Micheline Calmyrey

Micheline Calmyrey
Micheline Calmy-Rey

Micheline Anne Marie Calmy-Rey[1] (* 8. Juli 1945 in Sion, Kanton Wallis, heimatberechtigt in Chermignon) ist eine Schweizer Politikerin (SP). Sie ist seit 2002 als Mitglied des Bundesrates Vorsteherin des Departementes für auswärtige Angelegenheiten. Im Jahr 2007 übernahm sie zudem turnusgemäss das Amt der Bundespräsidentin.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung

1963 erhielt sie das Diplom der Handelsschule in Saint-Maurice. Ein Jahr später, 1964 erlangte sie die Handelsmatura in Sion. 1968 erreichte sie das Lizenziat der Politikwissenschaften am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien in Genf.

Karriere

Öffentliche Ämter

Micheline Calmy-Rey war von 1986 bis 1993 Mitglied des Verwaltungsrats der Caisse d'épargne in Genf. Von 1991 bis 1997 war sie im Vorstand von Argos, einer Hilfsorganisation für Suchtkranke. 1994 bis 1997 sass Calmy-Rey im Verwaltungsrat des Flughafens Genf.

Von 1998 bis 2002 war Calmy-Rey Teil des Stiftungsrats der gemeinnützigen Stiftung Lady Michelham of Hellingly, Vizepräsidentin und später Präsidentin der Pensionskasse des Genfer Staatspersonals CIA und Mitglied im Verwaltungsrat des Fonds d'équipement communal des Kantons Genf.

Im Jahr 2002 war Calmy-Rey Mitglied des Verwaltungsrats (sog. Bankrat) der Schweizerischen Nationalbank.

Politische Ämter

Von 1981 bis 1997 war Calmy-Rey im Grossen Rat des Kantons Genf. Von 1986 bis 1990 und nochmals von 1993 bis 1997 war Micheline Calmy-Rey Präsidentin der SP des Kantons Genf. Im November 1997 wurde sie in den Staatsrat gewählt und im November 2001 bestätigt, wo sie das Finanzdepartement übernahm. In den Jahren 2001 bis 2002 stand sie dem Staatsrat als Präsidentin vor.

Am 4. Dezember 2002 wurde sie in den Bundesrat gewählt (siehe hierzu: Bundesratswahlen 2002). Seit Beginn ihrer Amtszeit steht sie dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten vor.

Am 7. Dezember 2005 wurde sie zur Vizepräsidentin des Bundesrats für das Jahr 2006 gewählt. Ein Jahr darauf wurde sie, turnusgemäss, von der Vereinigten Bundesversammlung zur Bundespräsidentin für das Jahr 2007 gewählt. Sie war damit nach Ruth Dreifuss die zweite Bundespräsidentin der Schweiz. Die Wahl von Micheline Calmy-Rey war das schlechteste Ergebnis bei einer Bundespräsidentenwahl seit 1939, als Marcel Pilet-Golaz auf 142 Stimmen kam.

Politische Tätigkeit

Calmy-Rey am WEF 2007

Die Aussenpolitik der Schweiz war traditionell geprägt von der Neutralitätspolitik und grosser Zurückhaltung. Calmy-Rey fasst die Rolle der Schweiz anders auf: Sie prägte den Begriff der «aktiven Neutralität» und setzt auf eine «öffentliche Diplomatie». Die Schweiz soll als Hüterin der Menschenrechte und als Depositarstaat der Genfer Konventionen weltweit Konflikte verhindern oder schlichten.

Verschiedene Aktionen kennzeichneten den Beginn ihrer Amtszeit. So überschritt sie am 20. Mai 2003 als erste offizielle ausländische Regierungsvertreterin die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea. Die auffällig roten Schuhe, die sie dabei getragen hatte, wurden später zugunsten der Caritas für 10'291 Franken versteigert.[2] Im Dezember 2003 gab sie die Unterstützung der Schweiz für die sogenannte Genfer Initiative bekannt, einen von privaten Unterhändlern entwickelten Friedensplan für den Nahostkonflikt.

