Évariste Galois

Évariste Galois
Évariste Galois

Évariste Galois (* 25. Oktober 1811 in Bourg-la-Reine; † 31. Mai 1832 in Paris) war ein französischer Mathematiker. Er starb im Alter von nur 20 Jahren bei einem Duell, erlangte allerdings durch seine Arbeiten zur Lösung algebraischer Gleichungen, der so genannten Galoistheorie, postum Anerkennung.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Galois besuchte das College Louis-le-Grand, scheiterte zweimal an der Aufnahmeprüfung zur École polytechnique und begann ein Studium an der École normale supérieure. Mit 17 Jahren veröffentlichte er eine erste Arbeit über Kettenbrüche; wenig später reichte er bei der Académie des Sciences eine Arbeit über die Gleichungsauflösung ein, die den Kern der heute nach ihm benannten Galoistheorie enthielt. Die Akademie lehnte das Manuskript ab, ermutigte Galois aber, eine verbesserte und erweiterte Fassung einzureichen. Dieser Vorgang wiederholte sich zweimal unter Beteiligung von Augustin Louis Cauchy, Jean Baptiste Joseph Fourier und Siméon Denis Poisson. Galois reagierte verbittert, beschuldigte die Akademie, Manuskripte veruntreut zu haben und beschloss, sein Werk auf eigene Kosten drucken zu lassen.

Als Republikaner war Galois vom Ausgang der Julirevolution enttäuscht und exponierte sich politisch zunehmend; er wurde von seiner Hochschule verwiesen und zweimal verhaftet. Der ersten Verhaftung wegen eines bei einem Bankett mit dem blanken Messer in der Hand ausgebrachten Trinkspruchs auf den neuen König Louis Philippe folgte am 15. Juni 1831 ein Freispruch. Nur einen Monat später nahm Galois in der Uniform der wegen politischer Unzuverlässigkeit inzwischen aufgelösten Artillerie-Garde und schwer bewaffnet an einer Demonstration zum 14. Juli teil, wurde erneut verhaftet und nach dreimonatiger Untersuchungshaft zu sechs Monaten Haft im Gefängnis Sainte-Pélagie verurteilt. Im März 1832 wurde er wegen einer Cholera-Epidemie mit anderen Häftlingen ins Sanatorium Sieur Faultrier verlegt. Am 29. April wurde er aus der Haft entlassen.

Am Morgen des 30. Mai 1832 erlitt Galois bei einem Pistolenduell in der Nähe des Sieur Faultrier einen Bauchdurchschuss, wurde von seinem Gegner und seinem eigenen Sekundanten allein zurückgelassen, Stunden später von einem Bauern aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht, wo er Tags darauf „in den Armen“ seines Bruders Alfred starb. Der Duellgegner war ein republikanischer Gesinnungsgenosse, Perschin d’Herbinville, und nicht, wie gelegentlich vorgebracht (Leopold Infeld „Wen die Götter lieben“), ein agent provocateur der Regierung. Der Anlass für das Duell war ein Mädchen, Stéphanie-Félicie Poterine du Motel, die Tochter eines am Sieur Faultrier tätigen Arztes. Mit ihr tauschte Galois nach seiner Entlassung aus dem Sanatorium Briefe aus und ihr Name findet sich auf seinem letzten Manuskript, sie scheint sich aber von ihm distanziert zu haben.

Trotzdem halten sich hartnäckig Stimmen, die sagen, das Duell sei inszeniert gewesen, da Galois kaum Interesse an Stéphanie hatte und sein Gegner ein bekannter Schütze war, ja es wurde sogar behauptet, er hätte sich in diesem Duell für die republikanische Sache geopfert. Andere Einschätzungen sprechen von inszeniertem Selbstmord aufgrund seiner unglücklichen Liebe. Solche Duelle „um der Ehre willen“ waren andererseits damals ziemlich häufig.

