Lucchese Familie

Lucchese Familie

Die Lucchese-Familie bezeichnet eine der Fünf Familien der La Cosa Nostra in New York City; die nach dem späteren Anführer Tommy Lucchese klassifiziert wurde.

Die Einteilung in die fünf Familien war das Ergebnis des sogenannten Krieges von Castellammare 1930/1931. Am Ende dieser Auseinandersetzung innerhalb der damaligen La Cosa Nostra setzte sich zunächst Salvatore Maranzano durch, der innerhalb der Cosa Nostra (it. „unsere Sache“) als Capo di tutti capi (it.: „Boss aller Bosse“) fungieren wollte. Er teilte die damalige Cosa Nostra New Yorks in fünf Gruppen ein; dieses war allerdings ohnehin der Stand der Machtverhältnisse vor der Auseinandersetzung; so berichtet Joseph Bonanno 1983 in seinem Buch Man of Honor [1] bereits über die Existenz der Fünf Familien vor der Auseinandersetzung.

Demnach wurde die Bronx von Gaetano „Tom“ Reina und seinen Männern, u.a. Gaetano Gagliano, Tommy Lucchese und Steve Rondelli, beherrscht.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Frühe Jahre

Gaetano „Tom“ Reinas kriminelle Karriere begann in der Bronx und bald schon kontrollierte er den Handel mit Stangeneis, welches als Kühlmittel in den damaligen nicht-elektrischen Kühlschränken eingesetzt wurde. Zunächst existierte die Gruppe parallel zur Morello-Familie um Peter Morello in Harlem und in der Bronx, war dann aber unter Kontrolle des Mustache Petes Ciro Terranova, einem (Halb-) Bruder der Morellos. Unter Joe Masseria wurde Reina ein hochrangiges Mitglied der Familie, die heute als Vorläufer der Genovese-Familie gelten kann und die Reina-Gang kam letztendlich unter die Kontrolle von Joe Masseria.

Aus heutiger Sicht waren die Männer um Reina eher eine „streetcrew“ und keine eigenständige Familie.

Krieg von Castellammare

Ende der 1920er Jahre deutete sich der Konflikt zwischen Joe Masseria und Salvatore Maranzano an, der dann als Krieg von Castellammare bezeichnet wurde.

Seit 1919 galt eine Alkoholprohibition in den USA und Maranzano begann Alkoholladungen von Masseria zu entführen und drang durch die gewaltsame Übernahme verschiedener „speakeasy“ auf dessen Gebiet vor. Masseria hatte von Gaetano Reina und seiner Bande mehr Geld eingefordert, worauf dieser sich an Maranzano wandte. Sein Frontwechsel war jedoch durch Peter Morello an Masseria verraten worden. Als Reaktion auf die Verratspläne von Reina plante Masseria zusammen mit Gaetano Gagliano dessen Ermordung. Die Tat wurde am 26. Februar 1930 durch Vito Genovese ausgeführt. Seine Ermordung wird heute als Beginn des Krieg von Castellammare gesehen.

Als neuen Boss über die Bande wurde Joseph Pinzolo von Masseria eingesetzt. Weder Gagliano noch Lucchese waren von dieser Einsetzung von Außen begeistert, hielten aber offiziell weiter zu Masseria. Nachdem unbekannte Killer im September 1930 Pinzolo erschossen hatten, wurde Gagliano Boss der Reina-Gang. Inzwischen waren Gaetano Gagliano und Tommy Lucchese heimlich ein Bündnis mit Lucky Luciano eingegangen, der Masseria und Maranzano gegeneinander ausspielte.

Dadurch wurde die Bande wieder eigenständig und Gaetano Gagliano wurde Mitglied in der Kommission des National Crime Syndicate.

