Maharatten

Maharatten
Indien zur Zeit von Robert Clive um 1760. Staatsgebilde und Einflußgebiet der Marathen sind gelb dargestellt.

Maratha, das Reich der Marathen, (Marathi: मराठा साम्राज्य, Marāṭhā Sāmrājya, Maratha Samrajya) war ein Staat in Zentralindien (1674–1818), der im 18. Jahrhundert beinahe einen Großmachtstatus erreicht hätte. Von ihm ging zeitgleich mit dem Verfall des Mogulreiches eine Erneuerung des hinduistischen Einflusses in Indien aus.

Inhaltsverzeichnis

Ursprünge unter Shivaji

Die Marathen waren ursprünglich ein Klanbündnis im heutigen indischen Bundesstaat Maharashtra, das im Bergland einige Festungen besaß. Ihre Sprache war die Marathi-Sprache, die sich schon im 13. Jh. in der Literatur niederschlug. Seit jener Zeit schufen eigene literarische und religiöse Traditionen, repräsentiert von Persönlichkeiten wie Tukaram (17. Jh.), ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter diesen Stämmen.

Unter ihrem Anführer Shivaji (reg. ca. 1657–80) stiegen die Marathen zu Rivalen der Dekkan-Sultanate Bijapur und Golkonda auf. Shivaji proklamierte sich 1674 nach altem vedischen Ritual zum König, hatte aber dem Expansionsdrang des Mogulreiches unter Aurangzeb (reg. 1658–1707) wenig entgegenzusetzen. Trotzdem gilt er als einer der größten indischen Helden. Die Steuern betrugen bis zur Hälfte der Ernte, aber es gab eine staatliche Förderung der Landwirtschaft. Für 1670 wird erstmals der Chauth, der von den Marathen eingetriebene Tribut, erwähnt.

Shivajis Sohn Sambhaji verbündete sich mit dem gegen seinen Vater rebellierenden Prinzen Akbar, vierter Sohn Aurangzebs, aber das Bündnis der beiden blieb fruchtlos (1681). Aurangzebs Armee eroberte 1686/87 Bijapur und Golkonda und wandte sich dann gegen die Marathen. 1689 wurde Sambhaji auf einem Vergnügungsausflug gefangen und nach der Folter hingerichtet. Auf Sambhaji folgte sein Bruder Rajaram (–1700), der den Kleinkrieg fortsetzte.

Die Peshwas und der Weg zur Großmacht

Als Sambhajis Sohn Shahu 1707 aus der Mogulhaft entlassen wurde, kam es zu einer Spaltung der Marathen zwischen ihm und den Söhnen Rajarams bzw. dessen Witwe Tara Bai.

Shahus Premierminister, der Peshwa Baji Rao I., der 1720–40 für seinen milden König regierte, führte die Marathenmacht trotzdem zu ihrem Zenit. Die Zeit war gekennzeichnet durch niedrige Steuern und religiöse Toleranz. Auf der Gegenseite stand in Delhi der Mogulpolitiker Nizam-ul-Mulk, der sich aber bei Hofe letztlich nicht durchsetzen konnte. Die Marathen bekamen Geldzahlungen und politische Zugeständnisse, z. B. bekam Balaji Vishwanath 1719 in Delhi den Chauth für den Dekkan zugesprochen; 1734 standen sie vor Agra, 1737 wurde Delhi nur durch einen Glücksfall gerettet. Nach der Abdankung Nizam-ul-Mulks 1724 (er schuf sich eine Hausmacht in Hyderabad) und der Plünderung Delhis durch den persischen Eroberer Nadir Schah 1739 war das Mogulreich nur noch ein ausgehöhlter Baum, dessen Äste abfielen und von den Marathen eingesammelt wurden.

Statt eines zentralistischen Marathen-Staates bildete sich jetzt allmählich eine Konföderation von Kleinkönigen heraus, zusammengehalten durch die Autorität des Premierministers, des Peshwa. Vier Klans ragten dabei heraus: die Gaekwad in Baroda (Region Gujarat), die Sindia in Gwalior (südl. von Agra), die Holkar in Indore (Region Malwa) und die Bhonsle in Nagpur (Region Berar). Der König war nur ein nominelles Oberhaupt und der Premierminister (Peshwa) hatte damit zu tun, ihren Ehrgeiz auszubalancieren. Dabei kam den Peshwas zugute, dass nur sie und ihresgleichen (die Brahmanenkaste) durch die komplizierte Steuererhebung und Reichtumsverteilung innerhalb der Marathenkonföderation über das notwendige Herrschaftswissen verfügten.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Marathen die indische Klassenstruktur mitunter missachteten: So war der erste Peshwa einst ein Dorfbuchhalter gewesen und die Vorfahren der Holkars waren Ziegenhirten.

