Annalen (Tacitus)

Annalen (Tacitus)

Annales („Annalen“) ist der übliche Titel des zweiten großen Geschichtswerks des römischen Historikers Tacitus. Der handschriftlich überlieferte Titel lautet allerdings Ab excessu divi Augusti („ab dem Tod des vergöttlichten Augustus“).

Inhaltsverzeichnis

Darstellung

Das Werk bestand aus 16 (möglicherweise auch 18) Büchern.[1] Es behandelte die Zeit vom Tod des Augustus und dem Regierungsantritt des Tiberius bis (wahrscheinlich) dem Tod Neros. Vollständig erhalten sind die Bücher 1 bis 4 sowie 11 bis zum Beginn von Buch 16, wobei der Anfang des 11. und der Schluss des 16. Buchs fehlt. Teilweise erhalten sind die Bücher 5 (sehr fragmentarisch) und 6. Die Lücken im Werk umfassen die Jahre 29–31, 37–47 sowie 66–68 n. Chr.

Die Annales wurden zwischen 110 und 120 n. Chr. veröffentlicht und sollte die Zeit vor dem in den Historien behandelten Zeitraum abdecken. Sie sind das letzte und reifste Werk des Tacitus (Manfred Fuhrmann), stilistisch wohl unübertroffen. Das Werk ist der Höhepunkt der römischen Annalistik und der senatorischen Geschichtsschreibung. In späterer Zeit gewann allerdings die biographische Darstellung, die mit Sueton wirkungsmächtig in der römischen Geschichtsschreibung einsetzte, die Oberhand. Erst Ammianus Marcellinus knüpfte wieder an Tacitus an.

Tacitus, Annales 15,44 (Codex Mediceus II)

Auch wenn Tacitus in seinem Werk nach eigenen Worten eine objektive Beschreibung ohne Parteilichkeit anstrebt (sine ira et studio, 1, 1, 3), so ist Tacitus trotzdem teils dennoch sehr parteiisch, besonders was die Regierungszeit des Tiberius betrifft. Die moderne Forschung hat das in den Annales vermittelte Bild eines düsteren Tyrannen in weiten Teilen korrigiert. Tacitus hing offenbar immer noch dem alten Ideal einer res publica libera an und kritisierte das Kaisertum ganz generell.[2] Seine Bewunderung galt dem alten republikanischen Rom, wenngleich er sich nicht der Illusion hingab, dass die Republik wiederherzustellen sei, zumal der Prinzipat auch dem Chaos der Bürgerkriege ein Ende bereitete, was Tacitus sehr wohl anerkannte. Generell ist das Geschichtsbild dennoch von einem recht starken Pessimismus geprägt, wobei er den Sittenverfall seiner Zeit und den Verlust der Freiheit beklagt, die in der Republik freilich nur einer Minderheit vergönnt war.[3]

Die Darstellung in den Annales wechselt immer wieder zwischen der Lage in Rom und am Hof sowie der Darstellung der Außenpolitik, besonders der Feldzüge gegen die Germanen unter Germanicus und die Politik gegenüber den Parthern. Die Quellenlage hierzu ist allerdings äußerst problematisch, da Tacitus nur relativ selten darüber Auskunft gibt. So benutzte er Archivmaterial, die verlorenen Historien des älteren Plinius sowie dessen ebenfalls nicht erhaltenes Werk über die Germanenkriege in 20 Büchern.[4] Daneben unter anderem die Erinnerungen der Agrippina und das Werk des Cluvius Rufus. In Frage kommen auch die Historien des Aufidius Bassus sowie das Werk des Servilius Nonianus.

Wiederentdeckung

Im 9. Jahrhundert wurden die Annales im Kloster Fulda kopiert. Eine Abschrift gelangte ins Kloster Corvey bei Höxter, wo sie 1508 von einem weltlichen Gelehrten wiederentdeckt wurden. Die ersten sechs Bücher wurden etwas später im Auftrag italienischer Humanisten entwendet. Papst Leo X. gelangte in den Besitz der Abschrift und veranlasste die Veröffentlichung. Sie befinden sich heute in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz.

Literatur

Die folgenden Angaben stellen nur eine sehr bescheidene Auswahl dar. Jedes der genannten Werke bietet weitere Literaturhinweise.

Ausgaben und Übersetzungen

  • P. Cornelius Tacitus: Annalen. Lateinisch-Deutsch. Hg. von Erich Heller. Mit einer Einführung von Manfred Fuhrmann (Sammlung Tusculum). 3. Aufl. Düsseldorf und Zürich 1997 (nur mit deutscher Übersetzung in der Bibliothek der Alten Welt).
  • Tacitus: Annalen. Deutsch von August Horneffer. Mit einer Einleitung von Joseph Vogt und Anmerkungen von Werner Schur. Stuttgart 1957.
  • Tacitus: The Annals. With an English Translation by John Jackson. 3 Bde. Cambridge/Mass. und London 1937 (und Nachdrucke).
  • Tacitus. The Annals: The Reigns of Tiberius, Claudius, and Nero. Oxford World's Classics. Translated by John C. Yardley, with introduction and notes by Anthony A. Barrett. Oxford/New York 2008.

Sekundärliteratur

  • Michael von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur. Bd. 2, 3. Aufl. (als TB), München 2003, S. 869ff.
  • Olivier Devillers: Tacite et les sources des Annales. Leuven 2003.
  • Erich Koestermann: Tacitus. Annalen. 4 Bde., Heidelberg 1963–1968.
  • R. H. Martin: Structure and Interpretation in the Annals of Tacitus. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Bd. II.33.2. Berlin-New York 1990, S. 1500–1581 (siehe auch weitere Beiträge im gleichen Bd. sowie in ANRW, Bd. II.33.4. Berlin-New York 1991).
  • Stephan Schmal: Tacitus. Hildesheim 2005.
  • Ronald Syme: Tacitus. 2 Bde. Oxford 1958.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Hieronymus kennt die Annales und die Historiae als 30 Bücher umfassende Kaisergeschichte: Comm. in Zachar. 3, 14. Demnach haben die Historien des Tacitus 14 bzw. 12 Bücher umfasst.
  2. Annales, 1, 1f.
  3. Allgemein von Albrecht (2003), bes. S. 889ff.
  4. Die Werke gingen bereits in der Spätantike verloren.

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