Mirtel

Mirtel
Strukturformel
Strukturformel von Mirtazapin
Allgemeines
Freiname Mirtazapin
Andere Namen
  • (RS)-(±)-2-Methyl- 1,2,3,4,10,14b-hexahydropyrazino [2,1-a]pyrido[2,3-c][2]benzazepin (IUPAC)
  • Mirtazapinum (Latein)
Summenformel C17H19N3
CAS-Nummer
  • 61337-67-5
  • 85650-52-8 (RS)-Mirtazapin
  • 61364-37-2 (R)-Mirtazapin
  • 61337-87-9 (S)-Mirtazapin
PubChem 4205
ATC-Code

N06AX11

DrugBank DB00370
Kurzbeschreibung weißes oder fast weißes, leicht hygroskopisches Pulver [1]
Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Antidepressivum

Fertigpräparate
  • Remeron®
  • Mirtazapin-CT®
  • Remergil®
  • Mirtabene®
  • Mirtel®
  • Mirtaron®
  • Lanazipin®
Verschreibungspflichtig: Ja
Eigenschaften
Molare Masse 265,35 g·mol−1
Schmelzpunkt

114–116 °C [2]

Löslichkeit

praktisch unlöslich in Wasser, leicht löslich in absolutem Ethanol [1]

Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung [1]

Xn
Gesundheits-
schädlich

N
Umwelt-
gefährlich
R- und S-Sätze R: 20/21/22-51/53
S: 22-36/37-38-45-60-61
Bitte beachten Sie die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln
LD50

810 mg·kg−1 (Maus p.o.) [2]

WGK 3 (stark wassergefährdend) [1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Mirtazapin ist das Pyridyl-Analogon des Mianserin und ein Arzneistoff aus der Gruppe der tetrazyklischen Antidepressiva.

Es wird in Deutschland seit 1996 unter dem Handelsnamen Remergil® vertrieben, ist aber auch als Generikum verfügbar.

Inhaltsverzeichnis

Pharmakologie

Mirtazapin gilt als ein noradrenerg und spezifisch serotonerg wirkendes Antidepressivum (NaSSA): Es besetzt im Gehirn verschiedene Bindungsstellen für Botenstoffe und verändert damit den Einfluss dieser Botenstoffe auf den Gehirnstoffwechsel. Insbesondere steigert es die Freisetzung von Noradrenalin und Serotonin und erhöht so deren Wirkung. Neuere Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass die serotonerge Wirkung nur sehr schwach ausgeprägt ist.[3]

Wirkprinzip (Pharmakodynamik)

Mirtazapin bewirkt eine Blockade zentraler präsynaptischer α2-Rezeptoren und dadurch eine Hemmung verschiedener Koppelungs- und negativer Feedbackmechanismen, über den normalerweise die Freisetzung der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin gehemmt wird. Laut Hersteller tritt als Folge eine verstärkte Freisetzung von Serotonin und Noradrenalin auf.[4] Eine relevante Verstärkung der Serotoninfreisetzung konnte jedoch in Studien und Tierversuchen nicht bestätigt werden.[3][5] Vielmehr konnte in Tierversuchen hauptsächlich eine Steigerung der Noradrenalin- und Dopaminfreisetzung beobachtet werden.[5] Die Substanz hemmt ferner die Serotoninrezeptoren vom Typ 5-HT2 und 5-HT3, nicht jedoch jene vom Typ 5-HT1, wodurch die Serotoninwirkung auf den 5-HT1-Rezeptortyp relativ verstärkt wird; dies ist für die Bezeichnung spezifisch serotonerg verantwortlich. Letztlich sorgt die ausgeprägte Hemmwirkung auf den H1-Rezeptor für die stark sedierenden Eigenschaften von Mirtazapin. [5]

Es liegt nur eine schwache Affinität zu cholinergen, insbesondere muskarinischen Neuronen vor, weswegen nur geringe anticholinerge bzw. kardiovaskuläre Nebenwirkungen auftreten. Die Wiederaufnahme von Noradrenalin oder Serotonin wird kaum beeinflusst und auch die Affinität zu β-adrenergen und dopaminergen Neuronen ist gering. [5]

Die Wirkung von Mirtazapin wird vermutlich von seinen beiden Enantiomeren vermittelt, jedoch auf jeweils verschiedene Weise: Während das (S)-(+)-Enantiomer für die α2- und 5-HT2-Rezeptorblockade verantwortlich ist, bewirkt das (R)-(−)-Enantiomer die Blockade des 5-HT3-Rezeptors. [4]

Verstoffwechselung (Pharmakokinetik)

