- Mykotoxikose
-
Mykotoxine (Schimmelpilzgifte) sind sekundäre Stoffwechselprodukte aus Schimmelpilzen, die bei Wirbeltieren bereits in geringsten Mengen giftig wirken. Im Unterschied dazu werden die toxischen Inhaltsstoffe von Großpilzen als Pilzgifte bezeichnet. Eine durch Mykotoxine verursachte Erkrankung wird Mykotoxikose genannt.
Inhaltsverzeichnis
Bedeutung/Vorkommen
Es sind etwa 200 verschiedene Toxine bekannt, die von über 300 Pilzarten produziert werden[1], wobei die Produktion eines bestimmten Toxins auf wenige bestimmte Arten beschränkt sein kann, aber auch von vielen Arten mehrerer Gattungen bewerkstelligt werden kann. Die Optimalbedingungen für die Bildung des Toxins und das Wachstum des Schimmelpilzes brauchen nicht notwendigerweise übereinzustimmen. Die meisten Mykotoxine sind sehr widerstandsfähig gegenüber Hitze- und Säurebehandlung.
Die Bildung von Mykotoxinen unterliegt einer ausgeprägten regionalen wie saisonalen Schwankungsbreite und ist abhängig vom Nahrungsangebot, Wassergehalt in Substrat und umgebender Luft (Luftfeuchte), Temperatur, pH-Wert und Interaktionen mit anderen Pilzen. Für die Giftbildung werden Substrate bevorzugt, die reich an Kohlenhydraten komplexer Zusammensetzung sind[2].
Der Mensch ist hauptsächlich durch Kontaminationen in Lebensmitteln bedroht. Alle verschimmelten Nahrungsmittel können Mykotoxine enthalten.
- Primärkontamination: Getreide wurde schon auf dem Feld von Schimmelpilzen befallen (z. B. Mutterkorn auf Roggen, Weizen, Gerste)
- Sekundärkontamination: Lagernde Lebensmittel verschimmeln (z. B. Aspergillus oder Penicillium spp.)
- Carry over: Nutztiere nehmen verschimmelte Lebensmittel auf und geben die enthaltenen Gifte an die Produkte weiter: Milch, Eier, Fleisch
Die FAO schätzt, dass ca. 25 % der Welt-Nahrungsproduktion Mykotoxine enthalten. Am häufigsten belastet mit Fusarientoxinen, also DON und ZEA, sind Zerealien (hier insbesondere der Mais und der Weizen). Betroffen von Aflatoxin-Befall sind häufig landwirtschaftliche Produkte aus tropischen und subtropischen Gebieten, da der Pilz Aspergillus flavus erst ab Temperaturen von 25–40 °C gut wächst. Betroffen sind dabei hauptsächlich Mais und vor allem ölhaltige Samen und Nüsse, wie z. B. Pistazien, Erdnüsse, Mandeln und Paranüsse.
Wirkung
Mykotoxine können bei Menschen und Tieren vielgestaltige, meist sehr schädliche Wirkungen entfalten. Insbesondere können sie
- krebserregend (karzinogen) wirken
- das Zentralnervensystem schädigen (neurotoxisch wirken)
- das Immunsystem schädigen (immunsuppressiv wirken)
- das Erbgut schädigen (mutagen wirken)
- die Leibesfrucht schädigen (teratogen wirken)
- Organschäden (z. B. an Leber oder Niere) verursachen (hepatotoxisch oder nephrotoxisch wirken)
- bei Berührung Hautschäden (von Hautreizungen bis Nekrosen) verursachen
- enzymatische Stoffwechselprozesse hemmen oder einleiten
- allergische Reaktionen auslösen
Eine Anzahl von Mykotoxinen besitzt die Fähigkeit, Bakterien an der Vermehrung zu hindern. Man spricht hier von einer antibiotischen Wirkung und nutzt diese Eigenschaft in verschiedenen Medikamenten gegen bakterielle Infektionen.
Arten
Mykotoxine können entweder aufgrund einer ähnlichen Molekularstruktur oder nach den sie produzierenden Schimmelpilzgattungen zu Stoffgruppen zusammengefasst werden:
- Aflatoxine
- Alternaria-Toxine, wie z. B. Alternariol (AOH), Alternariolmonomethylether (AME), Altenuen und Tenuazonsäure
- Fumonisine
- Fusarium-Toxine
- Mutterkornalkaloide (Ergotalkaloide)
- Ochratoxine
- Trichothecene, wie z. B. Deoxynivalenol (DON), Nivalenol, T-2-Toxin
Streng genommen müssten die Mutterkornalkaloide zu den Pilzgiften gerechnet werden, da der Produzent, das Mutterkorn (Claviceps purpurea), zu den Großpilzen gehört, da im Frühjahr kleine, aber deutlich erkennbare Fruchtkörper aus dem Sklerotium wachsen.
