Laufzeitstereophonie

Laufzeitstereophonie

Laufzeitstereofonie oder auch AB-Stereofonie ist ein bestimmtes Aufnahmeverfahren der Lautsprecherstereofonie, bei der zwei parallel (parallel ist hier üblich bei einer Mikrofonbasis kleiner als 1 m) nach vorne zeigende Einzelmikrofone im gegebenen Abstand voneinander – der Mikrofonbasis – und in einer passenden Entfernung zum Klangkörper als Hauptmikrofonsystem angeordnet werden.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Bei den bei der Mikrofonierung dazu verwendeten Mikrofonen handelt es sich überwiegend um solche mit der Charakteristik Kugel, wenn auch ohne Einschränkungen alle anderen Richtcharakteristiken dazu verwendet werden können. Man unterscheidet „Klein-A/B“ etwa bis zu einer Mikrofonbasisbreite kleiner als 35 cm (quasi „Doppelkopf“) und „Groß-A/B“ bei entsprechend größerer Basis. Dieser Wert ist nicht allgemein festgelegt.

Die Mikrofone

Zwischen den Mikrofonen entstehen Laufzeitdifferenzen ∆ t und somit automatisch auch Phasendifferenzen, die eine Stereoabbildung auf der Lautsprecherbasis bei der Wiedergabe ermöglichen. Dabei wird das psycho-akustische Phänomen ausgenutzt, dass der Mensch mit seinen Ohren aufgrund von Laufzeit-Unterschieden die Richtung von Schallquellen lokalisieren kann. Die Laufzeitunterschiede ∆ t zwischen den Lautsprechersignalen sind nicht mit den sich an den Ohren ergebenden Laufzeitunterschieden ITD (Interaural Time Difference) zu verwechseln.

Wichtig ist bei der Laufzeitstereofonie die Wahl der Mikrofonbasis, also der Abstand der Mikrofone zueinander, der in der Praxis 20 cm bis 2 Meter betragen kann. Damit wird der Aufnahmebereich des Mikrofonsystems bestimmt.
Die manchmal bei einem Hauptmikrofonsystem gewählte Basisbreite zwischen den Mikrofonen von 20 cm, die angeblich mit dem Abstand der beiden Ohren an unserem Kopf zu tun haben soll, führt zu einer nicht voll ausgenutzten Lautsprecherbasis. Kopfabmessungen haben jedoch nichts mit Lautsprecherstereofonie zu tun.[1] Bei einer zu großen Mikrofonbasis entsteht durch das Drängen der Schallquellen in die Richtung der Lautsprecher der Effekt vom sogenannten „Loch in der Mitte“. Ein ähnlicher Effekt entsteht, wenn das AB-Mikrofonsystem für Laufzeitstereofonie zu nahe an der Schallquelle positioniert wird. Dann entsteht bei der Lautsprecherwiedergabe der unerwünschte Lupeneffekt.

Unterschiede

Reine Laufzeitstereofonie gibt es nicht, denn durch die unterschiedliche Distanz der Mikrofone zur Schallquelle ergibt sich immer auch ein gewisser Pegelunterschied, der zusätzlich Auswirkung auf die Richtungslokalisation hat. Eine Laufzeitdifferenz zwischen einer und zwei Millisekunden (∆ t = 1 bis 2 ms) führt zu einer Hörereignisrichtung von 100%, also voll aus der Richtung eines Lautsprechers (Rechenwert ∆ t = 1,5 ms; → [2]). Jede größere Laufzeitdifferenz lässt die Phantomschallquelle allein aus einer Lautsprecherrichtung erschallen. Hierbei wirkt auch der Präzedenz-Effekt („Gesetz der 1. Wellenfront“, Haas-Effekt). Perkussive Signale, Knacken und hohe Frequenzen benötigen eine kleine Laufzeitdifferenz in der Nähe von 1 ms für volle Auslenkung der Hörereignisrichtung in die Richtung eines Lautsprechers. Weich einschwingende Signale und tiefe Frequenzen brauchen hingegen eine deutlich größere Laufzeitdifferenz bis hin zu etwas mehr als 2 ms für die volle Auslenkung. Die jeweilige Auslenkung der Phantomschallquelle auf der Lautsprecherbasis wird Hörereignisrichtung bezeichnet.