Mirtazapin wird nach oraler Gabe schnell resorbiert, aber teilweise vor Übertritt in den Körperkreislauf (präsystemisch) in der Darmwand und in der Leber verstoffwechselt (metabolisiert). Die höchsten Plasmakonzentrationen sind spätestens nach zwei Stunden erreicht; die Bioverfügbarkeit beträgt etwa 50 %. Die Metabolisierung, vor allem durch N-Demethylierung, N-Oxidation und 8-Hydroxylierung, erfolgt in erster Linie über die Cytochrom P450 Isoenzyme CYP2D6 und CYP3A4. Bei einmal täglicher Verabreichung wird innerhalb von vier bis sechs Tagen ein Fließgleichgewicht erreicht. Die Plasmahalbwertszeit beträgt bei Erwachsenen 20 bis 40 Stunden. Der Hauptmetabolit Demethyl-Mirtazapin hat nur eine geringe pharmakologische Aktivität. Die Bildung anderer aktiver Metaboliten ist mengenmäßig unbedeutend.

Die pharmakokinetischen Eigenschaften von Mirtazapin sind enantioselektiv, d. h. nicht identisch für beide Enantiomere des Mirtazapin: So hat das (R)-(−)-Enantiomer eine längere Plasmahalbwertszeit als das (S)-(+)-Enantiomer (ca. 18 vs. ca. 10 Stunden). Auch wirkt sich ein etwaiger genetischer CYP2D6-Polymorphismus auf die beiden Enantiomere unterschiedlich aus. Während die Verstoffwechselung des (R)-(−)-Enantiomers davon unbeeinflusst bleibt, muss bei sogenannten schwachen Metabolisierern (engl. poor metabolizers) mit einer deutlich längeren Halbwertszeit für das (S)-(+)-Enantiomer gerechnet werden. [6]

Indikation

Mirtazapin ist ausschließlich zur Behandlung von depressiven Erkrankungen zugelassen. Eine Verschreibung etwa als Hypnotikum erfolgt gegebenenfalls Off-Label. Dasselbe gilt für die Anwendung als Adjuvans in der Schmerztherapie, wobei die vorhandenen Studiendaten für die wesentlich besser geprüften Trizyklika wie Amitriptylin sprechen. Off-Label kann Mirtazapin zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung genutzt werden. Bei schweren Fällen lindert es die Symptome möglicherweise stärker als SSRI.[7][8][9]

Darreichungsformen

Mirtazapin existiert als Handelspräparat in Form von Filmtabletten und Schmelztabletten, sowie als Lösung zum Einnehmen. Eine parenterale Anwendung ist mit Konzentrat zur Bereitung von Infusionslösung möglich.

Unerwünschte Wirkungen

Besonders zu Beginn der Behandlung, aber auch für die gesamte Zeit der Einnahme, kann es zu sehr starker Müdigkeit und Trägheit kommen, da das Medikament sedierend wirkt. Eine Gewichtszunahme aufgrund von Appetitsteigerung und Ödemen ist häufig zu beobachten. Auch vom Anstieg der Cholesterinwerte wird berichtet [10][11]. Bei Patienten, die jünger als 18 Jahre sind, ist dieses Medikament i. d. R. nicht einzusetzen, da bei minderjährigen Patienten Aggressivität und insbesondere verstärkte Suizidalität als Nebenwirkungen auftreten können und Langzeitdaten zur Sicherheit fehlen. Mirtazapin kann die Wirkung von Alkohol massiv verstärken. Bei plötzlichem Absetzen treten mitunter Symptome (leichte Unruhe, vorübergehende Schlafstörungen, leichtes Schwitzen) auf. Das Risiko schwerer Blutbildschäden wird mit 2,2 % angegeben.[12] Weiterhin können in seltenen Fällen Missempfindungen der Haut, Alpträume und Halluzinationen, Verwirrtheit und Krampfanfälle auftreten und das Extrapyramidalmotorische System kann erheblich gestört werden.[13] Die Einnahme als Schmelztablette kann Störwirkungen im Mundbereich haben.[14]

Wechselwirkungen

Mirtazapin kann die zentralnervös-dämpfende Wirkung von Alkohol, vielen Benzodiazepinen und anderen sedierenden Arzneimitteln verstärken; Patienten sollten deshalb auf die Einnahme alkoholischer Getränke während der Behandlung verzichten. Carbamazepin und Phenytoin erhöhen die Mirtazapin-Clearance um das Zweifache mit der Folge, dass die Mirtazapin-Plasmakonzentrationen um 45–60 % sinken. Die Mirtazapin-Dosis muss eventuell angepasst werden. Es bestehen Wechselwirkungen mit einer Reihe von weiteren Medikamenten.[15][16]

Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit

Ausreichende Daten zur Anwendung von Mirtazapin bei schwangeren Frauen liegen nicht vor. Tierversuche haben Risiken für die Foeten gezeigt. Frauen im gebärfähigen Alter sollten während der Behandlung mit Mirtazapin ein sicheres Verhütungsmittel anwenden. Mirtazapin sollte nur dann an schwangere Frauen verschrieben werden, wenn der Nutzen seines Gebrauchs die Risiken überwiegt. Frauen, die während der Einnahme von Mirtazapin schwanger werden, sollten schnellstmöglich ihren Arzt informieren. Obwohl im Tierexperiment nur vernachlässigbare Mengen Mirtazapin in die Muttermilch ausgeschieden wurden, sollte aufgrund fehlender Humanstudien auf die Verwendung von Mirtazapin während der Stillzeit verzichtet werden.[17]

Absetzproblematik

Ein plötzliches Absetzen von Mirtazapin nach längerer Behandlung kann zu Übelkeit, Kopfschmerzen, Angstzuständen und Unruhe führen. Patienten sollten die Behandlung nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt unterbrechen.[18]

Chemie und Stereoisomerie

Mirtazapin besitzt ein Stereozentrum am benzylischen Kohlenstoffatom, folglich gibt es zwei Stereoisomere die (R)-Form und die dazu spiegelbildliche (S)-Form. Die Fertigarzneimittel enthalten alle das Racemat [1:1-Gemisch der (R)-Form und der (S)-Form)], obwohl die unterschiedliche pharmakologische Wirkung von Enantiomeren allgemein akzeptiert[19] ist.

Mirtazapin-Enantiomere (Strukturformeln)


(S)-Mirtazapin (links) und (R)-Mirtazapin (rechts)

Einzelnachweise

  1. a b c d Safety Data Sheet for MIRTAZAPINE CRS – European Pharmacopoeia (Ph. Eur.) 22. Januar 2009
  2. a b Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.3. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009. 
  3. a b Gillman, PK. (2006): A systematic review of the serotonergic effects of mirtazapine in humans: implications for its dual action status. Hum Psychopharmacol. 21(2): 117–25; PMID 16342227.
  4. a b Fachinformation Mirtazapin]
  5. a b c d medizin-medien.infoMirtazapin – Stellenwert in der Depressionsbehandlung (PDF 371 KB)
  6. Timmer, CJ. et al. (2000): Clinical pharmacokinetics of mirtazapine. Clin Pharmacokinet. 38(6): 461–74; PMID 10885584.
  7. Korean J Psychopharmacol., Dezember 2002 ;13(4): S. 254–261. Korean.
  8. Chung, MY. et al. (2004): Efficacy and tolerability of mirtazapine and sertraline in Korean veterans with posttraumatic stress disorder: a randomized open label trial. Hum. Psychopharmacol. 19(7), S. 489–494; PMID 15378676.
  9. Zohar, J. et al. (2002): Double-blind placebo-controlled pilot study of sertraline in military veterans with posttraumatic stress disorder. J. Clin. Psychopharmacol. 22(2): 190–5; PMID 11910265.
  10. Mitchell D. Feldman & John F. Christensen (Hrsg.): Behavioral Medicine: A Guide for Clinical Practice: A Practical Guide. Mcgraw Hill Medical; 3. Aufl. 2007, S. 219.
  11. Alan F. Schatzberg et al. (Hrsg): Manual of Clinical Psychopharmacology, 6. Aufl. Amer Psychiatric Pub Inc 2007, S 94.
  12. arznei-telegramm 1996; Nr. 7: 67-8.
  13. Fachinformation Remergil SolTab 09/2005.
  14. arznei-telegramm 2003; 34: 40.
  15. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Remeron®; Stand der Informationen: Dezember 2007
  16. Gebrauchsinformation: mirtazapin-biomo 15 mg Filmtabletten; Stand: 02/2008.
  17. Schweizer Fachinformation Remeron; Stand: August 2006.
  18. Gebrauchsinformation: mirtazapin-biomo 15 mg Filmtabletten; Stand: 02/2008.
  19. E. J. Ariëns: Stereochemistry, a basis for sophisticated nonsense in pharmacokinetics and clinical pharmacology, European Journal of Clinical Pharmacology 26 (1984) 663-668.

Weblinks

  • infomed.org – Einschätzung zu Mirtazapin zur Zulassung in der Schweiz


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