Louis Jean Rudolphe Agassiz

Louis Jean Rudolphe Agassiz
Louis Agassiz

Jean Louis Rodolphe Agassiz (* 28. Mai 1807 in Môtier, Gemeinde Haut-Vully, Kanton Freiburg, Schweiz; † 14. Dezember 1873 in Cambridge, Massachusetts, USA) war ein schweizerisch-amerikanischer Zoologe, Paläontologe, Glaziologe und Geologe, Ehemann der Erzieherin Elizabeth Cary Agassiz und einer der ersten international renommierten US-amerikanischen Wissenschaftler. Bekannt ist er vor allem wegen seiner bahnbrechenden Eiszeitstudien sowie seiner Leistungen als Ichthyologe (Fischkundler) und Hochschullehrer. Von ihm stammt die Wortwendung, dass Gletscher „die große Pflugschar Gottes“ seien.

In neuerer Zeit wurde auch Agassiz’ Rolle als Rassentheoretiker diskutiert.

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre

Louis Agassiz wurde als Sohn eines protestantischen Pastors in Môtier in der Schweiz geboren. Zuerst zu Hause erzogen, verbrachte er vier Jahre an einer höheren Schule in Biel/Bienne und studierte danach in Lausanne. Mit der Zielrichtung, Mediziner zu werden, studierte er ab 1824 an den Universitäten von Heidelberg und München, wo er Mitglied der Burschenschaft wurde. Parallel dazu erweiterte er seine Kenntnisse in den Naturwissenschaften, insbesondere in Botanik. 1829 promovierte er als Doktor der Philosophie in Erlangen und 1830 als Doktor der Medizin in München. Nach seinem Umzug nach Paris wurden Alexander von Humboldt und Georges Cuvier seine Mentoren, die ihn ermutigten, sich in Geologie und Zoologie weiterzuentwickeln. Sehr schnell entwickelte er eine Vorliebe für die Ichthyologie, die sein bevorzugtes Forschungsgebiet für den Rest seines Lebens wurde.

Frühe Forschung

Erste Tätigkeiten als Ichthyologe

Von einer Forschungsreise nach Brasilien in den Jahren 1819 bis 1820 hatten Johann Baptist von Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius eine Sammlung von Süßwasserfischen der brasilianischen Flüsse, vor allem des Amazonas zurückgebracht. Spix starb 1826, ohne seine Funde abschließend wissenschaftlich eingeordnet zu haben und Agassiz wurde von Martius ausgewählt, Spix’ Arbeit fortzusetzen. Mit dem Enthusiasmus, der ihn sein Leben lang charakterisieren sollte, widmete Agassiz sich dieser Aufgabe. Nach dem Abschluss der Arbeit und der Publikation im Jahre 1829 beschäftigte Agassiz sich wissenschaftlich mit den Fischen des Genfersees. Diese Arbeit dehnte er schon 1830 auf alle Süßwasserfische von Zentraleuropa aus. Der erste Teil der Arbeit erschien erst 1839 und war 1842 abgeschlossen.

Professur in Neuchâtel

1832, nach seiner Rückkehr aus Paris, wurde er Professor am Lyceum von Neuchâtel, wo er bis zu seiner Emigration in die USA lehrte. Zu Agassiz’ Mitarbeitern in Neuchâtel gehörten Eduard Desor, Amanz Gressly und Carl Vogt.

In Neuchâtel widmete er sich den fossilen Fischen, die in den Schieferschichten des Schweizer Kantons Glarus und im Kalkstein des Monte Bolca reichlich zu finden waren, über die bis zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch keine wissenschaftliche Studien durchgeführt worden waren. Bereits seit 1829 hatte Agassiz daher geplant, darüber eine wissenschaftliche Arbeit zu veröffentlichen. Diese Arbeit legte später die Basis für seinen weltweiten Ruhm. Die fünf Bände seiner Recherches sur les poissons fossiles („Studien über Fischfossilien“) erschienen in Abständen im Zeitraum von 1833 bis 1843. Sie waren vor allem durch Joseph Dinkel illustriert. Im Rahmen seiner Recherchen besuchte Agassiz die wesentlichen Museen in Europa und wurde vor allem von Georges Cuvier, dem er in Paris begegnete, in der Fortsetzung seiner Arbeit ermutigt und unterstützt.