In der Nacht vor seinem Duell schrieb er einen Brief an seinen Freund Auguste Chevalier, in dem er diesem die Bedeutung seiner mathematischen Entdeckungen ans Herz legte und ihn bat, seine Manuskripte Carl Friedrich Gauß und Carl Gustav Jacob Jacobi vorzulegen; außerdem fügte er Randbemerkungen wie „je n’ai pas le temps“ (mir fehlt die Zeit) in seine Schriften ein. Chevalier schrieb Galois' Arbeiten ab und brachte sie unter den Mathematikern seiner Zeit in Umlauf, u. a. auch an Gauß und Jacobi, von denen aber keine Reaktion bekannt ist. Die Bedeutung der Schriften erkannte erst 1843 Joseph Liouville, der den Zusammenhang mit Augustin Louis Cauchys Theorie der Permutationen sah und sie in seinem Journal veröffentlichte.

Werk

Galois begründete die heute nach ihm benannte Galoistheorie, die sich mit der Auflösung algebraischer Gleichungen, d. h. mit der Faktorisierung von Polynomen befasst. Das damalige Grundproblem der Algebra umfasste die allgemeine Lösung algebraischer Gleichungen mit Radikalen (d. h. Wurzeln im Sinne von Potenzen mit gebrochenen Exponenten), wie sie für Gleichungen zweiten, dritten und vierten Grades schon länger bekannt waren. Galois erkannte die dahinter stehenden Konstruktionen der Gruppentheorie, nachdem schon Niels Henrik Abel bewiesen hatte, dass eine allgemeine polynomiale Gleichung von höherem Grad als 4 im Allgemeinen nicht durch Radikale aufgelöst werden kann. Galois untersuchte Gruppen von Vertauschungen der Nullstellen des Gleichungspolynoms (auch Wurzeln genannt), insbesondere die sogenannte Galoissche Gruppe G, deren Definition bei Galois noch ziemlich kompliziert war. In heutiger Sprache ist das die Gruppe der Automorphismen des Erweiterungskörpers L über dem Grundkörper, der durch Adjunktion aller Nullstellen definiert ist. Galois erkannte, dass sich die Untergruppen von G und die Unterkörper von L bijektiv entsprechen.

Man zeigt dann zum Beispiel, dass im Falle der allgemeinen Gleichung 5. Grades für die zugehörige Gruppe – die Symmetrische Gruppe S5 der Permutationen von 5 Objekten – keine Kompositionsreihe einer Kette von Normalteilern mit zyklischen Faktorgruppen existiert, die den Automorphismengruppen der durch Adjunktion von Wurzeln gebildeten Zwischenkörpern entsprechen. S5 ist keine auflösbare Gruppe, da sie als echten Normalteiler nur die einfache Untergruppe A5 enthält, die alternierende Gruppe der geraden Permutationen von 5 Objekten.[1] Das verallgemeinert sich in dem Satz, dass für n > 4 die Symmetrische Gruppe (Sn) einen Normalteiler besitzt, der nichtzyklisch und „einfach“ ist, d. h. ohne nichttriviale Normalteiler. Daraus folgt die allgemeine Nichtauflösbarkeit von Gleichungen höheren als 4. Grades durch Radikale.

Wegen dieser von ihm gefundenen Begriffe und Sätze ist Galois einer der Begründer der Gruppentheorie. In Anerkennung seiner grundlegenden Arbeit wurden die mathematischen Strukturen Galoiskörper, Galoisverbindung und Galoiskohomologie nach ihm benannt. Wie anderen, besonders berühmten Mathematikern ist auch ihm ein Symbol gewidmet: GF(q) steht für Galois Field (endlicher Körper) mit q Elementen und ist in der Literatur so etabliert wie etwa Gaußklammer oder Kroneckersymbol.

Er lieferte damit auch die Grundlagen für Beweise der allgemeinen Unlösbarkeit von zwei der drei klassischen Probleme der antiken Mathematik, der Dreiteilung des Winkels und der Verdoppelung des Würfels (jeweils mit Zirkel und Lineal, also mit Quadratwurzeln und linearen Gleichungen).[2] Diese Beweise können jedoch auch einfacher, also ohne Galoistheorie, geführt werden. Das dritte Problem, die Quadratur des Kreises, wurde durch den Beweis der Transzendenz von π durch Ferdinand Lindemann ad acta gelegt.

