Leopold von Andrian

Leopold von Andrian

Leopold Andrian, eigentlich Leopold Freiherr Ferdinand von Andrian zu Werburg (* 9. Mai 1875 in Berlin; † 19. November 1951 in Fribourg) war ein österreichischer Schriftsteller und Diplomat. Andrian war Mitglied des Dichterkreises um Stefan George und Hugo von Hofmannsthal.

Leopold Andrian (um 1900)

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend und Studium

Leopold Andrian stammte aus einem österreichischen Adelsgeschlecht und wurde als Sohn des Anthropologen und Geologen Ferdinand Freiherr von Andrian zu Werburg und der Tochter des Komponisten Giacomo Meyerbeer in Berlin geboren. Von 1885 bis 1887 besuchte er das jesuitische Elitegymnasium Kalksburg; von 1888 bis 1890 wurde Andrian durch seinen Hauslehrer Oskar Walzel unterrichtet und besuchte erst das Gymnasium in Meran und anschließend das Schottengymnasium in Wien.

1894 erschienen erste Gedichte Andrians in Stefan Georges Blättern für die Kunst. 1895 veröffentlichte er sein Hauptwerk, den Garten der Erkenntnis. An der Universität Wien begann er ein Studium der Rechtswissenschaften, das er 1899 mit der Promotion abschloss, nebenbei hörte er auch Vorlesungen über Geschichte, Philosophie und Literatur.

Durch eine Duellaffäre lieferte er seinem Freund Arthur Schnitzler den Stoff zur Novelle Leutnant Gustl.[1]

Diplomat im Ersten Weltkrieg

Nach dem Abschluss seines Studiums wurde Andrian Konzeptsaspirant im k.u.k. Ministerium des Äußern, legte ein Jahr später die Diplomatenprüfung ab und wurde der österreichischen Gesandtschaft in Athen zugeteilt. 1902 wurde er als Gesandter nach Rio de Janeiro versetzt, 1905 kurzfristig nach Buenos Aires und kam danach an die Botschaft in Sankt Petersburg. Von 1907 bis 1908 war er Legationssekretär an der Gesandtschaft in Bukarest, danach wieder in Athen, Bukarest und schließlich Wien. 1911 übernahm Andrian die Leitung des Generalkonsulats in Warschau, die er bis 1914 innehatte.

Kriegsziele

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er in das k.u.k. Ministerium des Äußern berufen. Als Legationsrat Leopold Freiherr von Andrian-Werburg war er dort ein wesentlicher Architekt der Kriegszielpolitik Österreich-Ungarns. Im August 1914 legte er im Auftrag von Außenminister Graf Leopold Berchtold ein ausführliches Programm über die Frage österreichischen Gebietserwerbs im Nordosten im Falle eines glücklichen Krieges der Zentralmächte gegen Russland vor. Dieses Programm sah die Annexion von Teilen Podoliens und Wolhyniens vor, Kongresspolen sollte zu drei Vierteln an Österreich-Ungarn, der Rest an Deutschland gelangen. Die dualistische Struktur der Donaumonarchie würde, mit einem in erbländisch-böhmische und polnisch-ruthenische Teile zerfallenden Cisleithanien und einem um Dalmatien, Bosnien-Herzegowina und serbische Gebiete erweiterten Ungarn, bestehen bleiben.[2]

