Mischehen im Dritten Reich

Mischehen im Dritten Reich

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Juden, die mit einem „deutschblütigen“ Partner in Mischehe lebten, als Person herabgewürdigt, in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt und durch Vorschriften in ihrer Lebensführung fremdbestimmt. Sie blieben jedoch zumindest bis kurz vor Kriegsende von Deportationen verschont und entgingen dem Völkermord.

In Deutschland verbot das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre („Blutschutzgesetz“), das am 15. September 1935 auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg erlassen wurden, fortan Eheschließungen zwischen deutschenAriern“ und deutschen sowie ausländischen Juden und stellte außereheliche sexuelle Beziehungen zwischen ihnen als Rassenschande unter Strafe. Bei der Definition als Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze spielte der individuelle Bekenntnisstand der Betroffenen keine Rolle, sondern allein die Tatsache, ob jemand (im sogenannten Ariernachweis) drei oder vier Großeltern jüdischer Religionszugehörigkeit hatte.

Inhaltsverzeichnis

Christlich-jüdische Mischehen

Seit der allgemeinen Einführung der gesetzlichen Zivilehe im Jahre 1875 waren interkonfessionelle und interreligiöse Eheschließungen in Deutschland keine Ausnahme mehr. In den Mischehen zwischen Christen und Juden war in 75% der Fälle der männliche Teil ein „Rassejude“, wie es die Nürnberger Gesetze definierten. Meist war dieser zum Christentum konvertiert, obwohl er sich einer liberalen jüdischen Kultusgemeinde hätte anschließen können. Eine jüdische Frau hingegen büßte die Verbindung zu ihrer Religionsgemeinschaft dauerhaft ein.[1]

Aus diesen interkonfessionellen Ehen gingen insgesamt etwa 350.000 „Mischlinge 1. und 2. Grades“ hervor (so wurden Menschen mit einem oder höchstens zwei jüdischen Großeltern genannt, welche sich meist einer der beiden großen christlichen Denominationen zuordneten).[2]

Der Begriff „Mischehe“ sollte im „Dritten Reich“ allein im Sinne der rassistischen Definition der Verordnung zu den Nürnberger Gesetzen benutzt werden; für den behördlichen Verkehr wurde die Verwendung des Begriffs für eine konfessionsverschiedene Ehe 1935 mit einem Runderlass des Reichsinnenministeriums untersagt.[3]

Im Deutschen Reich gab es nach der Volkszählung von 1939 noch 20.454 Mischehen; für 1933 wird die Zahl auf 35.000 geschätzt.[4]

Zerbrechlicher Schutz

Für rassistische Nationalsozialisten waren und blieben die bestehenden „Mischehen“ stets ein Ärgernis. Die NSDAP forderte bereits in den 1920er Jahren, die „Vermischung“ von Juden und „Ariern“ zu verbieten.[5] Als 1935 die Nürnberger Gesetze formuliert wurden, forderten einflussreiche Parteianhänger vergeblich die Zwangsscheidung von Mischehen. Im „Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung“ vom 6. Juli 1938 wurden „rassische Gründe“ als zulässiges Scheidungsbegehren aufgeführt.[6] Anfang 1942 wurde bei der Wannsee-Konferenz die Deportation der jüdischen Ehepartner als Ziel genannt. Kurz darauf wurde in einer Folgekonferenz auf Referentenebene von Wilhelm Stuckart der Änderungsvorschlag eingebracht, die Mischehen zwangsweise zu scheiden. Im Oktober 1943 lag der abgestimmte Entwurf einer entsprechenden Verordnung vor; es kam aber nicht zu einem Besprechungstermin mit Hitler. Auch ein weiterer Vorstoß der Parteikanzlei im Januar 1944 führte nicht zu einer Entscheidung.[7]

Falls eine Mischehe durch Scheidung oder Ableben des nichtjüdischen Partners aufgelöst wurde, war der jüdische Partner nur geschützt, sofern es unversorgte Kinder gab. Ab 1944 war andernfalls der jüdische Hinterbliebene meist der Deportation und damit oftmals dem Tod ausgeliefert.

Kurz vor Kriegsende ließ man alle Rücksicht fallen und griff auch in bestehende Mischehen ein. Mitte Februar bis März 1945 wurden noch 2.600 jüdische Ehepartner ins KZ Theresienstadt deportiert; die reichsweit geplante Aktion wurde in der Endphase des Krieges abgebrochen und fast alle der Deportierten kehrten zurück.

