Lockerbie-Prozess

Lockerbie-Prozess

Als Lockerbie-Anschlag – nach der Flugnummer auch PanAm-Flug 103 – wurde der Bombenanschlag auf ein Verkehrsflugzeug vom Typ Boeing 747-121[1] der amerikanischen Fluglinie Pan American World Airways am 21. Dezember 1988 bekannt, der laut Urteil schottischer Strafgerichte ein staatsterroristischer Akt libyscher Geheimdienstler gewesen sein soll, was nach verschiedenen Eingaben und eidesstattlichen Erklärungen bezüglich der Glaubwürdigkeit von Zeugen und manipulierter Beweise derzeit erneut durch schottische Gerichte überprüft wird. Das Flugzeug wurde auf einer Flughöhe von etwa 9.400 m über der Ortschaft Lockerbie, Dumfries and Galloway, Schottland nach der Explosion von 340–450 g Plastiksprengstoff zerstört. Bei dem Unglück kamen alle 259 Insassen der Maschine, sowie am Boden elf Bewohner Lockerbies ums Leben. Die so genannte Katastrophe von Lockerbie wurde größtenteils als ein Anschlag auf ein Symbol der USA gesehen; mit 189 toten US-Amerikanern galt er bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als verlustreichster Anschlag gegen Zivilisten aus den Vereinigten Staaten.

Libyen hat niemals eine wie auch immer geartete Beteiligung an dem Anschlag eingeräumt, jedoch im Rahmen von Verhandlungen zur Beilegung seiner Konflikte mit den USA sich zu der Erklärung bereitgefunden, es "akzeptiere die Verantwortung für Taten seiner Offiziellen". Es zahlte bisher 2,46 Milliarden US-Dollar Entschädigung an die Hinterbliebenen der Opfer. Zur einzigen Verurteilung in dem Fall kam es 2001 im sogenannten Lockerbieprozess, als ein schottisches Gericht den libyschen Geheimdienstoffizier Abdel Basset Ali al-Megrahi zu lebenslanger Haftstrafe verurteilte. Dieser Prozess wird derzeit wegen eines möglichen Justizirrtums neu aufgerollt.

Inhaltsverzeichnis

Pan-American-World-Airways-Flug 103 (PA103)

Eine Boeing 727: an diesem Tag „Zubringer“ für PA103

PA103, für Pan-Am-Flug 103, war der Name des zu dieser Zeit dritten täglichen Transatlantikfluges der PanAm vom Flughafen London-Heathrow zum John F. Kennedy International Airport in New York. Am 21. Dezember 1988 wurde die Route von einer Boeing 747-121 mit der Kennnummer N739PA und dem Beinamen „Clipper Maid of the Seas“ geflogen.

An diesem Tag begann die Flugverbindung PA103 am Flughafen Frankfurt am Main mit einer Boeing 727 für die Strecke zum Flughafen London-Heathrow. 74 der 89 Passagiere des ersten Streckenabschnittes von PA103 wechselten dort in die Boeing 747, welche den Flug nach New York nun fortsetzen sollte. Die 747 war am Vormittag als Flug PA124 von San Francisco gekommen und wurde auf dem Stellplatz K-14 am Terminal 3 geparkt und für zwei Stunden durch die Sicherheitsfirma von Pan Am, Alert Security, bewacht.

Im Jumbo-Jet befanden sich auf seinem letzten Flug 243 Passagiere und 16 Besatzungsmitglieder, im Cockpit saßen der Pilot, Kapitän James MacQuarrie, der Erste Offizier Raymond Wagner und der Flugingenieur Jerry Avritt. Als Chefstewardess (Senior Purser) war die Britin Mary Geraldine Murphy (51) eingesetzt.

Die Helsinki-Warnung

CIA-Dokument über die vorangegangenen Warnungen

Am 5. Dezember gab die Federal Aviation Administration (FAA) eine Sicherheitsmeldung heraus, die besagte, dass am selben Tag ein Mann mit arabischem Akzent bei der US-Botschaft in Helsinki, Finnland angerufen hatte und angekündigt hatte, dass innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Pan-Am-Flug von Frankfurt in die USA von Mitgliedern der Abu-Nidal-Organisation gesprengt werden würde. Eine finnische Frau werde die Bombe unwissend an Bord tragen. Der Anrufer lag mit seiner Zeitangabe nur um zwei Tage daneben.

Abschnitt des CIA-Dokuments über die Helsinki-Warnung, deutsche Übersetzung:
„Ein anonymer Anrufer sagte einer diplomatischen US-Einrichtung in Europa am 5. Dezember, dass ein Bombenanschlag gegen ein Pan-Am-Flugzeug, das von Frankfurt, West-Deutschland in die USA fliegt, verübt werden würde. Die Federal Aviation Administration wurde über die Drohung in Kenntnis gesetzt und die Sicherheitsvorkehrungen für Pan-Am-Flüge von Frankfurt erhöht.“

Die Warnung wurde von der US-Regierung ernstgenommen. Das Außenministerium schickte die Sicherheitsmeldung an dutzende Botschaften. Die FAA sandte sie an alle Fluglinien, einschließlich der Pan Am, die daraufhin einen Sicherheitsaufpreis in Höhe von fünf Dollar von jedem Passagier verlangte und ein Sicherheitskonzept versprach, das Passagiere, Mitarbeiter, Flughafeneinrichtungen, Gepäck und Flugzeuge mit unnachgiebiger Gründlichkeit überprüfen sollte. Das Sicherheitsteam in Frankfurt fand die Meldung einen Tag nach der Katastrophe unter einem Stapel Papiere. Zudem berichtete eine Frankfurter Sicherheitsbeamtin, die für das Aufspüren von Sprengstoff unter Röntgenstrahlung zuständig war, dass sie Semtex nicht gekannt habe, bis sie elf Monate nach dem Anschlag von ABC interviewt worden sei.