Andrians zweite Denkschrift über die österreichisch-ungarischen Kriegsziele vom 6. Dezember 1914, die Übersicht der für den Friedensschluss in Erwägung zu ziehenden Lösungsmodalitäten der gegenwärtigen Krise, sah als „Minimalpostulate“ bei einem nur partiellen Sieg vor: Die Abtretung serbischer Grenzgebiete an Österreich und mazedonischer Gebiete an Bulgarien neben italienischen Kompensationen in Südalbanien, Korsika, Tunis, der französischen Riviera und Malta. Russland sollte das österreichische Verfügungsrecht auf dem Westbalkan anerkennen, Montenegro „eventuell“ den Lovćen abtreten und eine Personalunion mit Nordalbanien unter österreichisch-ungarischer Oberhoheit eingehen. Die „schlechtere Minimallösung“ sah einen Tausch Ostgaliziens und der Bukowina gegen westpolnische Gebiete vor, wobei die zahlenmäßig verstärkten Ukrainer Russland angeblich in einen „geschwächten Föderativstaat“ umwandeln würden.[3] Im Falle eines Sieges sah Andrian als „Maximalforderungen“ vor: Kongresspolen mit einem Grenzstreifen Wolhyniens und Podoliens, den Sandschak Novi Pazar und Gebiete in Serbien und Montenegro, wobei der westserbische Streifen mit Kolonisten als Militärgrenze organisiert werden sollte. Die im Süden erworbenen Gebiete würden wieder mit Dalmatien und Bosnien-Herzegowina an Ungarn fallen, Nordalbanien und „Restserbien“ unter österreichisch-ungarischer Oberhoheit stehen. Im Falle einer völligen britischen Niederlage war sogar ein Übersee-Erwerb für Österreich-Ungarn vorgesehen;[3] – laut Manfried Rauchensteiner ein Traumbild, gegen das aber offenbar niemand Einwände erhoben und vielleicht eindringlich auf die Realitäten hingewiesen hätte.[4] Andrian-Werburg ging von der Behauptung aus, die Monarchie führe im höheren und weiteren Sinne um die Existenz Krieg, was auf einen klassischen Sozialdarwinismus hinausläuft.[5]

Gesandter in Warschau

Von August 1915 bis Anfang 1917 war Adrian wieder der Gesandte der Monarchie im, jetzt deutsch beherrschten Warschau. In dieser Funktion beklagte er sich im Oktober 1915 in Wien, dass Kurt Riezler, der Vertraute des deutschen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg in Warschau lebhafte Propaganda für den Anschluss Polens an Deutschlands mache. Dem folgte eine offizielle Beschwerde der Monarchie in Berlin.[6] Andrian war wie so viele der Meinung, dass man nach Gründung des polnischen Pufferstaates Galizien nicht mehr festhalten könne. Als Lösung schlug er Außenminister Stephan Burián vor, dem jungen Königreich gegen finanzielle und wirtschaftliche Vorteile das sogenannte Großfürstentum Krakau, unter Zugabe einiger angrenzender rein polnischer Bezirkshauptmannschaften (etwa bis zum Dunajec), als Morgengabe abzutreten. Das restliche Galizien, in dem die Ukrainer dann eine knappe Majorität besäßen, wäre dann angeblich leicht zu behaupten.[7]

1917 wurde er wieder in Wien zum Referenten für polnische Angelegenheiten bestimmt und nahm 1918 an den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk teil.

Freier Schriftsteller

Für nicht ganz vier Monate wurde Andrian nach dem Krieg Generalintendant des Burgtheaters. Mit Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Franz Schalk, Alfred Roller und Max Reinhardt trug er zum Konzept für die Salzburger Festspiele bei. Er zog sich 1919 ganz ins Privatleben zurück und publizierte häufig in Zeitungen und Zeitschriften. 1920 nahm er die liechtensteinische Staatsbürgerschaft an und heiratete 1923.

Emigration und Rückkehr nach Europa

Nachdem seine Schrift Österreich im Prisma der Idee. Katechismus der Führenden (erschienen 1937) nach dem Anschluss Österreichs von der Gestapo verboten worden war, emigrierte Andrian nach Nizza und flüchtete im Juni 1940 über Spanien und Portugal nach Brasilien. Dort veröffentlichte er Teile seiner politisch-literarischen Memoiren, die in Fragmenten Ende 1940 und Anfang 1941 in der Zeitung Correio da Manhã in Rio de Janeiro erschienen.

