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Dieser Artikel erläutert Parusie als Begriff christlicher Eschatologie, für philosophische Bedeutungen vgl. die platonische Ideenlehre und die aristotelische Naturphilosophie.

In der christlichen Theologie bezeichnet Parusie (griechisch [Δευτέρα] Παρουσία, Parusía – die Gegenwart, Anwesenheit, Ankunft, Wiederkunft [Christi])[1] die erwartete Wiederkunft Jesu Christi am Jüngsten Tag und damit auch die Wiederkunft Jesu Christi zum Jüngsten Gericht (siehe auch Heilsgeschichte), das Kommen des Reiches Gottes, das zweite Kommen des Messias.

In der hellenistischen Philosophie beschreibt das Wort ursprünglich das wirksame gegenwärtig sein (griech. παρα – daneben, dabei und ουσία – dasein, Wesenheit)[2] von Gottheiten und Herrschern. Platon bezeichnet damit die Anwesenheit bzw. Gegenwart der Ideen in den Dingen.

Inhaltsverzeichnis

Die Parusie

Einleitung

Im Frühchristentum der ersten zwei bis drei Jahrhunderte nach der Zeitenwende wurde - aufgrund entsprechender Aussagen im Neuen Testament - diese zweite Ankunft für zeitlich nah erhofft, was als Naherwartung bezeichnet wird. Auch später haben einzelne christliche Richtungen die zweite Ankunft (Entrückung der Gemeinde Jesu) zu bestimmten Terminen, jeweils bisher unerfüllt, erwartet. In frühchristlicher Zeit drückte das Wort Maranatha diese baldige Erwartung des Jesus Christus nach seiner Himmelfahrt aus.

Heute betonen die großen Kirchen, dass der genaue Zeitpunkt der zweiten Ankunft des Messias nicht vorhersagbar ist.

Dem Thema der Erwartung eines Wiederkommens Jesu ist im Christentum besonders der Advent gewidmet, was aus dem Lateinischen übersetzt Ankunft bedeutet. [3]

Bedeutung

Nach christlicher Auffassung werden dann alle Toten auferstehen. Was das konkret bedeutet, darüber besteht ein relativ breites Meinungsspektrum im Christentum. Eine der frühesten christlichen Aussagen dazu stammt vom Apostel Paulus, der zwischen irdischem und geistlichem Leib unterscheidet, prinzipiell aber festhält, dass von Lebenden über die Auferstehung nur fragmentarisch geredet werden kann. Stattdessen „bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (vgl. 1 Kor 13,13 EU)

Zeitpunkt

Zur unmittelbar bevorstehenden Parusie des Herrn, die noch zu Lebzeiten des Paulus und seiner Gemeinden erfolgen soll, schreibt Paulus in 1 Thessalonicher 4, 15-18:

„Wir, die ÜBERLEBENDEN, werden keineswegs vor den Entschlafenen zur Wiederkunft des Herrn gelangen. Denn wenn der Befehlsruf ergeht, des Erzengels Stimme und Gottes Posaune erschallt, wird der Herr vom Himmel herniedersteigen. Dann werden die in Christus Verstorbenen zuerst auferstehen. Hierauf werden wir, die ÜBERLEBENDEN, zugleich mit jenen dem Herrn entgegen gehen und auf Wolken in die Luft entrückt werden."

Eine Naherwartung gibt auch Matth.10,5-7 zu erkennen: "Gehet hin und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! ... Ihr werdet mit den Städten Israels noch nicht zu Ende sein, bis der Menschensohn kommt!" Siehe auch Matth.24, 34-36 und Markus 13, 30-32.

Etwa ab dem 3.Jahrhundert n.Cr.wird den Gläubigen gepredigt, dass – aber nicht wann – das Jüngste Gericht stattfinden wird:

„Darum seid wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommen wird.” (Mt 24,42 EU).

Die Zeit unmittelbar vor dem Jüngsten Gericht wird in der Bibel als schrecklich geschildert, denn viele falsche Propheten werden auftreten (Mt 24,5 EU), das Böse wird überhand nehmen und die Liebe wird erkalten (Mt 24,11-12 EU).

„Nach dieser Schreckenszeit wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen, die Sterne werden vom Himmel fallen und die Ordnung des Himmels wird zusammenbrechen.“ (Mt 24,29 EU).

Dann erst wird die Auferstehung der Toten und das allgemeine Weltgericht stattfinden.