Im Jahr 2007 war sie Bundespräsidentin. Bereits in ihrer Neujahrsansprache betonte sie ihr Engagement für eine friedliche Lösung von Konflikten. Sie betonte die Erfolge der religions-, sprach- und kulturübergreifenden Integration in der Schweiz. Sie rief die Mitbürger dazu auf, immer neu für Solidarität und gegen soziale Ungerechtigkeit einzustehen.[3] In mehreren Reden während ihres Präsidialjahres kam sie auf die Integrationspolitik zu sprechen und setzte sich für kulturelle Vielfalt ein.[4] In ihrer Rede am World Economic Forum in Davos sprach sie erneut von der guten Integration fremder Kulturen und Religionen und vom Zusammenhalt der Schweiz, trotz der teilweise erheblichen sprachlichen Barrieren.[5]

Als weiteren Schwerpunkt setzt sie sich für die Rechte der Frauen ein – die Gleichberechtigung ist in der Schweiz in vielen Bereichen noch heute nur auf dem Papier vorhanden. Calmy-Rey engagierte sich für eine Gleichberechtigung in Wirtschaft und Politik und befürwortete die sogenannte Quotenregel, wonach Parlamente einen Mindestanteil an weiblichen Mitgliedern haben sollen.[6] Aufmerksamkeit erreichte sie mit ihrem Auftritt zur Nationalfeier am 1. August 2007, als sie trotz Sicherheitsbedenken (in den vorangegangenen Jahren hatten Rechtsextreme die Rütlifeiern teilweise massiv gestört) darauf bestand, an einer besonders für Frauen organisierten Feier auf dem Rütli teilzunehmen.[7]

Der dritte Schwerpunkt ihrer Politik bilden die Menschenrechte. Die Schweiz spielte eine wichtige Rolle bei der Bildung des UN-Menschenrechtsrates. Auch während ihres Präsidialjahres kam sie mehrfach darauf zu sprechen. Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, hielt sie eine Ansprache, in der sie die Wichtigkeit des Einsatzes jedes Einzelnen für deren Wahrung hervorhebt.[8]

«Die Achtung der Menschenrechte ist kein utopischer Traum. Sie geht uns alle in unserem Alltag an – in der Familie, bei der Arbeit, in der Gesellschaft. Ich lade Sie ein, sich dafür einzusetzen, dass die Menschenrechte überall respektiert werden.»

Calmy-Rey wird von ihren Befürwortern zugute gehalten, im Falle von konstatierten Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten diese auch dann noch für ihre Verstösse zu kritisieren, wenn durch ihre Interventionen andere (zum Beispiel wirtschaftliche) Interessen der Schweiz betroffen werden könnten. So hat sie in ihrer Amtszeit schon mehrere Botschafter und hohe Diplomaten ins Aussenministerium zitiert, darunter den türkischen[9], den chinesischen[10] und den amerikanischen. Als Mittel für Verbesserungen setzt sie auf den Dialog auch mit Regierungen, mit denen andere westliche Länder den Kontakt abgebrochen haben.

Mitte März 2008 reiste sie nach Teheran, um neben einem Besuch beim iranischen Staatschef Mahmud Ahmadinedschad der Unterzeichnung eines Erdgas-Liefervertrages für das Schweizer Energieunternehmen Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg beizuwohnen.[11] Aufsehen erregte sie, da sie auf den offiziellen Fotos vom Besuch beim Staatschef ein Kopftuch trug. Sie dementierte jedoch, das als Zeichen der Unterordnung getan zu haben, viel mehr habe sie sich örtlichen Gesetzen angepasst.[12]

Am 28. März 2008 eröffnete sie persönlich die Schweizer Botschaft in Priština. Die Schweiz hat nach Grossbritannien als zweites Land einen Botschafter in den jungen Staat Kosovo entsandt.[13] Die Aussenministerin war nach ihrem schwedischen Amtskollegen, dem ehemaligen Balkan-Unterhändler Carl Bildt, das zweite ausländische Regierungsmitglied, das seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos das Land besuchte.

Von links nach rechts: Der armenische Aussenminister Eduard Nalbandian, Calmy-Rey, der türkische Unterhändler Ertugul Apakan, der türkische Aussenminister Ali Babacan und US-Präsident Barack Obama

Micheline Calmy-Rey sieht die Rolle der Schweiz als Land ohne koloniale Vergangenheit in der diplomatischen Vermittlung und Mediation bei der Bewältigung von Konflikten zwischen anderen Staaten. So leitet die Schweiz etwa die Verhandlungen zwischen der Türkei und Armenien um die Beilegung des Grenzkonfliktes, sie vertritt die Interessen der USA im Iran sowie die Interessen Georgiens in Russland und diejenigen Russlands in Georgien.

