- Luftangriff auf Wangerooge
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Am 25. April 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, kam es zu einem schweren Luftangriff auf Wangerooge durch 480 britische, kanadische und französische Bomber. Militärisch war er eher ein Misserfolg, da fast alle verbunkerten Geschützbatterien intakt blieben und die zur Festung erklärte Insel nicht kapitulierte. Die Initiative für diesen Angriff ging von den kanadischen Bodentruppen aus, denen unter den Alliierten die Aufgabe zur Eroberung der ostfriesischen Küste zugedacht war. Es handelte sich um den letzten Großeinsatz der Royal Air Force (RAF) gegen das Deutsche Reich.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Siehe auch Hauptartikel: Militärische Geschichte Wangerooges
Vor und während des Zweiten Weltkrieges war Wangerooge (zumeist an der Nordseite der Insel in den Dünen) mit etwa zehn groß- und mittelkalibrig bestückten Geschützbatterien versehen worden. Jede Batterie verfügte über zwei bis sechs Geschütze mit den dazugehörigen Mannschafts-, Munitions- und Führungsbunkern, so dass auf der Insel etwa 100 Bunker bestanden. Sinn der Anlagen war einerseits die Verteidigung gegen feindliche Seeziele, vor allem aber der Schutz des Fahrwassers zum 30 Kilometer südlich liegenden Reichskriegshafen Wilhelmshaven. Gleichfalls dienten die meisten Kanonen aber der Luftverteidigung gegen die nach Deutschland einfliegenden alliierten Bomberverbände. Dazu bestanden auch zahlreiche Suchscheinwerfer- und weitere kleinkalibrige Flakstellungen, vor allem zum Schutz des Flugplatzes gegen Tiefflieger. Außerdem waren zur Peilung auf der Insel verschiedene Radar-Funkmessgeräte einer Flugmelde-Leiteinheit (Würzburg-, Freya- und Wassermann-Radargeräte) aufgestellt. Dadurch konnten Flugziele bis zu 400 Kilometer Entfernung erfasst und eigene Abfangjäger auch bei der Nachtjagd ans Ziel geleitet werden.
Noch in den letzten Kriegstagen wurde Wangerooge beim Heranrücken der alliierten Truppen auf dem Festland zur Festung erklärt. Die Insel wurde zum Kampffeld für den Fall einer Invasion durch Schanzen vorbereitet, so durch Panzer- und Schützengräben sowie das Auslegen von etwa 10.000 Minen). Die Soldaten bereiteten sich auf eine Invasion mit Erdkämpfen vor und richteten Flammenwerfer-, MG-, und Pak-Stellungen ein.
Begründung für den Luftangriff
Die Initiative für den Großangriff auf Wangerooge kam vom Hauptquartier der kanadischen Truppen, deren Landstreitkräfte innerhalb des alliierten Lagers die Eroberung der ostfriesischen Küste einschließlich der Inseln zugedacht war. Zum Entscheidungszeitpunkt am 24. April 1945 befand sich das Hauptquartier bei Meppen im Emsland. Auch der britische Feldmarschall Montgomery war für eine schwere Bombardierung, um hohen Verlusten bei einer möglichen Invasion vorzubeugen. Im geschichtlichen Rückblick ist eine dringliche militärische Notwendigkeit der Bombardierung Wangerooges, ebenso wie die des Großangriffs auf Helgoland am 18. und 19. April 1945, zu bezweifeln. Der Vormarsch der Alliierten auf dem Festland schritt schnell voran. Der Luftangriff erfolgte möglicherweise aus der hohen Materialüberlegenheit heraus, die man nutzen wollte.
Den Kanadiern lag ein umfangreiches Dossier über die militärischen Gegebenheiten der Insel vor. Die Erkenntnisse stammten aus der Luftaufklärung und Spionage-Quellen. Allerdings wurde die Abwehrkraft und die Anzahl der Batterien und deren Geschütze erheblich überschätzt. Die Feuerkraft der Küstenverteidigung war weitaus geringer, da bereits während des Krieges zahlreiche Geschütze an andere Kriegsschauplätze (beispielsweise 1941 nach Las Palmas als Militärhilfe für den spanischen Diktator Franco) gebracht worden waren. In den leeren Stellungen hatte die Wehrmacht zur Täuschung Geschütz-Attrappen aus Holz aufgestellt.
Der Angriff
Abflug
Zu dem Angriff starteten gegen 14:30 Uhr auf 25 Flugplätzen in Süd-England insgesamt 480 Bomber der Royal Air Force (256), der Royal Canadian Air Force (206) und der Free French Air Force (18). Darunter waren 464 viermotorige Bomber der Typen Halifax und Lancaster sowie 16 zweimotorige Zielmarkierer-Flugzeuge des Typs Mosquito. Die Flugzeugbesatzungen umfassten etwa 4.000 Personen.
Angriffsziel
Ziel war die Zerstörung der schwerkalibrigen Seezielbatterien, die man auf der Insel vermutete und als Bedrohung für weitere militärische Operationen ansah. Tatsächlich wurde die Anzahl der Kanonen und ihr Kaliber überschätzt, es waren nur vier einsatzbereite schwere Seezielgeschütze sowie drei schwere Flakbatterien vorhanden. Der taktische Luftangriff richtete sich gezielt gegen die militärischen Anlagen und nicht gegen die Zivilbevölkerung.
