Narzissmus

Narzissmus

Mit dem Begriff Narzissmus ist im weitesten Sinn die Selbstliebe als Liebe gemeint, die man dem Bild von sich entgegenbringt. Im engeren Sinn bezeichnet er eine auffällige Selbstbewunderung oder Selbstverliebtheit und übersteigerte Eitelkeit.

Caravaggios „Narziss“

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Das Wort entstammt der Sexualwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die sich – ursprünglich zur Bezeichnung einer spezifischen Form der Perversion – auf die altgriechische Sage vom schönen Jüngling Narkissos beruft.[1] Ein erweitertes Verständnis des Narzissmus als wesentliches Moment der normalen sexuellen Entwicklung liefert im Anschluss an Überlegungen von Paul Näcke und Havelock Ellis[2] schließlich die Psychoanalyse Freuds.[3]

Mehrdeutigkeit des Begriffs

Im Anschluss an das psychoanalytische Konzept kann man so grundsätzlich einen psychogenetischen Narzissmus-Begriff (Narzissmus als notwendige Entwicklungsstufe und allgegenwärtiges, normales Phänomen) von dem geläufigeren, diagnostisch verwendeten, negativ konnotierten Begriff unterscheiden. Freud meinte mit Narzissmus die Libido, die auf das eigene Ich gerichtet ist, anstatt auf die Objekte. Dies führt zu einer Charaktereigenschaft, bei der ein geringes Selbstwertgefühl durch übertriebene Einschätzung der eigenen Wichtigkeit und dem großen Wunsch nach Bewunderung kompensiert wird. Diesem charakterpathologischen Narzissmus-Begriff folgt im Wesentlichen auch die diagnostische Verwendung.

In der weiteren Entwicklung des Begriffes kam es jedoch zu einem Wandel der Bedeutung. Der Narzissmus wurde etwa von Kohut als wichtige Phase der Entwicklung angesehen, die jeder Mensch durchläuft und die auch im Erwachsenenalter die wichtige Funktion übernimmt das Selbst als psychische Struktur zu stabilisieren. Störungen entstehen vor allem, wenn dem Kind nicht genügend Zuwendung, Aufmerksamkeit, Achtung, Bestätigung usf. zukommt.

Umgangssprachliche Begriffe mit ähnlichem Inhalt wie Profilneurose oder Geltungssucht sind nicht genau definiert und finden in der Psychologie keine Anwendung.

Überblick der Deutungen

Nach der antiken griechischen Mythologie ist Νάρκισσος, (Nárkissos, lateinisch Narcissus, deutsch Narziss) ein 16-jähriger Jüngling, der sich aus Stolz der Liebe der Nymphe Echo entzog. Dafür traf ihn der rächende Fluch, sein eigenes Spiegelbild in jedem Wasser lieben zu müssen, welches sich ihm gleichfalls immer entzog. Er konnte sein Spiegelbild weder berühren noch sich von ihm lösen, verging darüber und verwandelte sich in eine Narzisse. Ursprünglich hatte dieser Mythos die Selbstüberhebung (Hybris) und ihre Strafe zum Thema. In der Spätantike wurde der Sage das Motiv der „Vergänglichkeit“ (Vanitas) entnommen.[4]

Gelingender Narzissmus entgeht jedoch im psychoanalytischen Theorieentwurf in einem Reifungsschritt den Aporien reiner Spiegelbildlichkeit (vergleiche auch Spiegelstadium) durch Übertragung der narzisstischen Libido auf einen realen Anderen als geliebtes Vorbild: Der geglückte „Narzissmus wäre dadurch gekennzeichnet, dass sich das Subjekt durch dieses Bild liebend ergreifen lässt“.[5] Damit träte in Form narzisstischer Identifikation an die Stelle reiner Selbstbezogenheit die „Verinnerlichung einer (intersubjektiven) Beziehung“.[6]In diesem Sinn leistet der Narzissmus nicht nur einen notwendigen Beitrag zur Ich-Bildung überhaupt, sondern zur innerseelischen Strukturbildung des Selbst, indem es dieses als Instanz etabliert (vergleiche unten Narzissmus in der Selbstpsychologie). Der typische Narziss hätte also trotz so genannter „Selbstbezogenheit“ eben kein Selbst, auf das sich ein echter Bezug richten könnte; seine Selbstbezogenheit wäre bloßer Schein einer Beziehung.

