Nabelblut

Nabelblut

Als Nabelschnurblut, auch Plazentarestblut genannt, bezeichnet man das nach der Abnabelung des Kindes noch in Nabelschnur und Plazenta befindliche kindliche Blut.

Seit Ende der 1980er Jahre weiß man, dass Nabelschnurblut reich an Stammzellen ist, die in der Lage sind, das blutbildende System wiederherzustellen. Der Grund dafür ist die Wanderung der Blutbildung, die während der fetalen Entwicklung in Leber und Milz ansässig ist, in das Knochenmark. Diese Wanderung erfolgt im letzten Schwangerschaftsdrittel über den Blutkreislauf des Kindes. Dadurch finden sich zum Zeitpunkt der Geburt im Blut des Kindes und damit auch im Restblut von Nabelschnur und Plazenta außergewöhnlich viele Stammzellen.

Nabelschnurblutstammzellen wurden 1988 erstmals durch die französische Ärztin Eliane Gluckman in Paris medizinisch genutzt, um ein Kind mit Fanconi-Anämie zu behandeln. Bis Ende 2004 sind weltweit etwa 5.000- bis 6.000-mal Nabelschnurblutstammzellen, überwiegend als Fremdtransplantation, zum Einsatz gekommen (→ Stammzelltransplantation)[1]

Inhaltsverzeichnis

Eigenschaften

Vorteile von Nabelschnurblut-Stammzellen gegenüber Knochenmark-Stammzellen:[2]

  • risikoarm zu gewinnen
  • Bevorratung von Stammzell-Präparaten für ethnische Minderheiten und Kinder mit gemischter ethnischer Herkunft
  • Geringe Kontamination mit latent vorhandenen Viren und Tumorzellen
  • Sofortige Verfügbarkeit durch Langzeitlagerung (Kryokonservierung)
  • Bessere Verträglichkeit, wenn die HLA-Merkmale von Spender und Empfänger nicht übereinstimmen
  • Einfache Bereitstellung im Bedarfsfall an Stelle einer aufwändigen Koordinierung zwischen Knochenmarkentnahmezentrum und dem Transplantationszentrum
  • Hohes Vermehrungspotenzial der Stammzellen
  • Hohes Differenzierungspotenzial der Stammzellen

Bereits nachgewiesen wurde die Fähigkeit von Nabelschnurblutstammzellen sich nicht nur in Blutzellen, sondern auch zu Nerven-, Leber-, Blutgefäß-, Muskel-, Knochen-, Knorpel- und Inselzellen zu entwickeln. Diese Eigenschaft wird in der Biotechnologie zur Regeneration von Körpergewebe genutzt. Dies wurde bisher jedoch nicht am Menschen eingesetzt.

Nachteile von Nabelschnurblut-Stammzellen gegenüber Knochenmark-Stammzellen:

  • Begrenzte Menge
  • Nur bei der Geburt eines Kindes zu gewinnen
  • Längere Aplasie der Blutbildung verglichen mit Knochenmark-Stammzellen
  • Gendefekte, welche z. B. zur Leukämie oder Diabetes mellitus Typ I führen können, sind auch im Nabelschnurblut vorhanden

Ferner wird kritisiert, dass die Spende unnötige Personalressourcen in den Geburtskliniken binde.[3] Ein frühzeitiges Abklemmen der Nabelschnur zur Nabelschnurblutspende widerspricht aktuellen Standards und führt zu einem Abfall der kindlichen Blutmenge.[4]

Anwendung von Nabelschnurblut

Behandlung von Kindern und Erwachsenen

Der Nachteil bei der Transplantation von Nabelschnurblut verglichen mit Knochenmarkstammzellen liegt in der geringeren Menge an Stammzellen, die verfügbar ist. Nur bei einer ausreichenden Zellzahl ist die Behandlung erwachsener Patienten möglich. Stammzelltransplanteure empfehlen derzeit eine minimale Zelldosis zwischen 10 und 30 Millionen kernhaltiger Zellen (mononuclear cells, MNC) pro Kilogramm Körpergewicht des Empfängers, wenn Spender und Empfänger nicht identisch sind (allogene Transplantation). Wird die empfohlene Zelldosis zur Behandlung Erwachsener nicht erreicht, so kann die gleichzeitige Transplantation von zwei Nabelschnurblutpräparaten eine Alternative sein.