Kritik

Für ihre Auslegung des Neutralitätsprinzips und für ihre wiederholte öffentliche Kritik an Israel und den USA wird sie von der politischen Rechten, insbesondere der SVP, kritisiert.[14]

Ihre persönliche Anwesenheit in Priština wurde in der Schweiz teilweise als «diplomatische Erstvalidierung» der Regierung Thaçi aufgefasst, die sich um die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in den eigenen Reihen nur halbherzig bemühe. Generell warf die Reisediplomatie von Micheline Calmy-Rey Fragen nach der zukünftigen schweizerischen Aussenpolitik auf, sowohl von bürgerlichen Parteien in der Schweiz als auch im Ausland.[14][15]

Der Abschluss des Erdgas-Liefervertrages wurde von Ronald Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses kritisiert. Er sagte, mit dem Geld könne Teheran Raketen bauen und israelische Bürger töten.[16] Wenngleich der Vertragsabschluss aus Menschenrechtlicher Sicht fragwürdig erscheinen mag, aus rechtlicher Sicht ist er es nicht, denn die Sanktionen der UNO gegen den Iran betreffen explizit keine Erdölprodukte. Es handelte sich zudem nicht um einen Staatsvertrag.[17] Trotzdem wurde ihr vorgeworfen, durch ihre Mitreise zur Vertragsunterzeichnung diese quasi diplomatisch legitimiert zu haben.

Calmy-Rey handelte sich zudem Kritik für ihren als allzu gefällig empfundenen, regelmässigen Umgang mit radikalislamischen Organisationen wie der Hamas ein.[18] Auch wird ihr vorgeworfen, die Schweiz mit Hilfe internationaler Gremien wie des UN-Menschenrechtsausschusses als massiv gegen die Menschenrechte verstossend darzustellen, und somit den Begriff «Menschenrechte» angesichts der Verstösse in Ländern wie Mauretanien übertrieben zu relativieren.[19] Allgemein wird Calmy-Rey von ihren Kritikern vorgeworfen, dem Westen inklusive Israels undifferenziert negativ, der «Dritten Welt» und den islamischen Staaten hingegen undifferenziert wohlwollend gegenüber aufzutreten. [20]

Privates

Micheline Calmy-Rey ist Tochter des Lehrers und Zugführers Charles Rey und Adeline Rey. Sie hat zwei Schwestern namens Marie-José und Eliane. Eliane Rey (* 1953) gehört der Liberalen Partei an und war von 2002 bis 2006 Mitglied der Stadtregierung von Lausanne.[21]

Seit 1966 ist sie mit André Calmy verheiratet. Zusammen haben sie zwei Kinder.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eidgenössische Bundeskanzlei: Der Bund kurz erklärt, Seite 51. Erschienen 2008
  2. Christoph Mörgeli (17.5). Wochenblatt der SVP.
  3. Micheline Calmy-Rey (1. Januar 2007). Neujahrsansprache 2007. Schweizerische Eidgenossenschaft. Abgerufen am 11. Mai 2008.
  4. Liste der Reden von Micheline Calmy-Rey während ihrer Präsidentschaft
  5. Micheline Calmy-Rey (27. Januar 2007). Ist die multikulturelle Gesellschaft eine Illusion?.
  6. Micheline Calmy-Rey (28. April 2007). Frauen und Macht. EDA.
  7. Friedliche Rütlifeier. St. Galler Tagblatt (2. August 2007). Abgerufen am 11. Mai 2008.
  8. Micheline Calmy-Rey (10. Dezember 2008). Botschaft zum Tag der Menschenrechte. EDA.
  9. Schweiz zitiert türkischen Botschafter. Baz (30. September 2003). Abgerufen am 11. Mai 2008.
  10. Calmy-Rey rügt Chinesen: Tibetfahnen dürfen wehen. Tages-Anzeiger (24. September 2003). Abgerufen am 11. Mai 2008.
  11. Calmy-Rey in Teheran. St. Galler Tagblatt (17. März 2008).
  12. Salzkorn. St. Galler Tagblatt (20. März 2008).
  13. Bern und Priština für Ausbau der Beziehungen Neue Zürcher Zeitung, 28. März 2008
  14. a b Gesucht: Eine Aussenpolitik Tagesanzeiger (Zürich), 28. März 2008
  15. Bettina Mutter (5. Mai 2008). Fast niemand mehr mag Calmy-Rey loben. Tagesanzeiger. Abgerufen am 10. Mai 2008.
  16. Neuerliche jüdische Kritik am Gas-Deal mit dem Iran. NZZOnline (29. April 2008). Abgerufen am 10. Mai 2008.
  17. Gaslieferungsvertrag mit Iran - und die Menschenrechte?. humanrights.ch (15. April 2008). Abgerufen am 10. Mai 2008.
  18. Die Terroristenflüsterin. Die Weltwoche (22. Mai 2008). Abgerufen am 22. Mai 2008.
  19. Die Menschenrechtler. Die Weltwoche (14. Mai 2008). Abgerufen am 24. Mai 2008.
  20. Der Kniefall. Blick (22. März 2008). Abgerufen am 25. Mai 2008.
  21. Website der Stadt Lausanne

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