Lord John Russell

Lord John Russell
John Russell

John Russell, 1. Earl Russell (* 18. August 1792 in London; † 29. Mai 1878) war zweimal britischer Premierminister unter Königin Viktoria und liberaler Reformpolitiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Bildung

Russell, dritter Sohn von John Russell, 6. Herzog von Bedford besuchte die Westminster School und studierte an der Universität Edinburgh Philosophie, Geschichte und Staatswissenschaften.

Der Weg zum Oppositionsführer

Schon im Juli 1813 trat Russell für einen Wahlkreis, über den sein Vater verfügte, in das House of Commons und war hier seit 1819 unablässig für eine Reform der Parlamentswahlen tätig. Seine Vorschläge wurden anfangs schon in den ersten Stadien der Beratung zurückgewiesen. Dagegen kam eine neue Bill, welche er 1826 einbrachte, wenigstens zur zweiten Lesung. In dieser hatte er vorgeschlagen, das Wahlrecht einer Anzahl von verfallenen und unbedeutenden Wahlkreisen auf große und bevölkerungsstarke, bis dahin von der Vertretung im Parlament ausgeschlossene, Fabrikstädte zu übertragen.

In diesen Kämpfen hatte er sich bereits eine hervorragende Stellung innerhalb der Whigpartei erworben, die noch gefestigt wurde, als er 1828 energisch und mit Erfolg für die Aufhebung der Testakte und 1829 und damit für die Emanzipation der Katholiken wirkte. 1830 nahm er den Kampf für die Reform von neuem auf, indem er eine Bill einbrachte, welche den Städten Leeds, Manchester und Birmingham eine Vertretung im Parlament verleihen sollte. Auch diesmal trug er zwar den Sieg zunächst nicht davon, doch wurde er im liberalen Kabinett Grey Generalzahlmeister und hatte im Juni 1832 die Genugtuung, seine langjährigen Bemühungen durch die Annahme der Reformbill gekrönt zu sehen.

Mit dem Rücktritt der Whigs im November 1834 legte auch er sein Amt nieder, um bei der Wiedereröffnung des Parlaments im Februar 1835 die Führung der Opposition zu übernehmen. Seiner geschickten Taktik gelang die Durchführung der Appropriationsklausel, wodurch die Tories zum Rücktritt bewogen wurden.

1836 wurde er zum Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt.

Staatssekretär und Kolonialminister

In der Regierung Melbourne (April 1835) übernahm Russell das Staatssekretariat des Innern, das er 1839 mit dem Kolonialministerium tauschte. Die wichtigsten gesetzgeberischen Maßnahmen dieser Regierung, die neue Städteordnung, die irische Zehntbill, die neue Armengesetzgebung, die Organisation des öffentlichen Unterrichts und die Verbesserung der Rechtspflege, sind zum wesentlichen Teil das Verdienst Russells, der gleichzeitig als Oberhaupt der inneren Verwaltung die Bestrebungen der Chartisten und Radikalen niederhielt.

Nachdem die Regierung im August 1841 zurückgetreten war, übernahm Russell wieder die Führung der Opposition, unterstützte aber die Bemühungen der Regierung Peel zur Verbesserung der Freiheit des Handels, der Lebensverhältnisse der arbeitenden Klassen und die Aufrechthaltung der Ruhe in Irland betreffenden Fragen.

Lord John Russells Erste Regierung (Juli 1846–Februar 1852)

Nach Peels Rücktritt wurde Russell im Juli 1846, als das anerkannte Oberhaupt der Whigs, mit der Bildung der neuen Regierung beauftragt, in der er selbst den Posten eines Premiers und ersten Lords des Schatzes übernahm. Als Russell sich aber im Dezember 1851 Lord Palmerstons auf wenig rücksichtsvolle Weise entledigt hatte, wurde die Stellung des Kabinetts von Tag zu Tag unhaltbarer, und Ende Februar 1852 trat die Whigregierung zurück.

John Russell, Francis Grant, 1853

Nach einer kurzen Regierung Lord Derbys trat er am 17. Dezember 1852 in Lord Aberdeens Koalitionsregierung als ministerieller Leiter des Unterhauses ein. Am 21. Februar 1853 übergab er das von ihm provisorisch verwaltete auswärtige Amt an George Villiers, 4. Earl of Clarendon und übernahm nach dem Ausbruch des Krieges mit Russland das Präsidium des Geheimen Rats, schied aber am 25. Januar 1855, einige Tage vor dem Sturz der Koalitionsregierung, wieder aus.

