Reinhardskirche

Reinhardskirche
Turm der Reinhardskirche in Bad Nauheim
Pfarrkirche Burg-Gräfenrode
Reinhardskirche Hanau-Kesselstadt
Pfarrkirche „Zur Himmelspforte, Ober-Eschbach
Rodheim

Reinhardskirchen sind in der Grafschaft Hanau-Münzenberg des 17. und 18. Jahrhunderts errichtete lutherische Kirchengebäude.

Ihre Entstehung ist in der evangelischen Bikonfessionalität der Grafschaft Hanau-Münzenberg begründet. Diese bestand seit der Mitte des 17. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Kirchenpolitische Voraussetzungen

Die Grafen der Linie Hanau-Münzenberg waren seit dem Ende des 16. Jahrhunderts reformiert. Gemäß dem Grundsatz des Jus reformandi war deshalb auch die gesamte Grafschaft reformierten Bekenntnisses. Am 12. Januar 1642 starb Graf Johann Ernst, der letzte männliche Vertreter der Linie Hanau-Münzenberg. Nächster männlicher Verwandter war der lutherische Graf Friedrich Casimir von Hanau-Lichtenberg. Dessen Regierungsantritt war nicht unproblematisch. Um sich die dafür erforderliche Unterstützung der reformierten, finanzkräftigen, bürgerlichen Führungsschicht der Residenzstadt Hanau zu sichern, blieb dem Vormund des Grafen, Freiherr Georg II. von Fleckenstein-Dagstuhl, nichts anderes übrig, als nach zehntägigen Verhandlungen die seitens der Bürgerschaft gestellten Forderungen zu gewähren. Vorrangig ging es dabei um die Garantie des konfessionellen, reformierten Status quo. Lutherischer Gottesdienst blieb zunächst auf die Kapelle des gräflichen Schlosses beschränkt.

Trotz dieser Zusicherung gegenüber der reformierten Bevölkerungsmehrheit verfolgte Friedrich Casimir eine expansive, pro-lutherische Politik. Schon bald bildeten sich lutherische Gemeinden in der Grafschaft, insbesondere durch lutherisches Hofpersonal und Spitzenbeamte. Auch gab es wohl – trotz calvinistischer Reformation – Reste lutherischer Bevölkerung, die für Gottesdiensts das benachbarte lutherische „Ausland“ aufsuchten (Freie Stadt Frankfurt, Grafschaft Isenburg). Bereits 1658 konnte eine Lutherische Kirche in der Altstadt Hanau – mit erheblicher finanzieller Hilfe des lutherischen Auslands – errichtet werden. Das führte zunächst zu Konflikten zwischen dem eingesessenen, reformierten Establishment und den Lutheranern. So kam es 1670 zum so genannten Religionshauptrezeß. Dieser schrieb die Gleichberechtigung der beiden evangelischen Konfessionen fest und gab jeder eine eigene Kirchenverwaltung. Der Konflikt beruhigte sich in einem Zeitraum von mehr als 50 Jahren. In der Grafschaft Hanau-Münzenberg existierten von nun an zwei selbständige Landeskirchen. Jede unterhielt ihre eigenen Einrichtungen, wie Konsistorium, Kirchengebäude, Personal, Friedhöfe und Schulen. Das Abkommen von 1670 wurde für 150 Jahre zu einer dauerhaften und festen Grundlage des Bikonfessionalismus in der Grafschaft.

Bau der Kirchen

Unter der Regierung der Grafen Philipp Reinhard (1680-1712) und Johann Reinhard III. (1712 – 1736) – die wirtschaftliche Depression in der Folge des Dreißigjährigen Krieges war überwunden – bauten die lutherischen Gemeinden in der ganzen Grafschaft eigene Kirchen und Schulen. In diesen Orten gab es nun jeweils eine „Reformierte Kirche“ und eine „Lutherische Kirche“.

Lutherische Kirchengebäude entstanden in

Hanauer Union

Todesstoß dieser Bikonfessionalität war die durch die napoleonischen Kriege ausgelöste wirtschaftliche und finanzielle Krise. Nach den napoleonischen Kriegen rechtfertigte der weitgehend geschwundene Gegensatz zwischen Reformierten und Lutheranern in einer solch relativ kleinen Einheit wie die Grafschaft Hanau-Münzenberg die kirchliche Doppelstruktur nicht mehr. So kam es im Jahr 1818 zur Hanauer Union der beiden protestantischen Kirchen.