Überarbeitung des ichthyologischen Klassifikationssystems

Agassiz kam bald zu der Überzeugung, dass seine paläontologischen Arbeiten eine neue Einteilung des ichthyologischen Klassifikationssystems notwendig machten. Da die Fossilien in aller Regel nur die Zähne, Schuppen und Flossen der Fische wiedergaben, entwarf er ein Klassifikationssystem, das Fische in vier Gruppen unterteilte. Seine Klassifikation ist heute überholt, bildet jedoch die Basis der heutigen Systematik.

Als offensichtlich wurde, dass die Fortsetzung der Arbeiten von Agassiz von finanziellen Engpässen eingeschränkt wurde, erhielt er Unterstützung durch die British Association sowie durch Lord Francis Egerton, der ihm 1.290 Zeichnungen abkaufte, um sie der Geological Society of London zu übergeben. 1836 wurde Agassiz für seine Arbeit mit der Wollaston-Medaille ausgezeichnet und zwei Jahre später als ausländisches Mitglied in die britische Royal Society berufen. In der Zwischenzeit dehnte er seine Studien auf wirbellose Tiere aus. Von 1840–1845 gab er seine Etudes critiques sur les mollusques fossiles („Critical Studies on Fossil Mollusks“; deutsch: „Kritische Studien über fossile Weichtiere“) heraus.

Gletscherforschung und die These von der Eiszeit

Das Problem der Findlinge

Ein Söll bzw. Toteisloch

Seit etwa 1760 beschäftigten sich Geologen intensiv mit der Frage, durch welche Kräfte Findlinge, das sind Gesteinsblöcke, die in Gebieten zu finden waren, aus denen sie geologisch offensichtlich nicht stammten, über weite Strecken transportiert worden waren. Besonders auffällig waren die Findlinge in der Norddeutschen Tiefebene und im Alpenvorland. Der gängige Erklärungsansatz waren vulkanische Vorgänge. Toteislöcher wurden als Krater gedeutet. 1787 hatte zwar schon Bernhard Friedrich Kuhn als Ursache Gletschertätigkeiten vermutet und zu einem ähnlichen Ergebnis war auch der schottische Geologe James Hutton gekommen. Ihre Thesen fanden jedoch genauso wenig weitere Akzeptanz wie die des Naturwissenschaftlers Reinhard Bernhardi, der bereits 1832 in einem Artikel die Auffassung vertreten hatte, dass sich einst eine Eiskappe über Europa ausgedehnt hätte, die bis nach Mitteldeutschland gereicht hätte. Andere Wissenschaftler waren der Ansicht, dass diese riesigen Gesteinsbrocken auf Eisschollen aus dem Norden bei Überschwemmungen an ihre heutigen Fundorte getragen wurden. Für die Findlinge im Alpenvorland wurde vermutet, dass große Fluten sie von den Alpengipfel ins Vorland getragen hätten. Über die vielen Theorien, die für ihre Erklärung diskutiert wurden, ließ Goethe seinen Mephisto in Faust II. spotten:

Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen
Wer gibt Erklärung solcher Schleudermacht?
Der Philosoph, er weiß es nicht zu fassen,
Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen,
Zuschanden haben wir uns schon gedacht.

Die Entwicklung der Eiszeittheorie

Die These, dass einstmals Gletscher nicht nur das Schweizer Mittelland und den Jura, sondern auch weite Teile Europas überzogen hätten, wurde 1822 von Ignaz Venetz aufgestellt. Gehör fand er lediglich bei Jean de Charpentier, dem Salinendirektor in Bex (Kanton Waadt) im schweizerischen Tal der Rhône.

