Leute der Schrift

Leute der Schrift

Der Begriff Buchreligion bezeichnet Religionen, die eine Heilige Schrift besitzen und diese in schriftlicher Form festgehalten haben. Verwandte Begriffe sind Offenbarungsreligion, Weltreligion und Schriftreligion. Der Begriff ist in wesentlichen Teilen vom Islam und dessen Religionsverständnis geprägt und wurde nur von wenigen westlichen Wissenschaftlern übernommen.

Inhaltsverzeichnis

Christentum

Im Christentum ist die Bibel (Altes und Neues Testament) die Heilige Schrift. Sie ist die schriftliche Grundlage des christlichen Glaubens. Die Bücher der Bibel wurden von Männern in unterschiedlichen Zeiten geschrieben und zu einem Buch, die Bibel genannt, zusammengefasst. Jesus, der in den Büchern als der verheißene Messias (Christus) und Sohn Gottes verkündigt wird, bezog sich selber auf die geschriebenen Schriften der hebräischen Bibel (Matthäus 4,4 EU).

Islam

Als Buchreligionen (deren Anhänger heißen arabischأهل الكتاب‎ ahl ul-kitab, „Leute des Buchs“) werden im Islam das Judentum, das Christentum und die im 13. Jahrhundert untergegangene Religion der Sabier angesehen (Koran 2:62). Auch der Zoroastrismus Irans wird dort zu den Buchreligionen gezählt und toleriert. Im traditionellen islamischem Recht waren die Anhänger dieser Glaubensgemeinschaften Schutzbefohlene der Muslime, sogenannte Dhimmis, mussten jedoch eine Kopfsteuer zum Ausgleich für die Nichtteilnahme am Wehrdienst zahlen (Jizyah), die auch den Zakat (religiöse Pflichtabgabe) der Muslime ersetzte. Nach islamischer Auffassung beruhen die Buchreligionen auf ursprünglichen göttlichen Offenbarungen (heiligen Büchern: Thora, Psalmen, Evangelium u. a.), welche aber von ihren Anhängern im Laufe der Zeit verfälscht worden seien (siehe: Tahrif).

Die Bahai werden im Iran als vom Islam abgefallene (Murtaddun) angesehen. Trotz internationaler Proteste sind die Bahai im Iran noch immer entrechtet und schutzlos, werden verfolgt und teilweise hingerichtet. Nach ihrem Selbstverständnis ist auch ihre nach dem Islam entstandene Religion als eigenständige „Buchreligion“ zu betrachten.

Europäische Verwendung

Der Indologe und Religionswissenschaftler Friedrich Max Müller bestimmte am 26. Februar 1870 in einer Vorlesung an der Royal Institution in London acht Religionen als Buchreligionen: drei semitische (Judentum, Christentum, Islam), drei „arische“ (Hinduismus, Buddhismus, Zoroastrismus) und zwei chinesische (Konfuzianismus, Daoismus). Für Müller stellten diese acht Religionen „eine Art von Aristokratie gegenüber dem gemeinen Pöbel von buchlosen, unliterarischen Religionen“ dar. Als Gegenstück zu den Buchreligionen sah man die „Kultreligionen“ an: „Primitive Religionen werden mehr getanzt als gedacht“ (Robert Ranulph Marett). Der Begriff „Buchreligion“ wurde nicht nur beschreibend, sondern vor allem wertend verwendet.

Der Begriff „Buchreligion“ ist als Versuch einer klaren Abgrenzung zu Religionen schriftloser Völker (Naturreligionen) auch insofern fragwürdig, als sich die schriftliche Überlieferung oftmals an eine längere Periode mündlicher Überlieferung anschließt. Der Begriff enthält zudem eine problematische Wertung bzw. Abwertung schriftloser Religionen, die in Müllers Zitat deutlich wird. Die Entscheidung, welche Religionen zu den Buchreligionen gezählt werden, ist einer gewissen Willkür unterworfen, da die Abgrenzung nicht treffsicher ist. Aus diesem Grunde wird der Begriff in der modernen Religionswissenschaft kritisch gesehen und wenig verwendet.

Im Allgemeinen werden auch der Sikhismus und die Bahai zu den Buchreligionen gerechnet.

