Polycythaemia vera

Polycythaemia vera
Klassifikation nach ICD-10
D45 Polycythaemia vera
ICD-O 9950/3
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Die Polycythaemia vera (PV, auch Polycythämie oder Polyzythämie genannt) ist eine seltene myeloproliferative Erkrankung, bei der sich alle Zellen im Blut übermäßig vermehren. Bei der PV sind vor allem die Erythrozyten (rote Blutkörper) betroffen, aber auch in geringerem Maße die Thrombozyten (Blutblättchen) und Granulozyten.

Inhaltsverzeichnis

Wortbedeutung

Die griechisch-lateinischen Bestandteile des Namens Polycythaemia vera beschreibt ein Hauptmerkmal der Krankheit.

Poly (gr.) = viel, Cyt bzw. Zyt (lat.) = Zelle, haem(ie) (gr.) = Blut(krankheit). Also eine Blutkrankheit, die (zu)vielen Blutzellen hervorruft.

Der Zusatz vera (lat.) = wahr, tatsächlich weist darauf hin, dass der hohe Anteil an roten Blutkörperchen krankheitsbedingt ist. Hohe Hämatokritwerte können auch bei gesunden Menschen, beispielsweise bei einem Aufenthalt in Hochgebirgslagen gemessen werden.

Vorkommen

Die Inzidenz der PV liegt bei 1–2:100.000. Der Altersgipfel liegt zwischen der 5. und 6. Lebensdekade. Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Patienten beträgt 2:1.

Pathogenese (Krankheitsursachen), JAK2 V617F-Mutation

Das Krankheitsbild beruht auf einer noch nicht vollständig verstandenen Transformation multipotenter Stammzellen. 2005 wurde eine Mutation im JAK2-Gen (JAK steht für „Januskinase“), einer Tyrosinkinase, beschrieben.[1][2] Diese Mutation der genomischen DNA führt zu einem Aminosäure-Austausch (Valin gegen Phenylalanin) an Position 617 des JAK2-Proteins ("V617F-Mutation"). Das JAK2-Protein spielt eine wichtige Rolle bei der Signaltransduktion in der Zelle. Durch die Mutation wird es aktiviert, so dass betroffene Zellen dauerhaft eine gesteigerte Zellteilungsrate haben. Die V617F-Mutation findet man bei verschiedenen hämatologischen Erkrankungen, aber besonders häufig (in mehr als 50 %) bei der Polycythaemia vera. Die betroffenen blutbildenden Stammzellen sind von der Stimulation durch Erythropoetin (Epo) unabhängig, und zeigen eine hundertfach erhöhte Sensitivität auf Wachstumsfaktoren wie IGF-1 (Insuline-like Growth Factor 1) und IL-3 (Interleukin-3).

Klinische Symptome

Durch die erhöhte Anzahl der Thrombozyten, Granulozyten und Erythrozyten wird das Blut dickflüssiger. Es kann zu Durchblutungsstörungen kommen. Es besteht die Gefahr einer Thrombose und in der Folge Embolie, gleichzeitig aber auch Blutungsgefahr, weil die Thrombozyten funktionsgestört sind.

Die klinischen Symptome umfassen:

  • rotes Gesicht (Plethora), die Patienten haben ein "blühendes" Aussehen
  • blaurote Schleimhäute
  • gehäufte arterielle und venöse thromboembolische Ereignisse
  • trotz Thrombozytose ist die Blutungsneigung gesteigert
  • Hepatosplenomegalie (Vergrößerung von Leber und Milz)
  • Juckreiz besonders bei Wärme
  • Stechender Juckreiz nach Kontakt mit Wasser (Aquagener Pruritus)
  • Nachtschweiss [3]
  • "zähflüssiges" Blut kann führen zu:
    • arterieller Hypertonie (Bluthochdruck),
    • Kopfschmerzen,
    • TIA (Durchblutungsstörungen),
    • Sehstörungen,
    • Müdigkeit,
    • Herzinsuffizienz,
    • Dyspnoe (Atemnot)

Prognose

Die Krankheit kann in bis zu 10% langfristig in eine akute Leukämie oder eine Osteomyelofibrose übergehen.