Im Alltagsverständnis ist dementsprechend ein Narziss ein Mensch, der sich sehr auf sich selbst bezieht und dabei andere (Menschen, Natur usw.) vernachlässigt. Narzissmus ist übertriebene Selbstsucht, bedingt also Egoismus und Egozentrik.

Ursachen

Nach Theodore Millon und Roger Davis haben manche Menschen in ihrer frühkindlichen Entwicklung unzureichende Liebe und Anerkennung von ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen erhalten, sie leiden oft lebenslang darunter und geben ihre Reaktionen auf ihre Entbehrungen an andere weiter. Andere wiederum erlebten eine Kindheit, in der sie und ihre Wünsche im Mittelpunkt standen, z. B. ihre Talente übermäßig bewundert wurden. Nicht selten schwanken diese Kinder zwischen einem übersteigerten (Selbst-)Bild und der Furcht, den Fremdansprüchen (resultierend aus der übermäßigen Bewunderung) nicht zu genügen. Der innerseelische Mechanismus des Kindes lautet „Ich bekomme meine lebenserforderliche Liebe für (etwa) meine Talente und Besonderheiten.“, oder „Ich muss viel dafür tun, um geliebt zu werden.“

Das alles muss nicht zwangsläufig zu einer narzisstischen Erkrankung führen. Verhaltensweisen, die von der Psychologie als narzisstische Charakterstörungen eingeordnet werden, können auch vorübergehend auftreten und dann wieder abflauen. Diese psychologische Deutung versteht den Narzissmus als ein Leiden, weil Betroffene Schwierigkeiten haben, Objektbeziehungen zu führen. Sie versuchen ihr Gegenüber zu kontrollieren und suchen nach ständiger Bestätigung ihrer Grandiosität, da sie sich ohne diese leer fühlen.

Psychopathologie

In der Psychiatrie und der Psychologie findet der Narzissmus Ausdruck in der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die aber klar abzugrenzen ist von der allgemeinsprachlichen Verwendung des Begriffs Narzissmus als „Selbstverliebtheit“.

Narzisstische Personen sind gekennzeichnet durch einen Mangel an Einfühlungsvermögen und Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, was sie mit einem großartigen äußeren Erscheinungsbild zu kompensieren versuchen[7]. Häufig hängt das mit ihrem brüchigen Selbstwertgefühl zusammen. Die Goldene Regel „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu“ ist Narzissten fremd. Sie behandeln Mitmenschen so, wie sie selbst nicht behandelt werden möchten. Sie besitzen auch einen Blick für das Besondere, können leistungsstark (in Schule, Beruf, Hobby) sein und haben oft gepflegte und statusbewusste Umgangsformen. Neben Prädispositionierung ist das Elternhaus ein entscheidender Faktor für narzisstische Persönlichkeiten. Es finden sich überwiegend sehr unempathische, wenig akzeptierende Eltern, die das Kind nicht selten schon früh überfordern. So findet in der kindlichen Erziehung vor allem ein Verhalten Beachtung und Verstärkung, das - in gewisser Intoleranz gegenüber anderen - die eigenen Fähigkeiten und Wertigkeit betont und sie nach außen hin gut darstellt. Dabei muss das tatsächlich gezeigte Verhalten der Selbstpräsentation nicht annähernd entsprechen. Narzissten überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und zerstören aus Neid, was begabtere Menschen aufgebaut haben. Wenn Narzissten eine leitende Funktion ausüben, leiden die Betroffenen sehr. Wenn möglich, entziehen sich Mitbetroffene ihrem Einfluss.