Verhältnis verschiedener „Buchreligionen“ zu ihrem Buch

Das Verhältnis der jeweiligen Buchreligionen zu ihren heiligen Schriften ist sehr unterschiedlich. Schon zwischen Christentum, Judentum und Islam gibt es teilweise erhebliche Unterschiede. Zwar kann die heilige Schrift in allen drei Religionen als Offenbarung Gottes bezeichnet werden. Für Juden aber ist die primäre Offenbarung das Handeln und Sprechen Gottes in der Geschichte Israels, für Christen (vorbereitend) in der Geschichte Israels und (endgültig) in Jesus von Nazareth. Die jeweiligen Schriften sind der erhaltene schriftliche Niederschlag dieses göttlichen Handelns.

Für Christen und Muslime ist Jesus Christus das „Wort Gottes“ in diese Welt hinein, wovon die Schrift nur Zeugnis gibt – und auf diese Weise an seiner Geltung teilhat. Für den Islam jedoch ist das heilige Buch, der Koran, die Wortgestalt der göttlichen Offenbarung, und Mohammed ist „nur“ der Vermittler dieses Wortes, der aber selbst, als Person, keine soteriologische Bedeutung hat. Der Wortlaut der koranischen Sätze gilt als Offenbarung Gottes. So ist lediglich der Islam eine „Schriftreligion“ im eigentlichen Sinn, das Christentum gilt als sekundäre Buchreligion.

Noch größer ist der Unterschied zum Hinduismus, wo der Veda, der als von Sehern „gehörtes“ Wissen gilt, sehr lange mündlich überliefert und erst Jahrhunderte später schriftlich aufgezeichnet wurde.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Der Grossinquisitor — Der Großinquisitor ist das fünfte Kapitel des fünften Buches aus dem Roman Die Brüder Karamasow von Fjodor Dostojewski, das auch unabhängig unter demselben Titel veröffentlicht worden ist. Der russische Schriftsteller Wassili Rosanow machte es… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Großinquisitor — ist das fünfte Kapitel des fünften Buches aus dem Roman Die Brüder Karamasow von Fjodor Dostojewski, das auch separat unter demselben Titel veröffentlicht worden ist. Der russische Schriftsteller Wassili Rosanow machte es mit dem 1894 in der… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Staat bin ich — Geflügelte Worte   A B C D E F G H I J K L M N O …   Deutsch Wikipedia

  • Der Antichrist — Titelblatt der Erstausgabe 1894 (in Band VIII der Ausgabe von Fritz Koegel). Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum ist eines der Spätwerke Friedrich Nietzsches. Er schrieb die polemische Abrechnung mit dem Christentum im Spätsommer und… …   Deutsch Wikipedia

  • Leute — 1. A de richa Lüta werd ma nüd rüdig1. – Sutermeister, 143; Tobler, 371. In Appenzell: Von den reichen Leuten bekommt man nicht leere Hände. (Tobler.) 2. Albern Leut dienen nicht in die Welt. – Petri, II, 4. 3. Alberne Lüe sind ock Lüe. (Hannover …   Deutsches Sprichwörter-Lexikon

  • Der Renner — ist das einzige erhaltene deutschsprachige Werk Hugo von Trimbergs. In seinem ersten Teil beschreibt der Dichter die sieben Hauptsünden, ihre Untersünden und die von ihnen gefährdeten Personengruppen. Im zweiten Teil setzt er sich mit dem Weg der …   Deutsch Wikipedia

  • Leute des Buches — Der Begriff Buchreligion bezeichnet Religionen, die eine Heilige Schrift besitzen und diese in schriftlicher Form festgehalten haben. Verwandte Begriffe sind Offenbarungsreligion, Weltreligion und Schriftreligion. Der Begriff ist in wesentlichen… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Immoralist — (frz. L Immoraliste) ist ein Roman von André Gide, der, am 25. November 1901 beendet[1], 1902 in der Literaturzeitschrift Mercure de France in Paris erschien.[2] Der begüterte Paläograph Michel beichtet drei alten Freunden drei Monate nach dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Selbstmord — Der Suizid (von neulateinisch suicidium aus dem Präfix sui = sich und caedere = töten, respektive caedium = Tötung; gr. autocheiria) ist das willentliche Beenden des eigenen Lebens, sei es durch beabsichtigtes Handeln oder absichtliches… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Film — Studioalbum von Jennifer Rostock Veröffentlichung 10. Juli 2009 Aufnahme 2008 2009 Label …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”