Bayerisches Viertel

Bayerisches Viertel
Bayerisches Viertel, Häuserzeile
Der Bayerische Platz, im Hintergrund der U-Bahnhof
Denkmal für die zerstörte Synagoge

Das Bayerische Viertel liegt im Berliner Ortsteil Schöneberg. Es liegt rund um den Bayerischen Platz zwischen Hohenstaufen- und Badenscher Straße nahe dem westlichen Stadtzentrum. Es wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet und zählt zu einer der bevorzugten Wohnlagen Berlins.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Berlinische Boden-Gesellschaft (BBG) unter ihrem Mitbegründer Salomon Haberland errichtete das Viertel zwischen 1900 und 1914 für ein großbürgerliches Publikum. Finanzstarke Bevölkerungsschichten sollten gewonnen werden, um mehr Steuereinnahmen für die damals selbstständige und kreisfreie Stadt Schöneberg zu erzielen.

Das Bayerische Viertel, 1935 (Ausschnitt)

Elegante Fassaden, bis zu 250 m² große Wohnungen mit Empfangsräumen, Vorgärten, grüne Schmuckplätze und ein eigener U-Bahnhof der heutigen Linie U4 prägten das Viertel. Zahlreiche Straßen erhielten die Namen bayrischer Städte. Die Planung der Häuser besorgten Architekten, die sich auf den süddeutschen Renaissancestil, die „Alt-Nürnberger Bauweise“, verstanden. Die Gebäude bekamen verzierte Türmchen, gestufte Giebel und Sprossenfenster.

Die Bewohner des Viertels waren Ärzte, Rechtsanwälte, gehobene und höhere Beamte, Künstler und Intellektuelle. Zu ihnen zählten Albert Einstein, Alfred Kerr, Arno Holz, Eduard Bernstein, Erich Fromm, Gottfried Benn, Emanuel Lasker, Kurt Pinthus, Rudolf Breitscheid, Erwin Piscator und Inge Deutschkron. Marcel Reich-Ranicki und Gisèle Freund wuchsen dort auf.

Das Viertel war ein Anziehungspunkt für jüdische Bürger. In der Münchener Straße errichteten sie 1909 eine orthodoxe Synagoge mit Kinderhort, Schulräumen und einer Bibliothek. Die evangelische Kirche zum Heilsbronnen an der Heilbronner Straße entstand erst drei Jahre später. Nach 1933 emigrierten viele jüdische Einwohner des Viertels aus Deutschland. Das Werner-Siemens-Realgymnasium in der Hohenstaufenstraße, dessen Schüler zur Hälfte aus jüdischen Familien stammten, musste 1934 die Oberstufe wegen Schülermangels schließen und wurde 1935 aufgelöst. Der Holocaust verheerte den Stadtteil auf seine Weise: Von etwa 16.000 jüdischen Bewohnern des Bayerischen Viertels wurden 1943 rund 6.000 in nationalsozialistische Vernichtungslager deportiert.

In den Nächten vom 1. zum 2. März 1943 und vom 22. zum 23. November 1943 zerstörten alliierte Bombardements und anschließende Feuer das Viertel zu rund 75 Prozent. Der U-Bahnhof Bayerischer Platz wurde im Februar 1945 von einer Fliegerbombe getroffen. Vor allem nördlich der Grunewaldstraße klafften große Lücken. Zwischen 1955 und 1959 wurden sie im Zuge des Berliner Aufbauprogramms durch vierstöckige Neubauten geschlossen, die historische Blockbebauung dabei aufgebrochen. Die schwer beschädigte Synagoge in der Münchener Straße wurde 1956 abgerissen. In den 1960er Jahren wurde, wie überall in West-Berlin, dem Zeitgeist folgend historischer Fassadenschmuck bei Renovierungen entfernt. Später renovierte alte Gebäude sind denkmalpflegerisch wiederhergestellt worden.

Orte des Erinnerns

Erinnern an erzwungene Vornamen (Namensänderungsverordnung)

Zum Gedenken an die von den Nationalsozialisten ermordeten jüdischen Einwohner realisierten die Künstler Renata Stih und Frieder Schnock im Jahr 1993 im Auftrag des Senats von Berlin das flächendeckende Denkmal unter dem Titel Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel: Ausgrenzung und Entrechtung, Vertreibung, Deportation und Ermordung von Berliner Juden in den Jahren 1933 bis 1945. Es besteht aus 80 an Straßenbeleuchtungsmasten befestigten Doppelschildern (Bild- und Textseite), drei Übersichtsplänen mit Karten des Viertels aus dem Jahr 1933 und 1993 (aufgestellt am Bayerischen Platz, an der Schule in der Münchener Straße und vor dem Rathaus Schöneberg) und einer Begleitpublikation mit eingelegtem Faltplan. Die Tafeln zeigen auf der einen Seite Bilder, Symbole oder Piktogramme, auf der anderen Seite Auszüge aus nationalsozialistischen Gesetzes- und Verordnungstexten, die die Entrechtung der Juden in Deutschland markierten.[1]

Im Rathaus Schöneberg – am südlichen Rand des Bayerischen Viertels – ist seit 2005 die Ausstellung Wir waren Nachbarn – Biographien jüdischer Zeitzeugen zu sehen, ein wichtiger Gedenkort in Berlin. Veranstaltet vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg versammelt sie 136 Familien-Alben (Stand: 2011) über ehemalige jüdische Nachbarn aus dem Bayerischen Viertel und dem gesamten Bezirk. Die Ausstellung vermittelt anschaulich eine Vorstellung vom Leben in Berlin vor 1933 und von der schrittweisen Ausgrenzung und Entrechtung, Vertreibung, Deportation und Ermordung Berliner Juden. Das Bayerische Viertel wird hier zu einem exemplarischen Ort im Bezirk und im kollektiven Gedächtnis der Stadt.[2][3]

Literatur

  • Orte des Erinnerns: Band 1, Das Denkmal im Bayerischen Viertel, Kunstamt Schöneberg, Schöneberg Museum in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz (Hrsg.), Berlin 1994, Edition Hentrich, ISBN 3-89468-146-2
  • Orte des Erinnerns: Band 2, Jüdisches Alltagsleben im Bayerischen Viertel, Kunstamt Schöneberg, Schöneberg Museum in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz (Hrsg.), Berlin 1995, Edition Hentrich, ISBN 3-89468-147-0
  • Wir waren Nachbarn – Biographien jüdischer Zeitzeugen. Eine Ausstellung in der Berliner Erinnerungslandschaft, frag doch! Verein für Begegnung und Erinnerung (Hrsg.), mit einer Videodokumentation auf Mini-DVD, Berlin 2008, ISBN 978-3-938485-73-6
  • Renata Stih, Frieder Schnock: Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel, Berlin 2002, Haude + Spenersche Verlagsbuchhandlung, ISBN 3-7759-0473-5
  • Gudrun Blankenburg: Das Bayerische Viertel in Berlin-Schöneberg. Leben in einem Geschichtsbuch. Berlin 2010. Hendrik Bäßler Verlag. ISBN 978-3-930388-60-8

Weblinks

 Commons: Bayerisches Viertel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Remembrance in Schöneberg (engl.)
  2. Wir waren Nachbarn auf berlin.de vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg veröffentlicht
  3. Website zur Ausstellung Wir waren Nachbarn – Biographien jüdischer Zeitzeugen vom Haus am Kleistpark, Kunstamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin
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