Gaetano Gagliano

Nachdem Luciano 1936 inhaftiert wurde, beherrschten Vincent Mangano, Joseph Bonanno, Stefano Magaddino und Joe Profaci, die Bosse der anderen vier Familien die Kommission. Gagliano als Boss einer der kleineren Familien musste sehr vorsichtig vorgehen, um nicht in eine aussichtslose Position zu geraten. Er hielt sich auch in der Öffentlichkeit sehr zurück, so dass auch aus den 1940er und 1950er Jahren wenig über ihn bekannt wurde. Lediglich seine Verwicklung in die Umgehung der Benzinrationierung und in den Schwarzmarkt für Zucker während des Zweiten Weltkriegs wurden bekannt. [2]

Eine der wenigen öffentlichen Auftritte, an denen Gagliano teilnahm, war die Hochzeit von Joe Valachi am 18. September 1932. An den großen Treffen und Konferenzen der La Cosa Nostra nahm in der Regel immer Tommy Lucchese teil.

Tommy Lucchese

Nach dem „Krieg von Castellammare“ war Tommy Lucchese der Stellvertreter von Gaetano Gagliano geworden und wurde dessen Nachfolger als dieser 1951 starb. Lucchese legte Wert auf traditionelle Tugenden der originären sizilianischen Cosa Nostra. Ein Maximum an illegalen Gewinnen sollte mit einem Minimum an Aufsehen erzielt werden. Lucchese eröffnete seiner Organisation neue Einnahmequellen aus illegalen Aktivitäten in der Bekleidungsindustrie Manhattans („Garment District“) und im zugehörigen Transportgewerbe, indem er wichtige Gewerkschaftsfunktionäre und Unternehmer unter seine Kontrolle brachte. Partner bei diesen Aktivitäten war Harry Rosen. Beide verschifften Bekleidung die in New York City hergestellt worden war.

Auch privat führte Lucchese ein stilles und stabiles Leben. Am 13. Juli 1967 erlag er einem Gehirntumor. Sein Nachfolger als Anführer der Lucchese-Familie wurde zunächst Carmine Tramunti.

Tramunti und die Gambino Familie

Carmine Tramunti wohnte in der 107th Street und kontrollierte den größten Teil der „Number Games“ in Harlem aber auch die Craps-Spiele in New York City und hatte sein Hauptquartier im „The Stage Delicatessen“ Laden in Manhattan. Sein Verhalten entsprach nicht dem gängigen Klischee eines Italo-Amerikaners und er wirkte eher wie ein typischer Durchschnittsamerikaner.

Aber die Verhältnisse hatten sich geändert. Durch den Drogenhandel mit Heroin hatte die Gambino Familie unter Carlo Gambino eine Vormachtstellung errungen. Außerdem hatte Gambinos Sohn Thomas 1962 Franca Lucchese geheiratet, die Tochter von Tommy Lucchese.

Tramunti agierte eher wie ein „front boss“ der Gambinos, als wie ein eigenständiges Oberhaupt. 1971 war Tramunti an einem Multi-Millionen Betrug beteiligt und wurde ab 1973 von der Staatsanwaltschaft in Brooklyn streng überwacht. Tramunti wurde auch verdächtigt, in die French Connection verwickelt zu sein und den darin abgewickelten Heroinhandel vorfinanziert zu haben.

Allerdings war der einzige Beweis ein von einem Fahnder beobachteter Handschlag mit einem Drogendealer. Dieser Handschlag wurde vom Gericht als Vereinbarung zu einem Drogengeschäft gewertet und Tramunti wurde zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt. Hierauf wurde in einer Szene des Films Goodfellas Bezug genommen.

Anthony Corallo

Anthony „The Ducks“ Corallo stammte aus Queens und diente bereits unter Tommy Lucchese. Schwerpunktmäßig war er mit der Unterwanderung und Kontrolle der Gewerkschaften beschäftigt („Labor Racketeering“) und arbeitete eng mit Jimmy Hoffa - dem Gewerkschaftsführer der Teamsters- zusammen. Insbesondere das „Local 239“ in New York fungierte als „Melkkuh“ der Gangster, indem dort Beschäftigte abgerechnet wurden, die lediglich auf dem Papier existierten. Auf diese Weise wurden monatlich rund 69.000 US-Dollar aus der Gewerkschaftskasse abgeschöpft.