Diagnostik, Diagnosekriterien der WHO

Die Vermehrung der Erythrozyten lässt sich im Labor durch Messung des Hämatokrit oder des Hämoglobins nachweisen. Auch Leukozyten und Thrombozyten sind im Blutbild meist vermehrt. Die Blutsenkung (BSG) ist dagegen verlangsamt, häufig sind Harnsäure und LDH im Serum erhöht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die in der folgenden Tabelle zusammengestellten Diagnosekriterien aufgestellt.[4]

WHO-Diagnosekriterien[4]
Kriterium Bedingungen
Major1 Hämoglobin > 18,5 g/dl / bzw. >16,5 g/dl bei Männern/Frauen oder
andere Evidenz für erhöhtes Volumen an Erythrozyten[5]
Major2 Nachweis der JAK2-Mutation oder
Nachweis von JAK2 Exon 12-Mutationen
Minor1 Knochenmarkbiopsie zeigt gemessen am Patientenalter Hyperzellularität mit Steigerung aller drei Reihen
Minor2 Erythropoietin-Spiegel im Serum unterhalb des Normalbereichs
Minor3 In vitro Bildung endogener erythroider Kolonien.

Die Diagnose einer PV kann gestellt werden,
wenn entweder:

  • beide Major-Kriterien und ein Minor-Kriterium erfüllt sind,

oder:

  • das erste Major-Kriterium und zwei Minor-Kriterien erfüllt sind.

Therapie

Regelmäßige Aderlässe sind häufig zur Reduktion der hohen Erythrocytenzahl notwendig, helfen aber nicht gegen die Thrombozyten- und Leukozytenvermehrung. Diese kann durch eine Chemotherapie beeinflusst werden. Diese zytostatische Therapie kann mit oralem Hydroxycarbamid oder subkutanem Interferon alpha erfolgen. Das Auftreten von Thrombosen und Embolien aufgrund der erhöhten Thrombozytenzahl kann durch Acetylsalicylsäure vermindert werden. [6] In der Erprobung sind weitere Medikamente wie Anagrelid. Als weitere therapeutische Maßnahme findet die Apherese Anwendung. Über dieses „Blutwäscheverfahren“ werden die überzähligen Blutbestandteile „herausgefiltert“. Des Weiteren kann die Gabe von Allopurinol wegen eines erhöhten Harnsäureanfalls (besonders während der zytoreduktiven Therapie) zur Prophylaxe eines Gichtanfalls oder einer Uratnephropathie indiziert sein.

Als Alternative bei älteren Patienten gilt die Radiophosphortherapie.

Quellenangaben

  1. Kralovics R, Passamonti F, Buser AS, et al. A gain-of-function mutation of JAK2 in myeloproliferative disorders. N Engl J Med 2005;352:1779-1790. Artikel
  2. James C, Ugo V, Le Couedic JP, et al. A unique clonal JAK2 mutation leading to constitutive signalling causes polycythaemia vera. Nature 2005;434:1144-1148 Artikel
  3. MPD-Netzwerk - Häufige Fragen zu PV
  4. a b Thiele J, Kvasnicka HM: The 2008 WHO diagnostic criteria for polycythemia vera, essential thrombocythemia, and primary myelofibrosis. Current Hematologic Malignancy Reports, Volume 4(1) / Januar 2009 Volltext
  5. entweder: Hämoglobin oder Hämatokrit > 99. Perzentile des jeweiligen Referenzbereichs (unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Höhenlage des Ortes);
    oder: Hämoglobin > 17 g/dL bei Männern, > 15 g/dL bei Frauen, wenn dies mit einem dokumentierten und anhaltenden Anstieg um mindestens 2 g/dL von einem individuellen Normalwert verbunden ist, der nicht auf die Korrektur einer Eisenmangelanämie zurückgeführt werden kann;
    oder: erhöhte Erythrozytenmenge > 25% über dem mittleren Normalwert.
  6. Landolfi R, Marchioli R, Kutti J et al. Efficacy and safety of low-dose aspirin in polycythemia vera. N Engl J Med 2004; 350: 114-24 PMID 14711910

Literatur

Weblinks

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