Am 13. Dezember wurde die Warnung in der US-Botschaft in Moskau veröffentlicht und auch an sämtliche sich dort aufhaltende Amerikaner – auch Journalisten und Geschäftsleute – weitergeleitet. Dies führte dazu, dass einige auf Flüge anderer Gesellschaften umbuchten. Die nun auf PA103 frei gewordenen Plätze wurden anschließend billig verkauft. Die Ermittlungen nach dem Anschlag ergaben, dass es sich bei der Warnung offensichtlich um eine Falschmeldung und somit um einen schrecklichen Zufall handelte.

Menschen, die PA103 verpassten

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Nach dem Bombenanschlag gab es verschiedene Berichte über Menschen, die auf PA103 gebucht waren, diesen aber aus verschiedenen Gründen verpassten.

Die Four Tops wollten über Weihnachten in die USA zurück, aber da sie das Aufnahmestudio zu spät verließen, verpassten sie den Flug. Aufgebracht über das Verpassen des Flugs erreichte sie die Nachricht von der Explosion gerade, als sie darüber stritten[2].

Ex-Sex Pistol John Lydon und seine Frau Nora entkamen ebenfalls knapp dem Unglück: „Wir haben den Flug nur verpasst, weil Nora nicht rechtzeitig gepackt hatte. Als wir begriffen, was passiert war, schauten wir uns nur an und wären beinahe zusammengebrochen.“[3]

Andere, von denen sicher ist oder vermutet wird, dass sie auf PA103 gebucht waren, ihre Reservierung aber zuvor stornierten oder umbuchten, sind: Roelof „Pik“ Botha, damaliger Außenminister von Südafrika, er reiste zu einer UN-Feierlichkeit in New York, um das Abkommen zur Unabhängigkeit Namibias zu unterzeichnen (Bent Carlsson, UN-Beauftragter für Südafrika, der zur selben Feierlichkeit reiste, starb an Bord der 747[4]); John McKarthy, US-Botschafter im Libanon; Chris Revell, damals Vize-Direktor des FBI; und Steven Greene, Verwaltungsbeamter im Büro der DEA. Diese (angeblichen) Stornierungen von Tickets von in der Öffentlichkeit stehenden Personen führten zu Gerüchten, dass Geheimdienste detailliertere Warnungen über das bevorstehende Attentat hatten, als zugegeben.

Der letzte Kontakt mit Flug 103

Der Flug sollte planmäßig um 18:00 Uhr abheben, wurde jedoch erst um 18:04 Uhr vom Gate geschoben und hob mit 25-minütiger Verspätung (nicht ungewöhnlich während der Hauptverkehrszeit) um 18:25 Uhr von Startbahn 27L ab, wonach die Maschine in nordwestlicher Richtung von Heathrow abflog, ein sogenannter Daventry-Abflug. Nachdem die Boeing 747 den Flughafen hinter sich gelassen hatte, steuerten die Piloten nach Norden in Richtung Schottland. Um 18:56 Uhr erreichte die Maschine die Grenze und hatte hier ihre Reiseflughöhe von 9.400 m erreicht. Captain Mac Quarrie drosselte, wie vorgesehen, den Schub auf Reiseflugniveau.

Um 19:00 Uhr wurde PA103 von dem schottischen Luftraumüberwachungszentrum in Prestwick übernommen, wo die Freigabe für den Flug über den Atlantik eingeholt werden musste. Als sie in den schottischen Luftraum einflogen, stellte Alan Topp, der zuständige Fluglotse, Kontakt zu den Piloten her.

Captain MacQuarrie antwortete: „Good evening Scottish, Clipper one zero three. We are at level three one zero.“ (Guten Abend Schottland, (hier) Clipper 103. Wir sind auf Flugfläche drei eins null.)

Danach sagte Copilot Wagner: „Clipper 103 requesting oceanic clearance.“ (Clipper 103, wir erbitten Ozean-Freigabe.)

Dies war das letzte Lebenszeichen von Bord der 747.

Die Explosion

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Um 19:01 Uhr sah Alan Topp, wie sich PA103 der Ecke des Solway Firth näherte und um 19:02 Uhr dessen Nordküste überflog. Das Flugzeug wurde als kleines grünes Quadrat mit einem Kreuz in der Mitte und dem Transpondercode auf dem Radarschirm angezeigt, der Code lautete 0357 310 68546.9. Er lieferte Topp wichtige Informationen über Kurs, Flughöhe und Geschwindigkeit der Maschine. Der letzte Code, den er von der 747 erhielt, zeigte ihm, dass sie sich auf Kurs 316° befand und mit einer Geschwindigkeit von 580 km/h flog. Diese Angabe musste jedoch fehlerhaft sein, da bei einer später von schottischen Behörden durchgeführten Analyse andere Daten ergaben: Die Analyse ergab den Kurs 321° und eine Geschwindigkeit von 804 km/h.

Um 19:02 Uhr und 47 Sekunden verschwand PA103 vom Radarschirm. Topp versuchte, Captain MacQuarrie zu erreichen und bat einen KLM-Flug in der Nähe, das Gleiche zu tun, aber beide Versuche blieben erfolglos. Zuerst dachte Topp, die Maschine sei in eine sogenannte Zone der Stille eingeflogen, ein „toter“ Bereich, aus dem keine oder fehlerhafte Radarsignale empfangen werden können. Wo vorher ein grünes Quadrat auf dem Radarschirm aufleuchtete, erschienen nun vier, und nach einigen Sekunden begannen sich die Quadrate weiter zu zerstreuen. Ein Vergleich des Flugschreibers mit den Radaraufzeichnungen zeigte, dass die Wrackteile nach nur acht Sekunden eine Streuung von bereits 2 km hatten.

Eine Minute später stürzte die Flügelsektion mit 91.000 kg Treibstoff und einer Geschwindigkeit von 825 km/h auf Lockerbie. Ein Seismograph in der Nähe stellte eine Erschütterung mit einer Stärke von 1,6 auf der Richterskala fest. Der Flügel begrub mehrere Häuser unter sich und ging in Flammen auf. Sogar der in der Nähe fliegende British-Airways-Pilot Captain Robin Chamberlain funkte an Topp, dass er ein massives Feuer am Boden sehen konnte. Derweil schritt die Zerstörung auf dessen Bildschirm weiter voran, der nun voll war von hellen Quadraten, die sich alle ostwärts mit dem Wind bewegten[5].