Angesichts der Vorteile von Nabelschnurblut wie die bessere Verträglichkeit und die sofortige Verfügbarkeit gewinnt die Nabelschnurbluttransplantation jedoch auch bei Erwachsenen an Bedeutung. Derzeit wird in den USA beispielsweise bei 20 % aller Stammzelltransplantationen Nabelschnurblut verwendet, in Japan liegt die Nabelschnurblutquote für Kinder und Erwachsene gemeinsam bereits bei 50 %.[5]

Allogene Transplantation (Fremdtransplantation)

Die allogene Transplantation von Nabelschnurblut ist derzeit der Regelfall. Dabei werden dem Patienten Nabelschnurblutstammzellen übertragen, die nicht von ihm selbst, sondern einem geeigneten Spender stammen. Wenn es sich nicht um eine gerichtete Spende handelt, werden dabei Nabelschnurblutstammzellen aus Stammzellregistern verwendet. Allogene Nabelschnurblutstammzellen werden derzeit vor allem bei Leukämien, Blutbildungsstörungen und genetisch bedingten Erkrankungen angewendet. Etwas mehr als ein Drittel aller allogenen transplantierten Nabelschnurblute wurde bei Erwachsenen eingesetzt.

Autologe Transplantation (Eigentransplantation)

Bislang sind etwa 100 Fälle von körpereigenen (autologen) Nabelschnurbluttransplantationen bekannt.[6] Die erste Anwendung autologer Nabelschnurblutstammzellen erfolgte 1999 bei einem Kind mit einem Neuroblastom in Brasilien.[7] Neben Tumorerkrankungen wie Neuroblastom oder Retinoblastom sind nach Angaben von autologen Nabelschnurblutbanken auch Fälle von Knochenmarksversagen (aplastische Anämie), Diabetes Typ 1 und frühkindlichen Hirnschäden mit eigenem Nabelschnurblut behandelt worden.

Konservierung von Nabelschnurblut

Als Spende an ein Stammzellregister

Die Spende an ein Stammzellregister dient dazu, einen Pool an Stammzellpräparaten aufzustellen, auf den Onkologen und Hämatologen im Bedarfsfall zugreifen können. Durch die Kryokonservierung ist es zudem möglich, Stammzellen für Patienten mit relativ selten vorkommender genetischer Ausstattung oder gemischter ethnischer Herkunft zu bevorraten und so die Spendersuche im Anwendungsfall zu verkürzen.

Die Spende ist für die Eltern kostenfrei, da die Kosten durch Spendergelder (z. B. von der José-Carreras-Stiftung) und Abgabegebühren, die die Krankenkasse des Patienten bezahlt, gedeckt werden.

Nabelschnurblut kann in Deutschland an die Stammzellregister in Düsseldorf, Mannheim, München, Freiburg, Erlangen, Dresden sowie Hannover gespendet werden. Diese Register arbeiten mit ungefähr 75 Krankenhäusern in ihrem Einzugsbereich zusammen. Nur dort ist derzeit die Entnahme möglich. In der Schweiz sind Kliniken in Basel, Bern, Genf, Liestal und Lugano für die Nabelschnurblutspende eingerichtet.[8]

Als (gerichtete) Spende zur Behandlung eines erkrankten Familienmitglieds

Stammzellen eines nahen Verwandten, vorzugsweise Geschwisters, sind bei vorliegender Übereinstimmung der Gewebeverträglichkeit gut zur Transplantation geeignet. Dazu wird das Nabelschnurblut bei schon vorliegender Erkrankung zielgerichtet zur späteren Behandlung des Patienten gewonnen und aufbereitet.

Die (gerichtete) Nabelschnurblutspende ist für die Eltern kostenfrei und wird sowohl von den Stammzellregistern als auch privaten Nabelschnurblutbanken angeboten. Dadurch ist die Nabelschnurblutspende für Familienmitglieder flächendeckend möglich.

Als Eigenkonservierung zur privaten Vorsorge

Die Eigenkonservierung von Nabelschnurblut (autologe Einlagerung) zur privaten Vorsorge wird kontrovers diskutiert: Hauptkritikpunkt ist, dass die Wahrscheinlichkeit, eigene Stammzellen im Kindesalter zu benötigen, sehr gering ist. Hinzu kommt, dass bei hämatologischen Erkrankungen des Kindes zu prüfen ist, ob die Stammzellen bereits die Disposition zur Entwicklung der Krankheit enthalten. Die Nutzung von Nabelschnurblut zur Therapie von Erkrankungen bei Erwachsenen hält die Bundesärztekammer in ihrer Richtlinie von 1999 noch für spekulativ. [9] Deutliche Kritik kommt auch vom Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, Gerhard Ehninger, der das kommerzielle Einfrieren von Nabelschnurblut für „Geschäftemacherei“ hält.

Da sich im Nabelschnurblut jedoch auch pluripotente und proliferationsfähige Stammzellen befinden, gibt es andererseits Anlass zur Hoffnung, dass sich daraus in der Zukunft spezielle Gewebe oder Zellverbände zur Behandlung schwerer Erkrankungen züchten bzw. neue stammzellbasierte Behandlungsformen entwickeln lassen.[10] So werden an der Duke University, Durham, USA, bereits seit 2005 Kinder mit zerebraler Lähmung und weiteren frühkindlichen Hirnschäden mit dem eigenen Nabelschnurblut behandelt.[11] Außerdem hat die internationale Juvenile Diabetes Research Foundation in Kooperation mit der University of Florida, Gainsville, USA, eine Studie zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1 begonnen.[12] Nach ersten Einschätzungen kann die Therapie mit eigenem Nabelschnurblut zur Aufrechterhaltung der Insulin-Produktion im Körper des Patienten beitragen. Insgesamt sind diese Therapien im sehr frühen experimentellen Stadium mit ungewissem Ausgang.