Erst das Jahr 1836 brachte einen Durchbruch in der Gletscherforschung. Auf der Versammlung Schweizer Naturforscher in Solothurn traf Charpentier auf den Naturforscher, Geologen und Botaniker Karl Friedrich Schimper, der schon seit 1835 Vorträge über das Problem der Findlinge und seine Vorstellungen über den „Weltwinter“ gehalten hatte. In den nächsten vier Monaten entwickelten die beiden ihre Vorstellungen im Jura, Schwarzwald und im Rhonetal weiter. In diesem Sommer besuchte Agassiz das Rhonetal und ließ sich von Charpentier von der Eiszeitthese überzeugen. Von Dezember 1836 bis Mai 1837 arbeiteten Agassiz und Schimper zusammen in Neuchâtel. Letzterer verfasste eine Ode mit dem Titel „Die Eiszeit“, der als Begriff heute noch der gängige Terminus ist.

Am Abend des 24. Juli 1837 referierte Agassiz Schimpers These, dass die Erde in früheren Zeiten Eiszeiten ausgesetzt war. Seinen flammenden Vortrag als Vorsitzender vor einer Versammlung der Schweizer Naturforscher in Neuenburg (Schweiz) leitete er mit den Worten ein:

Seitenmoräne eines Gletschers bei Zermatt
Erst kürzlich haben zwei unserer Kollegen de Charpentier und Venetz durch ihre Untersuchungen eine Kontroverse mit weitreichenden Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft hervorgerufen. Die Charakteristika des Ortes, an dem wir heute zusammengekommen sind, legen es mir nahe, wiederum über ein Problem mit Ihnen zu sprechen, das nach meiner Meinung durch die Untersuchung der Hänge unseres Jura gelöst werden könnte. Ich denke da an Gletscher, Moränen und Findlingsblöcke. (Reinke-Kunze, S. 110 f)

Darauf folgten Agassiz’ dramatische Schilderungen „einer Epoche klirrender Kälte“, eines sibirischen Winters, der sich „über eine Welt legte, die bis dahin mit üppiger Vegetation gesegnet und von großen Tieren bevölkert gewesen war“ und „ein Leichentuch über die gesamte Natur breitete.“ Diese Rede erzeugte die ersten Spannungen zwischen Agassiz und seinen drei Mitarbeitern. In einem Brief an Schimper beklagte sich Charpentier später, dass Agassiz nicht besonders klar gemacht habe, dass Schimper, mit dem Agassiz in Heidelberger und Münchner Studienzeiten eng befreundet war, der eigentliche Urheber der Eiszeitthese gewesen sei.

Trotz der beachtlichen Reputation, die sich Agassiz als Naturforscher bereits erworben hatte, fand er vorläufig jedoch keine Unterstützer für die Eiszeit-Theorie. Sein alter Gönner Alexander von Humboldt empfahl ihm in einem Brief noch im selben Jahr, seine Arbeiten an fossilen Fischen wieder aufzunehmen “…wenn Sie das tun, leisten Sie der positiven Geologie einen größeren Dienst als mit diesen allgemeinen Betrachtungen (außerdem auch etwas eisigen) über die Umwälzungen der primitiven Welt, Betrachtungen, die, wie Sie wohl wissen, nur jene überzeugen, die sie ins Leben rufen“. (Reinke-Kunze, S. 112)

Studien zur Belegung der Eiszeittheorie

Von 1836 an hatte Agassiz begonnen, Beweise für die Formung der Landschaft durch Gletscher zusammenzutragen. Diese Forschung intensivierte er nach der skeptischen Reaktion auf diese Theorie. Er reiste nicht nur häufiger in die Gletschergebiete, sondern ließ sich sogar eine Hütte auf dem Unteraargletscher bauen, um von dort aus die Struktur und Bewegung von Gletschern zu beobachten. Dazu trieb er eine Reihe von Pfählen quer zur Fließrichtung des Gletschers ins Eis und markierte ihre Positionen an den seitlichen Felswänden. Anhand seines Versuchsfeldes konnte er zeigen, dass die Reibung des Eises am Fels dessen Bewegung verlangsamt und dass in Fließrichtung eines Gletschers unterschiedliche Geschwindigkeiten auftreten. 1840 veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Studien in Etudes sur les glaciers („Studien über Gletscher“).[1] Er diskutierte darin nicht nur die Bewegungsformen von Gletschern und ihre Bedeutung für die Formung der alpinen Landschaft, sondern zog auch den Schluss, dass das Schweizer Mittelland einstmals vollständig von Eis überzogen war. Die Publikation seines Buches führte zum endgültigen Bruch mit Charpentier und Venetz. Agassiz wies zwar darauf hin, dass wesentliche Züge dieser Theorie von seinen beiden Kollegen stammten, doch er veröffentlichte sein Buch, bevor Charpentier seine eigenen Forschungsergebnisse publizieren konnte.