Die Explosion riss ein 0,5 m breites Loch auf der linken Seite in den Rumpf, einige Meter unter dem P in der Pan-Am-Beschriftung. Der darauffolgende Zerfall der Maschine ging sehr schnell. Ermittler einer britischen Behörde sagten, dass sich die Nase des Flugzeugs (Bugteil mit Cockpit) bereits innerhalb von drei Sekunden nach der Explosion vom Rest löste.

Der Flugschreiber wurde noch am ersten Tag nach dem Anschlag von Polizisten gefunden. Auf ihm gab es keine Anzeichen eines abgesetzten Notrufsignals, doch die Explosion war 180 Millisekunden lang zu hören, danach stoppte die Aufzeichnung. Noch während das Cockpit mitsamt den Leichen der Crew in Lockerbie lag, wurde es von Ermittlern der FAA untersucht. Diese kamen zu dem Schluss, dass keine Notfallmaßnahmen ergriffen worden waren: Die Schalter für die Druckkabine und den Treibstoff waren auf normaler Position. Auch hatte die Crew ihre Sauerstoffmasken nicht benutzt.

Die Kontrollsysteme einer 747, von denen aus alle Navigations- und Kommunikationssysteme gesteuert werden, befinden sich zwei Stockwerke unter dem Cockpit. Sie sind nur durch eine dünne Wand vom vorderen Frachtraum getrennt. Die Wucht der Explosion zerschlug die Wand und zerstörte die Systeme, was dazu führte, dass sich der vordere Rumpfteil unkontrolliert zu bewegen begann[6]. Diese starken Bewegungen ließen die noch verbliebenen Verbindungsstücke zum restlichen Rumpf brechen und der komplette vordere Teil brach weg. Zur selben Zeit trafen direkte Druckwellen der Explosion auf bereits vom hinteren Rumpf reflektierte Wellen. Dies führte dazu, dass der Rumpf weiter beschädigt wurde. Ein Teil des Dachs oberhalb der Explosionsstelle wurde weggerissen.

Die Stärke der Explosion wurde durch den abrupten Ausgleich des herrschenden Druckunterschieds zwischen dem Innenraum des Flugzeugs und der Umgebung weiter verstärkt. Innerhalb der Druckkabine war der Druck etwa viermal so hoch wie außerhalb der Maschine. Als die Nase wegbrach, riss sie eines der vier Triebwerke mit.

Die Ermittler glauben, dass die Nase und das eine Triebwerk innerhalb von drei Sekunden nach der Explosion separat zu Boden fielen. Der Rumpf nebst Tragflächen flog weiter, bis er auf eine Höhe von 6.000 m gesunken war. Ab diesem Punkt fiel er fast senkrecht zu Boden.

Im freien Fall brach der Rumpf in kleinere Teile auseinander. Als Erstes schlug die Flügelsektion in Sherwood Crescent, einem Ortsteil von Lockerbie, auf. Dort entzündete sich das Kerosin und das riesige Feuer zerstörte mehrere Häuser. Das Feuer war so intensiv, dass von der linken Tragfläche nichts übrig blieb. Allein aufgrund der Zahl der aufgefundenen Schrauben konnte herausgefunden werden, dass beide Tragflächen dort aufgeschlagen waren.

Opfer

Passagiere und Besatzung

Alle 243 Passagiere und 16 Besatzungsmitglieder wurden bei dem Absturz getötet. Eine schottische Ermittlungsbehörde gab bekannt, dass, als das Cockpit wegbrach, extrem starke Luftströmungen durch den Rumpf gepeitscht seien, die den Passagieren die Kleidung wegrissen und Objekte wie Getränkewagen in tödliche Geschosse verwandelten.

Aufgrund der plötzlichen Druckänderung dehnten sich die Gase innerhalb der Körper auf das vierfache Volumen aus, was bei vielen zu einer Lungenüberdehnung oder einem Lungenkollaps führte. Nicht angeschnallte Passagiere bzw. ungesicherte Objekte wurden aus der Maschine in −46 °C kalte Luft geschleudert und fielen etwa zwei Minuten lang aus 9 km Höhe in Richtung Boden. Andere blieben auf ihren Sitzen und schlugen noch angeschnallt in Lockerbie auf.

Die meisten Insassen der Maschine wurden aufgrund des Sauerstoffmangels während des Falls bewusstlos, doch die Gerichtsmediziner glauben, dass einige das Bewusstsein wiedererlangten, als sie sauerstoffreichere Luftschichten erreichten. Pathologe William G. Eckert, der die Ergebnisse der Autopsien untersuchte, sagte der schottischen Polizei, dass er glaube, dass die Cockpitbesatzung, einige Flugbegleiter und 147 weitere Passagiere sowohl die Bombenexplosion als auch die darauffolgende Dekompression überlebten und erst durch den Aufprall starben. Keiner von ihnen hatte Anzeichen von Verletzungen durch die Explosion, den Druckabfall oder das Auseinanderbrechen der Boeing 747. Eine Mutter wurde mit ihrem Baby im Arm gefunden, zwei Freunde hielten sich an den Händen und eine ganze Anzahl von Passagieren umklammerte Kruzifixe.

Kapitän MacQuarrie, der Erste Offizier, der Flugingenieur, eine Flugbegleiterin und einige Passagiere der First Class wurden noch angeschnallt in der Flugzeugnase gefunden, nachdem diese auf einem Feld nahe Lockerbie aufgeschlagen war. Eine Flugbegleiterin und ein Mann wurden lebend gefunden, sie starben aber, bevor Hilfe geholt werden konnte. Die Untersuchung ergab, dass der Mann vielleicht überlebt hätte, wenn er früher gefunden worden wäre. Des Weiteren wurden Opfer in Waldstücken gefunden, deren Sitze sich in den Bäumen verfangen hatten. Einige der Opfer wiesen keine tödlichen Verletzungen auf, jedoch wurden sie erst zwei Tage nach dem Absturz gefunden. Falls die Opfer den Absturz also überlebt hatten, sind sie später vermutlich erfroren.