Weitere enge Verbindungen bestanden vor allem zu den Gewerkschaften der Painters and Decorators Union, Conduit Workers Union und der United Textile Workers. Seine wichtigsten Männer bei diesen Gewerkschaftsoperationen waren Salvatore „Tom Mix“ Santoro, Johnny Dioguardi und sein Consigliere Christopher „Christie Tick“ Furnari.

Unter dem strengen Führungsstil von Corallo prosperierte die Lucchese-Familie. Seit dem Tod von Carlo Gambino und nach dem Ende der French Connection agierte die Familie wieder eigenständig. Der Arm der Lucchese-Familie reichte damals bis New Jersey, wo Anthony „Tumac“ Accetturo und Michael „Mad Dog“ Taccetta für die Familie tätig waren; insbesondere organisierten sie dort das illegale Glücksspiel und trieben Schulden ein. [3]

Im Auftrag der US-Regierung wurde Corallos Auto verwanzt, und die Ermittler wurden so in den 1980er Jahren Zeugen zahlreicher Gespräche mit seinen Chauffeuren und Bodyguards Salvatore „Sal“ Avellino und Aniello „Neil“ Migliore und unzähligen Telefonate über sein Autotelefon. [4]

Schließlich wurde Corallo 1986 verhaftet und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt; ein Umstand von dem damals alle Anführer der Fünf Familien mehr oder minder betroffen waren. Corallo starb 2000 in Haft.

Rivalität mit John Gotti

Nach der Verhaftung von Carallo übernahmen Vittorio „Vic“ Amuso und sein gefürchteter „underboss“ Anthony „Gaspipe“ Casso die Führung der Familie. Die Familie geriet bald in Schwierigkeiten, da beide ausgesprochene Gegner von John Gotti, dem neuen Oberhaupt der Gambino-Familie waren und beide sich loyal zur Genovese-Familie und dessen Boss Vincent Gigante verhielten.

Gotti hatte ohne Abstimmung mit den anderen Oberhäuptern Paul Castellano ermordet, um sich selbst an die Spitze der Gambino-Familie zu setzen, und Amuso, Casso, und Gigante planten bereits die Ermordung von Gotti. Am 13. April 1986 wurde Frank DeCicco mit seinem Auto in die Luft gesprengt, Gotti aber verfehlt. Dieser Anschlag löste eine blutige Fehde aus, die zu vielen Toten bei den drei beteiligten Familien führte.

Außerdem begann Amuso die Profite der „New Jersey Crew“ zu beschneiden, da er einen Anteil von 50% von Anthony Accetturo und Michael Taccetta forderte, was diese ablehnten. Daraufhin befahl Amuso beide zu einem Treffen nach Brooklyn, wo sie jedoch nicht erschienen, da sie um ihr Leben fürchten mussten und beide wurden in den 1990er Jahren zu Pentiti.

Weitere Lucchese-Mitglieder, wie Alphonse „Little Al“ D'Arco waren zur Zusammenarbeit mit der Polizei bereit und Amuso und Casso wurden Mitte 1991 und 1994 verhaftet und jeweils zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Insbesondere die Morde im Zusammenhang mit der Fehde mit Gotti wurden ihnen nun zur Last gelegt und die „Pentiti“ hatten insbesondere angegeben, dass bereits seit Anfang 1986 die Ermordung von John Gotti, DeCicco and Gene Gotti geplant worden sei.

Neuzeit

Die Familie ist weiter aktiv und geriet wieder in den Focus der Öffentlichkeit, als 2006 zwei frühere Beamte der New Yorker Polizei überführt wurden, jahrelang als Berufskiller für die Lucchese-Familie tätig gewesen zu sein. Ein Gericht verurteilte die beiden Männer wegen Mordes, Mordversuchs, Erpressung, Geldwäsche und Drogenhandel zu einer lebenslangen Haftstrafe. Außerdem hatten sie in zwei Jahrzehnten polizeiliche Geheimnisse verraten; eine vorzeitige Haftentlassung wurde durch Richter Jack Weinstein ausgeschlossen. Ein endgültiges Urteil war damals wegen formaler Gründe aber ausgeblieben und wurde Anfang 2009 nachgeholt.[5]

Der Tipp war dabei von Anthony Casso gekommen, der angesichts der eigene strafrechtlichen Belastungen selbst zum „Pentito“ geworden war und die beiden Beamten mit seiner Aussage enttarnte.