1840 reiste Agassiz nach England, mit der Absicht sich wieder seinem eigentlichen Forschungsgebiet, den fossilen Fischen, zuzuwenden. Während dieser Reise stellte er die Eiszeittheorie vor der British Association for the Advancement of Science vor. Gemeinsam mit dem führenden englischen Geologen William Buckland kam er darüber hinaus zu dem Schluss, dass auch die Landschaft Schottlands unter der Einwirkung von Gletschern geformt wurde. Zu einem ähnlichen Schluss kam er für die Berglandschaften von England, Wales und Irland und er hielt fest:

„… dass große Eisschichten, die denen im heutigen Grönland entsprechen, einstmals die Länder bedeckt haben, in denen Geröll ohne Stratifizierungen zu finden ist; dieses Geröll wurde durch die Bewegung der Eisschichten auf der unterliegenden Landoberfläche erzeugt“ („that great sheets of ice, resembling those now existing in Greenland, once covered all the countries in which unstratified gravel (boulder drift) is found; that this gravel was in general produced by the trituration of the sheets of ice upon the subjacent surface, etc.“)

Die Akzeptanz der Eiszeittheorie

Bis die Eiszeittheorie breite Akzeptanz fand, vergingen jedoch mehrere Jahrzehnte. Agassiz trug mit seinen Forschungen und seinen Publikationen wesentlich dazu bei, dass sich in Europa und später in den USA zahlreiche Wissenschaftler mit dieser These beschäftigten.

Charles Lyell

Bereits sein Aufenthalt in England regte eine ganze Reihe englischer Wissenschaftler an, sich intensiver mit dieser Theorie auseinanderzusetzen. Zwar schrieb der britische Wissenschaftler Edward Forbes 1841 an Agassiz, er habe alle Geologen Großbritanniens „gletschertoll“ gemacht, jedoch blieb der damals maßgebliche Geologe in Großbritannien, Charles Lyell, zurückhaltend. Bei Geländearbeiten in Schottland 1840 wurde er von Agassiz kurzfristig überzeugt, aber schon im nächsten Jahr meldete Lyell Bedenken an: Das Konzept von Eiszeiten schien seinem aktualistischen Grundprinzip zu sehr zu widersprechen, dass die Kräfte, die die Erde in der Vergangenheit gestaltet hatten, im Prinzip dieselben sind wie heute. Erst ab 1863 näherte sich Lyell der Eiszeitlehre mit eigenen Beiträgen wieder an.

Auf dem europäischen Kontinent begannen mehr und mehr Wissenschaftler, Hinweise auf eine glaziale Überformung zu finden. In Deutschland entdeckte beispielsweise 1844 Bernhard von Cotta Gletscherschrammen in den Hohburger Bergen östlich von Leipzig, die ihn davon überzeugten, dass die Eiskappe einstmals bis in diese Region reichten. Unsicher ist, welchem Wissenschaftler als erstem die Idee kam, dass es mehrere Eiszeiten gegeben hat. Vermutlich ist es wiederum Ignatz Venetz gewesen. Adolph von Morlot ging davon aus, dass die Eiszeiten von klimatisch sehr warmen Perioden getrennt waren, und der Paläobotaniker Oswald Heer prägte bereits 1865 den Begriff „interglazial“ für diese Perioden. In Deutschland kam der eigentliche Durchbruch jedoch erst 1875, zwei Jahre nach Agassiz’ Tod, als der schwedische Wissenschaftler Otto Torell vor der Deutschen Geologischen Gesellschaft referierte, auf welchem Wege sich Gletschereis vom hohen Norden bis nach Norddeutschland vorgeschoben hätte.