Andrian wurde nach seiner Ankunft in Rio de Janeiro ein feierlicher Empfang bei der brasilianischen Schriftstellerakademie zuteil. Obwohl er meist zurückgezogen lebte, gelang es ihm Beziehungen zu knüpfen, u.a. zu Georges Bernanos und Hermann Mathias Görgen. Im Dezember 1945 kehrte Andrian nach Nizza zurück. Nach dem Tod seiner Ehefrau im Jahre 1946 heiratete er 1949 ein zweites Mal. Von 1950 bis 1951 unternahm er noch eine Reise nach Rhodesien und Südafrika und starb nach der Rückkehr am 19. November 1951 im schweizerischen Fribourg im Alter von 76 Jahren.

Sein Grab befindet sich heute in der Familiengruft in Altaussee.

Werk

Hugo von Hofmannsthal erkannte Andrians Talent für formal vollendete, melancholische impressionistisch-symbolistische Lyrik; auf seine Vermittlung hin wurden seine frühen Gedichte in Stefan Georges Blätter für die Kunst veröffentlicht. Außerdem war Andrian u.a. mit Hermann Bahr und Arthur Schnitzler befreundet.

Andrians bedeutendstes Werk ist die 1895 veröffentlichte, von Hofmannsthal inspirierte lyrische Märchenerzählung Der Garten der Erkenntnis (ursprünglicher Titel: Das Fest der Jugend). Geschildert wird die Suche des narzisstischen Fürstensohns Erwin nach dem Geheimnis des Lebens, das er u. a. in Gestalt der Frau, der Mutterliebe, der Schönheit oder der rätselhaft ineinander verschlungenen Innen- und Außenwelt zu finden hofft. Seine Suche misslingt; nichts lässt sich wirklich greifen, alles bleibt fremd: So starb der Fürst, ohne erkannt zu haben, lautet der resignative Schlusssatz des Buchs. [8] Erwin lebt in einer solipsistischen Eigenwelt, seine Träume sind ihm wirklicher als die äußere Wirklichkeit. In typischer Dandy-Haltung schaut er dem eigenen Leben zu statt es aktiv zu gestalten. [9]

Der naiv-träumerische Inhalt und geheimnisvoll-abstrakte Stil der Erzählung wurden im George-Kreis sehr geschätzt. Einflüsse von Andrians Prosa sind in Hofmannsthals Andreas-Fragment und in Robert Musils Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß nachzuweisen. Karl Kraus verspottete die Erzählung als Garten der Unkenntnis. [10]

In zwei späteren Schriften plädierte Andrian für strenge Sittlichkeit, christliche Ordnung und ein konservativ-utopisches Österreich als dessen Inbegriff. Dass Andrian außer diesen Texten nichts mehr publizierte und ein lebenslang geplantes Hauptwerk nicht zustande kam, lag nicht zuletzt an seinem erfolglosen Versuch Kunst und Leben zu vereinbaren und an seiner Homosexualität, die er mit seiner strikten Religiosität nicht vereinbaren konnte. [11]

Werke

Einzelausgaben und Sammlungen

  • Der Garten der Erkenntnis. Erzählung. Schmidt-Dengler, Graz, 1895
  • Gedichte. De Zilverdistel, Haarlem, 1913
  • Das Fest der Jugend. Des Gartens der Erkenntnis erster Teil und die Jugendgedichte. Fischer, Berlin, 1919
  • Die Ständeordnung des Alls. Rationales Weltbild eines katholischen Dichters. Kösel & Pustet, München, 1930
  • Österreich im Prisma der Idee. Katechismus der Führenden. Schmidt-Dengler, Graz, 1937
  • Das Fest der Jugend. Die Jugendgedichte und ein Sonett. Schmidt-Dengler, Graz, 1948
  • Leopold Andrian und die Blätter für die Kunst. Gedichte, Briefwechsel mit Stefan George und anderes. Mit einer Einleitung hrsg. von Walter H. Perl. Hauswedell, Hamburg, 1960
  • Frühe Gedichte. Hrsg. von Walter H. Perl. Hauswedell, Hamburg, 1972
  • Fragmente aus "Erwin und Elmire". Mit einer Einleitung und Kommentar hrsg. von Joëlle Stoupy. Castrum-Peregrini, Amsterdam, 1993
  • Der Garten der Erkenntnis und andere Dichtungen. Mit einem Nachwort hrsg. von Dieter Sudhoff. Igel, Oldenburg, 2003 ISBN 3-89621-158-7

