- Libation
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Das Trankopfer oder die Libation ist eine Form des Opfers. Am Kultplatz, aber auch an profanen Orten werden Flüssigkeiten über einem geweihten Objekt vergossen, bei Viehzüchtern auch in die vier Himmelsrichtungen verschüttet, und so der göttlichen Sphäre übereignet.
Die Libation scheint bereits in einer frühen Phase der Religionsentwicklung aufgetreten zu sein. Merkmale prähistorischen Wasserkultes sind besonders gestaltete Libationsgefäße (z. B. Mehrtüllengefäße). In Lepenski Vir fand man die ältesten Libationsbehältnisse Europas, in Steine eingetiefte Mulden. Die chalkolithische Theiß-Kultur Ungarns schuf die Venusgefäße von Kökénydomb. Vieles spricht dafür, dass sie für Wasserkulte in Benutzung waren. Entsprechende Gefäße kennt auch die Bandkeramik.
Durch archäologische Funde sind Gefäße für Trankopfer im östlichen Mittelmeerraum (Ägypten, Kreta, Kleinasien) und in Mesopotamien aus frühgeschichtlicher Zeit belegt. Schriftzeugnisse geben Hinweise auf Verbreitung und Praxis der Libation. Der Göttin Hathor war ein eigener Hymnus über ihr Trankopfer (altägypt. „qbch“, die entsprechende Hieroglyphe zeigt einen Wasserspender) gewidmet, das Buch Numeri 28–29 wies die Israeliten detailliert an, wie sie ihre Trankopfer neben Feuer- und Speiseopfern durchzuführen hatten.
Eine Vielzahl von Religionen haben Trankopferformen entwickelt, die nicht selten auf einer langen Tradition beruhen. Das indische Ghee spielt häufig eine libatorische Rolle in vedischen Ritualen, die bis ins 13. Jahrhundert v. Chr. zurückdatieren. Beim japanischen Shintō, dessen Wurzeln in einem vor-buddhistischen agrarischen Animismus liegen, geschieht die Kulthandlung in einem Schrein üblicherweise mit geweihtem Sake (selten mit Bier), im privaten Bereich kann auch frisches Wasser zur Anwendung kommen, das in schmucklosen Porzellan- oder Metallschalen dargebracht wird.
In der griechischen und römischen Religion war das Trankopfer aus Flüssigkeiten wie Wasser, Milch, Honig, Wein oder Öl die häufigste Kulthandlung. Es geschah morgens und abends, zum Gebet, beim Eid, bei Antritt einer Reise oder auch bei Symposien und Gastmählern. Trankopfer gehörten so selbstverständlich zur religiösen Sphäre, dass selbst Götter bei dieser Kulthandlung dargestellt wurden und die Trankopferschale zum eigentlichen göttlichen Attribut wurde. Der große Bedarf an Trankopfern inspirierte Heron von Alexandria zu einem in seinem Werk Pneumatika beschriebenen Automaten: Eine lose Holzscheibe deckte ein gefülltes Spendergefäß ab; deren Gewicht drückte die Flüssigkeit, nachdem ein Geldstück eingeworfen worden war, durch ein Rohr nach oben, wo sie der Gläubige auffangen konnte.
Die beim Trankopfer verwendeten Gefäße unterschieden sich in der Regel von denen für den Alltagsgebrauch. Ein gängiges Gefäß war das Rhyton, libiert wurde auch mittels φιάλη (phialē) bzw. Patera (beides Opferschalen) und Guttus (eine Opferkanne). Die Begriffe für das Trankopfer hießen im Griechischen σπονδή (spondē, danach benannt auch der Spondeus als üblicher Versfuss der Trankopfergesänge), λοιβή (loibē) und χοή (choē) bzw. für das Weinopfer οἰνόσπονδα (oinosponda) und beim chtonischen Kult νηφάλια (nēphalia) sowie im Lateinischen libatio.
Das Trankopfer wurde selbständig oder zusammen mit anderen Opfergaben dargebracht (oft beim Speiseopfer), in Verbindung mit blutigen Opfern goss man die Flüssigkeit zu Anfang und Ende des Ritus über den brennenden Opfertieren aus. Selbständige Trankopfer geschahen beim griechischen Eid (σπονδή bedeutet auch Vertrag) oder im Totenkult mit dem Weihguss (χοή) aus ungemischtem Wein direkt auf den Erdboden. Das Ritual konnte von eigens dazugezogenen Weihgussträgerinnen vollzogen werden; nach diesen Choephoren ist der zweite Teil von Aeschylos' Orestie benannt.
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