Mußgay

Mußgay

Paul Emil Friedrich Mußgay (* 3. Januar 1892 in Ludwigsburg; † 3. September 1946 in Stuttgart durch Suizid) war Kriminalrat, SS-Obersturmbannführer und Leiter der Staatspolizeileitstelle Stuttgart.

Inhaltsverzeichnis

Familie, Ausbildung, Kriegs- und Polizeidienst

Als Sohn des Hausmeisters Georg Friedrich Mußgay und seiner Ehefrau Karoline Bay wuchs er in einfachen Verhältnissen auf. Väterlicherseits betätigten sich sein Groß- und Urgroßvater auf dem bäuerlichen Lande als Metzger. Auch die Vorfahren seiner Mutter lebten auf dem Lande. Offensichtlich wollte er durch Bildung seine einfache Herkunft verbessern. Denn nach der Volks- und Mittelschule besuchte er die Höhere Schule. Er strebte eine Laufbahn in der Verwaltung an. Zu diesem Zweck ging er nach Stuttgart auf die Verwaltungsfachschule, wo er Robert Scholl antraf und mit ihm auch später Kontakt hatte.

Von Juli 1913 bis April bereitete er sich als Assistent auf die mittlere Verwaltungslaufbahn vor, wobei er ab August 1914 bis Dezember 1918 zeitweilig am Ersten Weltkrieg teilnahm. Seine Ausbildung als Assistent führte ihn nach Esslingen am Neckar, Ellwangen und Mergentheim. Ab Mai 1917 trat er in den Polizeidienst bei der Polizeidirektion in Stuttgart ein. Seinen Kriegsdienst beendete er als Oberleutnant der Reserve. Im August 1920 wurde er zum Verwaltungssekretär befördert, um dann schon ein Jahr später zum Polizeikommissar ernannt zu werden. Im Polizeipräsidium Stuttgart betätigte er sich bei der Dienststelle 3 (Nachrichtendienst, Vereins- und Versammlungswesen) in der Abteilung II b der Politischen Polizei. Sein Dienst richtete sich hauptsächlich gegen Verfassungsgegner auf dem linken politischen Spektrum. Dabei trat er mi solch einem Eifer auf, dass er von seinen Kollegen „Kommunistenjäger“ genannt wurde.

Karriere im NS-Regime

Nach der Beförderung zum Polizeirat im Mai 1932 ergriff er im Mai 1933 die Möglichkeiten, die ihm das NS-Regime bot. Am 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP (Mitglied Nr. 3.227.759) und am 1. April 1933 in die SS (Nr. 69.594) ein und wechselte im gleichen Monat in das Württembergische Politische Landespolizeiamt, das neu aufgestellt wurde. Hier übernahm er als Leiter das Referat für den Nachrichtendienst. Im November 1935 erfolgte die Ernennung zum Kriminalrat. Im Landespolizeiamt wurde er 1937 Leiter der Abteilung 2. Zu seinen Aufgaben gehörte nicht nur die Verfolgung der Gegner des NS-Regimes durch Sammlung von Berichten, sondern auch die Vernehmung der Verhafteten durch Drohungen und andere Zwangsmaßnahmen. Ab 1938 wurde er auch im SD im SD-Hauptamt eingesetzt. Im Jahre 1938 wurde er nach Brünn versetzt, um dort die Staatspolizeileitstelle Brünn aufzubauen, wofür er im Dezember 1939 mit einer Medaille ausgezeichnet wurde.

Einsatz in Osteuropa im Zweiten Weltkrieg

Danach besteht die Möglichkeit, dass Mußgay in Polen im Rahmen bei der Staatspolizeileitstelle Kattowitz in Kattowitz als stellvertretender Leiter eingesetzt wurde, weil bei Schuhladen-Krämer Hinweise bezüglich einer polnischen Quelle erwähnt werden. Der Zeitraum von November/Dezember 1939 bis zum Mai 1940 konnte bei Mußgay dafür möglich sein. Stephen Richards veröffentlichte 2003 in seinem Buch Crime Through Time eine Suchmeldung von Simon Wiesenthal, in der ein SS-Hauptsturmführer Friedrich Mußgay als Kommandeur der Sicherheitspolizei (SiPo) im SD-Einsatzkommandos III innerhalb der Einsatzgruppe A in Russland bei der Heeresgruppe Nord genannt wurde. Weitere Hinweise sind zu dieser Meldung nicht bekannt.

Leitung der Staatspolizeileitstelle Stuttgart

Bis zum 2. Mai 1940 war SS-Sturmbannführer und Regierungsrat Rudolf Erwin Lange stellvertretender Leiter der Staatspolizeileitstelle Stuttgart. Lange wurde zur Staatspolizeileitstelle Berlin abgeordnet, so dass Mußgay dem Leiter SS-Sturmbannführer und Oberregierungsrat Joachim Boes in Fällen der Behinderung als Vertretung dienen sollte. Boes wurde am 21. Juni zur Wehrmacht einberufen und fiel im Juli 1941. Damit wurde Mußgay bis zum 20. April 1945 zum Leiter der Staatspolizeileitstelle Stuttgart ernannt. Mußgay hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit der Rivalität der aufgestiegenen Akademiker des NS-Regimes zu rechnen, die dem älteren aus der Kriminalpolizei kommenden Mußgay vorgezogen wurden. So hatte er erst die Versetzung bzw. Einberufung von Regierungsrat Wilhelm Harster, SS-Sturmbannführer und Regierungsrat Schröder und dann Lange abwarten müssen, um in die Leitungsebene bei der Gestapo in Stuttgart zu kommen. Der Stellvertreter von Mußgay wurde der SS-Sturmbannführer und Kriminaldirektor Hans-Joachim Engelbrecht.