„Privilegierte“ und „Nichtprivilegierte Mischehe“

Von den Deportationen sowie teilweise von einigen einschränkenden und diskriminierenden Verordnungen ausgenommen waren „Volljuden“, die bereits vor dem Erlass der Nürnberger Gesetze mit einem „deutschblütigen“ Partner verheiratet waren. Derartige „Mischehen“ wurden in „privilegierte“ und „nichtprivilegierte" eingeteilt. Dies war nie gesetzlich geregelt, sondern lediglich am 28. Dezember 1938 in einem Brief Görings an das Reichsinnenministerium festgelegt worden[8] und wurde auch nicht in der Ausweis-Kennkarte vermerkt.[9] Die Privilegierung wird als „taktisches Zugeständnis“ eingeschätzt, um Solidaritätsbekundungen der nichtjüdischen Anverwandten zu unterbinden.[10]

Eine „privilegierte Mischehe“ bestand, wenn aus der Ehegemeinschaft zwischen dem „jüdischen“ und dem „deutschblütigen“ Teil eheliche Kinder entstammten und zudem weder der „deutschblütige“ Partner noch die Kinder der jüdischen Kultusgemeinde angehörten. Eine kinderlose Mischehe war nur dann privilegiert, wenn der Ehemann „deutschblütig“ war; falls der Ehemann als Jude galt, wurde eine kinderlose Mischehe nicht privilegiert.

Das „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 nimmt „privilegierte Mischehen“ von den Bestimmungen aus; dort werden die beiden Gruppen entsprechend definiert. [11]

In privilegierten Mischehen wurde der jüdische Ehepartner von der im September 1941 erlassenen Verordnung ausgenommen, nach der alle als „Juden“ definierte Personen ab dem sechsten Lebensjahr zum Tragen des Judensterns verpflichtet wurden. Zum Tragen des Judensterns gezwungen blieb als „nicht Privilegierter“ der männliche jüdische Ehepartner einer kinderlosen „Mischehe“. Der „jüdische Teil“ einer Mischehe blieb bis Februar 1945 von Deportationen ausgenommen und von einigen Sondererlassen wie dem Verbot von Vermögensübertragungen oder der Haustierhaltung verschont.

Andere Diskriminierungen blieben dem jüdischen Teil einer „Mischehe“ sowie ihren Kindern und dem „deutschblütigen“ Partner nicht erspart. Alle antijüdischen Maßnahmen, die bis 1938 ergriffen wurden, trafen auch die jüdischen Partner einer Mischehe: Ihre Geschäfte wurden „arisiert“, sie mussten per Namensänderungsverordnung den Zusatznamen Sara oder Israel führen und wurden nach den Novemberpogromen zur „Sühneabgabe“ herangezogen. Viele Berufe blieben ihnen verschlossen, ihr „jüdisch versippter Ehegatte“ wurde aus dem Staatsdienst entlassen und der Besuch von Gymnasien und Hochschulen war ihren Kindern lediglich eingeschränkt und nur bis Juni 1942 möglich. Kinderlose Ehepaare, bei denen der männliche Teil als Jude galt und die darum nicht privilegiert waren, wurden später grundsätzlich zur Aufgabe ihrer Wohnung gezwungen und beengt in „Judenhäusern“ untergebracht. Die jüdischen Ehepartner wurden ab 1940 meist zur Zwangsarbeit verpflichtet und ab 1943 in der Regel kaserniert; seit 1944 wurden auch die „deutschblütigen“ Ehemänner als „jüdisch Versippte“ in Arbeitslager der Organisation Todt eingewiesen.

Die Handhabung der Regelungen war in den Reichsgauen uneinheitlich. So erhielten Hamburger Juden in „privilegierter Mischehe“ die normale Lebensmittelzuteilung, die andernorts für alle Juden gekürzt wurde. Andererseits wurde in Hamburg schon vor dem Jahre 1944 die Deportation angeordnet, wenn der nichtjüdische Eheteil verstarb.[12]

Eheschließung von Viertel- und Halbjuden

In der „Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 14. November 1935 war definiert, wer als „jüdischer Mischling“ galt: Dies waren assimilierte „Halbjuden“, die keine näheren Bindungen zum Judentum hatten und oft im christlichen Glauben erzogen worden waren. Die Möglichkeiten einer Eheschließung für die als „jüdische Mischlinge“ eingestuften wurden im § 3 der „Ersten Verordnung zum Blutschutzgesetz“ beschrieben. Danach bedurfte es eines Antrages, wenn die Heirat mit einem „Deutschblütigen“ beabsichtigt war. Bewertet werden sollten die körperliche Erscheinung, die charakterlichen Eigenschaften, die Familiengeschichte und die politische Zuverlässigkeit des „jüdischen Mischlings“. Die Gesuche wurden in der Regel abgelehnt; nur nachgewiesene „besondere Verdienste um die Bewegung“ (NSDAP) wurden häufig mit einer Ehegenehmigung belohnt. Ab 1940 wurden Antragsteller meist darauf hingewiesen, dass ihr Gesuch keine Aussicht auf Genehmigung habe. Seit 1942 wurde die Bearbeitung der Anträge „für die Dauer des Krieges" gänzlich eingestellt.