Private Nabelschnurblutbanken verzeichnen in den letzten Jahren eine steigende Zahl von Transplantationen. So hat allein die Cord Blood Registry, USA, nach eigenen Angaben bis 02/2009 insgesamt 108 Menschen behandelt. In 64 Fällen erhielt das Kind das eigene Nabelschnurblut, in den anderen Fällen ein naher Verwandter, in der Regel ein Geschwisterkind.[13] Nach Angaben des unabhängigen Infoportals Parent's Guide to Cord Blood Foundation sind bis 02/2009 weltweit etwas mehr als 100 autologe Transplantationen erfolgt [6]. Angaben zur Erfolgsquote fehlen.

Die Eigenkonservierung von Nabelschnurblut ist für die Eltern kostenpflichtig. Die Kosten betragen in Deutschland ungefähr 2.000 bis 2.500 Euro inklusive der ersten zwanzig Lagerjahre[14]. Bislang sind nur wenige Fälle bekannt, in denen die Kosten anteilig von Krankenkassen erstattet wurden. Die Eigenkonservierung ist in Deutschland weitgehend flächendeckend möglich.

Als Spende für die Stammzellforschung

Bei der Nabelschnurblutspende für die Forschung werden die Stammzellen genutzt, um deren Wirkungsweise zu untersuchen und neue stammzellbasierte Therapien zur Behandlung von Krankheiten zu gewinnen.

Die Spende für die Stammzellforschung wird von den Stammzellregistern[15], universitären Einrichtungen sowie privaten Nabelschnurblutbanken angeboten. Sie ist für die Eltern kostenfrei, aber nicht flächendeckend möglich[16].

Langzeitlagerung von Stammzellen

In Studien wurde nachgewiesen, dass Nabelschnurblut-Stammzellen mindestens 15 Jahre halten, ohne ihre Vitalität und Proliferationsfähigkeit zu verlieren. [17] Nach Ansicht des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik in St. Ingbert bei Saarbrücken sind Stammzellen theoretisch über mehrere Jahrhunderte lagerfähig, ohne an Potenzial einzubüßen.

Grund dafür ist, dass die Lebensprozesse im Zellinneren bei Temperaturen unter −130°C vollständig zum Erliegen kommen. Theoretisch sind die Stammzellen so unbegrenzt haltbar. „Die einzige Begrenzung der Lagerdauer liegt in der kosmischen Strahlung begründet, die auch die Zellproben im gefrorenen Zustand und im Stahltank permanent trifft“.

Quellen

  1. Quelle: New England Journal of Medicine 2004, 351:2255-2257
  2. Bone Marrow Transplantation 2001, 27:1-6)
  3. Edozien 2006 doi:10.1136/bmj.38950.628519.68
  4. Hutton et. al. JAMA. 2007;297:1241-1252.
  5. Human Immunology 2006, 67:398–404
  6. a b Parent's Guide to Cord Blood-Foundation. Children who used their own cord blood (englisch) (html). Abgerufen am 24. März 2009.
  7. Bone Marrow Transplant. 1999, 24(9):1041
  8. Schweizerische Stiftung Blut-Stammzellen: Wo kann man Nabelschnurblut spenden?
  9. Nabelschnurblut-Stellungnahme der Bundesärztekammer
  10. BMBF-Broschüre zu Nabelschnurblut
  11. pediatrics.duke.edu: Study Amazing Recovery Attributed to Cord Blood (2. Oktober 2008)
  12. jdrf.org: Study Name: Transfusion of Autologous Umbilical Cord Blood to Reverse Hyperglycemia in Children with Type 1 Diabetes (2. Oktober 2008)
  13. Cord Blood Registry. Cord Blod Regestry Stem Cell Therapy Data (englisch) (pdf). Abgerufen am 24. März 2009.
  14. Parent's Guide to Cord Blood-Foundation. Tables of Private Bank Features & Pricing (englisch) (html). Abgerufen am 24. März 2009.
  15. Deutsche Knochenmarkspenderdatei. Nabelschnurblutspende (deutsch) (html). Abgerufen am 25. März 2009.
  16. Deutsche Knochenmarkspenderdatei. Nabelschnurblutspende, Liste kooperierender Kliniken (deutsch) (html). Abgerufen am 25. März 2009.
  17. Broxmeyer, H.E. et al.: High efficiency recovery of emathopoietic progenitor cells eith extensive proliferative and ex-vivo expansion activity and of hemathopoietic stem cell with NOD/SCID mouse repopulation ability from human cord blood stored frozen for 15 years. Proc Natl Acad Sci USA, 100 (2002): 645-650.

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