Emigration in die USA

In den zehn Jahren, in denen sich Agassiz besonders intensiv mit der Gletscher- und Eiszeitforschung auseinandersetzte, führte er seinen systematischen Forschungen weiter fort. Von 1842 bis 1846 veröffentlichte Agassiz seinen Nomenclator Zoologicus, eine Systematik aller zoologischen Gattungen – das Produkt langer Arbeit und Recherchen. Mit Hilfe der Unterstützung des Königs von Preußen begab er sich im Herbst 1846 in die USA, um dort die Naturgeschichte und die Geologie der Vereinigten Staaten zu untersuchen und auf Einladung von J. A. Lowell eine Reihe von Vorlesungen über Zoologie in Boston, Massachusetts, zu halten. Die angebotenen finanziellen Möglichkeiten bewogen ihn, sich in den USA niederzulassen und von 1847 an als Professor für Zoologie und Geologie an der Harvard University zu lehren. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Agassiz 1850 die Schriftstellerin Elisabeth Cabot Cary aus Boston, die sich besonders als Verfechterin der Frauenbildung einen Namen machte. 1852 folgte eine Professur für vergleichende Anatomie in Charlestown (Massachusetts), die er jedoch zwei Jahre später wieder niederlegte.

Nach der Übersiedlung in die USA nahm die Zeit, die Aggasiz für wissenschaftliche Studien aufwandte, deutlich ab. Aufgrund seiner Lehrtätigkeit übte er dennoch einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Geologie und Zoologie in den USA aus: Agassiz entwickelte eine neue Lehrmethode, indem er die Verbindung der Studenten zur Natur herstellte, damit diese die benötigten Kenntnisse aus eigener Anschauung gewinnen konnten, anstatt nur Buchwissen zu lernen. Diese enthusiastische, emotional gefärbte Sicht auf die Natur geht auf den Einfluss der romantischen Naturphilosophie, besonders Friedrich Schellings, zurück − schließlich waren Heidelberg und München, wo Agassiz einst studierte, Zentren der deutschen Hochromantik gewesen.

Zu Agassiz’ Studenten zählten unter anderem David Starr Jordan, Joel Asaph Allen, Joseph Le Conte, Nathaniel Shaler, Alpheus Packard sowie sein eigener Sohn Alexander Agassiz, die sich später alle als Wissenschaftler und Lehrer einen Namen erwarben. Auf Agassiz’ Geschick in der Beschaffung von Spenden und Fördermitteln geht auch die Errichtung des Naturkundemuseums in Cambridge zurück, das 1859 eröffnet wurde. Er war einer der Ersten, die sich mit dem Einfluss der letzten Eiszeit auf Nordamerika auseinandersetzten. Sein Forschungsschwerpunkt blieben jedoch die Fische auf dem Gebiet der U.S.A. 1865 bis 1866 unternahm er eine Forschungsexpedition nach Brasilien, von der er zahlreiche Exponate für das von ihm gegründete Museum mitbrachte. 1871 bis 1872 begann er außerdem, sich mit Tiefwasser-Untersuchungen zu beschäftigen.

Als Wissenschaftler wurde er von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und zählte zu den bekanntesten und geschätztesten Lehrern seiner Zeit. Der Dichter Longfellow schrieb anlässlich seines fünfzigsten Geburtstages ihm zu Ehren ein Gedicht mit dem Titel „The fiftieth birthday of Agassiz“. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften ernannte ihm 1853 zu ihrem auswärtigen Mitglied.

Agassiz selber setzte seine zahllosen Veröffentlichungen fort, darunter die beiden vierbändigen Werke Natural History of the United States und Bibliographia Zoologiae et Geologiae.