Einwohner Lockerbies

Am Boden in Lockerbie starben elf Menschen, als die Flügelsektion mit einem Teil des Rumpfes aufschlug. Mehrere Häuser wurden unter dem Flügel begraben und 21 weitere bei der Explosion so schwer beschädigt, dass sie später abgerissen werden mussten. Vier Mitglieder einer Familie, Jack und Rosalind Somerville und ihre Kinder Paul und Lynsey, starben, als ihr Haus durch das Kerosin förmlich explodierte. Ein riesiger Feuerball wuchs über die Häuser und bewegte sich in Richtung der nahe gelegenen Autobahn.

In den darauffolgenden Tagen lebten die Anwohner im Angesicht von Trümmern und Leichen, während Forensiker alles fotografierten und die Positionen markierten, um den exakten Ort und die Stärke der Explosion im Flugzeug rekonstruieren zu können. Sie koordinierten Informationen über die Sitznummer eines jeden Passagiers, den Typ der Verletzungen und den Ort, wo er aufgeschlagen war.

Der Anwohner Bunty Galloway sagte den Autoren Geraldine Sheridan und Thomas Kenning 1993:

„Ein Junge lag am Ende der Treppen auf der Straße, ein junger Kerl mit braunen Socken und einer blauen Hose. Später am Abend fragte mein Schwiegersohn nach einer Decke, um ihn abzudecken. Ich wusste nicht, dass er tot war. Ich hab ihm eine Reisedecke aus Schafswolle gegeben und dachte, ich würde ihn damit warm halten. Auf der Straße lagen zwei tote Kinder, eines von ihnen krumm auf einem Gartenzaun. Jedes Mal, wenn ich hinters Haus ging, lag es immer noch da. ‚Mein Junge ist immer noch da‘, sagte ich dauernd dem wartenden Polizisten. Letztendlich konnte ich es am Samstag nicht mehr ertragen. ‚Sie müssen den Jungen wegbringen.‘, sagte ich dem Polizeibeamten. In der Nacht wurde er weggebracht.“

Obwohl von ihrer Regierung angewiesen, es nicht zu tun, kamen viele Angehörige, vor allem aus den USA, nach Lockerbie, um ihre Verwandten zu identifizieren. Freiwillige aus Lockerbie organisierten Kantinen, die rund um die Uhr geöffnet blieben und in denen Hinterbliebene, Soldaten, Polizisten und Sozialarbeiter kostenlos Sandwiches, warme Speisen, Kaffee und jemanden zum Reden finden konnten. Die Frauen in der Stadt wuschen, trockneten und bügelten jedes Kleidungsstück, das sie finden konnten, um so viele Gegenstände wie möglich an die Angehörigen zurückzugeben, nachdem sie von der Polizei als nicht mehr wichtig für die forensischen Untersuchungen angesehen wurden. Der schottische BBC-Korrespondent, Andrew Cassel, berichtete am zehnten Jahrestag der Tragödie, dass die Anwohner ihre Herzen und ihre Häuser für die Angehörigen geöffnet hätten, gleichzeitig ihre eigenen Verluste tapfer und mit enormer Würde ertrugen und die damals geschmiedeten Beziehungen bis zum heutigen Tag anhielten[7].

Bekenneranrufe

Laut einer CIA-Analyse vom 22. Dezember 1988 gab es bereits kurze Zeit nach dem Anschlag mehrere Gruppen, die sich dazu bekannten verantwortlich zu sein:

  • Ein männlicher Anrufer sagte, dass die Gruppe „Beschützer der islamischen Revolution“ das Flugzeug als Vergeltung für den Abschuss eines iranischen Flugzeugs (IA655) durch die US-Marine zerstört hätte.
  • Ein Anrufer, der laut eigener Aussage die Organisation „Islamischer Dschihad“ vertrat, behauptete, seine Organisation habe das Attentat verübt, um Weihnachten zu feiern.
  • Angeblich soll sich die „Ulster Defense League“ auch telefonisch zum Anschlag bekannt haben.
  • Ein anonymer Anrufer behauptete, das Flugzeug sei vom israelischen Geheimdienst Mossad zerstört worden.

Am Ende dieser Liste vermerkte der Autor: „Wir erachten bislang das Bekennen der ‚Beschützer der islamischen Revolution‘ als das glaubhafteste.“ Abschließend schreibt er: „Bis jetzt können wir die Verantwortung für diese Tragödie keiner Gruppe geben. Wir erwarten, dass, wie oft geschehen, viele Gruppen sich verantwortlich bekennen werden.“ [8][9]

Motiv für den Terroranschlag

Libyen übernahm 2002 die volle Verantwortung für den Anschlag. Anlass und Motiv waren offenbar die Bombardierungen von Tripolis und Banghazi im April 1986. Am 15. und 16. April 1986 starteten US-Kampfflugzeuge eine Serie von Luftangriffen von England aus: Die Operation El Dorado Canyon. Die ersten US-Luftangriffe von Großbritannien aus seit dem Zweiten Weltkrieg richteten sich gegen Tripolis und Banghazi, Libyen, als Vergeltung für einen Anschlag auf die Diskothek La Belle in West-Berlin, bei dem drei Menschen getötet und 229 verletzt worden waren, darunter viele US-Soldaten[10]. Dieser Angriff wiederum war eine Vergeltung für die Versenkung von zwei libyschen Kriegsschiffen durch die USA. Unter den dutzenden Toten der Luftangriffe war auch Hanna Gaddafi, ein angeblich von Muammar al-Gaddafi adoptiertes Mädchen.

Die Ermittlungen

Die Lockerbie-Katastrophe zog die größten britischen Kriminalermittlungen nach sich, kurioserweise geleitet von der kleinsten britischen Polizeibehörde, dem Dumfries and Galloway Constabulary.

Die ersten Ermittlungen der Dumfries and Galloway-Polizei am Tatort beinhalteten militärische und zivile Untersuchungen aus Hubschraubern, die Auswertung von Satellitenbildern und das Durchkämmen des Gebiets durch hunderte von Soldaten und Polizisten. Mehr als 10.000 Trümmerteile wurden aufgesammelt, markiert und in ein Spurensuchsystem eingegeben.

