Leo Doletzki

Leo Doletzki
   Peter Rühmkorf
Hamburg, Oktober 2004

Peter Rühmkorf (* 25. Oktober 1929 in Dortmund; † 8. Juni 2008 in Roseburg im Kreis Herzogtum Lauenburg (Schleswig-Holstein); Pseudonyme: Leo Doletzki, Leslie Meier, Johannes Fontara, John Frieder, Hans-Werner Weber, Harry Flieder, Hans Hingst; Übername: Lyngi) war einer der bedeutendsten deutschen Lyriker, Essayisten und Pamphletisten nach 1945.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Peter Rühmkorf wuchs als unehelicher Sohn der Lehrerin Elisabeth Rühmkorf, einer Otterndorfer Pastorentochter, in Warstade (heute Ortsteil der Stadt Hemmoor) bei Stade auf und machte am Athenaeum Stade 1951 sein Abitur. Er war ein Patenkind von Karl Barth. Von 1951 bis 1956/57 studierte er zunächst Pädagogik und Kunstgeschichte, später Germanistik und Psychologie in Hamburg. Sein ursprüngliches Studienziel, Volksschullehrer zu werden, gab Rühmkorf nach einigen Semestern auf; das Studium brach er ab, offenbar nach einem Konflikt mit seinen Professoren. Zusammen mit dem Lyriker und Essayisten Werner Riegel gab er von 1951 bis zu dessen Tod 1956 die hektographierte Literaturzeitschrift Zwischen den Kriegen im Eigenverlag heraus, als zugleich lyrische und politische Plattform des „Finismus“; in der Rückschau eine bedeutende Heftreihe jener Jahre. Er war auch einer der Gründer des und Hauptschreiber im – für die junge widerständische Intelligenz der 1950er-Jahre sehr bedeutsamen – Studentenkurier, später in dessen Folge-Zeitschrift konkret.

Von 1958 bis 1964 arbeitete Rühmkorf als Verlagslektor im Rowohlt Verlag. Seither war er freier Schriftsteller und Dichter in Hamburg. Er erhielt zahlreiche literarische Preise und war häufig Gastdozent an deutschen und internationalen Universitäten (u.a. Austin, Texas 1969/70, Essen 1977, Warwick 1978, Frankfurt am Main 1980 Hanover, New Hampshire 1983 und Paderborn 1985/86). Immer wieder trug Rühmkorf seine eigenen Gedichte öffentlich vor (z.T. mit der Jazz-Begleitung von Michael Naura und Wolfgang Schlüter; vgl. Kein Apollo-Programm für Lyrik u. a. m.). 1966 nahm er an einer Open-Air-Veranstaltung Jazz und Lyrik auf dem Adolphsplatz in Hamburg teil.

In den 1960er-Jahren arbeitete Rühmkorf auch als Dramatiker, die drei damals entstandenen Theaterstücke waren jedoch – zumal wegen tagespolitischer Konstellationen in beiden Teilen Deutschlands – wenig erfolgreich.

Er war Mitglied der Gruppe 47, des P.E.N. sowie der Akademie der Künste (Berlin), der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, und der Freien Akademie der Künste, Hamburg.

1964 heiratete er die Psychologin Eva-Marie Titze (* 1935), die unter ihrem Ehenamen Eva Rühmkorf als Leiterin einer Strafanstalt, Gender- und Kultuspolitikerin und als Ministerin in Schleswig-Holstein arbeitete.

Zu seinem 75. Geburtstag (2004) zeigte das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine Ausstellung zu Werk und Leben (Rühmkorf Revue – Ein Bilderbogen zum 75sten) mit etwa 850 Exponaten, die eine bedeutende zeitgeschichtliche Einsicht in das umfangreiche Privatarchiv des Dichters gaben.

Peter Rühmkorf starb am 8. Juni 2008 im Alter von 78 Jahren an Krebs. Sein Urnengrab befindet sich auf dem Hauptfriedhof in Hamburg-Altona.

