Lateinische Paläographie

Lateinische Paläographie

Als Lateinische Paläografie bezeichnet man die Lehre von der Geschichte der lateinischen Schrift.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Lateinischen Schrift

Antike

Die Geschichte der lateinischen Schrift beginnt mit der Übernahme des phönizischen Alphabets. Das älteste Denkmal der lateinischen Schrift ist der Lapis Niger.

In der römischen Antike waren zunächst Capitalis-Schriften für die Bücher in Gebrauch. Für geschäftliches Schreiben (Behörden, private Verträge usw.) verwendete man die ältere und die jüngere römische Kursive. In der nachchristlichen Zeit entstanden aus diesen Kursiven die Unziale und die erste Minuskelschrift in der Geschichte der lateinischen Schrift, die Halbunziale.

Mittelalter

Aus der jüngeren römischen Kursive entwickelten sich im 6. bis 8. Jahrhundert eine Vielfalt an regionalen Schreibstilen (sog. 'Nationalschriften'). Über ganz Europa verbreitete sich seit dem Ende des 8. Jahrhunderts schließlich die karolingische Minuskel, die regionale Varianten wie die Beneventana, die insulare Halbunziale, die insulare Minuskel oder die Visigothica verdrängte.

Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts verbreitet sich von Nordfrankreich ausgehend ein neuer Schreibstil, der in gitterartigen Buchstaben mit gebrochenen Schäften geschrieben wird, die gotische Minuskel. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich für geschäftliches Schreiben auch wieder eine Kursivschrift, die gotische Kursive. Im 15. Jahrhundert gesellte sich noch eine Vielfalt an Mischschriften zwischen der gotischen Kursive und der gotischen Minuskel hinzu, die Bastardschriften.

Gegen Ende des 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts griffen die italienischen Humanisten um Coluccio Salutati wieder auf ältere Schriftformen zurück und belebten die karolingische Minuskel als humanistische Minuskel wieder. Zur humanistischen Minuskel schuf Niccolo Niccoli auch eine Geschäftsschrift, die humanistische Kursive.

Neuzeit

Die humanistische Minuskel war die Grundlage für die Antiqua-Typen des Buchdrucks. Die Bastardschrift der Reichskanzlei war Vorbild der Fraktur. Als Schreibschrift setzte sich außerhalb Deutschlands die humanistische Kursive als lateinische Schreibschrift durch, in Deutschland die auf der gotischen Kursive beruhende deutsche Kurrentschrift.

Wissenschaftsgeschichte

Die Geschichte der lateinischen Schrift wird seit dem 17. Jahrhundert systematisch erforscht. Der Mauriner-Mönch Jean Mabillon (1632-1707) erstellte in seinem diplomatischen Werk "De re diplomatica libri VI" eine Schriftgeschichte und gab vielen Schriften bis heute verwendete Namen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts konzentriert sich die paläografische Forschung darauf, die einzelnen Schreibschulen (Skriptorium) zu untersuchen, in denen die lateinische Schrift im Mittelalter gepflegt und fortentwickelt wurde. Berühmt für sein fotografisches Gedächtnis und seine umfassenden paläografischen Kenntnisse ist Bernhard Bischoff (1906-1991). Methodisch führte Bischoff die Ansätze seines Lehrstuhlvorgängers Ludwig Traube fort, der feinere Entwicklung der Schriftformen durch Zuweisung von Schriftformen an bestimmte Skriptorien untersuchte.

Die Analyse der spätmittelalterlichen Schriften ist insbesondere durch das Ordnungssystem von Gerard Isaac Lieftinck befördert worden, dessen auf drei klaren Merkmalen (doppelstöckiges/einfaches a, langes/kurzes s, Schleifenbildung an den Oberlängen) aufgebautes System ebenso heftige Kritik wie erfolgreiche Weiterentwicklung von Johann Peter Gumbert und Albert Derolez gefunden hat.

Literatur

  • Bernhard Bischoff: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters. (Grundlagen der Germanistik, Bd 24.) Berlin 1986. (Auch div. fremdsprachige Ausgaben, mit Abb.)
  • Hans Foerster, Thomas Frenz: Abriss der lateinischen Paläographie. (Bibliothek des Buchwesens, Bd. 15.) 3. überarb. Auflage, Stuttgart: Hiersemann, 2004. ISBN 3-7772-0410-2.
  • Jacques Stiennon: Paléographie du Moyen Âge. Paris: Armand Colin, 1991. ISBN 2-200-31278-4.
  • Franz Steffens: Lateinische Paläographie. 125 Tafeln in Lichtdruck mit gegenüberstehender Transkription nebst Erläuterungen und einer systematischen Darstellung der Entwicklung der lateinischen Schrift. Berlin 1910, 1929.

Literatur zur lateinischen Paläografie in der Bibliographischen Datenbank von Georg Vogeler

Abkürzungslexika

  • Adriano Cappelli: Dizionario di abbreviature latine ed italiane. Lexicon abbreviaturarum, 6. ed. corr., rist. Auflage, Mailand 1998 (Manuali Hoepli).
  • Kurt Dülfer: Gebräuchliche Abkürzungen des 16.-20. Jahrhunderts, Marburg 1966 (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg, Institut für Archivwissenschaft 1).
  • Paul Arnold Grun: Schlüssel zu alten und neuen Abkürzungen. Wörterbuch lateinischer und deutscher Abkürzungen des späten Mittelalters und der Neuzeit mit historischer und systematischer Einführung für Archivbenutzer, Studierende, Heimat- und Familienforscher u.a., Limburg a.d. Lahn 1966 (Grundriß der Genealogie 6).
  • Abbreviationes, Version 2.1, erstellt v. Pluta, Olaf, CD-ROM 2002.

Siehe auch

Weblinks


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