In dem Brief an Auguste Chevalier deutet Galois auch Arbeiten über elliptische Funktionen an.

Schriften

  • Analyse algébrique. Démonstration d’un théorème sur les fractions continues périodiques, Annales de Mathématiques pures et appliquées 19, 1828–1829, S. 294–301
  • Jules Tannery (Hrsg.): Manuscrits de Évariste Galois, Gauthier-Villars, Paris 1908 (bei der University of Michigan: französisch)
  • Robert Bourgne, Jean-Pierre Azra (Hrsg.): Écrits et mémoires mathématiques d’Évariste Galois. Édition critique intégrale de ses manuscrits et publications. Gauthiers-Villars, Paris 1962 (französisch)
  • Œuvres mathématiques publiées en 1846 dans le Journal de Liouville, Jacques Gabay, 1989 (bei Gallica: Faksimile)

Übersetzungen

Literatur

  • Paul Dupuy: La vie d’Évariste Galois, Annales scientifiques de l’École Normale Supérieure 3e série, 13, 1896, S. 197–266
  • Joseph Bertrand: Sur „La vie d’Évariste Galois“ par Paul Dupuy, Journal des savants, Juli 1899, S. 389–400 (bei Gallica: französisch)
  • George Sarton: Evariste Galois, The Scientific Monthly 13, 1921, S. 363–375, wieder in George Sarton: The Life of Science. Essays in the History of Civilization. Indiana University Press, Bloomington 1960, S. 83–100 und mehrfache weitere Wiederabdrucke (im Internet-Archiv: Digitalisat)
  • Felix Klein: Abschnitte Galois und Die Galoissche Theorie in Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert, Julius Springer, Berlin 1926, S. 88–93 (Reprint: Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 1979, ISBN 3-540-09234-X)
  • Louis Kollros: Évariste Galois. Birkhäuser, Basel 1948. (= Elemente der Mathematik. Supplemente; 7.)
  • René Taton: Les relations d’Évariste Galois avec les mathématiciens de son temps. Revue d’histoire des sciences et de leurs applications 1(1), 1947, S. 114–130 (französisch)
  • René Taton: Evariste Galois and his contemporaries, Bulletin London Mathematical Society, Bd.15, 1983, S.107-118 (Vorlesung vor der LMS 1982)
  • René Taton: Sur les relations scientifiques d’Augustin Cauchy et d’Évariste Galois. Revue d’histoire des sciences et de leurs applications 24(2), 1971, S. 123–148 (französisch)
  • B. Melvin Kiernan: The Development of Galois theory from Lagrange to Artin, Archive for History of Exact Sciences 8, 1971, S. 40–154
  • René Taton: Évariste Galois. In: Dictionary of Scientific Biography, Band 5, New York 1972, S. 259–265
  • Tony Rothman: Genius and biographers: the fictionalization of Évariste Galois, American Mathematical Monthly 89, 1982, S. 84–106 (auf Rothmans Homepage, oder bei der MAA)
  • Jacques Tits: Evariste Galois, Comptes Rendus de l’Académie des sciences Paris 295, Suppl. 12, 1982, S. 171
  • René Taton: Évariste Galois and his Contemporaries. Bulletin of the London Mathematical Society 15(2), 1983, S. 107–118
  • René Taton: Évariste Galois et ses biographes. De l’histoire aux légendes. In: Un parcours en histoire des mathématiques. Travaux et recherches. Nantes 1993, S. 155–172
  • Laura Toti Rigatelli: Evariste Galois, Birkhäuser, Boston 1996, ISBN 3-7643-5410-0

Weblinks

 Wikisource: Évariste Galois – Quellen und Volltexte (Französisch)

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. S2, S3 und S4 sind dagegen auflösbar
  2. Die ersten Beweise für die Unlösbarkeit beider Probleme gaben im 19. Jahrhundert Pierre Wantzel und Charles-François Sturm.

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