Die Marathen dachten auch gar nicht daran, ihre Provinzen wirklich zu verwalten: sie trieben einen Tribut namens Chauth (1/4 der Staatseinnahmen) und einen Zuschlag zu den lokalen Steuern (Sardeshmukhi) ein und überließen alles andere den lokalen Machthabern, den Nawabs, Emiren und Rajas. Sie lehnten es auch ab, in einem eroberten Gebiet neue Eigentümer zu ernennen, wenn die geringste Aussicht bestand, dass die alten zurückkommen könnten. In nicht unterworfenen oder direkt „verwalteten“ Gebieten wie z. B. in Bengalen des Nawabs und dem vom Nizam verwalteten Hyderabad traten sie nur als gewöhnliche Plünderer auf, die wegen ihrer Grausamkeit gefürchtet waren. Ein Raubzug Raghuji Bhonsles in Bengalen 1742 mag da als Beispiel dienen, er führte überdies zum Konflikt zwischen dem Peshwa und Raghuji Bhonsle.

Auf Baji Rao I. folgte als Premier sein Sohn Balaji Rao 1740–61. König Shahu starb 1749 und die Premierminister (Peshwa) wurden zur faktischen Autorität der Marathenfürsten, der (adoptierte) Thronerbe Ramaraja wurde nach einem Sieg über die Opposition von Rajarams Witwe Tara Bai und Damaji Gaikwar eingesperrt. Premier Balaji Rao beschränkte sich auf die Verwaltung, während sein Bruder Ragunath das Heer im Norden befehligte und mehrfach die Afghanen zurückschlug. Schließlich führte ein anderer Verwandter ein großes Marathen-Heer in die Dritte Schlacht von Panipat 1761 gegen Ahmad Shah Durrani. Es ging um das gerade erst besetzte Delhi, die Afghanen setzten sich aber mit einer beweglicheren Taktik, leichteren Kanonen und sicheren Versorgungslinien durch. Balaji Rao war geschockt und starb wenig später.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts betrieb die Marathen-Flotte unter Kanhoji Angria († 1729) und seinem Sohn Tulaji umfassende Piraterie, im wesentlichen auf eigene Rechnung. Mehrere Strafexpeditionen der europäischen Kolonialmächte scheiterten, erst 1756 gelang den Briten ein entscheidender Seesieg, Tulaji Angria floh zum Peshwa.

Stagnation und Untergang

Der nächste Peshwa, Madhav Rao I. (1761–72), konnte seine Feinde noch zurückhalten und Delhi samt Großmogul Shah Alam ins Reich eingliedern. Aber nach seinem Tod verbündete sich sein Onkel Ragunath mit den Briten gegen den legitimen nächsten Peshwa und dessen Anhänger. Ragunath spaltete damit die Marathen und gab dem Briten Warren Hastings Handlungsfreiheit. Es kam zum ersten Krieg zwischen Briten und Marathen (letztere sogar im Bündnis mit ihren Gegenspielern in Mysore und Hyderabad), in dem die Marathen unter General Mahadji Sindia nach einem Sieg 1779 doch noch bei Sipri 1781 geschlagen und zum Frieden von Salbai 1782 gezwungen werden konnten.

Zu der Zeit wankte die Zentralgewalt: Kleinkönige und Generäle wie Mahadji Sindia waren die Herren in ihren Provinzen und gaben dem Peshwa 1785 sogar Befehle. Aber Mahadji Sindia (–1795) gelang es nicht, den Großmogul Shah Alam 1788 gegen plündernde Afghanen zu schützen, die Shah Alam gefangennahmen und blendeten. Mahadji Sindia ließ seine Armee auch von einem franz. Offizier namens Perron nach europäischen Muster ausbilden und erlitt trotzdem eine Niederlage gegen die Rajputen. Seine Geldnot und sein Konflikt mit der Holkar-Familie (Königin Ahalya Bai, –1795) kam hinzu. Nach seinem Tod und dem Tod des Ministers Nana Fadnavis 1800 zerriss der Staat endgültig.