Hinrichtung polnischer Zwangsarbeiter

Der Staatspolizeileitstelle Stuttgart unterstand das KZ Welzheim, in das sie Häftlinge einwies. Gegen Ende 1941 wurden die ersten Hinrichtungen von polnischen Zwangsarbeitern vorgenommen, die in einem Steinbruch bei der Boxeiche ausgeführt wurden. Den Hinrichtungsplatz hatte der Gestapo-Angehörige aus Stuttgart, Ludwig Thumm, ausgesucht. Mußgay war bei den ersten Hinrichtungen persönlich anwesend und verlas die Befehle zur Hinrichtung, die von einem Dolmetscher übersetzt wurden. Schon zu diesem Zeitpunkt gab es weder eine gerichtliche Voruntersuchung noch ein gerichtliches Urteil für solche Hinrichtungen. Mußgay pflegte diese Anwesenheit bei einer Hinrichtung auch 1942 weiter. So wohnte er der Hinrichtung des polnischen Zwangsarbeiters Marian Swiderski Ende Oktober 1942 in der Nähe von Calw bei, der ein Verhältnis zu einer deutschen Frau gehabt hatte.

Verfolgung und Deportation jüdischer Bürger

Am 10. Juni 1941 hatte Mußgay einen Erlass herausgegeben, in dem er die „zweifellos kommende Endlösung der Judenfrage“ ankündigte. Mit dem Datum vom 18. November 1941 befahl Mußgay, dass auf dem Messegelände Killesberg 1.000 jüdische Bürger sich am 27. November 1941 zu sammeln hatten, um in das Reichskommissariat Ostland nach Riga deportiert zu werden. Zweck der Deportation zum 1. Dezember 1941 sollte, wie es Mußgay im Nazi-Jargon ausdrückte, die „Entjudung“ sein. Schon einen Monat später veranlasste Mußgay den zweiten Transport von 278 jüdischen Bürgern in das Generalgouvernement in das Gebiet von Lublin. Am 22. August 1942 organisierte Mußgay die Deportation von über 900 jüdischen Menschen in das KZ Theresienstadt. Weitere Deportationen erfolgten am 1. März 1943 mit 17 Personen, 19 Personen am 16. April 1943 und 23 Personen im Juni 1943.

Hinrichtung von Widerstandskämpfern und Flucht

Danach ließ Mußgay nach jüdischen Menschen fahnden, die nach NS-Terminologie der Nürnberger Rassengesetze in einer sogenannten Mischehe lebten. Diese Aktionen setzte er mit Erlass vom 26. Januar 1945 noch fort, als er noch verbliebene jüdische Bürger in das Lager Bietigheim zur Zwangsarbeit einweisen ließ. Das Lager hatte bis dahin die Funktion, Zwangsarbeiter für den Südwesten Deutschlands zu verteilen. Kurz vor der Flucht aus Stuttgart am 20. April 1945 – die Staatspolizeileitstelle war offiziell am 11. April aufgelöst worden – wurden noch Häftlinge von der Gestapo ermordet, die nicht mehr abtransportiert worden waren. Drei Mitglieder der Widerstandsgruppe Schlotterbeck, Hermann Schlotterbeck, Gottlieb Aberle und Andreas Stadtler, hatte Mußgay noch am 19. April 1945 im Wald bei Riedlingen hinrichten lassen. Durch das Tal des Neckar floh Mußgay mit seiner Frau hin zur Schwäbischen Alb.

Die Alliierten hatten am 30. September 1944 Mußgay als Verbrecher in der List of Potential War Criminals under Proposed US Policy Directives aufgeführt. Noch im April 1945 oder im folgenden Mai wurde Mußgay verhaftet und ins Militärgefängnis von Stuttgart eingeliefert. Da ihn ein Gerichtsverfahren als Kriegsverbrecher erwartete, nahm er sich dort am 3. September 1946 durch Erhängen in seiner Zelle das Leben.

SS-Dienstgrade

  • 20. April 1938: SS-Untersturmführer
  • 11. September 1938: SS-Hauptsturmführer
  • 20. April 1939: SS-Sturmbannführer
  • 9. November 1943: SS-Obersturmbannführer

Literatur

  • Heinz H. Poker, Bernhard Rolf: Chronik der Stadt Stuttgart. 1967
  • Jürgen Schuhladen-Krämer: Die Exekutoren des Terrors: Hermann Mattheiss, Walther Stahlecker, Friedrich Mußgay - Leiter der Geheimen Staatspolizeileitstelle Stuttgart. in: Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hrsg.): Die Führer der Provinz - NS-Biographien aus Baden und Württemberg. Konstanz 1997
  • Friedrich Wilhelm: Die württembergische Polizei im Dritten Reich. Dissertation am Historischen Institut der Universität Stuttgart, 1989
  • Julius Schätzle: Stationen zur Hölle - Konzentrationslager in Baden und Württemberg 1933-1945. Frankfurt/Main 1974

Weblinks


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