Briefwechsel

  • Briefwechsel. Hugo von Hofmannsthal, Leopold von Andrian. Hrsg. von Walter H. Perl. Fischer, Frankfurt a. M. 1968
  • Correspondenzen. Briefe an Leopold von Andrian. 1894-1950. Hrsg. von Ferruccio DelleCave. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach, 1989 (= Marbacher Schriften 29) ISBN 3-7681-9984-3
  • Leopold von Andrian (1875-1951). Korrespondenzen, Notizen, Essays, Berichte. Hrsg. von Ursula Prutsch und Klaus Zeyringer. Böhlau, Wien, 2003 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 97) ISBN 3-205-77110-9.

Literatur

  • Hermann Dorowin: Retter des Abendlands. Kulturkritik im Vorfeld des europäischen Faschismus. Metzler, Stuttgart, 1991 ISBN 3-476-00747-2
  • Karl Johann Müller: Das Dekadenzproblem in der österreichischen Literatur um die Jahrhundertwende, dargelegt an Texten von Hermann Bahr, Richard von Schaukal, Hugo von Hofmannsthal und Leopold von Andrian. Heinz, Stuttgart, 1977 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 28) ISBN 3-88099-027-1
  • Ursula Renner: Leopold Andrians "Garten der Erkenntnis". Literarisches Paradigma einer Identitätskrise in Wien um 1900. Lang, Frankfurt a. M., 1981 (= Literatur und Psychologie 3) ISBN 3-8204-6150-7
  • Horst Schumacher: Leopold Andrian. Werk und Weltbild eines österreichischen Dichters. Bergland, Wien, 1967

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Manfried Rauchensteiner: Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg. Böhlau Verlag, Wien/Graz/Köln 1993, ISBN 3-222-12454-X, S. 193.
  2. Wolfdieter Bihl: Zu den österreichisch-ungarischen Kriegszielen 1914. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 16 (1968), S. 505-530, hier: S. 508 und 512ff. Sowie Imre Gonda: Verfall der Kaiserreiche in Mitteleuropa. Der Zweibund in den letzten Kriegsjahren (1916-1918). Budapest 1977, ISBN 963-05-1084-7, S. 37f.
  3. a b Wolfdieter Bihl: Zu den österreichisch-ungarischen Kriegszielen 1914. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas NF 16 (1968), S. 505-530, hier: S. 509f. Sowie Imre Gonda: Verfall der Kaiserreiche in Mitteleuropa. Der Zweibund in den letzten Kriegsjahren (1916-1918). Budapest 1977, ISBN 963-05-1084-7, S. 309ff.
  4. Manfried Rauchensteiner: Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg. Böhlau Verlag, Wien/Graz/Köln 1993, ISBN 3-222-12454-X, S. 197.
  5. Andrej Mitrovic: Die Balkanpläne der Ballhausbürokratie im Ersten Weltkrieg (1914-1916). In: Ferenc Glatz, Ralph Melville (Hrsg.): Gesellschaft, Politik und Verwaltung in der Habsburgermonarchie. Verlag Steiner, Stuttgart 1987, ISBN 3-515-03607-5, S. 343-371, hier: S. 357.
  6. Heinz Lemke: Georg Cleinow und die deutsche Polenpolitik 1914-1916. In: Politik im Krieg 1914-1918. Studien zur Politik der deutschen herrschenden Klassen im ersten Weltkrieg. Berlin/DDR 1964, S. 134-166.
  7. Heinz Lemke: Allianz und Rivalität. Die Mittelmächte und Polen im ersten Weltkrieg. Verlag Böhlau, Wien/Köln/Graz 1977, ISBN 3-205-00527-9, S. 320.
  8. http://www.cpw-online.de/lemmata/andrian_leopold.htm
  9. http://www.sbg.ac.at/lwm/frei/generated/a14.html
  10. http://www.zfdphdigital.de/aid/zfdph_20050411/inhalt.html
  11. http://www.perlentaucher.de/buch/15521.html

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