Zitate

Er war ein feinsinniger Ästhet, ein raffinierter Schöngeist, ein exquisiter Ironiker. Nur war er zugleich ein plebejischer Poet, ein handfester Spaßmacher, ein Verwalter des literarischen Untergrunds, ein Dichter der Gasse und der Masse, einer, der die Lyrik auf den Markt gebracht hat. Er schämte sich nicht, das Drastische, das Vulgäre zu schätzen. Und er zögerte nicht, das Distinguierte, das Elitäre zu bewundern. In seinen Versen finden Schlager, Gassenhauer und Kinderreime ein unmittelbares Echo, aber auch die Oden Klopstocks und die Lieder von Matthias Claudius, die Hymnen Hölderlins. Dieser Rühmkorf ist nie ganz seriös - und immer sehr ernst.

Marcel Reich-Ranicki, Juni 2008 [1]

Muß ich etwa allein übern Fluß?
Was mauscheln die stygischen Schilfe?
Herr Charon, zwei Lethe !
eine kleine Übersetzhilfe,
aber Lethe mit Schuß!

Und nicht zu knapp bemessen:
Welt, wie du im Rückblick dich wölbst.
Doch mein Stundenglas,
meine Einweguhr,
meine Smith & Wesson entsichre ich selbst.

Oder was oder wann oder wie?
Nein, lieber jetzt mitten im Klaren.
Und ihr spielt mir nochmal - diese alteda! -
Mistmelodie
von den Leuten, die strudelwärts fahren.

Peter Rühmkorf, aus: „Jetzt mitten im Klaren“

Auch noch Denkanstöße vermitteln - soweit kommts! 'n Dichter ist kein Ziegenbock!

Peter Rühmkorf, aus: „Selbst III/88. Aus der Fassung“

Auszeichnungen

Schriften

Autogramm
  • (gemeinsam mit Werner Riegel): Heiße Lyrik. Wiesbaden: Limes. 1956,
  • Irdisches Vergnügen in g. Fünfzig Gedichte. Hamburg: Rowohlt. 1959
  • Wolfgang Borchert. Biographie. Hamburg: Rowohlt. 1961
  • Kunststücke. Fünfzig Gedichte nebst einer Anleitung zum Widerspruch. Hamburg: Rowohlt. 1962
  • Über das Volksvermögen. Exkurse in den literarischen Untergrund. Reinbek: Rowohlt. 1967 (Kinder- und Abzählverse, Trivialtravestien aus hundert Jahren)
  • Was heißt hier Volsinii? Bewegte Szenen aus dem klassischen Wirtschaftsleben. Reinbek: Rowohlt. 1969 (Bühnenstück)
  • Die Jahre die ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen. Reinbek: Rowohlt. 1972
  • Lombard gibt den Letzten. Ein Schauspiel. Berlin: Wagenbach. 1972
  • Die Handwerker kommen. Ein Familiendrama. Berlin: Wagenbach. 1974
  • Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich. Reinbek: Rowohlt. 1975
  • Phoenix – voran! Gedichte. Dreieich: pawel pan. 1977
  • Strömungslehre I. Poesie. Reinbek: Rowohlt. 1978
  • Haltbar bis Ende 1999. Gedichte. Reinbek: Rowohlt 1979
  • Auf Wiedersehen in Kenilworth. Ein Märchen in dreizehn Kapiteln. Frankfurt am Main: Fischer. 1980
  • Im Fahrtwind. Gedichte und Geschichte. Berlin (u.a.): Bertelsmann. 1980
  • agar agar – zaurzaurim. Zur Naturgeschichte des Reims und der menschlichen Anklangsnerven. Reinbek: Rowohlt. 1981
  • Kleine Fleckenkunde. Zürich: Haffmans. 1982
  • Der Hüter des Misthaufens. Aufgeklärte Märchen. Reinbek: Rowohlt. 1983
  • Blaubarts letzte Reise. Ein Märchen. Dreieich: pawel pan. 1983
  • Bleib erschütterbar und widersteh. Aufsätze – Reden – Selbstgespräche. Reinbek: Rowohlt. 1984
  • Mein Lesebuch. Frankfurt am Main: Fischer. 1986
  • Außer der Liebe nichts. Liebesgedichte. Reinbek: Rowohlt. 1986
  • Dintemann und Schindemann. Aufgeklärte Märchen. Leipzig: Reclam. 1986
  • Selbstredend und selbstreimend. Gedichte – Gedanken – Lichtblicke. Stuttgart: Reclam. 1987
  • Werner Riegel. „ … beladen mit Sendung. Dichter und armes Schwein“. Stuttgart: Reclam. 1988
  • Einmalig wie wir alle. Reinbek: Rowohlt. 1989
  • Dreizehn deutsche Dichter. Reinbek: Rowohlt. 1989
  • Selbst III/88. Aus der Fassung. Zürich: Hafmanns. 1989
  • Komm raus! Gesänge, Märchen, Kunststücke. Berlin: Wagenbach. 1992
  • Deutschland, ein Lügenmärchen. Göttingen: Wallstein. 1993
  • Lass leuchten! Memos, Märchen, TaBu, Gedichte, Selbstporträt mit und ohne Hut. Reinbek: Rowohlt. 1993
  • Tabu I. Tagebücher 1989–1991. Reinbek: Rowohlt. 1995
  • Gedichte. Reinbek: Rowohlt. 1996
  • Ich habe Lust, im weiten Feld… Betrachtungen einer abgeräumten Schachfigur. Göttingen: Wallstein. 1996
  • Die Last, die Lust und die List. Aufgeklärte Märchen. Reinbek: Rowohlt. 1996
  • Ein Buch der Freundschaft. Remagen-Rolandseck: Rommerskirchen. 1996
  • Lethe mit Schuß. Gedichte. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1998
  • wenn – aber dann. Vorletzte Gedichte. Reinbek: Rowohlt. 1999
  • Von mir zu Euch für uns. Göttingen: Steidl. 1999
  • Wo ich gelernt habe. Göttingen: Wallstein. 1999
  • (mit Horst Janssen): Mein lieber Freund und Kompanjung. Hamburg: Jud. 1999
  • (mit Robert Gernhardt): In gemeinsamer Sache. Gedichte über Liebe und Tod, Natur und Kunst. Zürich: Haffmans. 2000,
  • Das Lied der Deutschen. Göttingen: Wallstein. 2001 (über Hofmann von Fallersleben)
  • Funken fliegen zwischen Hut und Schuh. Lichtblicke, Schweifsterne, Donnerkeile. Hgg. von Stefan Ulrich Meyer. München: Deutsche Verlagsanstalt. 2003
  • Tabu II. Tagebücher 1971–1972. Reinbek: Rowohlt. 2004
  • Wenn ich mal richtig ICH sag … . Ein Lese-Bilderbuch. Göttingen: Steidl. 2004
  • Aufwachen und Wiederfinden. Gedichte. Frankfurt am Main: Insel. 2007
  • Paradiesvogelschiß. Gedichte. Reinbek: Rowohlt. 2008