Nur „jüdische Mischlinge zweiten Grades“ („Vierteljuden“), die keine weiteren Bindungen an das Judentum hatten, durften „Deutschblütige“ ehelichen. Sie wurden hier den „Deutschblütigen“ zugerechnet, folgerichtig war ihnen die Heirat mit „Halbjuden“ ohne besondere Genehmigung untersagt.

Mischlinge ersten Grades („Halbjuden“), denen durch ihre Heirat mit „Volljuden“ oder auch ihr religiöses Bekenntnis eine stärkere Hinwendung zum Judentum bescheinigt wurde, wurden im Verwaltungsgebrauch als „Geltungsjuden“ bezeichnet und eherechtlich wie „Volljuden" behandelt. Ihnen war eine Ehe mit „Deutschblütigen" und „jüdischen Mischlingen zweiten Grades“ („Vierteljuden“) untersagt.

Nach dem Krieg

Am 23. Juni 1950 wurde ein „Bundesgesetz über die Anerkennung freier Ehen“ für politisch Verfolgte erlassen, denen aufgrund nationalsozialistischer Gesetze die Eheschließung verweigert worden war. Auch wenn einer der Partner inzwischen verstorben war, konnte eine vom nationalsozialistischen Staat versagte Eheschließung rückwirkend als rechtsgültig geschlossen erklärt werden. Bis 1963 wurden 1.823 entsprechende Anträge gestellt, von denen 1.255 bewilligt wurden.

Siehe auch

Rosenstraße-Protest

Fußnoten

  1. Beate Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2006, ISBN 3-929728-85-0, S. 79.
  2. Franklin A. Oberlaender: "Wir aber sind nicht Fisch und nicht Fleisch" Christliche "Nichtarier" und ihre nach 1945 geborenen Kinder in Deutschland. Opladen: Leske und Budrich, Opladen 1996
  3. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1998, ISBN 3-11-013379-2, S. 409.
  4.  : Beate Meyer: Die Verfolgung..., S.80.
  5. Beate Meyer: Die Verfolgung..., S.79.
  6. Alexandra Przyrembel: "Rassenschande". Göttingen 2003, ISBN 3-525-35188-7, S. 86 / Zur Anfechtung und Auflösung siehe auch Bernhard Müller: Alltag im Zivilisationsbruch... München 2003, ISBN 3-935877-68-4, S. 344-348.
  7. Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 2003, ISBN 3-7700-4063-5, S. 222-234.
  8. Beate Meyer: Geschichte im Film. Judenverfolgung, Mischehen und der Protest in der Rosenstraße 1943. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004) - Brief Görings S. 28 Anm. 23.
  9. Heinz Boberach: Meldungen aus dem Reich. dtv 377, München 1967, S. 208.
  10. Ursula Büttner: Die Not der Juden teilen... Hamburg 1988, ISBN 3-7672-1055-X, S. 44.
  11. RGBl. 1939 I, 864 § 7 Gesetzestext
  12. Beate Meyer: Die Verfolgung..., S. 83.

Literatur

  • Ursula Büttner: Die Verfolgung der christlich- jüdischen „Mischfamilien“. In: Ursula Büttner: Die Not der Juden teilen. Hamburg 1988, ISBN 3-7672-1055-X
  • Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“ Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945. Hamburg 1999, ISBN 3-933374-22-7
  • Beate Meyer: Judenverfolgung, Mischehen und der Protest in der Rosenstraße 1943. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004) S. 23-36
  • Beate Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2006, ISBN 3-929728-85-0 (S. 79-87)
  • Cornelia Essner: Die „Nürnberger Gesetze“ oder: Die Verwaltung des Rassenwahns 1933-1945. Paderborn 2002. ISBN 3-506-72260-3 (ausführlich über Gesuche von jüd. Mischlingen)
  • Franklin A. Oberlaender: "Wir aber sind nicht Fisch und nicht Fleisch" Christliche "Nichtarier" und ihre nach 1945 geborenen Kinder. Leske und Budrich, Opladen 1996
  • Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1998, ISBN 3-11-013379-2

Weblinks


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