Maligner (bösartiger) Narzissmus kann als Zwischenstufe von narzisstischer und antisozialer Persönlichkeitsstörung angesehen werden. Als maligner Narzissmus wird die Kombination von narzisstischer Persönlichkeitsstruktur, antisozialen Verhaltensweisen mit intensiven krankhaften Aggressionen und eventuellen paranoiden Neigungen bezeichnet. Kennzeichnend sind krankhafte Grandiosität (Entwicklung eines nicht der Realität angemessenen Größenselbst oder Realitätsverlust) mit Herrschaftsanspruch innerhalb einer Gruppe, bis hin zu Sadismus und Hass. Im Unterschied zur antisozialen Persönlichkeitsstörung, die sich durch das völlige Fehlen von Verantwortungsgefühl, Gewissen und Sorge/Mitgefühl sich selbst und andere Menschen betreffend auszeichnet, sind beim malignen Narzissmus noch Über-Ich-Anteile (Gewissen) funktionsfähig, und es existiert auch ein Gefühl für Mitmenschen, wenn auch oft in ausbeuterischem Interesse.

Das kranke dranghafte Lügen, ohne Schuld- und Schamgefühle zu empfinden, zählt zu den Symptomen narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. Der Narzisst lügt, um sich Zuwendung, Anerkennung und Geltung zu sichern oder seinen Willen durchzusetzen. Krankhafte Lügner nennt man „Pseudologen“.

Formen des Narzissmus nach Millon

Millon unterscheidet folgende Formen des Narzissmus:[8]

  • „Normaler narzisstischer Mensch“, der kompetitiv, selbstsicher und erfolgreich erscheint.
  • „Charakterloser Narzisst“, der betrügerisch, ausnutzend und skrupellos erscheint, häufig erfolgreich, aber auch straffällig wird.
  • „Amouröser Narzisst“, der verführerisch und exhibitionistisch erscheint und sich nicht auf tiefe Beziehungen einlassen kann.
  • „Kompensatorischer Narzisst“, der mit grandiosem Selbst erscheint, dem jedoch Selbstzweifel, Minderwertigkeits- und Schamgefühle zugrunde liegen.
  • „Elitärer Narzisst“, der mit überhöhtem Selbstwertgefühl erscheint, angeberisch und selbstbezogen ist, nach sozialem Erfolg strebt und süchtig nach Bewunderung ist.
  • „Fanatischer Narzisst“ mit paranoiden Zügen, der ein niedriges Selbstwertgefühl und Bedeutungslosigkeit durch Omnipotenzillusionen kompensiert.

Primärer und sekundärer Narzissmus

Jeder Mensch durchläuft narzisstische Zustände. Nach Sigmund Freud unterscheidet man den primären und sekundären Narzissmus. Beim primären Narzissmus richtet das Kleinkind seine sexuelle Energie (Libido) ganz auf sich selbst. Da die Mutter als mit dem eigenen Selbst verbunden erlebt wird, kann hier aus der Perspektive des Kleinkindes auch von einer Fusion von Subjekt und Objekt (symbiotische Phase nach Margaret Mahler) gesprochen werden. – Beim sekundären Narzissmus wird die sexuelle Energie von äußeren Objekten wieder abgezogen und auf sich selbst bezogen (Regression). Dieser Zustand tritt vor allem nach enttäuschter Liebe oder Selbstwertkränkungen auf.

Erich Fromm bezeichnet Narzissmus als Gegenpol zur Liebe und unterscheidet neben dem Narzissmus des Einzelnen auch den Gruppennarzissmus (siehe Patriotismus oder Fanatismus). Narzissten neigen laut Fromm dazu, einen Bezug zu ihrer Umwelt dadurch zu gewinnen, dass sie Macht über sie erlangen.