Der Rumpf des Flugzeugs wurde von Flugunfallermittlern rekonstruiert, wobei das 0,5 m große, durch die Explosion im vorderen Laderaum entstandene Loch entdeckt wurde. Die Untersuchung der Gepäckcontainer ergab, dass die Explosion in dem Container, der am nächsten am Loch stand, stattgefunden haben muss. Durch eine Serie von Testexplosionen, bei denen die Beschädigungen verglichen wurden, wurde die genaue Position und Menge des Sprengstoffs festgestellt. Demnach detonierten ca. 300 Gramm des Plastiksprengstoffs Semtex.

Teile eines Samsonite-Koffers, in dem vermutlich die Bombe war, wurden zusammen mit Teilen eines Radiorecorders der Marke Toshiba (Typ RT-8016/SF16 BomBeat) geborgen, von dem ein ähnliches Modell zwei Monate zuvor von der deutschen Polizei von einer palästinensischen Terrorgruppe beschlagnahmt worden war. Auch in diesem Fall war er für den Bau einer Semtexbombe benutzt worden. Ebenfalls zum Inhalt des Koffers gehörte Babykleidung, von der festgestellt werden konnte, dass sie in Malta hergestellt worden war.

Die Kleidung führte zu einem maltesischen Händler, Toni Gauci, der der Hauptzeuge der Anklage wurde, nachdem er aussagte, die Kleidung an einen Mann libyschen Aussehens verkauft zu haben. Er identifizierte ihn später als Abdel Basset Ali al-Megrahi.

Ein Fragment einer Platine, das in dem Koffer gefunden wurde, wurde als Teil eines Zeitzünders vom Typ MST-13 identifiziert, der nur in kleiner Stückzahl von der Schweizer Firma MEBO hergestellt wurde. Das gleiche Modell wurde bei zwei im Februar 1988 im Senegal festgenommenen libyschen Geheimagentenen gefunden. Diese Spur führte die Ermittler zum libyschen Militär.

Die Ermittler fanden auch heraus, dass ein unbegleiteter Koffer über ein Gepäcktransportsystem vom Flughafen Luqa auf Malta nach Frankfurt gelangte und dort in die Zubringer-727 verladen wurde. Dieses Gepäckstück wurde während des Prozesses als Bombenkoffer gezeigt.

Nach drei Jahren gemeinsamer Ermittlungen des Dumfries and Galloway Constabulary und des FBI, in denen 15.000 Zeugen vernommen wurden, wurden am 13. November 1991 Mordanklagen gegen Abdel Basset Ali al-Megrahi, einen libyschen Geheimdienstmitarbeiter und Sicherheitschef der Libyan Arab Airlines (LAA) und Lamin Khalifah Fhimah, den LAA-Standortchef am Malta International Airport, herausgegeben.

Der Prozess

Sanktionen der Vereinten Nationen gegen Libyen und lange Verhandlungen mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi führten schließlich zur Auslieferung der beiden Angeklagten an die schottische Polizei. Die Überstellung fand am 5. April 1999 an einem neutralen Ort in den Niederlanden statt. Am 3. Mai 2000 begann der Prozess gegen die Libyer Lamin Khalifah Fhimah und Abdel Basset Ali al-Megrahi. Fhimah wurde freigesprochen. Megrahi wurde für schuldig befunden und am 31. Januar 2001 zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Berufung in Schottland wurde abgelehnt und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies sie als unzulässig ab. Er sitzt seine Strafe im Gefängnis von Greenock nahe Glasgow ab und beteuert bis heute seine Unschuld.

Im September 2003 forderte Megrahi von den schottischen Behörden eine Wiederaufnahme seines Verfahrens. In den darauf folgenden zwei Jahren wurde sein Fall von der Scottish Criminal Cases Review Commission (SCCRC) wiederaufgerollt. 2006 wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, ein erneutes Berufungsverfahren zu beantragen.

Im November 2005 nahm der Rechtswissenschaftler Robert Black, der die sich nach schottischem Recht richtende Zusammensetzung des erkennenden Gerichts in Camp Zeist, Niederlande, ausarbeitete, wie folgt Stellung: „Die SCCRC wird ihre Untersuchungen mit Blick auf den der Berufung gegen das Urteil zugrunde liegenden Fall fortführen, ungeachtet, ob Megrahi (in Libyen) wieder eingebürgert wird, und die Einstellung sämtlicher gegen ihn noch anhängiger Verfahren beantragt werden sollte. Britische Verwandte der Lockerbie-Opfer sind bereits bei der SCCRC vorstellig geworden, die nach ihren Statuten gehalten ist, deren Einlassungen bei ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.“ Professor Black ist überzeugt, dass nun, da die Sonderbestimmungen des (bisherigen) Lockerbie-Prozesses ausgelaufen seien, am High Court in Edinburgh zuständige ordentliche Strafrichter in der Berufungsinstanz ausreichen würden. Er gehe davon aus, dass das Gericht in neuer Berufungsinstanz, frühestens Ende 2006, fünf oder – falls im Lockerbie-Prozess fünf Richter in der ersten Berufungsinstanz zuständig gewesen seien – sieben ordentliche Richter berufen werde. Dabei werde kein Richter zum Vorsitzenden Richter ernannt werden können, der mit dem Lockerbie-Fall in erster oder zweiter Instanz befasst gewesen sei.

Am 4. Mai 2006 wurde auf schottischer Regierungsebene bekannt gegeben, dass ein fünfköpfiger Richtersenat mit Sitz in Edinburgh zum 11. Juli 2006 eine Anhörung zu Megrahis Berufungsantrag gegen seine 27-jährige Mindesthaftstrafe anberaumt habe. Die Staatsanwaltschaft (Lord Advocate, Lord Boyd of Duncansby) werde hierzu voraussichtlich vortragen, dass die verhängte Strafe zu milde sei. Unter anderem Rechtsanwälte sowie Verwandte der Lockerbie-Opfer haben ihre Betroffenheit über den Zeitplan dieses Berufungsverfahrens geäußert. Sie begrüßen jede Art von Berufungsverfahren, das von der SCCRC beschlossen werden sollte, um ebenfalls vor Gericht gehört zu werden. Ein Sprecher dieser Gruppierung sagte:

„Es mag eine instanzielle Zurückverweisung durch die SCCRC geben – oder auch nicht“[11].