Früher war diese Aufnahmeart wegen der Nichtkompatibilität zu Mono besonders beim Rundfunk nicht gern gesehen. Eine Tonaufnahme mit einem Hauptmikrofonsystem wird häufig durch Stützmikrofone ergänzt.

AB-Mikrofonsysteme haben unterschiedliche Aufgaben, die man sorgfältig auseinanderhalten sollte:

Das AB-Hauptmikrofonsystem [3]
Notwendigerweise strebt man bei der Stereoaufnahme für die nahen „Direktsignale“, die als Phantomschallquellen im Klangbild im Vordergrund stehen, unbedingt eine möglichst gleichmäßige Verteilung auf der Lautsprecherbasis an (→ Hörereignisrichtung). Wenn dieses nicht gegeben ist, dann kann das bestimmte Laufzeitstereofoniesystem als Hauptmikrofon nicht brauchbar sein. Die Mikrofonbasis beträgt maximal einen Meter.
Das AB-Zumischmikrofonsystem [4]
Dieses Zumischmikrofonsystem mit einer Basisbreite von etwa 1,20 m AB (Kugeln) steht in einem gewissen Abstand hinter dem nicht zu nah an den Schallquellen aufgebauten Hauptmikrofonsystem. Das bringt „Leben“ in den aufgenommenen Klang und „Luft“- sowie Umhüllungsgefühl für tiefe Frequenzen, auch die Tiefenstaffelung nimmt zu und der Klang gewinnt in akustisch guten Räumen an Größe. Aufgrund der Unähnlichkeit der Signale zum Hauptmikrofon ergeben sich keine hörbaren Kammfiltereffekte. Die für gleichmäßige Schallquellenverteilung meistens zu große Mikrofonbasis ist weniger kritisch, weil die in dieser Funktion erzeugten Signale nicht unbedingt richtungsgebend sein müssen.
Das AB-Raummikrofonsystem [5]
Beim Aufstellen eines „AB-Raummikrofonsystems“ braucht man sich eher keine Gedanken über eine gleichmäßige Verteilung der Raumsignale zu machen, denn man lebt mit dem hinzugemischten Links-Rechts-Flanken-Raum, der eine bestimmte Zumischpegelhöhe nicht überschreiten darf, um nicht doch noch als Fehler auffällig hörbar zu werden. Im Extremfall wird dazu je ein Grenzflächenmikrofon links und rechts an der Seitenwand des Konzertsaals angebracht. Durch die sehr große Mikrofonbasis gibt es eine Räumlichkeit aus dem linken Lautsprecher und eine aus dem rechten Lautsprecher. Das ist der typische „Flanken“-Raum, der sich dennoch problemlos in Maßen ins Klangbild einfügen lässt. Die Mikrofonbasis beträgt 2 m und mehr.

Einige Theoretiker, schlagen ein ORTF-Stereosystem als Raummikrofon vor, das von der Schallquelle wegzeigt.

Besonders wird die Laufzeitverzögerung beim Abmischen einer Schallaufnahme vielfach zum Zweck der künstlerischen Gestaltung (Manipulation) mit unterschiedlichen Wirkungen eingesetzt.

Literatur

  • Michael Dickreiter, Volker Dittel, Wolfgang Hoeg, Martin Wöhr, "Handbuch der Tonstudiotechnik", 7. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Herausgegeben von der ARD.ZDF medienakademie, Nürnberg, 2008, 2 Bände, Verlag: K G Saur, München, ISBN 3-59811-765-5 oder ISBN 978-3-598-11765-7
  • Hubert Henle: Das Tonstudio Handbuch. 5.Auflage, GC Carstensen Verlag, München, 2001, ISBN 3-910098-19-3
  • Peter M. Pfleiderer: HIFI auf den Punkt gebracht, Wiedergabetechnik für unverfälschtes Hören. 1. Auflage, Richard Pflaum Verlag, München, 1990, ISBN 3-7905-0571-4
  • Thomas Görne: Tontechnik. 1. Auflage, Carl Hanser Verlag, Leipzig, 2006, ISBN 3-446-40198-9

Weblinks


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