Hinter dem psychoanalytischen Narzissmusbegriff verbirgt sich ein höchst komplexes und umstrittenes Konzept. Freud selbst hat den Begriff in seiner primären und sekundären Differenzierung nicht immer eindeutig gebraucht, doch wenn man sein Werk daraufhin genau untersucht, wird deutlich, dass der primäre Narzissmus ein spekulatives metapsychologisches Konstrukt meint, das als heuristisches Modell nur gedacht, aber nicht beobachtet werden kann. Dagegen ist der sekundäre Narzissmus ein klinischer Begriff, dessen vielfältige Erscheinungsweisen empirisch nachweisbar sind. Wenn der Analytiker heute von Narzissmus spricht, meint er in aller Regel die sekundäre Form, also die von den Objekten abgezogene libidinöse Besetzung (Dahl).[9]

Kritik am Freud’schen Narzissmus-Begriff in der Analytischen Psychologie

Der C.G. Jung-Schüler Erich Neumann nimmt für die Analytische Psychologie erhebliche Korrekturen am Freud' schen Narzissmus- Begriff vor. Der sogenannte primäre Narzissmus, den Freud als intrauterinen Urzustand symbiotischer Verschmelzung eines absoluten Lust-Ichs mit seiner Umgebung behauptet, erfährt im Zeichen der Jung’schen Entwicklungslehre eine Neubewertung: Es handelt sich um ein uranfängliches „Sein in der Einheitswirklichkeit“, der „totalen participation mystique“ (vgl. participation mystique bei Lucien Lévy-Bruhl) jenseits der erst zu entwickelnden Subjekt-Objekt-Spaltung, in welchem das Selbst alles und alles das Selbst ist. Diesen anfänglichen Zustand nennt Neumann die uroborische Phase. Diese sei nicht – wie die Freud’sche Lehre unterstellt – beziehungs-, weil objektlos, sondern als Urbeziehung des Kindes zur Mutter Grundlage der weiteren Entwicklung.[10] Die Freudschen Kennzeichen des primären Narzissmus (Autoerotik, Magisches Bewusstsein und Allmacht) sind, so Neumann, irreführend:

Der Begriff der Macht ist nur sinnvoll, wenn schon ein Ich vorhanden ist, dessen Libidoladung als Willen stark genug ist, um Macht zu wollen, auszuüben und sich eines Objekts zu bemächtigen. Für die Subjekt- und objektfreie Phase der uroborischen Vor-Ich-Zeit gilt all dies nicht. Das lustbetonte Einheitserleben, das zu ihr gehört, hat deswegen nichts mit Macht zu tun und muss anders gedeutet werden. Weil diese Phase als autoerotisch im Sinne einer objektlosen Selbst-Liebe aufgefasst wurde, konnte sie als „primär-narzisstisch“ verstanden und gedeutet werden. Man wird der psychischen Wirklichkeit dieser Phase aber nur dann gerecht, wenn man sie paradox formuliert, weil sie als vor- ichhafte Konstellation nicht durch eine Subjekt-Objekt-Beziehung beschreibbar ist. Wenn man also von objektloser Selbstliebe spricht, muss man gleichzeitig von subjektloser All-Liebe ebenso wie von einem Subjekt- und objektlosen All-Geliebtwerden sprechen.[11]

Narzissmus in der Selbstpsychologie

Heute bezeichnet der Begriff Narzissmus innerhalb der psychoanalytischen Theorie nicht nur eine krankhafte Bezogenheit auf sich selbst, sondern ist auch Ausdruck eines gesunden Selbstwertes. Vor allem die selbstpsychologische Schule (innerhalb der Psychoanalyse) von Heinz Kohut hat diesen Wechsel in der Bewertung des Narzissmus als bedeutendes Modell für die psychische Gesundheit eingeleitet. So bezeichnet der Narzissmus ein System von Libidobesetzungen. Hier werden allerdings nicht Objekte wie die eigenen Eltern oder ein Liebespartner libidinös besetzt, sondern eine eigene innerpsychische Instanz. Diese Instanz wird sowohl von Kohut als auch von Kernberg das Selbst genannt. Kohut versteht darunter ein von Beginn an vorhandenes psychisches System, welches sowohl dem gesamten psychischen Apparat als auch dem Körper ein Gefühl der Einheit und Zusammengehörigkeit verleiht. Die Besetzung mit psychischer Energie (Libido) dieses Selbst wird von Kohut als Narzissmus angesehen. Diese Besetzung könne pathologische Züge annehmen, wenn die Instanz des Selbst aus verschiedenen Gründen nicht gesund entwickelt ist. Eine große Rolle spiele hierbei die frühe Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson. Wenn die Bezugsperson dem Säugling nicht genügend Einfühlungsvermögen und Bestätigung entgegenbringe, könne es zu einer Fehlentwicklung kommen. So komme es zu den Erscheinungsformen von pathologischem Narzissmus.