Megrahis Anwälte bestanden später darauf, dass beide Berufungsverfahren (gegen das Schuldurteil und gegen die Höhe der Strafe) statt in Edinburgh vor dem schottischen Sondergericht in Camp Zeist, Niederlande, stattfinden sollen, vor dem sein Prozess in erster und zweiter Instanz stattgefunden hatte. Schottische Behörden wandten hiergegen Sicherheits- und Kostengründe ein. Allerdings beschloss das schottische Berufungsgericht (Court of Criminal Appeal) am 8. Juni 2006 die zeitliche Verlegung der Anhörung zum beantragten Berufungsverfahren in den Oktober (statt Juli) 2006. Diese dreimonatige Hinausschiebung ermöglicht sowohl der Anklage als auch der Verteidigung mehr Zeit, sich mit der Frage des Gerichtsstands und der Frage, ob die SCCRC Megrahi ein zweites Berufungsverfahren gewähren wird, zu beschäftigen.[12]

Abfindungen aus Libyen

Am 29. Mai 2002 bot Libyen eine Summe von 2,7 Milliarden US-Dollar als Entschädigung für die 270 Todesopfer an, was $10 Millionen Abfindung pro Familie bedeutete. Das Angebot sah vor:

  • 40 % des Geldes zu überweisen, wenn die 1999 verhängten UN-Sanktionen gegen Libyen aufgehoben wurden;
  • weitere 40 %, wenn die US-Handelssanktionen aufgehoben wurden; und
  • die letzten 20 %, wenn das US-Außenministerium Libyen von der Liste der terrorunterstützenden Staaten strich.

Jim Kreindler von der New Yorker Anwaltskanzlei Kreindler & Kreindler, die das Abkommen koordinierte, sagte:

„Dies ist Neuland. Es ist das erste Mal, dass einer der Staaten, die als terrorunterstützende Staaten gelten, Entschädigungszahlungen an die Familien der Terroropfer anbot.“

Das US-Außenministerium behauptete, dass es nicht direkt involviert war:

„Einige Familien wollen Geld, andere sagen, es ist Blutgeld.“

Die Ausgleichszahlungen an die Familien der PA103-Opfer waren einer der von der UNO geforderten Schritte zur Aufhebung der Sanktionen gegen Libyen. Andere Forderungen waren eine formale Absage an den Terrorismus und das Übernehmen der Verantwortung für Handlungen von libyschen Geheimagenten[13].

18 Monate später, am 5. Dezember 2003, offenbarte Jim Kreindler, dass seine Anwaltskanzlei ein Erfolgshonorar in Höhe von ca. einer Million US-Dollar von jeder von ihnen vertretenen Familie erhielt. Letztlich lag das Honorar bei 300 Millionen Dollar und Kreindler sagte:

„In den letzten sieben Jahren hatten wir für diesen Fall ein eigenes Team, das unermüdlich gearbeitet hat und wir verdienen das Honorar, für das wir so hart gearbeitet haben. Ich glaube, dass es für die Angehörigen ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis ist.“

Eine andere Anwaltskanzlei in den USA, Speizer Crowse, die 60 Angehörige vertrat, wovon die Hälfte Briten waren, hatte ein ausgemachtes Erfolgshonorar zwischen 28 und 35 % der individuellen Abfindung. Frank Greneda von Spizer Crowse sagte:

„Natürlich sind die Honorare in den USA größer als irgendwo anders, aber niemand hat sie während der Verhandlungen hinterfragt. Nur jetzt, da wir uns einer Lösung annähern, bekommen wir Kritik zu hören.“

Am 15. August 2003 unterbreitete der UN-Vertreter für Libyen, Ahmed Own, dem Weltsicherheitsrat einen Brief, in dem Libyen formal die Verantwortung für das Handeln seiner Amtspersonen in Bezug auf die Lockerbie-Katastrophe übernimmt[14]. Die libysche Regierung zahlte dann eine Abfindung von 8 Millionen US-Dollar an jede Familie (von denen ca. 2,5 Millionen an die Anwaltskanzleien abgeführt wurden). Als Folge wurden sowohl die UN-Sanktionen als auch die US-Handelssanktionen aufgehoben. Weitere 2 Millionen Dollar wären nach der Streichung Libyens durch das US-Außenministerium von der Liste der terrorunterstützenden Staaten an die Familien gegangen. Dies geschah jedoch nicht und Libyen nahm die verbleibenden 540 Millionen Dollar im April wieder von dem Schweizer Treuhandkonto, über das bereits die ersten 2,16 Milliarden an die Familien überwiesen wurde. Mit der Ankündigung der USA, am 15. Mai 2006 die diplomatischen Beziehungen mit Libyen wieder aufzunehmen und sie von der umstrittenen Liste zu streichen, kommt die unvermeidliche Frage auf, ob Libyen nun den Rest der Entschädigung zahlen wird, der vorher angeboten worden war.[15][16]

Einige Beobachter glauben, dass das Akzeptieren der Verantwortung eher ein Geschäftsabschluss war, mit dem Ziel der Aufhebung der Sanktionen, und nicht das Eingestehen von Schuld. Im Februar 2004 sagte der libysche Premierminister Schukri Ghanim der BBC, dass die Entschädigungen als „Preis für Frieden“ und als Schritt zur Aufhebung der Sanktionen gezahlt wurden. Auf die Frage, ob Libyen die Schuld nicht auf sich nahm sagte er: „Dem stimme ich zu.“ Gaddafi widerrief später auf Druck aus Washington und London Ghanems Aussage[17].

Ein Zivilprozess im Interesse der Pan Am gegen Libyen läuft noch immer. Die Fluglinie ging nicht zuletzt wegen des Anschlags bankrott, sie verlor 4,5 Milliarden US-Dollar durch den Verlust des Flugzeugs und die entstandenen Folgen für die zivile Luftfahrt.