Liste von Mykotoxinen (Auswahl)
Name des Toxins / der Toxine Hauptproduzenten wesentl. Vorkommen (Gift-)Wirkung Aflatoxine Aspergillus flavus
Aspergillus parasiticusErdnüsse, Getreide, Mais, Feigen, Milch (carry over) hepatotoxisch, karzinogen, akute Toxizität, Aflatoxin B1 = stärkstes pflanzliches Karzinogen Altenuen Alternaria alternata
Alternaria solaniAlternariol (AOH) Alternaria alternata
Alternaria solaniObst, Gemüse, Tabak, Hirse, Nüsse mutagen Alternariolmonomethylether (AME) Alternaria alternata
Alternaria solaniObst, Gemüse, Tabak, Hirse, Nüsse mutagen Cephalosporin Cephalosporium acremonium antibiotisch Chaetomin Chaetomium-Arten nephrotoxisch, antibiotische Wirkung auf grampositive Bakterien Citrinin Aspergillus ochraceus
Penicillium citrinumGetreide hepatotoxisch, nephrotoxisch, karzinogen Deoxynivalenol (DON) Fusarium culmorum
Fusarium graminearumGetreide gastrointestinaler Reizstoff Fumagillin Aspergillus fumigatus hemmt Angiogenese, antibiotisch Fumonisine Fusarium verticillioides
Fusarium proliferatum
Fusarium anthophilumhauptsächlich Mais möglicherweise karzinogen, teratogen Fusarin C Fusarium-Arten mutagen, vermutlich karzinogen Fusarinsäure (FA) Fusarium-Arten schwach toxisch, antibiotisch Gliotoxin Aspergillus fumigatus
Aspergillus terreus
Eurotium chevalieri
Gliocladium fimbriatumzytotoxisch, immunsuppressiv Griseofulvin Penicillium griseofulvum antibiotisch, im Tierversuch karzinogen und teratogen Kojisäure Aspergillus- und Penicillium-Arten Mais, wahrscheinlich viele andere Lebens- und Futtermittel schwach mutagen, mäßig antibiotisch, im Tierversuch (i.p.) epilepsieartige Symptome Moniliformin Fusarium avenaceum
Fusarium tricintum
Fusarium fusaroides
Fusarium moniliformeGerste, Mais gastroenteritisch, hämorrhagisch Mutterkornalkaloide Claviceps purpurea Getreide Mycophenolsäure Penicillium brevicompactum Nivalenol Fusarium culmorum Gerste, Mais, Weizen hämorrhagisch Ochratoxin A (OTA) Aspergillus ochraceus
Penicillium viridicatumErdnüsse, Mais, Weizen, Baumwollsamenmehl nephrotoxisch, dermatotoxisch, karzinogen Patulin Penicillium claviforme
Penicillium expansum
Penicillium griseofulvum
Penicillium leucopus
Penicillium clavatus
Penicillium giganteus
Penicillium terreusApfelsaft, Äpfel und andere Obstarten hämorrhagisch, ödematös, im Tierversuch (sc.) karzinogen Penicillin Penicillium notatum antibiotisch Penicillinsäure viele Penicillium- und Aspergillus-Arten Mais, Futtermittel antibiotisch, im Tierversuch (sc.) karzinogen Penitrem A Penicillium carneum
Penicillium crustosumFleisch, Fleischerzeugnisse neurotoxisch, tremorgen Roquefortin Penicillium roqueforti
Penicillium communeReismehl u. a. Nahrungsmittel neurotoxisch, paralytisch Satratoxin Stachybotrys chartarum systemische Vergiftungserscheinungen Sterigmatocystin Aspergillus aurantiobrunneus
Aspergillus nidulans
Aspergillus quadrilineatus
Aspergillus ustus
Aspergillus variecolor
Aspergillus versicolorHartkäse, grüne Kaffeebohnen, Gerste, Mais, Weizen, Reis karzinogen, hepatotoxisch, nephrotoxisch Tenuazonsäure Alternaria alternata Äpfel, Tomaten antibiotisch, antiviral, geringe Toxizität, hemmt Proteinsynthese Trichothecene hauptsächlich Fusarium-Arten,
auch Cephalosporium,
Stachybotrys,
TrichodermaGetreide vielfältig T-2-Toxin Fusarium culmorum
Fusarium incarnatum
Fusarium poae
Fusarium solani
Fusarium sporotrichioides
Fusarium tricinctum
Trichoderma lignorumGerste, Hirse, Mais dermatotoxisch Viomellein Aspergillus ochraceus
Penicillium cyclopium
Penicillium melanoconidium
Penicillium freii
Penicillium viridicatumnephro- und hepatotoxisch Verrucosidin Penicillium aurantiogriseum
Penicillium melanoconidium
Penicillium polonicumneurotoxisch Verruculogen Penicillium verrucosum
Aspergillus fumigatusGetreide tremorgen, vermutlich tumorfördernde Wirkung Xanthomegnin Aspergillus-Arten
Penicillium-Arten
Trichophyton-Arten
Microsporum-ArtenFleisch, Fleischerzeugnisse hepatotoxisch Zearalenon (ZEA) Fusarium avenaceum
Fusarium culmorum
Fusarium equiseti
Fusarium gibbosum
Fusarium lateritium
Fusarium moniliforme
Fusarium nivale
Fusarium oxysporum
Fusarium graminearum
Fusarium sambucinum
Fusarium tricinctumCornflakes, Gerste, Hafer, Hirse, Mais, Nüsse, Roggen, Sesammehl, Weizen Wirkung als Östrogen, Infertilität Ethanol (Ethylalkohol), das bei der anaeroben Metabolisierung von Zuckern durch manche Hefepilze (speziell Saccharomyces cerevisiae) entsteht, zählt zu den primären Stoffwechselprodukten und ist daher im engeren Sinn nicht zu den Mykotoxinen zu zählen.