Kernberg sieht den Narzissmus ebenfalls mit dem Selbst verbunden (im Gegensatz zu Freud, der noch kein Selbst kannte, und im Narzissmus die Besetzung des Ichs sah). Für Kernberg ist das Selbst ein Teil des Ichs. Dieses Selbst sei ein Resultat aus den frühen Objektbeziehungen. Kommt es zu Störungen in der miteinander verknüpften Entwicklung von frühen Objektbeziehungen und Selbst, könne dies zu dem beschriebenen pathologischen Narzissmus führen. Auch hier spiele die erste Bezugsperson eine ähnliche Rolle.

In der psychoanalytischen Theorie wird nicht nur die Persönlichkeitsstörung aus einer narzisstischen Störung abgeleitet. Auch Depression, Suizidalität, Aggression, Dissoziation, Autoaggression und Hyperaktivität können Symptome narzisstischer Störungen sein.

Klassifikation nach ICD und DSM

ICD-10

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird im ICD 10 nur unter der Rubrik Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen (F 60.8) aufgeführt, jedoch nicht weiter charakterisiert, obwohl sie als Persönlichkeitsdiagnose häufig gebraucht wird. Sie wird im Weiteren in Anhang 1: Vorläufige Kriterien für ausgewählte Störungen der Diagnostischen Kriterien für die Forschung (Grünbuch) der ICD-10 erläutert. [12])

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein.

B. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen vorhanden sein:

(Anmerkung des Übersetzers: Die folgende Auflistung entspricht im englischen Original (bis auf allergeringste Abweichungen) wörtlich dem entsprechenden Text der DSM-IV.)

  1. hat ein grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit (übertreibt etwa Leistungen und Talente, erwartet ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden)
  2. ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe
  3. glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder hochgestellten Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen
  4. benötigt exzessive Bewunderung
  5. legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d. h. hat übertriebene Erwartungen auf eine besonders günstige Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen
  6. ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d. h. zieht Nutzen aus anderen, um eigene Ziele zu erreichen
  7. zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht bereit, die Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen / anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
  8. ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn / sie
  9. zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten

DSM-IV

(Übersetzung des entsprechenden englischen DSM-IV-Textes.[13])

Personen mit dieser Cluster-B-Persönlichkeitsstörung haben ein extremes Verständnis davon, wie wichtig sie sind. Sie fordern und erwarten von anderen bewundert und gelobt zu werden und können nur in beschränktem Umfang die Perspektiven anderer anerkennen.

Weitere Bedeutungsfacetten

Auf der kulturellen Ebene werden in einer narzisstischen Gesellschaft Werte des Eigennutzes propagiert unter Vernachlässigung von Werten des Gemeinnutzes. Die in dieser narzisstischen Kultur lebenden Menschen brauchen eine willentliche Entscheidung oder alternative Vorbilder, um nach Werten zu handeln, die nicht im Rahmen gesellschaftlich akzeptierter Verhaltensnormen und Werte liegen. Sie müssen dann oft auf Privilegien verzichten.

