Pohrt

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Wolfgang Pohrt (* 1945) ist ein Sozialwissenschaftler und Publizist. Er gilt trotz seiner Distanzierung als einer der Vordenker der sogenannten Antideutschen.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Pohrt studierte Soziologie, Psychologie, Politik und Volkswirtschaftslehre in Frankfurt am Main und Berlin. 1976 erschien seine Dissertation Theorie des Gebrauchswerts oder über die Vergänglichkeit der historischen Voraussetzungen, unter denen allein das Kapital Gebrauchswert setzt in der Frankfurter Syndikat Autoren- und Verlagsgesellschaft, mit der er an der Universität Bremen zum Dr. phil. promoviert wurde. Von 1974 bis 1980 war er Assistent am Lehrstuhl für Soziologie an der Hochschule Lüneburg.

Von 1980 bis 1987 arbeitete Wolfgang Pohrt als freier Publizist. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Beiträge für Rundfunksender (DLF, WDR, SFB, SWF, NDR) sowie Zeitungen und Zeitschriften (die tageszeitung, konkret, Frankfurter Rundschau, Die Zeit, Der Spiegel, Kursbuch, Die Wochenzeitung /Zürich, Express / Wien, Telos / St. Louis, USA, International Herald Tribune / Paris u.a.)

1988 bis 1990 war Pohrt nach Eigenaussage „bei einem kleinen gewerblichen Institut ... Universaltalent für Berichteschreiben, Datenauswertung, Fragebogenkonstruktion und vieles mehr“; dazu gehörten u. a. Umfragen in Großsiedlungen, bei Jugendlichen, Kindern und Ausländern.

Anschließend führte er 1990 bis 1994 im Auftrag der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur (1984 von Jan Philipp Reemtsma gegründet) als „gesellschaftstheoretisierender Privatier“ (Pohrt) ein Forschungsprojekt mit dem Titel Massenbewusstsein in der Umbruchsphase durch; methodisches Vorbild war The Authoritarian Personality von Theodor W. Adorno u.a. Die Ergebnisse dieser Forschungsbemühungen erschienen in drei Bänden: Der Weg zur inneren Einheit. Elemente des Massenbewußtseins BRD 1990 (Konkret Literatur Verlag 1991); Das Jahr danach. Ein Bericht über die Vorkriegszeit (Edition Tiamat 1992); Harte Zeiten. Neues vom Dauerzustand (Edition Tiamat 1994).

Von 1994 bis 1995 folgten Projektarbeit und Begleitforschungsorganisation (Multimedia, E-Commerce, Video-on-Demand) bei der Akademie für Technikfolgenabschätzung, Stuttgart. Von 1995 bis 1996 war er erneut bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur tätig; diesmal mit Forschungen zur Bandenbildung. Von 1998 bis 2000 war Pohrt innerhalb eines Projekts mit Umfragen unter Jugendhausbesuchern und Stichprobenerhebungen in einem größeren Stadtgebiet befasst.

Von 2000 bis 2002 betreute er an der Fachhochschule Ludwigsburg, einer Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen, Projekte zu Wissensmanagement, Content-Management und Unternehmenskultur. Zugleich hatte er einen Lehrauftrag an der Hochschule der Medien Stuttgart und beschäftigte sich mit Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung. Ab Anfang 2004 war Pohrt Betreiber der Ich-AG „Sozialwissenschaftlicher Service Dr. Wolfgang Pohrt“, die Umfragen, Evaluationen u. dergl. anbot. Diese Ich-AG wurde nach einiger Zeit wieder aufgelöst.

Pohrts Schriften, in denen oft provokante und extreme Positionen vertreten werden, zeichnen sich auch durch ihre rhetorische Brillanz aus.

Skandale & Kontroversen

Pohrt wandte sich früh gegen antisemitische und antiamerikanistische Tendenzen in der deutschen Linken. Dies ist zentrales Merkmal seiner Schriften der 1980er- und frühen 1990er-Jahre. Bereits mit dem Artikel Ein Volk, ein Reich, ein Frieden, der im Oktober 1981 in der Zeit erschien, kritisierte er den Antiamerikanismus der Friedensbewegung und bezeichnete sie polemisch als „deutschnationale Erweckungsbewegung“.

Den Bellizismus der Antideutschen bereitete er mit seiner Rede vom „Krieg als wirklichem Befreier und wahrem Sachwalter der Menschlichkeit“ vor, die er am 1. November 1983 im großen Saal der Berliner Akademie der Künste vor etwa tausend Zuhörern hielt.

Eine Anthologie über das Verhältnis der deutschen Linken zum Antisemitismus regte Pohrt an, als Alice Schwarzer den Journalisten Henryk M. Broder als „militanten Juden“ bezeichnete und den Mitarbeitern der Emma jeglichen Umgang mit Broder verbot. Die von Pohrt geplante Anthologie kam jedoch nicht zustande.

Kontroversen löste Pohrts Haltung zum Zweiten Golfkrieg 1991 aus. Damals plädierte er in einem Artikel der Zeitschrift konkret (3/91) dafür, dass Israel irakische Giftgasattacken gegebenenfalls mit der Atombombe beantworten solle.