Beginn und Durchführung
Das auf Wangerooge (nahe dem Westturm) aufgestellte 51 Meter hohe Funkmessgerät vom Typ Wassermann mit einer Reichweite von 400 Kilometern ortete bereits die sich über Südost-England sammelnden Bomberverbände. Um 16:47 Uhr wurde ein Voralarm für die Bevölkerung ausgelöst, die daraufhin die Luftschutzbunker im Dorf aufsuchte. Die Inselbevölkerung rechnete zwar mit einem Angriff, da etwa eine Woche zuvor Helgoland Ziel eines schweren Angriffs gewesen war. Trotzdem wurde dem Alarm keine große Bedeutung beigemessen, da täglich große Bomberverbände nach Deutschland einflogen. Um 16:59 Uhr setzten Mosquito-Bomber ihre Zielmarkierungen über den Bunkeranlagen in den Dünen. Erst zu diesem Zeitpunkt, als die Bomberpulks bereits über der Insel waren, war es sicher, dass der Großangriff Wangerooge galt. Um 17 Uhr eröffneten die Flakstellungen noch das Feuer, das sie bald darauf einstellten. Ihre Kanonen wurden teilweise durch umherfliegende Trümmer verklemmt. Um 17:16 Uhr wurde der Angriff abgebrochen, da der „Masterbomber“ in Anbetracht der Zerstörungen eine weitere Bombardierung für sinnlos hielt. In nur etwa fünfzehn Minuten fielen in drei Angriffswellen über 6.000 Sprengbomben (Typ: 227 kg und 454 kg), die eine Kraterlandschaft hinterließen.
Verluste
Die Alliierten verloren sieben Bomber mit 49 Mann der Flugzeugbesatzungen. Auf der Erde starben:
- 131 deutsche Soldaten
- 121 Zwangsarbeiter aus den Niederlanden, Belgien, Polen, Frankreich und Marokko
- 6 Marinehelferinnen
- 21 einheimische Frauen und Kinder
Zwei Militär-Bunker mit je 20 Mann Besatzung, darunter ein Befehlsbunker, erhielten Volltreffer. Die 120 durch den Angriff verletzten Personen wurden zum Festland in ein Krankenhaus in Wittmund abtransportiert.
Bilanz
Militärisch war der Luftangriff ein Fehlschlag, denn fast alle Geschützbatterien waren nach wenigen Stunden wieder gefechtsbereit. In Anbetracht der vielen Bomben waren die Verluste unter der Inselbevölkerung vergleichsweise gering. Höhere Verluste forderte der Angriff unter den ausländischen Zwangsarbeitern. Ihre Barackenlager waren vollkommen ungeschützt und ihnen war der Zutritt zu Bunkern untersagt.
Gedenken
Ein Befehlsbunker mit 20 Personen hatte bei dem Angriff einen Bomben-Volltreffer erhalten. Da er nur noch Leichenteile enthielt, wurde er verschlossen und zum Kriegsgrab ernannt. Heute mahnen eine Inschriftenplatte und ein großes Kreuz an das Ereignis. 1951 legte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) nahe dem Inseldorf einen Ehrenfriedhof an. 238 Opfer des Bombenangriffes wurden dorthin umgebettet. Beim Luftangriff wurden einige Bunker- und Geschützanlagen sowie über die Hälfte der Wohnhäuser zerstört. Die intakt gebliebenen Bunker wurden von den Alliierten bereits im Juni 1945 gesprengt.
Kapitulation
Der Luftangriff führte nicht zur Kapitulation der Festung Wangerooge. Stattdessen verbreitete der Festungs-Kommandant Durchhalteparolen. Die Kampfhandlungen gegen feindliche Flugzeuge setzten sich auf geringem Niveau Ende April und Anfang Mai 1945 fort. Den letzten Schuss auf Wangerooge gab am 4. Mai 1945 eine Flakbatterie ab, um einen Angriff britischer Jagdflugzeuge auf deutsche Motorschiffe zu verhindern. Erst nach der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation (im Beisein des britischen Feldmarschalls Bernard Montgomery am 4. Mai 1945 in Wendisch Evern) ging am 5. Mai um 7 Uhr der Zweite Weltkrieg in Nordwestdeutschland und auch auf Wangerooge zu Ende. Am 11. Mai 1945 betraten erstmals einzelne alliierte Soldaten die Insel, die mit zwei Flugzeugen landeten. Die militärische Besetzung erfolgte ab dem 20. Mai 1945 durch kanadische Truppen.
Heute
Bis in die 1970er Jahre waren in den Dünen noch zahlreiche Bunkerreste und Bombentrichter sichtbar. Seither war man wegen des Fremdenverkehrs bestrebt, diese Kriegsüberbleibsel zu beseitigen. Heute sind kaum noch Spuren der militärischen Vergangenheit auffindbar, da sie mit Sand überdeckt oder von Pflanzen überwuchert sind. In einigen der Bombentrichter haben sich im Lauf der Jahrzehnte ökologisch wertvolle Kleinbiotope entwickelt.
Siehe auch
Literatur
- Hans Jürgen Jürgens: Zeugnisse aus unheilvoller Zeit. Ein Kriegstagebuch über die Ereignisse 1939-1945 im Bereich Wangerooge-Spiekeroog-Langeoog sowie die Lage im Reich und an den Fronten, C. L. Mettcker & Söhne, Jever 1989, 6. Auflage 2003, ISBN 3-87542-008-X
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