Nachweismethoden
Für die Mykotoxin-Analytik gibt es einige physikalisch-chemische Methoden:
- Dünnschichtchromatographie (DC)
- Hochdruckflüssigkeitschromatographie (HPLC)
- Gaschromatographie (GC)
- Kopplungen von HPLC und GC mit Massenspektrometern
Bei diesen Untersuchungen werden die Substanzen mit organischen Lösungsmitteln aus dem Untersuchungsmaterial herausgelöst und in aufwändigen Verfahren soweit gereinigt und konzentriert, dass ein eindeutiger Nachweis ohne störende Substanzen möglich ist. Die HPLC/MS- und GC/MS-Kopplungen ermöglichen sowohl die sichere Identifizierung als auch Quantifizierung der verschiedenen Mykotoxine. Zur Gaschromatographie werden in der Regel Derivate (z. B. Trimethylsilylderivate) eingesetzt.[3] Bei Einsatz der HPLC/MS-Kopplung können auch underivatisierte Mykotoxine vermessen werden. Als Ionisierungsmethoden sind sowohl die Elektronenstoßionisierung (EI) als auch die Chemische Ionisierung (CI) mit Quadrupol- und Ionenfallen-Massenspektrometern möglich. Für die Schnellanalytik bei der Rohstoffannahme in Lebensmittel- und Futtermittelbetrieben (speziell für DON und ZEA) gibt es immunologischen ELISA-Verfahren und Mykotoxin-Streifentests („Dipsticks“), die nach der Methode von „Kapillardiffusionstests“ oder „flow-through-Tests“ arbeiten. Neuerdings gibt es außerdem homogene Rapid Kinetic Assays, welche als Präzisionsschnelltests eine genaue quantitative Bestimmungen in unter 15 Minuten ermöglichen.
Höchstmengenverordnungen
- Deutschland: Mykotoxin-Höchstmengenverordnung [4] Seit 1. Juli 2006 abgelöst von der EU-Regelung.
- EU: [5] Grenzwerte für Fumonisine, T-2- sowie HT-2-Toxine gelten ab 1. Oktober 2007.
Quellen
- ↑ Habermehl: Die Bedeutung von Mykotoxikosen für Mensch und Tier. in: Deutsche tierärztliche Wochenschrift 1989, S. 335–338
- ↑ Thalmann: Bedingungen für die Bildung von Mykotoxinen in Futtermitteln. In: Deutsche tierärztliche Wochenschrift 1989, Vol 96, S. 341–343
- ↑ Melchert HU, Pabel E (2004): Reliable identification and quantification of trichothecenes and other mycotoxins by electron impact and chemical ionization-gas chromatography-mass spectrometry, using an ion-trap system in the multiple mass spectrometry mode – Candidate reference method for complex matrices. Journal of Chromatography A 1056: 195–199.
- ↑ Deutsche Verordnung zur Änderung der Mykotoxin-Höchstmengenverordnung und der Diätverordnung vom 4. Februar 2004, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004, Teil 1, Nr. 5, S. 151, vom 12. Februar 2004
- ↑ VERORDNUNG (EG) Nr. 856/2005 DER KOMMISSION vom 6. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 466/2001 in Bezug auf Fusarientoxine
Literatur
- F. Frössel: Schimmelpilze in Wohnungen. Baulino Verlag, Waldshut-Tiengen 2006. ISBN 3938537183
- L. Roth, H. Frank, K. Kormann: Giftpilze · Pilzgifte. Schimmelpilze · Mykotoxine. Vorkommen, Inhaltsstoffe, Pilzallergien. ecomed, Landsberg 1990. ISBN 3609647302
Weblinks
- Abschnitt über Mykotoxine in Belitz/Grosch: Lehrbuch der Lebensmittelchemie
- Informationen zum Thema Mykotoxine für Getreidebauern, Viehhalter, Futtermühlen, Wissenschaftler, Tiermediziner und Konsumenten (engl.)
- Informationen zu den wichtigsten Mykotoxinen und ihren Detektionsmethoden (engl.)
- Informationen zu Mykotoxinen beim Verbraucherschutzinformationssystem Bayern
- Höchstmengenregelungen für verschiedene Mykotoxine
- Erklärungen und Publikationen der Forschungsanstalt ART
Wikimedia Foundation.