Für erneute Kontroversen sorgte sein Auftritt am 30. September 2003, im Vorfeld des 13. Jahrestages der Deutschen Wiedervereinigung, auf einer Podiumsdiskussion zusammen mit Henryk M. Broder, zu der das Berliner Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus [1] geladen hatte. Dort vertrat Pohrt die Ansicht, dass die Gefahren von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland, wo türkische Jugendbanden von deutschen Kindern Eintrittsgelder für Spielplätze erpressten, "von allen Medienkonzernen und überhaupt allen einflussreichen Gruppen" aufgebauscht würden "mit dem Zweck, später unbehelligt die sogenannte Agenda 2010 durchziehen zu können, ein Programm zur Verelendung der Armen". Sein Resümee in dieser Frage lautete: „Menschen brauchen soziale Kontrolle, und für die Ausländer in Deutschland gibt es davon derzeit zu wenig.“ Auch die Renaissance eines aggressiven deutschen Nationalstaates wurde von Pohrt bestritten: die Deutschen wären dazu gar nicht in der Lage, da sie sich aufgrund ihrer Altersstruktur vielmehr um Rente und Zahnersatz kümmern müssten. Infolge der Diskussion seines Berliner Auftritts entstand Pohrts Buch FAQ, in dem er sich - inzwischen durch den wertabspaltungskritischen Theoretiker Robert Kurz als "antideutscher Turnvater" bezeichnet - von den Antideutschen distanziert. Nicht mehr Rassismus und Antisemitismus seien mittlerweile Common Sense, sondern deren Kritik. Die staatliche Förderung dieser Kritik diene dazu, die soziale Frage zu verschleiern.

Mit FAQ hat sich Pohrt quasi von der Publizistik verabschiedet.

Schriften

Eigenständige Schriften

  • Theorie des Gebrauchswerts. Über die Vergänglichkeit der historischen Voraussetzungen, unter denen allein das Kapital Gebrauchswert setzt, Frankfurt a. M: Syndikat, 1976, erweiterte Ausgabe Berlin: Edition Tiamat 1995. [2], [3], [4]
  • Ausverkauf. Von der Endlösung zu ihrer Alternative, Pamphlete u. Essays, Berlin: Rotbuch-Verlag, 1980. [5]
  • Endstation. Über die Wiedergeburt der Nation, Pamphlete und Essays. Berlin: Rotbuch, 1982.
  • Kreisverkehr, Wendepunkt. Über die Wechseljahre der Nation und die Linke im Widerstreit der Gefühle, Pamphlete und Glossen, Berlin: Edition Tiamat, 1984.
  • Stammesbewusstsein, Kulturnation. Pamphlete, Essays, Feuilleton, Berlin: Edition Tiamat, 1984.
  • Zeitgeist, Geisterzeit, Kommentare & Essays, Berlin: Edition Tiamat, 1986.
  • Ein Hauch von Nerz. Kommentare zur chronischen Krise, Berlin: Edition Tiamat, 1989
  • Der Geheimagent der Unzufriedenheit. Balzac. Rückblick auf die Moderne, Berlin: Edition Tiamat, 1984, erweiterte Ausgabe 1990.
  • Der Weg zur inneren Einheit. Elemente des Massenbewußtseins BRD 1990, Hamburg: Konkret-Literatur-Verlag, 1991.
  • Das Jahr danach. Ein Bericht über die Vorkriegszeit, Berlin: Edition Tiamat, 1992.
  • Harte Zeiten. Neues vom Dauerzustand, Berlin: Edition Tiamat, 1994.
  • Brothers in Crime. Die Menschen im Zeitalter ihrer Überflüssigkeit. Über die Herkunft von Gruppen, Cliquen, Banden, Rackets, Gangs, Berlin: Edition Tiamat, 1997, 2. Auflage Berlin 2000. [6]
  • FAQ, Berlin: Edition Tiamat 2004.[7]

Mitarbeit & Herausgeberschaft

  • Wolfgang Pohrt (Hg.), Wissenschaftspolitik ‒ von wem, für wen, wie. Prioritäten in der Forschungsplanung, München: Hanser 1974.
  • Klaus Bittermann (Hg.), Gemeinsam sind wir unausstehlich. Die Wiedervereinigung und ihre Folgen, Berlin: Edition Tiamat 1990.
  • Die alte Strassenverkehrsordnung. Dokumente d. RAF. Mit Beitr. von W. Pohrt, K. Hartung, G. Goettle, J. Bruhn, K. H. Roth, K. Bittermann, Berlin: Edition Tiamat 1986.

Literatur zu und über Wolfgang Pohrt

  • Kolja Lindner, „Rien ne va plus – Wolfgang Pohrts Theorie des Gebrauchswerts“, in: Geld – Wert – Kapital. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx’ ökonomischen Manuskripten 1857/58. Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung/Neue Folge 2007), Hamburg 2007 (Argument), S. 212-246.

Weblinks


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