Auf der spirituellen Ebene ist ein Narziss ein Mensch, der den Kontakt zum Sein verloren hat. Dieser Mensch ist in seiner narzisstischen Persönlichkeitsstruktur wie in einem Gefängnis eingesperrt. Das Gefängnis wird jedoch oft erst dann offensichtlich, wenn die Sehnsucht nach dem „Sinn des Lebens“, nach dem „eigentlichen“ und nach dem „Glück“ nicht verstummen will.

Umgangssprachlich haften dem Wort „Narzissmus“ nur negative Bedeutungen an. Alice Miller sieht den Begriff hingegen als positive Eigenschaft, wie sie unter anderem in Das Drama des begabten Kindes erläutert. Narzisstisch zu sein ist für sie etwas Normales, Gesundes und bezeichnet jemanden, der seine Interessen verfolgen kann. Eine narzisstische Störung entsteht laut Miller, wenn ein Kind seine eigenen Gefühle und Interessen nicht artikulieren durfte und später dafür ein „Ventil“ braucht. Das äußert sich meistens in Depression und/oder Gefühlen der Großartigkeit, die aber nur zwei Seiten derselben Medaille darstellen.

Es ist dabei nicht immer einfach, produktive Formen des Narzissmus, die von Initiative und visionärem Tun geprägt sein können, von destruktiven zu unterscheiden, beispielsweise in Bereichen der Politik und Wirtschaft.[14]

Klassische Märchen mit Narzissmus-Inhalten

Märchen thematisieren regelmäßig narzisstische Grundfragen; neben dem „Spieglein, Spieglein an der Wand“ in Schneewittchen sei hier unter anderem auf die Märchen Aschenputtel sowie Der Eisenofen hingewiesen.

Philosophie

Vorbegriffliche Überlegungen zum Narzissmus finden sich in Platons Dialog Menon; dort vergleicht Menon den Sokrates mit einem Zitterrochen (narkê), der andere erstarren (narkao) macht.[15]