Im Oktober 2005 wurde berichtet, dass die britische, amerikanische und libysche Regierung über die Überführung Megrahis in ein Gefängnis in Libyen verhandelten, unter der Bedingung, dass er keine neuerliche Berufung einreicht. Das ursprüngliche Urteil sah vor, dass er seine gesamte Haftstrafe in Schottland absitzt. Dass so ein Deal überhaupt in Betracht gezogen wird, zeigt, dass die USA und England den Fall lieber nicht wiederaufgerollt sahen, da eine erfolgreiche Berufung die Spannungen mit Libyen wahrscheinlich wieder verschlimmern würde[18].

Das Nachwort der Untersuchungskommission des US-Präsidenten

Am 22. September 1989 beauftragte Präsident Bush Ann McLaughlin Korologos, ehemals Arbeitsministerin, eine Untersuchungskommission der President’s Commission on Aviation Security and Terrorism (PCAST) zu leiten und PA103 erneut zu untersuchen und Flugsicherheitsstrategien unter Berücksichtigung des Vorgefallenen zu empfehlen. Sie und ihr sechsköpfiges Team reichten den Bericht mit 64 Empfehlungen im Mai 1990 ein. Außerdem übergab sie dem Präsidenten einen versiegelten Umschlag, von dem vermutet wird, dass er die Schuld für die Katastrophe nicht allein Libyen gab, sondern aufteilte. Der Bericht endete mit dem Worten:

„Nationaler Wille und die moralische Courage, ihn durchzusetzen sind die äußersten Mittel, den Terrorismus zu bekämpfen. Die Kommission empfiehlt eine härtere Politik, die nicht nur Terroristen verfolgt und bestraft, sondern auch Terrorismus unterstützende Länder für ihre Taten büßen lässt.“

Berufungsverfahren und alternative Theorien über Täter und Hintergründe

Trotz der Verurteilung von Abdel Basset Ali al-Megrahi und der Zahlung von rund 2,7 Milliarden US-Dollar durch Libyen, gibt es Zweifel an der tatsächlichen Schuld des libyschen Staates und seines Geheimdienstoffiziers.

So existieren erhebliche Bedenken beim wichtigsten Beweisstück, einem fingernagelgroßen Platinenfragment einer elektronischen Zeitschaltuhr des Typs MST-13 der Firma MEBO AG aus Zürich, welche als Zünder der Bombe gedient haben soll. Zwar wurden Zeitschaltuhren dieses Typs bei der Verhaftung von zwei libyschen Geheimdienstmitarbeitern gefunden, aber die MEBO AG belieferte beispielsweise damit auch das MfS der DDR, welches wiederum gute Kontakte zu palästinensischen Organisationen pflegte.

Ungewöhnlich an dem mit dem Anschlag in Verbindung gebrachten Platinenfragment ist die Tatsache, dass auf diesem der Buchstaben „M“ eingekratzt war. MEBO erklärte hierzu, dass es sich bei dem gefundenen Fragment um ein Teil eines Prototypen handelt, welcher nicht voll funktionsfähig war und es somit auch nicht möglich ist, damit eine Bombe zu zünden[19] [20].

Auch der Fundort der Platine in einem Waldstück ließ Zweifel an der Echtheit des Beweisstücks aufkommen. So befand das mit dem Prozess betraute Gericht aktenkundig über die Aussagen der schottischen Polizei zum Fundort: “Im schlimmsten Fall ausweichend und äußerst verwirrend.“ Experten gehen heute davon aus, dass bei der damaligen Flughöhe von rund 9000 Metern und den damals herrschenden Windverhältnissen leichte Teile viel weiter geflogen sind und somit das Platinenfragment in der Nordsee hätte landen müssen.

Dafür, dass die Bombe von Malta über Frankfurt am Main nach London Heathrow gelangt ist, gibt es laut BKA keinerlei Beweise. Neben Frankfurt kamen Passagiere und Gepäckstücke von weiteren 12 Flughäfen zum PanAm-Flug 103.

Allerdings gibt es die bekannte "Neuss-Theorie". Dazu Carl-Ludwig Paeschke aus der ZDF-Redaktion 'Zeitgeschichte':

Es gab in Neuss eine Werkstatt der Front zur Befreiung Palästinas, die Bomben in Radios einbauten - wie im Fall Lockerbie. Als das Bundeskriminalamt die Werkstatt im Rahmen der Operation Herbstlaub aushob, fand man vier davon. Angeblich soll es noch eine fünfte gegeben haben, und diese soll die PanAm-Bombe gewesen sein[21].

Die Operation "Herbstlaub" war eine Gemeinschaftsaktion von BKA, BND und Verfassungsschutz gegen eine in der Bundesrepublik aktive Zelle der PFLP-GC. Am 26. Oktober 1988 wurden bei Razzien in mehreren deutschen Städten 16 mutmaßliche Terroristen festgenommen:

Im Rahmen der Operation "Herbstlaub" schlugen Polizisten eines Sondereinsatzkommandos und Terrorismusermittler zu. Sie verhafteten 16 Verdächtige, ließen jedoch 12 wieder frei, darunter ausgerechnet den Bombenbauer Khreesat. Der hatte die Drähte glühen lassen und versichert: "Ich bin doch einer von Euch." Beim Entschärfen der Höllenmaschinen des "Kollegen" kam ein BKA-Mann ums Leben, ein weiterer wurde schwer verletzt, und eine Bombe blieb verschwunden. "Der Schlüssel für die Ermittlung der wahren Täter liegt in Neuss", erklärte Dr. David Thomas Schiller auf Anfrage, Experte für Terrorismus und den Nahen Osten[22].