Ablauf

Die Schilderungen des eigentlichen Gerichts in der Bibel beschränken sich auf die Aufzählung von Visionen. Bei Johannes: „Dann sah ich einen großen weißen Thron und den, der darauf sitzt. Die Erde und der Himmel flüchteten bei seinem Anblick und verschwanden für immer. Ich sah alle Toten, Hohe und Niedrige, vor dem Thron stehen. Die Bücher wurden geöffnet, in denen alle Taten aufgeschrieben sind. Dann wurde noch ein Buch aufgeschlagen: das Buch des Lebens. Den Toten wurde das Urteil gesprochen; es richtete sich nach ihren Taten, die in den Büchern aufgeschrieben waren.“(Offb 20,11-12 EU).

Das Jüngste Gericht hat einen forensischen und einen heilsgeschichtlichen Aspekt. Der forensische Aspekt betrifft das Gericht und den Gläubigen selbst. Er hofft, dass nach seinem Tod am Jüngsten Tag das Jüngste Gericht stattfinden wird. In diesem Gericht werden die individuellen Taten jedes Einzelnen beurteilt, denn jeder Einzelne ist vor Gott verantwortlich (Röm 3,10 EU). Der heilsgeschichtliche Aspekt des Jüngsten Gerichts betrifft die gesamte Menschheit. Der Tag des Jüngsten Gerichts bedeutet die Zeitenwende, nach der ein paradiesischer Zustand, vergleichbar der Zeit vor dem Sündenfall, eintreten wird.

Wer wird gerichtet

Seit Beginn des Christentums stellten sich die Gläubigen immer wieder die Frage, ob denn alle Menschen vor den Richter treten müssten. Die Theologen beriefen sich in ihren Antworten dabei stets auf zwei Passagen der Bibel, die unterschiedliche Auskunft darüber geben. Im Matthäus-Evangelium wird nur zwischen Guten und Bösen unterschieden. Alle werden beim Jüngsten Gericht nach ihren Taten beurteilt und dann entweder ins Paradies oder in die Hölle geschickt werden. Diese Stelle bezieht sich dem Wortlaut nach allerdings auf „die Völker“, mithin auf Personen, denen das Evangelium noch nicht gepredigt worden ist. Diese Leute werden nach dem beurteilt werden, was jedem einleuchtet: Haben sie die selbstverständlichen Taten der Liebe getan? Anders ist der Maßstab bei denen, die reichlich Gelegenheit hatten, Jesus Christus kennenzulernen: Insofern ist das Jüngste Gericht im Johannes-Evangelium beschrieben. Hier entgehen die Nachfolger Jesu, die Gläubigen bzw. Bekehrten dem Gericht: „Ich versichere euch: Alle, die auf mein Wort hören und dem vertrauen, der mich gesandt hat, werden ewig leben. Sie werden nicht verurteilt. Sie haben den Tod schon hinter sich gelassen und das unvergängliche Leben erreicht.“ (Joh 5,24 EU). Zusätzlich zu diesen beiden Konzeptionen entstanden in theologischen Schriften weitere Interpretationen, die untereinander Überschneidungen, Wechselwirkungen, aber auch massive Widersprüche aufweisen. So findet sich in AugustinusEnchiridion ein Modell, das diese Ideen erweitert: Augustinus beschreibt, dass die Seelen beim Jüngsten Gericht in drei Kategorien eingeteilt würden: die vollkommen Guten, die keine Fürbitte brauchen, die ganz und gar Schlechten, die in jedem Fall verdammt werden – und diejenigen, die zwischen diesen beiden Extremen stehen: sie sind nicht gut genug, um keine Hilfe zu brauchen, aber auch nicht schlecht genug, um nicht Nutzen daraus ziehen zu können.

Infolge derartiger Diskussionen sind der Idee des Jüngsten Gerichts, dem die ganze Menschheit unterworfen ist und die in ihrer Grundkonzeption immer dieselbe bleibt, im Laufe der Jahrhunderte zwei weitere eschatologische Konzepte an die Seite gestellt worden. Zum einen die Vorstellung eines Einzel- oder Partikulargerichts, das direkt nach dem Tod eines jeden Individuums stattfindet – und zum zweiten die Schaffung eines 'dritten' Ortes für die oben beschriebenen 'Halb-Guten': das Fegefeuer.