Gesamtausgabe

  • Die Jahre die Ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen. Werke 2. Hrsg. von Wolfgang Rasch, 1999
  • Gedichte. Werke 1. Hrsg. von Bernd Rauschenbach, 2000
  • Schachtelhalme. Schriften zur Poetik und Literatur. Werke 3. Hrsg. von Hartmut Steinecke, 2001
  • Die Märchen. Werke 4. Hrsg. von H.Detering und S.Kerschbaumer, 2007

Herausgeberschaft

  • Werner Riegel: Gedichte und Prosa. Wiesbaden: Limes. 1961
  • Wolfgang Borchert: Die traurigen Geranien und andere Geschichten aus dem Nachlass. Reinbek: Reowohlt. 1962
  • Primanerlyrik, Primanerprosa. Eine Anthologie. Reinbek: Rowohlt. 1965
  • 131 expressionistische Gedichte. Berlin: Wagenbach. 1976
  • Das Mädchen aus der Volkskommune. Chinesische Comics. Reinbek: Rowohlt. 1976
  • Ein Buch der Freundschaft. Remagen-Rolandseck: Rommerskirchen. 1996, mit Theo Rommerskirchen
  • Arno Schmidt: Lesen ist schrecklich! Das Arno-Schmidt-Lesebuch. Zurüch: Haffmans. 1997
  • Die Geschichte vom Lastkran, der eine Schiffssirene sein wollte. Prosa, Lyrik, Szene & Essays. Künzelsau: Swiridoff. 2002.

