anonyme Beseitigung der NS-Opfer ohne Krematorien: «Hastig wurden die Leichen in die Gruben geworfen… Kalk… ins Gesicht geschaufelt, … namenlos bedeckt…» (S. 210), dieses nennt es sogar beim Namen: «Massengrab» (S.349). Das verwendete Wort «Scheiterhaufen» (S.50) spricht sowohl die Verbrennungsöfen der Holocaust-Opfer als auch indirekt die Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit des Verbrechens an, wenn man die Scheiterhaufen, die der Hexenverbrennung dienten, zum Vergleich heranzieht.
Schlussfolgerung
Letztendlich ist die «Die Pest» ein Roman über den Krieg, nicht etwa über kriegerische Handlungen an der Front, „sondern über das Alltagsleben im Belagerungszustand, über das Leben hinter dem Stacheldraht“. Gabriel García Marquez schreibt , Albert Camus würde sich nicht irren – das Dramatische seien nicht die mit Leichen voll gestopften Straßenbahnen, sondern die sich quälenden Lebenden, welche die Blumen niederlegen müssen; zwar habe Camus „die Pest nicht erlebt, aber er dürfte Blut und Wasser geschwitzt haben in jenen schrecklichen Nächten der Okkupation, in denen er in seinem Versteck in Paris geheime Leitartikel verfasste, während draußen die Schüsse der Nazis auf der Jagd nach Widerstandskämpfern zu hören waren“.
«Die Pest» als Parabel der Résistance ein Plädoyer für die Solidarität der Menschen im Kampf gegen Tod und Tyrannei.
Da die Absurdität niemals aufgehoben werden kann, werden die Pest, das Absurde (und damit der Krieg) im Roman als unabänderliche Schicksalsmächte angesehen. Diesbezüglich wurde oft auf die Gefahr hingewiesen, den Totalitarismus nicht als „biologische Tatsache“ zu verharmlosen. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass Albert Camus, der Zeit seines Lebens besonders auf politischer Ebene gegen alle Formen der Unterdrückung gekämpft hat, nicht zum Wortführer von Fremdenfeindlichkeitproblematiken werden wollte. Die zwei unterschiedlichen Haltungen: „die Verteidigung von Menschen“ und „die Einwilligung in die Vernichtung von Menschen im Namen eines ideologischen Prinzips“ legt er in einem späteren Vorwort zu den Briefen (Lettre á un ami allemand/ Briefe an einen deutschen Freund) nicht nach nationalen Kriterien fest.
„"Ich stelle zwei Haltungen einander gegenüber, nicht zwei Völker […]. Wenn der Verfasser dieser Briefe «ihr» sagt, meint er nicht «ihr Deutschen», sondern «ihr Nazi». Wenn er «wir» sagt, heißt das nicht immer «wir Franzosen», sondern «wir freien Europäer»."“
– Albert Camus: in seinen Briefen zu einem Deutschen Freund
Solidarität, Zusammenarbeit und eigenständiges Handeln (unabhängig von Religion) werden in Camus Philosophie als höchste menschliche Werte gesehen.
Verfilmungen
- «Die Pest» («La peste»). Frankreich/Großbritannien/Argentinien 1991. Regie: Luis Puenzo.
Quellenangaben/Literatur
Primärliteratur:
- Camus, Albert: Die Pest. (französisches Original.: La Peste. Paris: Librairie Gallimard 1947).
Deutsch von Guido G. Meister. Düsseldorf: Karl Rauch Verlag 1959, neu übersetzt von Uli Aumüller 1998, rororo, ISBN 978-3-499-22500-0
Sekundärliteratur:
- Bahners, Klaus: Albert Camus. Die Pest. Darstellung und Interpretationen. Joachim Beyer Verlag. Hollfeld 2000.
- Frausing, Frauke: Albert Camus: Die Pest (La Peste). Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 165). Hollfeld: Bange Verlag 2004. ISBN 978-3-8044-1799-1
- Lutz, Bernd (Hrsg.): Metzler Philosophen Lexikon. Dreihundert biographisch-werkgeschichtliche Porträts von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen. J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1989.
- Neuhaus, Stefan: Grundriss der Literaturwissenschaft. 2., überarbeitete Auflage: A. Franke Verlag, Tübingen 2005.
- Nievers, Knut: „La Peste“ IN: Kindlers Neues Literatur-Lexikon. Hrg. Günter Jens. München: Kindler Verlag GmbH: 1996. (aktualisierte CD-Rom-Auflage, Krieger, Zander & Partner. München 1999).
- Parker, Emmett: Albert Camus. The Artist in the Arena. The University of Wisconsin Press. Madison, Milwaukee; London 1966.
- Sändig, Brigitte: Albert Camus. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg 1995.
- Wieacker-Wolff, Marie-Laure: Albert Camus. Sulzer-Reichel, Martin (Hrsg.), Deutscher Taschenbuchverlag. München 2003.
- Todd, Oliver: Albert Camus. Une vie. NRF Biographies Gallimard, Floch. O.O. 1996.
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