Eine praktische Konsequenz der Union war, dass die bis dahin konfessionelle Bezeichnung der Kirchengebäude geändert werden musste. Dafür wählte man in der Regel die Namen verstorbener Dynasten. Die Hauptkirche in der Altstadt von Hanau, nachreformatorisch die Hochdeutsch reformierte Kirche, erhielt den Namen Marienkirche nach Landgräfin Maria von Hessen-Kassel. Die ehemals lutherische Kirche in Hanau erhielt die Bezeichnung Johanneskirche nach dem Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen, der einst deren Grundstein gelegt hatte. In zahlreichen Orten der Grafschaft Hanau wurden die ehemals lutherischen Kirchen, die unter den Grafen Philipp Reinhard und Johann Reinhard III. gebaut worden waren, jetzt nach ihnen benannt: „Reinhardskirchen“.[30]

Die generalisierende Benennung als Reinhardskirche kam zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf und wurde auch nicht für alle entsprechenden Kirchen angewandt, so dass einige auch eine andere Bezeichnung tragen.

Folgende Kirchen wurden nach der Hanauer Union explizit als Reinhardskirchen bezeichnet:

Literatur

  • Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – Hessen II. Regierungsbezirk Darmstadt. (Bearb.: Folkhard Cremer u.a.), 3. Aufl., München 2008.
  • Reinhard Dietrich: Die Landesverfassung in dem Hanauischen = Hanauer Geschichtsblätter 34. Hanau 1996. ISBN 3-9801933-6-5
  • Caroline Grottker: Lutherische Kirchen in der Grafschaft Hanau-Münzenberg unter Graf Johann Reinhard III. (1712-1736) [unveröffentlichte Magisterarbeit am Fachbereich Philologie und Kunstwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main]. Frankfurt 1984.
  • K. Henß: Das Gebiet der Hanauer Union. In: Die Hanauer Union = Festschrift zur Jahrhundertfeier der evangelisch-unierten Kirchengemeinschaft im Konsistorialbezirk Cassel am 28. Mai 1918. Hanau 1918.
  • Julius Martiny: Die Hanauer Union seit 1818. In: Marienkirche Hanau. Festschrift 1984, Hanau 1984, S. 61 – 67.
  • Günter Rauch: Die „Hanauer Union“ zwischen Reformierten und Lutheranern 1818. In: Stadtzeit (1998). Geschichtsmagazin anlässlich des Jubiläums 150 Jahre Revolution und Turnerbewegung Hanau 1848 – 1998, S. 28f.
  • Inge Wolf: Christian Ludwig Hermann. Baudirektor am Hanauer Hof. In: Hanauer Geschichtsblätter 30 (1988), S. 451 u. Anm. 33.
  • Ernst J. Zimmermann: Hanau Stadt und Land. 3. Auflage. Hanau 1919, ND 1978.

Einzelnachweise

  1. Grottker, S. 30-35.
  2. Henß, S. 72, nennt das Jahr 1729.
  3. Grottker, S. 72-76.
  4. Grottker, S. 26-29.
  5. Henß, S. 72.
  6. Dehio, S. 77.
  7. Grottker, S. 57-60.
  8. Henß, S. 72.
  9. Grottker, S. 14f.
  10. Grottker, S. 48-51.
  11. Henß, S. 72.
  12. Grottker, S. 11-13.
  13. Grottker, S. 52-56.
  14. Henß, S. 72.
  15. Sara Wagner: Glaubensstreit in Ginnheim. In: Evangelisches Frankfurt 1/2011, S. 10.
  16. Grottker, S. 15-20.
  17. Henß, S. 72.
  18. Grottker, S. 67-71.
  19. Grottker, S. 61-66.
  20. Henß, S. 72, gibt das Jahr 1731 an.
  21. Grottker, S. 46f.
  22. Henß, S. 72, nennt das Jahr 1732.
  23. Grottker, S. 77-83.
  24. Henß, S. 72.
  25. Henß, S. 72.
  26. Grottker, S. 36-45.
  27. Henß, S. 73.
  28. Grottker, S. 21-25.
  29. Henß, S. 72.
  30. Das Patrozinium leitet sich also nicht von dem Heiligen Reginhard von Lüttich ab, wie in einer Vorversion dieses Artikels behauptet.

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