Konfessionelle Interpretationen

Ökumenische Grundlage für das Reden von der Parusie nach dem Credo des 4. Jahrhunderts

Das christliche Glaubensbekenntnis, lateinisch auch Credo genannt, welches in der christlichen Ökumene bis heute Geltung beansprucht, bekennt die Parusie Christi mit den folgenden Worten:

Lateinisch Deutsch
Sedet ad dexteram Patris.
Et iterum venturus est cum gloria
iudicare vivos et mortuos,
cuius regni non erit finis.
(lateinische Fassung nach dem Messbuch der römisch-katholischen Kirche und nach dem Evangelischen Gesangbuch)
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
(deutsche Fassung ebenfalls nach dem Messbuch der katholischen Kirche und nach dem Evangelischen Gesangbuch)

Katholische Sichtweisen

Traditionelle Lehre und Katechismus

Nach katholischer Lehre erwarten die Seelen der Getauften die Zeit der Parusie, beginnend im Tode der jeweiligen Menschen, je nach der Schwere der begangenen Sünden, in der Hölle, im Fegefeuer, oder bereits im Himmel (Paradies). Die theologische Spekulation des Mittelalters sprach überdies von bestimmten Zwischenreichen (den Limbi), insbesondere für ungetauft verstorbene Kinder.

Die katholische Kirche stellt in ihrem Katechismus aus dem Jahre 2003 (lateinisch Vatikan 1997) ausdrücklich den Zusammenhang zwischen Parusie und Letztem Gericht her: „Das Letzte Gericht wird bei der herrlichen Wiederkunft Christi stattfinden.“ [4] Alle Menschen (die Lebenden und die Toten) werden jedenfalls durch Jesus Christus gerichtet. Diejenigen, die ohne Reue im Zustand der Todsünde gestorben sind, werden am Jüngsten Tag zusammen mit den von Gott abgefallenen Engeln (den Teufeln) zu ewiger Strafe in der Hölle verurteilt. Genaue Aussagen über die Beschaffenheit dieser Strafe vermeidet die Kirche und warnt seit dem Konzil von Trient ausdrücklich vor extremen Darstellungen.

Der Katechismus der Katholischen Kirche betont zum einen: „Niemand wird von Gott dazu vorherbestimmt, in die Hölle zu kommen.“ [5] Zum andern lehrt die Kirche ausdrücklich: „Die Kirche betet darum, dass niemand verlorengeht.“ [6]

Das Weltall wird aber nach christlicher Überzeugung schließlich vollendet (neu geschaffen), und die Christen, die ihre aus der zeitlichen Existenz verbliebenen Sündenstrafen verbüßt haben, werden sich mit Gott in mystischer Weise vereinigen (sie werden Gott von Angesicht zu Angesicht schauen (1 Kor 13,12 EU). In dieser Gemeinschaft mit der Dreieinigkeit, den Engeln und Heiligen werden sie dann für immer sich an der erlösten Welt erfreuen. „Das Letzte Gericht wird zeigen, dass die Gerechtigkeit Gottes über alle Ungerechtigkeiten, die von seinen Geschöpfen ausgeübt wurden, siegt und dass seine Liebe stärker ist als der Tod.“ [7]

Die katholischen Christen feiern das in der Apostelgeschichte beschriebene Wirken des Heiligen Geistes am Pfingstfest und erwarten die Wiederkunft Jesu als des Messias. Die Kenntnis über den Zeitpunkt dieser Wiederkunft ist Gott allein vorbehalten.

Modernere katholische Deutungen

Hans Küng deutet das Purgatorium neu. Es ist für ihn weder ein Ort noch eine Zeit, sondern letztlich „die Begegnung mit Gott, sofern sie den Menschen richtet und läutert, aber auch befreit und erleuchtet, heilt und vollendet.“ Es geht im Tod „um ein Hineinsterben in die Dimensionen Gottes“, was bedeutet, dass Raum und Zeit aufgehoben sind. [8]

Evangelische Sichtweisen

Parusie bei Martin Luther

Der Reformator Martin Luther geht davon aus, dass mit der Wiederkunft Christi die Auferweckung der Toten anbricht. Hier ist für ihn kein Unterschied zwischen Menschen der Gegenwart und längst verstorbenen Menschen der Bibel. „Es ist vor Gott alles auf einmal geschehen. Es ist weder vor noch hinter, jene (nämlich längst Geschichte gewordenen Gestalten, z.B. Adam) werden nit eh(er) kommen an den jüngsten Tag dann (als) wir.“ [9]