Schallplatten, CDs

  • Im Vollbesitz meiner Zweifel – Lyrik und Jazz. Schallplatte. 1963
  • Warum ist die Banane krumm? Schallplatte für Kinder. 1971, mit Peter Bichsel u. a.
  • Der Ziegenbock im Unterrock. Kinderverse und –geschichten, gesammelt von Peter Rühmkorf. Schallplatte. 1973
  • Kein Apolloprogramm für Lyrik. Schallplatte (mit Michael Naura, Wolfgang Schlüter, Eberhard Weber). 1976 [ECM 2305801 SP]
  • Phönix voran!. Schallplatte (mit Michael Naura, Wolfgang Schlüter, Leszek Zadlo). 1978 [ECM 2305802 SP]
  • Außer der Liebe nichts. Liebesgedichte. Gelesen von Peter Rühmkorf. München: Der Hörverlag, 1999. 1 CD. (Audio Books.)
  • Robert Gernhardt & Peter Rühmkorf lesen: In gemeinsamer Sache. München: Raben-Records im Heyne Hörbuch 2000. 1 MC.
  • Peter Rühmkorf liest Lyrik und Prosa. Hrsg. von Harro Zimmermann und Walter Weber. Göttingen: Wallstein-Verl.; Bremen: Radio Bremen, 1999. 2 CDs.
  • Rühmkorf, Enzensberger: Jahrgang 1929: Zwei Lyriker im Doppelbild. Hamburg: Hoffmann und Campe Hörbücher, NDR Audio 2002. 2 CDs.
  • Günter Grass und Peter Rühmkorf lesen: Komm, Trost der Nacht. Barocklyrik. München: Der Hörverlag 2004. 1 CD.
  • Peter Rühmkorf, mit Dietmar Bonnen und Andreas Schilling: Früher, als wir die großen Ströme noch …, Rühmkorf-Gedichte mit Musik, random house 2006. 1 CD.
  • Paradiesvogelschiß. Gedichte. Von, für und mit Peter Rühmkorf. Hoffmann und Campe Hörbücher. 2008 1 CD

Literatur

  • Arno Schmidt Stiftung (Hrsg.): Arno Schmidt Preis 1986 für Peter Rühmkorf, Bargfeld 1986 (mit Texten von Jan Philipp Reemtsma, Peter Rühmkorf und Arno Schmidt)
  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 97. Peter Rühmkorf. edition text + kritik, München 1988.
  • Sabine Brunner: Rühmkorfs Engagement für die Kunst. Verl. Die Blaue Eule, Essen 1985.
  • Peter Bekes, Michael Bielefeld: Peter Rühmkorf. : Beck, Verl. edition text + kritik, München 1982.
  • Lars Clausen: Die Finisten. In: Mittelweg 36, 1992
  • Frédérique Colombat-Didier: La situation poétique de Peter Rühmkorf. Lang, Bern (u.a.) 2000.
  • Manfred Durzak, Hartmut Steinecke (Hrsg.): Zwischen Freund Hein und Freund Heine: Peter Rühmkorf. Studien zu seinem Werk. Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1989.
  • Dieter Lamping, Stephan Speicher (Hrsg.): Peter Rühmkorf. Seine Lyrik im Urteil der Kritik. Bouvier, Bonn 1987.
  • Wolfgang Rasch: Blumen-, Frucht- und Dornenstücke aus dem Archiv von Peter Rühmkorf in Hamburg. In: Zeitdiskurse. Reflexionen zum 19. und 20. Jahrhunderts als Festschrift für Wulf Wülfing. Hg. von Roland Berbig, Martina Lauster und Rolf Parr. Synchron Verlag, Heidelberg 2004 (Darin u.a. über Rühmkorfs Studienzeit in Hamburg.) ISBN 3-935025-55-6, S. 425–442.
  • Ders.: Bibliographie Peter Rühmkorf. Aisthesis, Bielefeld 2004. 2 Bände, zusammen 814 Seiten (Band 1: Primärliteratur; Band 2: Sekundärliteratur). (Bibliographien zur deutschen Literaturgeschichte Band 13) ISBN 3-89528-476-9.
  • Herbert Uerlings: Die Gedichte Peter Rühmkorfs. Subjektivität und Wirklichkeitserfahrung in deutschen Lyrik.. Bouvier, Bonn 1984.
  • Theodor Verweyen: Eine Theorie der Parodie. Am Beispiel Peter Rühmkorfs. Fink, München 1973.

Filme

Interviews

Weblinks

Belege

  1. Marcel Reich-Ranicki: „Nie seriös, immer ernst“, FAZ, 10. Juni 2008

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