Agassiz und die Evolutionstheorie

Trotz seiner intensiven Studien der Anatomie und Systematik an rezenten und fossilen Fischen, durch die er mit den abgestuften morphologischen Ähnlichkeiten und möglichen Entwicklungslinien vertraut war, blieb Agassiz bis zu seinem Tod ein Anhänger des von Georges Cuvier begründeten Katastrophismus und als solcher ein entschiedener Gegner der Evolutionstheorie, die von Charles Darwin entwickelt wurde. Statt dessen argumentierte er, dass die gewöhnlichen Umstände, die von Darwin für seine Theorie herangezogen wurden, wie Variabilität und erbliche Veränderung der Arten, Klimawechsel, geologische Umbrüche, und selbst Eiszeiten, immer nur zum Aussterben von Arten führen konnten, aber niemals zur Entstehung neuer Arten. Die Entwicklung von einfacheren zu komplexeren Organismen, wie sie in der Abfolge der Fossilien zu Tage trat, führte er in neuplatonischer Art als „Gedankenassoziationen im göttlichen Geist“ zurück. Er war damit einer der letzten Paläontologen, der die Artenvielfalt auf eine metaphysische Kausalität, einen schöpferischen Gott, zurückführte. Als solcher unterstellte er eine Konstanz der Arten und versuchte, die Fakten der Zoogeographie durch Zentren der Schöpfung zu ersetzen (siehe dazu Geschichte der Geologie).

Rassentheoretische Ansichten

Daguerreotypie des kongolesischen Sklaven Renty, das im Auftrag Agassiz’ angefertigt wurde, um die Unterlegenheit der Schwarzen zu belegen

Agassiz, zu seiner Zeit in der Schweiz noch Anhänger der Monogenese-Theorie (die heute allgemein anerkannt ist und besagt, dass alle Menschen aus einem gemeinsamen Ursprung hervorgegangen sind), wurde nach seiner Einreise in die USA 1846 zum Anhänger des damals konkurrierenden Polygenismus (dem zufolge die Menschen sich in verschiedenen Teilen der Welt unabhängig voneinander aus unterschiedlichen Ursprüngen entwickelt hätten). Zu diesem Sinneswandel hatte seine erstmalige Begegnung mit schwarzen Sklaven beigetragen, die er in einem Brief an seine Mutter beschrieb: „Das Gefühl, das sie mir gaben, läuft meinen Vorstellungen der Bruderschaft der menschlichen Art und dem gemeinsamen Ursprung zuwider. Ich empfand Mitleid beim Anblick dieser verderbten und entarteten Rasse, und ihr Schicksal erweckte mein Mitgefühl bei dem Gedanken, dass sie wirklich Menschen sind.“

Agassiz war von der Ungleichheit der menschlichen Rassen und der Minderwertigkeit der schwarzen Rasse überzeugt („Der unbezwingbare, mutige, stolze Indianer – in welch anderem Licht steht er neben dem unterwürfigen, kriecherischen, nachahmerischen Neger, oder neben dem listigen, verschlagenen und feigen Mongolen! Verweisen diese Tatsachen nicht darauf, dass die verschiedenen Rassen von Natur aus nicht auf demselben Niveau stehen?“). Die Vermischung der Rassen sah er als Übel an und befürwortete folglich nach Abschaffung der Sklaverei die Rassentrennung („Welches Unglück für die weiße Rasse, dass sie ihre Existenz in manchen Ländern so eng mit der Negerrasse verknüpft hat, Gott bewahre uns vor solcher Berührung!“). Seiner Meinung nach sollten den Schwarzen „unter der schönen Sonne des Südens“ spezielle Territorien zugewiesen werden, um die weiße Rasse rein zu halten.

Heutige Kritiker – insbesondere der Schweizer Historiker Hans Fässler – sehen ihn deshalb als frühen Vordenker der Apartheid.[2] Am 12. September 2007 verurteilte der schweizerische Bundesrat das rassistische Denken von Agassiz.[3]

Nachwirkung

In den letzten Jahren seines Lebens setzte er sich zum Ziel, eine Institution einzurichten, an der zoologische Studien an lebenden Objekten durchgeführt werden können. Der Philanthrop John Anderson überließ 1873 Agassiz eine vor Massachusetts’ Küste gelegene Insel sowie 50.000 $, um dort eine Station für die Erforschung des Meereslebens zu errichten. Diese Station überdauerte den Tod von Agassiz nicht sehr lange, sie wird jedoch als Vorläufer der Woods Hole Oceanographic Institution betrachtet, die heute in der Nähe der alten Forschungsstation existiert.