Der Moment der Parusie scheint bei Luther zugleich der Moment des Sterbens zu sein: „Alsbald (wenn bei deinem Sterben) die Augen zugehen, wirst du auferweckt werden. Tausend Jahre werden sein, gleich als wenn du ein halbes Stündlein geschlafen hättest. … Ehe er sich umsieht, ist er ein schöner Engel.“ [10]

Und umgekehrt ist das Kommen Jesu der Moment, in dem er uns zu sich ruft: „Das sollen wir lernen, nämlich die große Macht, die Gott wird wirken an uns durch Christus am jüngsten Tag: mit einem Wort wird er uns hervorziehen. Er spricht: Doktor Martine, komm her!, und es wird geschehen im nu.“ [11]

Parusie in der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts

Die Gelehrten der lutherischen Orthodixie im Nachgang zur Reformation, wie zum Beispiel Johann Gerhard oder Leonhard Hutter, lehren ein mehrstufiges Modell der sogenannten Vier letzten Dinge: die Auferstehung der Toten erfolgt am Ende der Zeit, sodann die Parusie, also das Erscheinen Christi zum letzten Gericht und zum Weltende. Mit dem Richten Christi ist ein doppelter Ausgang verbunden: ewiger Tod oder ewiges Leben. [12]

Strikt abgelehnt wird von der lutherischen Orthodoxie der mittelalterliche Gedanke, dass es bis zur Parusie Christi mehrere Aufenthaltsräume für Verstorbene gibt: das Fegefeuer (Purgatorium) kommt nicht mehr vor, das Wartezimmer für die ungetauft verstorbenen Kinder (limbus infantium) und der Aufenthaltsraum für die Väter des Alten Testaments (limbus patrum) werden aus der lutherisch-orthodoxen Dogmatik entfernt. [13]

Parusie in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth

Karl Barth beschäftigt sich in seiner Kirchlichen Dogmatik mit dem Thema der Parusie Christi an mehreren Stellen. Er unterscheidet dabei drei Gestalten der Parusie: [14]:

  • Die erste Gestalt der Parusie Christi ist für ihn das Ostereignis, ist die Auferstehung Jesu Christi.
  • Die zweite Gestalt der Parusie, auch „die mittlere Gestalt“, ist „die Gabe des Heiligen Geistes“, ist das Pfingstereignis, die Ausgießung des Geistes an die Gemeinde und Kirche.
  • Die dritte Gestalt, „die letzte Form“, ist „das Herbeikommen Jesu Christi als des Zieles der Geschichte der Kirche, der Welt und jedes einzelnen Menschen.“ [15] So definiert Karl Barth den „Jüngsten Tag“. Es ist dies das „neue Kommen“ des zuvor Gekommenen, „das neue Bei-uns-Sein dessen, der bei uns war.“ [16]

Diese dreifache Gestalt der Parusie Christi darf nicht auseinandergerissen werden, sondern sie muss als Einheit verstanden werden. [17]

Freikirchliches Verständnis der Paurusie

In den apostolischen Kirchen (z.B. AJC, OAC) gibt es die Grundaussage, dass die Wiederkunft Christi bereits zu Pfingsten erfüllt war. Somit lebt Christus als das Gute Wesen und durch den Heiligen Geist schon im Menschen. Der Wiederkunftstag Christi ist somit für diese Christen der letzte gelebte Tag, also der Tag des jüngsten Gerichts.

Geschichtliche Entwicklung des Konzeptes der Parusie

Die Geschichte der Parusie im Christentum

Wichtigste Textgrundlage für die christliche Eschatologie ist die Bibel. Außerbiblische Schilderungen des Jüngsten Gerichts finden sich in den Apokryphen, in den Schriften der großen Kirchenväter und der Scholastiker. Aber auch in volkstümlicheren Textgattungen, in Predigten und Legenden, ist das Weltgericht ein zentrales Motiv. Die Vorstellung vom Jüngsten Gericht, wie sie dann in der mittelalterlichen Kunst ihren Ausdruck findet, ist letztlich ein Konglomerat aus verschiedensten schriftlichen und bildlichen Quellen.