In der neuen Regierung Palmerston übernahm Russell die Kolonialverwaltung und vertrat England im Februar auf den Wiener Friedenskonferenzen. Infolge der Angriffe, welche sein Verhalten hierbei erfuhr, trat er 13. Juli zurück. In dem am 18. Juni 1859 eingesetzten neuen Regierung Palmerston übernahm er wieder das auswärtige Amt und wurde 30. Juli 1861 als Earl Russell zum Peer erhoben. Seine Außenpolitik richtete sich überwiegend nach den Vorgaben Palmerstons. Während des italienischen Krieges begünstigte er die nationale Erhebung, ließ aber die Annexion Savoyens an Frankreich zu.

Bei Gelegenheit des polnischen Januaraufstandes von 1863 erlitt er eine entschiedene Niederlage, als die russische Regierung seine Noten, in denen er sich für Polen verwendete, einfach unberücksichtigt ließ. Auch in dem amerikanischen Sezessionskrieg bot er seine Vermittlung an und ergriff 1864 in dem deutsch-dänischen Krieg entschieden für Dänemark Partei.

Lord John Russells zweite Regierung (Oktober 1865–Juni 1866)

Als Palmerston 18. Oktober 1865 starb, übernahm Russell den Posten eines Premiers und überließ die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten dem Grafen Clarendon. In der nächsten Legislaturperiode legte Gladstone am 12. März 1866 die neue Reformbill vor, die aber auf so heftigen Widerstand stieß, dass Russell am 26. Juni 1866 seine Entlassung einreichte.

Späte Jahre

Seitdem bekleidete Russell kein Staatsamt mehr. Wie früher für die Reform des Unterhauses, so war er nun für die des Oberhauses tätig und brachte im April 1869 eine Bill ein, durch welche die Ernennung einer Anzahl von Peers auf Lebenszeit verfügt werden sollte, die jedoch abgelehnt und nicht wieder erneuert wurde.

Russell war bis in seine letzten Jahre einer der wenigen Whigs im alten Sinn, ein geistvoller, ehrlicher, offenherziger, für das Wohl seines Vaterlandes aufrichtig begeisterter Politiker; aber alle diese hervorragenden Eigenschaften konnten ihm, nachdem neue Parteibildungen der Politik der alten Whigaristokratie den Boden unter den Füßen weggezogen hatten, den früheren Einfluss nicht erhalten. Als Redner war Russell weniger durch oratorischen Schwung, als durch Klarheit der Gedankenentwickelung und gewandte Dialektik ausgezeichnet. Eine Auswahl seiner Reden erschien 1870 in 2 Bänden.

Sein Erbe war sein Enkel Frank Russell, 2. Earl Russell, geboren am 12. August 1865, Sohn des Viscount Amberley (geboren 1842, gestorben 9. Januar 1876). Nach dem Tode des Sohnes übernahm John Russell mit seiner Frau die Erziehung seines Enkels Bertrand Russell, dem bekannten Philosophen und Nobelpreisträger,

Zitate

„Lord John Russells ganzes Leben war ein Leben auf falsche Vorwände – falsche Vorwände von Parlamentsreform, falsche Vorwände von Religionsfreiheit, falsche Vorwände von Freihandel. So aufrichtig war sein Glauben in das Genüge falscher Vorwände, dass er es für durchaus tunlich hielt, nicht nur britischer Staatsmann auf falsche Vorwände zu werden, sondern auch Dichter, Denker und Geschichtsschreiber auf falsche Vorwände.“

Karl Marx

„Parteien gleichen den Schnecken, bei denen es der Schwanz ist, der den Kopf bewegt.“

John Russell

Werke (Auswahl)

  • Essay on the history of the English government and constitution, London 1821, neue Ausgabe 1873, deutsch von Kritz, Leipzig 1825.
  • Memoirs of the affairs of Europe; from the peace of Utrecht to the present time, London 1824-29, 2 Bände.
  • Essay on causes of the French revolution, 1832.
  • Die Biographie des Lord John Russell.
  • Life and times of C. J. Fox, 3 Bände, London 1859-67.

Als besonders bedeutend gilt seine letzte große Schrift Recollections and suggestions (1873, 2. Auflage 1875; deutsch, Halle 1876), welche gleichsam als das politische Testament des greisen Staatsmanns gelten kann. Auch verfasste er ein Trauerspiel: Don Carlos (1823), und gab Thomas Moores Briefe und Tagebücher (1852-56, 8 Bände; kleinere Ausgabe 1860), den Briefwechsel etc. von Fox (1853-57, 4 Bände) heraus.

Weblinks

  • Biography from the Liberal Democrat History Group: [1]
  • Principal residence and museum: Pembroke Lodge

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