Anwaltszwang

Anwaltszwang
Deutschlandlastige Artikel Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern.

Unter Anwaltsprozess versteht man ein zivilgerichtliches Verfahren, bei dem sich die Parteien durch einen bei dem jeweiligen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, d. h., sie können ohne diesen Anwalt den Prozess weder als Kläger noch als Beklagter führen und werden in der mündlichen Verhandlung behandelt, als wenn sie nicht erschienen wären. Es ermangelt dem Nicht-Anwalt in diesen Fällen an der sogenannten Postulationsfähigkeit: Sie können keine wirksamen Prozesserklärungen abgeben. Bei einer einverständlichen Scheidung genügt es, wenn der antragstellende Ehegatte anwaltlich vertreten ist.

In Bezug auf Anwaltsprozesse spricht man auch vom Anwaltszwang, besser: Anwaltserfordernis. Anwaltszwang / Anwaltserfordernis einerseits und Selbstvertretung andererseits gehören von jeher zu den heißen Eisen in der Rechtspolitik. Es gibt auch Länder ohne Anwaltszwang.

Ob die Pflichtverteidigung im Strafprozess dem Anwaltszwang entspricht, ist nach dem Wortlaut naheliegend, weil dem Angeklagten notfalls gegen seinen Willen ein Pflichtverteidiger aufgezwungen wird. Ausgehend vom Zivilprozess fällt aber unter Anwaltszwang nur die Prozessvertretung, während der Verteidiger im Strafprozess lediglich der „Beistand“ des Beschuldigten ist.

Inhaltsverzeichnis

Anwaltszwang vor verschiedenen Gerichten

Anwaltsprozesse sind vor dem Amtsgericht die Ehesachen einschließlich der Folgesachen, Verfahren über Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht und die entsprechenden Verfahren bei Lebenspartnerschaften, Verfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht (mit Ausnahme gewisser familiengerichtlicher Verfahren) und vor dem Bundesgerichtshof.

Geregelt ist der Anwaltsprozess in § 78 ZPO.

Vor den Amtsgerichten, Arbeits- und Sozialgerichten sowie vor den Verwaltungsgerichten bestehen besonders geregelte Ausnahmen vom Anwaltszwang. Vor dem Bundesfinanzhof können sich Parteien auch nicht selbst vertreten, sondern müssen sich durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Es obliegt jedoch der Besonderheit nach dem Steuerberatungsgesetz und der Finanzgerichtsordnung, dass dies nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sein dürfen (vgl. § 62 FGO).

Vor dem Bundesverfassungsgericht besteht ein Anwaltszwang nur für die mündliche Verhandlung.[1]

Geschichte des Anwaltszwanges

Der Anwaltszwang blickt auf eine bewegte Rechtsgeschichte zurück. Das historische Recht kannte keinen Anwaltszwang, er war sogar unzulässig. In einer wechselvollen Geschichte entstand mit Inkrafttreten der Zivilprozessordnung (ZPO) vom 1. Oktober 1879 der so genannte Anwaltszwang, der anschließend Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen war.

Im Dritten Reich war die Anwaltschaft ohnehin eingebunden in ein System der Gleichschaltung mit Gericht und Staatsanwaltschaft. Außerdem entstanden zahlreiche Sondergerichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Anwaltszwang den ursprünglichen Inhalt des § 78 ZPO mit einigen Einschränkungen für den Parteiprozess beibehalten.

Nach langen Phasen der Ruhe flammte die Diskussion um Für und Wider den Anwaltszwang immer wieder auf: Die Gegner des Anwaltszwanges verwahren sich gegen die Einschränkung der persönlichen Freiheit durch eine Anwaltsfessel. Sie berufen sich auf eine unsoziale Scheidewand zwischen dem Gericht und den Prozessparteien. Außerdem halten sie den Anwaltsprozess für kostspieliger, langsamer und umständlicher als die unmittelbare Selbstvertretung vor Gericht. Die Befürworter des Anwaltszwanges betrachten ihn als Wohltat für die rechtsunkundige Partei und für eine Verbesserung des Rechtsschutzes.

Eine Änderung hat der Meinungsstreit nicht herbeigeführt. Die Verfassungsmäßigkeit des Anwaltszwanges haben bisher weder das Bundesverfassungsgericht noch der Bundesgerichtshof in Zweifel gezogen.

Der attraktive Berufsstand des Rechtsanwaltes hat jedoch im Laufe der Zeit mit 146.906 Rechtsanwälten/Rechtsanwältinnen (Stand 1. Januar 2008) zu einer Anwaltsschwemme geführt, die schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen für den Anwaltsnachwuchs schafft.

Siehe auch

Literatur

  • Bruno Bergerfurth: Der Anwaltszwang und seine Ausnahmen. Verlag Giesekind, Bielefeld 1981, ISBN 978-3769406986.

Einzelnachweise

  1. § 22 Abs. 1 S. 1 BVerfGG
Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Anwaltszwang — Anwaltszwang, s. Anwaltsprozeß …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Anwaltszwang — Ạn|walts|zwang, der <o. Pl.> (Rechtsspr.): Notwendigkeit, sich in einem gerichtlichen Verfahren durch einen zugelassenen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. * * * Anwaltszwang,   die den Parteien eines Rechtsstreits auferlegte Verpflichtung …   Universal-Lexikon

  • Anwaltszwang — Notwendigkeit für die an einem gerichtlichen Verfahren, v.a. als Kläger oder Beklagte Beteiligten, sich durch einen ⇡ Rechtsanwalt als ⇡ Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen. In Verfahren mit A. kann nur der Rechtsanwalt wirksam… …   Lexikon der Economics

  • notwendige Verteidigung — ⇡ Anwaltszwang …   Lexikon der Economics

  • Vertretungszwang — ⇡ Anwaltszwang …   Lexikon der Economics

  • Pflichtverteidiger — ⇡ Anwaltszwang, ⇡ Verteidiger …   Lexikon der Economics

  • Anwaltsprozess — Unter Anwaltsprozess versteht man ein zivilgerichtliches Verfahren, bei dem sich die Parteien durch einen bei dem jeweiligen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, d. h., sie können ohne diesen Anwalt den Prozess weder als… …   Deutsch Wikipedia

  • Rota Romana — Die Römische Rota (lat.: Tribunal Rotae Romanae) eigentlich: Gericht der Römischen Rota, ist der ordentliche Appellationsgerichtshof und ist nach der Apostolischen Signatur das zweithöchste Gericht der römisch katholischen Weltkirche. Er übt für… …   Deutsch Wikipedia

  • Sacra Romana Rota — Die Römische Rota (lat.: Tribunal Rotae Romanae) eigentlich: Gericht der Römischen Rota, ist der ordentliche Appellationsgerichtshof und ist nach der Apostolischen Signatur das zweithöchste Gericht der römisch katholischen Weltkirche. Er übt für… …   Deutsch Wikipedia

  • Sacra Rota — Die Römische Rota (lat.: Tribunal Rotae Romanae) eigentlich: Gericht der Römischen Rota, ist der ordentliche Appellationsgerichtshof und ist nach der Apostolischen Signatur das zweithöchste Gericht der römisch katholischen Weltkirche. Er übt für… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”