Der Peshwa Baji Rao II. (1796–1818), Ragunaths Sohn, war ein „Meister der Falschheit und Grausamkeit“, der sich nach einer Niederlage gegen seinen Rivalen Jaswant Rao Holkar 1802 unter britischen Schutz begab. Das duldeten die Kleinkönige nicht, vor allem Daulat Rao Sindia und Raghuji Bhonsle. So kam es anschließend zum Krieg zwischen Marathen und Briten, der aufgrund der Uneinigkeit der Marathen und ihres unzureichenden Versuchs der Kopie europäischer Kriegsführung zugunsten letzterer ausging. Die Briten unter Arthur Wellesley siegten über Sindia und Bhonsle bei Assaye und besetzten 1803 Delhi. Zwar fügte Jaswant Rao Holkar den Briten im August 1804 schwere Verluste zu, verlor aber im November bei Farrukhabad. Die Sindia, Bhonsle und Holkar mussten sich so nacheinander den Briten beugen und bekamen Sonderverträge.

Im Dritten Marathenkrieg 1817/18 brachten die ebenso ehrgeizigen wie flexibel agierenden Briten die Marathen endgültig um ihre Unabhängigkeit. Der Generalgouverneur Francis Rawdon Hastings bot dafür 120000 Soldaten auf. Der Peshwa Baji Rao II. verlor zwei Schlachten, wurde gefangengenommen und schließlich mit einer Rente von 80.000 Pfund in Pension geschickt. Damit blieben nur noch Kleinkönige im Status von Fürstenstaaten Britisch-Indiens bis 1947/48 übrig.

Die Regenten

Chhatrapatis

  • Shivaji 1674–80
  • Sambhaji 1680–89
  • Rajaram 1689–1700
  • Shivaji II. 1700–14
  • Sambhaji II. 1714–31
  • Shahu 1707–49

Peshwas

  • Balaji Vishwanath 1713–20
  • Baji Rao I. 1720–40
  • Balaji Baji Rao 1740–61
  • Madhav Rao I. Ballal 1761–72
  • Narayan Rao 1772–73
  • Ragunath 1773–74 (Prätendent)
  • Madhav Rao II. Narayan 1774–95
  • Baji Rao II. 1796–-1818

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Maharatten — Maharatten, so v.w. Mahratten …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Maharatten — Maharatten, Volk, s. Mahratthen …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Maharatten — od. Maratten, kriegerisches Hinduvolk in Vorderindien, sollen aus Nordindien stammen und bei der mongolischen Eroberung in die Gebirge von Surate bis Goa geflohen sein. Als der Großmogul Aurengzeb die Küste Koromandel angriff, schlugen ihn die M …   Herders Conversations-Lexikon

  • Großmogul — (od. wie einige neuere Schriftsteller schreiben, Großmongole), ist der im Abendlande übliche Name für die einer turanischen (mongolischen) Dynastie angehörigen Beherrscher von Hindostan, welche erst zu Agra, dann aber zu Delhi residirten u. sich… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Mahratten — (Maharatten), ein indisches Volk, ursprünglich die Bewohner der altindischen Landschaft Maharashra im centralen Indien, von der sie ihren Namen haben, seit dem 16. Jahrh. aber über einen großen Theil des mittleren Vorderindien als herrschender… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Nordamerikanische Freistaaten [2] — Nordamerikanische Freistaaten (Gesch.). In den frühsten Zeiten bewohnte die Länder der jetzigen N. F. ein Volksstamm, der jetzt ausgestorben ist, von dem man aber noch viele Alterthümer findet, welche beweisen, daß er mehr Cultur besaß, als die… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Assye — Assye, Dorf in der vorderindischen Provinz Berar, zwischen Bekerdun u. Jasserabad. Hier am 23. Sept. 1803 Sieg der Briten unter Wellesley über die Maharatten …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Aurungăbad — (Aurengabad), 1) Provinz in der vorderindischen Präsidentschaft Bombay am Arabischen Meere, hoch gelegen; Flüsse: Godavery u. Bhagiraty; fruchtbar; 6 Mill. Ew., meist Maharatten u. Hindus. Steht ganz unter britischer Aufsicht, doch ein Theil… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Candeish — (in Hindi: Khanidês), District der britischen Präsidentschaft Bombay, bis 1849 mit dem District Ahmednaggur vereinigt, umfaßt das Becken des mittleren Tapti, das im N. durch das Rudschapippaligebirge u. die Satpucakette vom Stromgebiet der… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Maratten — Maratten, s. Maharatten …   Herders Conversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”