An Agassiz erinnern sich die Fachleute meist aufgrund seiner Gletscherstudien und als einer derjenigen letzten großen Zoologen, die sich Charles Darwins Theorien widersetzten. Er starb 1873 in Cambridge. Sein Grabmal besteht aus einem Felsen der Moräne des Aargletschers, auf dem einstmals seine Forschungshütte stand.

Ehrungen

Agassizhorn (Bildmitte), rechts das Finsteraarhorn

Zu Ehren Louis Agassiz’ trägt das 3.946 m hohe Agassizhorn in den Berner Alpen seinen Namen. Es ist vom unweit südöstlich gelegenen Finsteraarhorn, dem höchsten Berner Gipfel, durch das 3.749 m hohe Agassizjoch getrennt (im Jahr 2007 wurde vorgeschlagen, den Berg in Rentyhorn umzubenennen).[4] Im August und September 2008 wurden durch die Künstlerin Sasha Huber erneut Versuche gewagt, den Berg umzubenennen,[5],[6] was für kurze Zeit auch gelang.[7] Darüber hinaus sind eine Reihe von Tierarten nach Agassiz benannt worden. Zu den Arten, die seinen Namen tragen, gehören Agassiz' Zwergbuntbarsch (Apistogramma agassizii) sowie die Kalifornische Gopherschildkröte Gopherus agassizii. Ein riesiger See, der sich zu Ende des Pleistozäns in Nordamerika aus Gletscherschmelzwasser gebildet und im Altholozän große Teile Kanadas bedeckt hatte, wurde seit 1879 Agassizsee genannt. Louis Agassiz hatte den Zusammenhang zwischen dem Ende der letzten Eiszeit und der Entstehung des vorgeschichtlichen Sees beschrieben. Ein Krater auf dem Mars trägt seinen Namen.

Werke

  • Selecta Genera et Species Piscium (1829)
  • Recherches sur les poissons fossiles (1833–1843)
  • History of the Freshwater Fishes of Central Europe (1839–1842)
  • Études sur les glaciers (1840)
  • Études critiques sur les mollusques fossiles (1840–1845)
  • Monographie des poissons fossiles du vieux grès rouge, ou Système Dévonien (Old Red Sandstone) des Îles Britanniques et de Russie (1844–1845)
  • Bibliographia Zoologiae et Geologiae (1848)
  • (mit A. A. Gould) Principles of Zoology for the use of Schools and Colleges,“ (Boston, 1848)
  • Lake Superior: Its Physical Character, Vegetation and Animals, compared with those of other and similar regions (Boston: Gould, Kendall and Lincoln, 1850)
  • Natural History of the United States (1847–1862)
  • Essay on Classification (1859) anti-darwinistisch.
  • A Journey in Brazil (1868), zusammen mit seiner Frau Elisabeth Cary.

Literatur

  • Edmund B. Bolles, Eiszeit. Wie ein Professor, ein Politiker und ein Dichter das ewige Eis entdeckten, Berlin 2000. ISBN 3-87024-522-0
  • Christine Reinke-Kunze, Die PackEISwaffel – Von Gletschern, Schnee und Speiseeis, Basel 1996. ISBN 3-7643-5331-7
  • Edward Lurie, Louis Agassiz. A Life in Science, Baltimore 1988. ISBN 0-8018-3743-X
  • Jeroen Dewulf, Brasilien mit Brüchen. Schweizer unter dem Kreuz des Südens, Zürich 2007. ISBN 978-3-03823-349-7

Einzelnachweise

  1. Louis Agassiz: Études sur les glaciers, digitalisiertes Werk bei Wikisource. Abgerufen am 25. Februar 2008
  2. WochenZeitung, 14. Juni 2007: Auf zum Rentyhorn!; Tages Anzeiger vom 30. Juni
  3. [1] Antwort des Bundesrates auf die Interpellation 07.3486
  4. Ein rassistischer Schweizer Pionier und sein Gipfel, Stefan Häne, Tages-Anzeiger Zürich, 30.06.2007 (pdf 480 Kb)
  5. Künstlerin will «rassistischen Berg» umtaufen Berichte in der Pendlerzeitung 20 Minuten
  6. Künstlerin will Agassizhorn umbenennen
  7. Rassisten-Horn umbenannt Neuer Versuch aber nur für kurze Zeit

Weblinks


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