Im Alten Testament finden sich bereits zahlreiche Hinweise auf das Jüngste Gericht, wobei hier besonders die Psalmen und das Buch Daniel zu nennen sind. Innerhalb der alttestamentlichen Schriften lässt sich ein Wandel von einer vom Volk Israel ausgehenden Vorstellung eines Weltgerichts, das exklusiv die Feinde Israels betrifft, hin zu einem umfassenden, für alle Menschen verbindlichen göttlichen Strafgericht erkennen. Damit ist die Basis gelegt für die differenzierte und heilsgeschichtlich relevante Ausformung des Themas in den beiden neutestamentlichen Hauptquellen, die die Vorstellung des Jüngsten Gerichts vor allem geprägt haben: dem Matthäus-Evangelium und der Apokalypse des Johannes.

Die präzise Schilderung des Jüngsten Gerichts im [Matthäus-Evangelium (Mt 25,31 EU) stellt eine der wichtigsten biblischen Quellen dar. Darüber hinaus finden sich etwa in den Gleichnissen aller Evangelien fast durchgehend Gerichtsmetaphern, so beispielsweise in Mt 13,24–30 EU; Mt 13,36–43 EU, wo am Erntetag die Spreu vom Weizen getrennt werde. Vor allem im Matthäus-Evangelium liegt der Fokus dabei auf einer gewissen Werkgerechtigkeit: barmherzige Taten sind geeignet, das Urteil beim Jüngsten Gericht günstig für den Einzelnen zu beeinflussen.

Diese klare Ethik wird in der Johannesapokalypse relativiert. Hier überkreuzt sich die Idee des Jüngsten Gerichts mit der zweiten eschatologischen Vision des Christentums: dem Tausendjährigen Reich Christi. Satan wird für tausend Jahre gefesselt werden und Christus wird zum ersten Mal wiederkommen, um während dieses Millenniums gemeinsam mit den Heiligen zu herrschen. Erst danach wird die zweite Wiederkehr Christi stattfinden, bei der er alle Lebenden und Toten zum Jüngsten Gericht ruft (Offb 20,1 EU). In der Apokalypse ist das Jüngste Gericht demnach Schlussstein einer gänzlich anderen eschatologischen Erzählung, in der der Teufel oder Antichrist als beständiger Versucher mit erheblicher Macht ausgestattet wird und das Heilsschicksal des Einzelnen in diesem kosmischen Kampf in den Hintergrund tritt.

Daneben finden wir zahlreiche außerbiblische Quellen, von denen hier nur einige wichtige genannt werden können:

  • das um 170120 v. Chr. entstandene Buch Henoch. Es ist die älteste jüdische Schrift mit eschatologischem Inhalt überhaupt und schildert bereits ausführlich Gericht und Jenseits
  • die Schriften Augustinus' von Hippo (354430), vor allem das 20. Buch aus De Civitate Dei, die Weissagungen vom Jüngsten Gericht. Augustinus legt hier die für die Gerichtsvorstellung relevanten Stellen des Neuen und Alten Testaments aus. Er bestätigt, dass zunächst Christus zum Gericht wiederkommen werde, woraufhin die Toten auferstehen würden. Christus scheide die Guten und Bösen, dann käme es zum Brand und zur Erneuerung der Welt.
  • Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine (entstanden 1263–1273). Sie beginnt mit der detaillierten Beschreibung der Wiederkunft des Herrn. Nachdem die Auferstandenen unmittelbar vor dem Richtspruch getrennt worden sind, die Ungläubigen direkt in die Hölle, die Bösen und Guten vor das Tribunal und die Heiligen als Gerichtsbeisitzer in den Himmel gekommen sind, zeigt Christus das Kreuz und die Wundmale als zweigesichtiges Zeichen des Gerichts und der Erlösung. Als Ankläger treten auf: der böse Geist, die eigene Missetat und die gesamte Welt. Anschließend werden die drei Zeugen gehört: Gott, das Gewissen und der Schutzengel des Einzelnen. Nun folgt das Urteil, gegen das kein Einspruch erhoben werden kann.
  • Das dritte Buch im Elucidarium des Scholastikers Honorius Augustodunensis (ca. 1080–1137). Die Schrift ist in Form eines Lehrer-Schüler-Gespräches abgefasst. Honorius geht ausgesprochen frei mit Quellentexten um, vor allem was die kreative Ausgestaltung von Details angeht. Gerade deshalb wurde er aber für die Gerichtsdarstellungen an den Tympana französischer Kathedralen so intensiv rezipiert.
  • Die Volkspredigten, beispielsweise des Franziskaners Berthold von Regensburg (1210–1271)
  • Zahlreiche Visionsberichte, wie etwa die Vision des Bauern Thurkill, die zwischen 1207 und 1218 im englischen Zisterziensermilieu entstanden ist. Sie enthält eine detaillierte Beschreibung der Topographie von Hölle und Fegefeuer. Bemerkenswert ist dabei, dass die Hölle mit einer Theaterszene verglichen wird: Jeden Samstag Abend müssen die Verdammten, zur Ergötzung der Teufel, die Sünden auf der Theaterbühne wiederholen, die sie während ihres Lebens begangen hatten.