Die Bande soll immer noch über 120-130 Mitglieder verfügen und von dem mittlerweile 70jährigen Vittorio Amuso aus dem Gefängnis geleitet werden. Als Führungstrio vor Ort fungieren die Capos Aniello Migliore, Joseph DiNapoli und Matthew Madonna.

Oberhaupt der Familie

Nicht immer ist das Oberhaupt einer Familie eindeutig zu identifizieren; insbesondere, wenn durch eine Haftstrafe ein anderes Familienmitglied in den Vordergrund rückt. Die Betrachtung von Außen macht es nicht immer einfach, ein neues Oberhaupt als solches zu erkennen bzw. dessen genaue Amtszeit festzustellen. Außerdem scheint sich innerhalb der gesamten La Cosa Nostra gewissermaßen ein Präsidialsystem durchzusetzen; d.h. das Oberhaupt verlagert seine Macht mehr auf einen sogenannten „acting boss“ und /oder „street boss“, die ihrerseits wiederum das Oberhaupt als solches weiter anerkennen, auch wenn es z.B. in Haft sitzen sollte.

Die im Vergleich mit anderen Familien kleine Lucchese-Familie wirkt dagegen recht übersichtlich, allerdings bestehen auch hier Schwierigkeiten, wenn die tatsächliche örtliche Befehlsgewalt über die „streetcrews“ ermittelt werden soll.


Zeitraum Oberhaupt der Lucchese-Familie Lebenszeit Todesursache Spitzname Anmerkung
1922-1930 Gaetano Reina 1889-1930 erschossen Tom Täter Vito Genovese
1930 Joseph Pinzolo erschossen
1931-1951 Gaetano Gagliano 1884-1951 natürlicher Tod Tommy
1951-1967 Tommy Lucchese 1899-1967 Gehirntumor Three Finger Brown
1967-1974 Carmine Tramunti 1910-1978 natürlicher Tod Mr. Gribbs ab 1974 in Haft
1974-1987 Anthony Corallo 1913-2000 natürlicher Tod Tony Ducks ab 1987 in Haft
1987-heute Vittorio Amuso * 1934 (Little) Vic ab 1991 in Haft

Einzelnachweise

  1. Joseph Bonanno: A Man of Honor. Buccaneer Books 1998. ISBN 9781568497228
  2. Ralph Salerno, John S. Tompkins: The Crime Confederation: The Crime Confederation. The untold story of America's most succesful industry. The strategies & techniques of the Cosa Nostra & allied operations in organized crime.Garden City, New York 1969. ISBN 978-0385090735
  3. www.crimelibrary.com (englisch)
  4. The story of the Lucchese, one of the 5 NY crime families - Crime Library on truTV.com (englisch)
  5. New Yorker Ex Polizisten als Killer verurteilt auf www. welt.de

Literatur

  • Jery Capeci: The Complete Idiot's Guide to the Mafia. Indianapolis: Alpha Books, 2002. ISBN 0-02-864225-2
  • John H. Davis, John H. Mafia Dynasty: The Rise and Fall of the Gambino Crime Family. New York: HarperCollins, 1993. ISBN 0-06-016357-7
  • James B. Jacobs, Christopher Panarella und Jay Worthington. Busting the Mob: The United States Vs. Cosa Nostra. New York: NYU Press, 1994. ISBN 0-8147-4230-0
  • Peter Maas: Underboss: Sammy the Bull Gravano's Story of Life in the Mafia. New York: HarperCollins Publishers, 1997. ISBN 0-06-093096-9
  • Selwyn Raab:Five Families: The Rise, Decline, and Resurgence of America's Most Powerful Mafia Empires. New York: St. Martin Press, 2005. ISBN 0-312-30094-8
  • Louis Eppolito: Mafia Cop: The Story of an Honest Cop whose Family Was the Mob. ISBN 1-4165-2399-5
  • Guy Lawson und William Oldham: The Brotherhoods: The True Story of Two Cops Who Murdered for the Mafia. ISBN 978-0-7432-8944-3

Weblinks


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