Dass Libyen mit seinen 2,7 Milliarden US-Dollar sich nur von den UN-Sanktionen frei kaufen wollte, bestätigte 20 Jahre später der Sohn des libyschen Staatschefs Said Gaddafi. „Wir haben dem UN-Sicherheitsrat in einen Brief geschrieben, dass wir verantwortlich sind für das Handeln unserer Leute. Das heißt aber nicht, dass wir es auch waren. ... Ich gebe zu, wir haben mit Worten gespielt. Das mussten wir auch. Das ging nicht anders.“

Eine andere Spur, welche allerdings bis jetzt offiziell verworfen wird, führt in den Iran. So könnte der Anschlag die Vergeltung für den Abschuss einer iranischen Passagiermaschine am 3. Juli 1988 durch ein amerikanisches Kriegsschiff gewesen sein (siehe Iran-Air-Flug 655). In diesem Zusammenhang bestätigte der übergelaufene ehemaliger Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes Abolgashem Mesbahi, dass Iran die treibende Kraft hinter dem Attentat war[23]. Abolgashem Mesbahi wurde jedoch bisher von keinem Gericht zu Lockerbie angehört.

Sehr aufschlussreich war auch im November 1990 das Statement von Vincent Cannistraro:

President Hashemi Rafsanjani has commissioned the bombing of the [Pan Am 103] jet in the summer of 1988, when he was the Speaker of Parliament. We know who did. From an intelligence point of view, the case is solved. -- Vincent Cannistraro, Head of the CIA Counterterrorism Center, Nov. 21, 1990[24][25].

Aufgrund eines laufenden Berufungsverfahrens werden die vorliegenden Beweise erneut geprüft und im Jahr 2009 neue Anhörungen stattfinden.

Gedenkstätten

Gedenkstätte an der Syracuse University, New York

Es gibt eine Reihe privater und öffentlicher Gedenkstätten für die PA103-Opfer. Dark Elegy[26] ist die Arbeit der Bildhauerin Susan Lowenstein, deren damals 21-jähriger Sohn Passagier des Flugs war. Die Arbeit besteht aus 43 Statuen nackter Frauen: Ehefrauen und Müttern, die ihr Kind oder ihren Ehemann verloren.

US-Präsident Bill Clinton widmete den Opfern 1995 einen Gedenkturm am Nationalfriedhof von Arlington[27]. Außerdem gibt es Gedenkstätten an der Syracuse University, am Friedhof von Drefesdale, nahe Lockerbie, in Moffat und in Lockerbie selbst. Als Mahnmal gibt es auf dem Friedhof von Lockerbie den Garden of Remembrance ("Garten der Erinnerung" in Lockerbie).

An der Syracuse University wird jedes Jahr am 21. Dezember um 14:03 Uhr (19:03 Uhr schottischer Zeit), der Uhrzeit der Explosion, zur Erinnerung an die 35 gestorbenen Studenten ein Gottesdienst abgehalten. Außerdem vergibt die Universität jedes Jahr zwei so genannte „Lockerbie-Stipendien“ an Studenten der Lockerbie Academy.

Literatur

  • David Johnston: Lockerbie: The Real Story Bloomsbury Publishing PLC, 1989 (ISBN 0747504873)
  • Steven Emerson, Brian Duffy: The Fall of Pan Am 103: Inside the Lockerbie Investigation Putnam Pub Group (T), 1990 (ISBN 0399135219)
  • John Crawford: The Lockerbie Incident: A Detective’s Tale Trafford Publishing, 2002 (ISBN 1553698061)
  • Hans Köchler und Jason Subler (Hrsg.): The Lockerbie Trial. Documents Related to the I.P.O. Observer Mission International Progress Organization, 2002 (ISBN 390070421X)
  • Khalil I. Matar, Robert W. Thabit: Lockerbie and Libya: A Study in International Relations McFarland & Company, 2003 (ISBN 0786416092)
  • Karen Spies: Pan Am Flight 103: Terrorism Over Lockerbie Enslow Publishers, 2003 (ISBN 0766017885)

Einzelnachweise

  1. Aircraft Accident Report No 2/90 (EW/C1094) (pdf, englisch)
  2. ABC News Prime Time Live vom 30. November 1989
  3. http://www.guardian.co.uk/Lockerbie/Story/0,2763,1154000,00.html
  4. http://web.syr.edu/~vpaf103/v_carlsson.html
  5. http://www.guardian.co.uk/Lockerbie/Story/0,2763,216917,00.html
  6. http://aviation-safety.net/photos/displayphoto.php?id=19881221-0&vnr=1&kind=G
  7. http://news.bbc.co.uk/1/hi/special_report/1998/12/98/lockerbie/236466.stm
  8. http://www.foia.cia.gov/docs/DOC_0000427163/0000427163_0002.gif
  9. http://www.foia.cia.gov/docs/DOC_0000427163/0000427163_0003.gif
  10. http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/europe/1653848.stm
  11. http://news.scotsman.com/topics.cfm?tid=184&id=674022006
  12. http://news.scotsman.com/topics.cfm?tid=184&id=850342006
  13. http://archives.cnn.com/2002/US/05/28/libya.lockerbie.settlement/
  14. http://www.libya1.com/news/n2003/august/n16aug3a.htm
  15. http://news.scotsman.com/topics.cfm?tid=184&id=1338372003
  16. http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/africa/4773617.stm
  17. http://www.bbc.co.uk/radio4/today/listenagain/ztuesday_20040224.shtml
  18. http://www.timesonline.co.uk/article/0,,2090-1839039,00.html
  19. http://plane-truth.com/emails%202008/Green%20Brown%20MST-13%20timer%20part%202%20posted%20May%208%202008.doc
  20. http://americanradioworks.publicradio.org/features/lockerbie/story/story_frame7.html
  21. http://www.monstersandcritics.de/artikel/200847/article_113388.php/Die-Frage-nach-dem-Wer?page=2
  22. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26718/1.html
  23. http://www.presseportal.de/pm/7840/1321082/zdf
  24. http://english.ohmynews.com/articleview/article_view.asp?menu=&no=384109&rel_no=1&back_url=
  25. New York Times, 21. November 1990
  26. http://web.syr.edu/%7Evpaf103/mem_elergy.htm
  27. http://www.arlingtoncemetery.net/cairn.htm

Weblinks

Lockerbie-Prozess

55.121091111111-3.35529305555567Koordinaten: 55° 7′ 16″ N, 3° 21′ 19″ W


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