Siehe auch

Literatur

Psychologische Fachliteratur

  • Altmeyer, M.: Narzissmus und Objekt. Ein intersubjektives Verständnis der Selbstbezogenheit, 2. Aufl., Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-45872-X.
  • Dahl, G.: Primärer Narzissmus und inneres Objekt, in: PSYCHE 55, Stuttgart 2001
  • Johanna J. Danis: Narzissmus bei Mann und Frau, München 1996, 2. Aufl., ISBN 3-925350-67-5
  • Eilts, H. J.: Narzissmus und Selbstpsychologie. Zur Entwicklung der psychoanalistischen Abwehrlehre, edition diskord, Tübingen 1998, ISBN 3-89295-645-6.
  • Eissler, K. R.: Todestrieb, Ambivalenz, Narzissmus, Fischer, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-10568-4.
  • Freud, S.: Zur Einführung des Narzißmus, Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig [u.a.] 1924.
  • Grunberger, Béla: Vom Narzissmus zum Objekt, Psychosozial-Verlag, Gießen 2001, ISBN 3-89806-057-8.
  • Hartkamp, N., W. Wöller, M. Langenbach, J. Ott: Narzisstische Persönlichkeitsstörung in: W. Tress u. Mitarb. (Hg.): Persönlichkeitsstörungen. Leitlinie und Quellentext, Schattauer Verlag, Stuttgart [u.a.] 2002, ISBN 3-7945-2142-0.
  • Henseler, H.: Narzisstische Krisen. Zur Psychodynamik des Selbstmordes, 4., aktualisierte Aufl., Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000, ISBN 3-531-23058-1.
  • Johnson, Stephen M.: Der narzisstische Persönlichkeitsstil. Integratives Modell und therapeutische Praxis, 5. Aufl., EHP, Bergisch Gladbach 2005, ISBN 3-926176-16-4.
  • Kernberg, Otto F. (Hg.): Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie, Schattauer, Stuttgart [u.a.] 2005, ISBN 3-7945-2241-9.
  • Kernberg, Otto F.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus, 12. Aufl, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-28029-5.
  • Kernberg, Otto F. (Hg.): Narzisstische Persönlichkeitsstörungen, 2. korr. Nachdr., Schattauer Verlag, Stuttgart [u.a.], 2001, ISBN 3-7945-1692-3.
  • König, Karl: Kleine psychoanalytische Charakterkunde, 10. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, ISBN 978-3-525-01417-2.
  • Kohut, Heinz: Narzißmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen, 14. Nachdruck, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-518-27757-X.
  • Lasch, C.: Das Zeitalter des Narzissmus, Hoffmann und Campe, Hamburg 1995, ISBN 3-455-10325-1.
  • Neumann, E., H. W. Bierhoff: Ichbezogenheit versus Liebe in Paarbeziehungen, Zeitschrift für Sozialpsychologie 1 (2004) 33
  • Reich, Wilhelmn: Zwei narzisstische Typen (1922), in: Frühe Schriften I. Aus dem Jahre 1920 bis 1925, Fischer Verlag, Frankfurt 1977, ISBN 3-462-01228-2.
  • Renger, A. B. (Hg.): Narcissus. Ein Mythos von der Antike bis zum Cyberspace, Metzler Verlag, Stuttgart 2002 ISBN 3-476-01861-X.
  • Rosenfeld, H. A.: Zur Psychopathologie des Narzissmus. Ein klinischer Beitrag in: H. A. Rosenfeld: Zur Psychoanalyse psychotischer Zustände, Psychosozial-Verlag, Gießen 2002, ISBN 3-89806-119-1.
  • Röhr, Heinz-Peter: Narzissmus. Das innere Gefängnis, 8. Aufl., Walter-Verlag, Zürich [u.a.] 2005, ISBN 3-530-40059-9.
  • Roth, H. J.: Narzissmus. Selbstwerdung zwischen Destruktion und Produktivität, Juventa Verlag, Weinheim [u.a.] 1990, ISBN 3-7799-0821-2.
  • Sachse, Rainer: Histrionische und Narzisstische Persönlichkeitsstörungen, Hogrefe, Göttingen 2002, ISBN 3-8017-1446-2.
  • Symington, N.: Narzissmus. Neue Erkenntnisse zur Überwindung psychischer Störungen, 2. Aufl., Psychosozial Verlag, Gießen 2002, ISBN 3-932133-82-X.
  • Thielen, M. (Hg.): Narzissmus. Körperpsychotherapie zwischen Energie und Beziehung, Leutner Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-934391-13-3.
  • Vamik D. Volkan: Spektrum des Narzissmus. Eine klinische Studie des gesunden Narzissmus des narzißtisch-masochistischen Charakters, der narzißtischen Persönlichkeitsorganisation, des malignen Narzißmus und des erfolgreichen Narzißmus, 2. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen [u.a.] 2002, ISBN 3-525-45770-7.
  • Wahl, H.: Narzissmus? Von Freuds Narzissmus-Theorie zur Selbstpsychologie, Kohlhammer Verlag, Stuttgart [u.a.] 1985, ISBN 3-17-008841-6.
  • Wardetzki, B.: Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung, 21., überarb. Aufl., Kösel Verlag, München 2009, ISBN 978-3-466-30765-4.
  • Wirth, Hans-Jürgen: Narzissmus und Macht. Zur psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik, Psychosozial-Verlag, Gießen 2002, ISBN 3-89806-044-6.
  • Ziehe, T.: Pubertät und Narzissmus. Sind Jugendliche entpolitisiert?, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main [u.a.] 1975, ISBN 3-434-20089-4.