Parusieverzögerung als Problem der Kirche

Erich Gräßer legte 1955 eine wissenschaftliche Arbeit über die Verzögerung der Parusie im Neuen Testament vor, die den Titel trägt: Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte. Seit dieser Zeit wird verstärkt darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass sich die Naherwartung der ersten Christen auf eine baldige Wiederkunft Christi stark verzögert hat. [18]

Siehe auch

Literatur

  • Markus Mühling, Grundinformation Eschatologie. Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-03619-8, 221–241
  • Joseph Ratzinger, Eschatologie. Tod und ewiges Leben, Pustet Verlag, Regensburg 2007, ISBN 9783791720708, Neuausgabe der 6. Auflage aus der Reihe: Kleine Katholische Dogmatik, Bd. IX. aus dem Jahr 1990
  • René Pache: Die Wiederkunft Jesu Christi, Wuppertal, Zürich 12. Aufl. 1993
  • Gerhard Maier: Er wird kommen. Was die Bibel über die Wiederkunft Jesu sagt, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal ³2001.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Langenscheidt: Griechisch-deutsches Wörterbuch Altgriechisch-Deutsch v. Prof. Dr. Hermann Menge, 42. verb. Aufl. Berlin, 1985, Seite 340
  2. Langenscheidt: Griechisch-deutsches Wörterbuch Altgriechisch-Deutsch v. Prof. Dr. Hermann Menge, 42. verb. Aufl. Berlin, 1985, Seite 323 u. 330
  3. Die Adventszeit, in: Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr – Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1988, 2. Auflage, S. 179-188, hier: S. 179
  4. Katechismus der Katholischen Kirche, Deutsche Ausgabe, München 2003, S. 297
  5. Katechismus der Katholischen Kirche, Deutsche Ausgabe, München 2003, S. 296
  6. Katechismus der Katholischen Kirche, Deutsche Ausgabe, München 2003. S. 300
  7. Katechismus der Katholischen Kirche, Deutsche Ausgabe, München 2003, S. 297
  8. Hans Küng, Ewiges Leben? München 1982, S. 179; dort auch Ausführungen zum Begriff „Hölle“. An gleicher Stelle erfolgt auch eine kritische Auseinandersetzung Küngs mit Joseph Ratzinger, der am Purgatorium als eines „unvorhersehbaren langen Wartens“ festhält.
  9. Martin Luther, Predigt vom 7. Juni 1523, Weimarer Ausgabe XII, S. 596; hier zitiert nach: Emanuel Hirsch, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, Berlin 1964, 4. Auflage, S. 263
  10. Martin Luther, Hauspredigt 1532, „an die jungen Knechte und Mägde, vom Leben und Sterben im Glauben“, Weimarer Ausgabe XXXVI, S. 349; hier zitiert nach: Emanuel Hirsch, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, Berlin 1964, 4. Auflage, S. 263
  11. Martin Luther, Hauspredigt vom 28. September 1533, Weimarer Ausgabe XXXVII, S. 149; hier zitiert nach: Emanuel Hirsch, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, Berlin 1964, 4. Auflage, S. 264
  12. Darstellung nach: Heinrich Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche dargestellt und aus den Quellen belegt, Gütersloh 1983, 10. Auflage, S. 394–399
  13. Horst Georg Pöhlmann, Abriss der Dogmatik, Gütersloh 1980, 3. Auflage, S. 308.309
  14. unter anderem: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Band IV/3, Seite 339
  15. unter anderem: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Band IV/3, Seite 338
  16. unter anderem: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Band IV/3, Seite 354-356
  17. siehe dazu auch: Otto Weber, Karl Barths Kirchliche Dogmatik. Ein einführender Bericht, Neukirchen-Vluyn 1984, 10. Auflage, Seite 301 – ISBN 3788704675
  18. Erich Gräßer, Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte, Dissertation 1955

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