Literatur zum Mythos

  • Ovid: Metamorphosen, in der Übersetzung von Erich Rösch, München, 1980
  • Renger, Almut-Barbara (Hg.): Mythos Narziß, Reclam, Leipzig, 1999
  • Wieseler, Friedrich: Narkissos. Eine kunstmythologische Abhandlung nebst einem Anhang üder die Narcissen und ihre Beziehung im Leben, Mythos und Cultus der Griechen. Göttingen, 1856
  • Gemmel, Mirko: Überlegungen zum Spiegelmotiv im Narziss-Mythos, In: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaft. Heft 2/2004: Spiegel und Spiegelungen, S. 67-75

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Narzissmus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikiquote: Narzissmus – Zitate
 Commons: Narcissism – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Zur Entstehung und turbulenten Karriere des Begriffs vgl. die Polemik von K. Schlagmann: Narzissmus: Sprachverwirrung von babylonischem Ausmaß
  2. vgl. H. Ellis: Auto-erotism: A pychological Study (1898)
  3. Die wissenschaftliche Verwendbarkeit des Begriffs wird mittlerweile aufgrund seiner Vagheit gelegentlich in Frage gestellt. Vgl. hierzu K. Schlagmann, ebd.; Schlagmann beruft sich auf neuere Untersuchungen zur terminologischen Unschärfe des Narzissmus-Begriffs: „Zepf & Nitzschke, Wutke sowie Orlowsky & Orlowsky erheben – aus der breiten Übersicht der psychologischen Fachliteratur – gegen den Gebrauch des Begriffes Narzissmus schwerwiegende Einwände (...) Das Konzept des Narzissmus erweist sich als babylonisches Turmbau-Projekt mit einer gewaltigen Sprachverwirrung.“
  4. Nárkissos hat im Mythos eine auch tiefenpsychologisch auffällige Vorgeschichte. So ist Narcissus in der römischen Dichtung (vergleiche Ovid, Metamorphosen III, Vers 342 ff.[1]) die Frucht einer Vergewaltigung der Nymphe Leiriope durch den Flussgott Kephisos.
  5. Vgl. hierzu u. d. folgenden: Jean Laplanche/Jean-Bertrand Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt am Main 1984, Erster Band S. 317 ff.
  6. ebenda. Die psychoanalytische Theorie ist hier nicht einheitlich: Sie entwickelt mehr oder minder spekulative oder nachweisbare Modelle zur Deutung des Phänomens „Narzissmus“, das allerdings fixer Bestandteil ihrer Terminologie ist.
  7. Eveline List: Psychoanalyse: Geschichte, Theorien, Anwendungen 1 Aufl. 2009 S 107
  8. Psychiatrie der Charité, Narzissmus (PDF) Theodore Millon: Disorders of Personality, Chapter 11: Narcissistic Personality Disorders
  9. Dahl, Gerhard: Primärer Narzissmus und inneres Objekt. In: Psyche. 55, Stuttgart 2001, S. 577–628
  10. Die Jung’sche Schule setzt sich ab vom sexualgenetischen Ansatz Freuds. Neumann beschreibt die seelische Entwicklung im Wesentlichen als Herausbildung der Ich-Selbst Achse im Hinblick auf die sogenannte Zentroversion (erste Lebenshälfte, Entwicklung des Ich) und der Individuation (zweite Lebenshälfte, Selbstwerdung, Integration von Ich und Selbst im Sinne der Ganzheit der Persönlichkeit)
  11. Erich Neumann: Narzissmus, Automorphismus und Urbeziehung. Hgg. v. L. Müller u. G.M. Walch; opus magnum 2005 (Pdf, 167 Kb), S.4. Erstmals erschienen in: Studien zur Analytischen Psychologie C. G. Jungs I. Zürich: Rascher 1955
  12. The ICD-10 – Classification of Mental and Behavioural Disorders – Diagnostic criteria for research: Appendix 1: Provisional Criteria for Selected Disorders (Seite 211 im PDF-Dokument)
  13. DSM-IV & DSM-IV-TR: Narcissistic Personality Disorder (englisch)
  14. Vgl. Dammann, G.: Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage. Fallbeispiele und Lösungswege für eine wirksames Management. Haupt, Bern 2007.
  15. Vgl. Menon 13
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  • sekundärer Narzissmus — sekundärer Narzissmus,   Narzissmus …   Universal-Lexikon

  • Narzißmus — Narzissmus …   Deutsche Rechtschreibung Änderungen

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