Geschichte der Schuhindustrie in Pirmasens

Geschichte der Schuhindustrie in Pirmasens
Das Foto zeigt den "Silbernen Schuh" als Kunstwerk am Ortseingang von Pirmasens aus Richtung Rodalben kommend.

Die Geschichte der Schuhindustrie in Pirmasens beschreibt die Entwicklung der Stadt Pirmasens am Westrand des Pfälzerwaldes von einer Garnisonsstadt zum Zentrum der deutschen Schuhindustrie, den Abstieg der Schuhmetropole sowie die heutige Situation der Schuhindustrie in Pirmasens. Ausgangspunkt war nach dem Tod des Landgrafen Ludwig IX. 1790 die Auflösung der Garnison und Entlassung der Soldaten, die mit einer Fertigung einfacher Schuhe begannen. Ab etwa 1800 wurden zunächst kleinere Manufakturen, später auch die ersten Schuhfabriken gegründet. Seit Ende der 1960er Jahre verschwanden die meisten der über 300 Schuhfirmen und es überlebten bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts etwa 30 Betriebe.

Inhaltsverzeichnis

Ausgangssituation

Hauptartikel: Schuh

Der Mensch benutzt seit etwa 40.000 Jahren - seit dem mittleren Paläolithikum - die Fußbekleidung Schuh. Seit circa 27.000 Jahren wurden diese auch in Teilen Europas häufiger verwendet. Dabei entstanden die ersten Typen aus Fellen ohne feste Schuhsohle. Waren in der Antike einfache Sandalen noch die gebräuchlichsten Schuhe, so begann etwa im 4. Jahrhundert der Stiefel aus gegerbtem Leder - als erster geschlossender Schuh, der den Männern vorbehalten war - aus dem Orient nach Europa einzuwandern.[1] Etwa ab dem 12. Jahrhundert traten die ersten Schuhe mit Absätzen auf, wahrscheinlich erfunden von Reitervölkern zur Verbesserung des Halts in den Steigbügeln. Diese Schuhe wurden zuerst in Persien aus Espartogras hergestellt.[2] Seit dem Mittelalter trat eine zunehmende Diversifizierung in Modelle für verschiedene Berufs- oder Bevölkerungsgruppen, wie etwa den Bundschuh, den Haferlschuh, Trippen oder den Stiefeln für Soldaten oder Arbeiter mit einem zusätzlichen mechanischen oder thermischen Schutz auf. Dabei wurden bis zum 18. Jahrhundert alle Schuhe in Handarbeit ohne maschinelle Hilfe von Schuhmachern oder Schustern in Kleinstbetrieben hergestellt.

Die Soldaten in Pirmasens als Schuhmacher

Der Sold eines einfachen Soldaten zur Zeit des Landgrafen Ludwig IX. reichte gerade zum Decken der Grundbedürfnisse. Ludwig erlaubte seinen Grenadieren das Erlernen eines einfachen Handwerks, wobei viele sich zum Schumacher ausbilden ließen. Da Leder jedoch teuer war, konnten die Soldatenschuster keine neuen Lederschuhe herstellen, sondern lediglich ihre eigenen Stiefel sowie die Schuhe der Pirmasenser bei Beschädigungen reparieren.

Aufbau und Blüte

Als nach dem Tod des Landgrafen Ludwig IX. im Jahre 1790 die Pirmasenser Garnison aufgelöst wurde, waren 2400 in Pirmasens lebende Grenadiere und deren Familien ohne Beschäftigung. Aus der Not heraus fertigten sie aus Resten der Uniformen Schlabbe, einfache Schuhe. Die Familien zogen umher, um die gefertigten Schuhe zu verkaufen, während die Männer zuhause neue herstellten. Mit der Zeit erwarben sich die in Pirmasens hergestellten Schuhe einen guten Ruf und es entwickelte sich eine beachtliche Schuhindustrie. Da zur Herstellung der Schuhe Leder und Werkzeug, später Maschinen, Klebstoffe und Farben benötigt wurden, musste für diese Waren eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden.

Die zunehmende Industrialisierung im 19. Jahrhundert begünstigte den Aufbau von Großbetrieben; aus kleinen Familienbetrieben entstanden Schuhfabriken wie Neuffer, Rheinberger und die noch existierende Firma Peter Kaiser. Auch in der näheren Umgebung, wie z. B. in Waldfischbach oder Hauenstein entwickelten sich Großbetriebe wie Mattill und Josef Seibel.

Im Jahr 1914 existierten in der Stadt Pirmasens 240 Schuhfabriken mit 14.000 Beschäftigten.[3] Als nach dem Zweiten Weltkrieg ein Großteil der Innenstadt nach zwei Luftangriffen zerstört war, wurden die Fabriken wieder aufgebaut und teilweise vergrößert. 1970 arbeiteten 22.000 Menschen in der Schuhindustrie.[4]

Niedergang und heutige Situation

In den Jahren nach 1970 wurde die Produktion vieler Firmen ins Ausland verlagert, während die Modell-Entwicklung und Verwaltung in Pirmasens verblieb. Nach und nach jedoch mussten immer mehr Betriebe schließen, da die Produktion zunächst in Deutschland und später auch in Ländern wie Spanien und Portugal oder in Osteuropa durch die große Entfernung nicht mehr rentabel war.

Derzeit arbeiten noch etwa 1200 Personen für Schuhbetriebe, davon allein 500 bei Peter Kaiser. Auch der größte Arbeitgeber in der Stadt, die 1897 gegründete Firma Kömmerling (profine GmbH) entstand als Zulieferbetrieb für die Schuhindustrie. Eine der ehemaligen Schuhfabriken wurde in einen Gewerbepark Neuffer am Park umgewandelt; in einer weiteren (Bleiching) ist seit vielen Jahren ein Teil des Finanzamts untergebracht. Bei der ehemals größten Schuhfabrik Europas, Rheinberger, war der Umbauprozess zum Dienstleistungszentrum und Science-Center Dynamikum 2008 abgeschlossen.[5][6]

Kritischer Rückblick

Die Bezeichnung Deutsche Schuhmetropole stammt aus der Blütezeit der Schuhindustrie. Obwohl der Namenszusatz bisher nicht aberkannt wurde, erscheint er inzwischen überholt, da durch die Abwanderung der meisten Firmen der Arbeitsmarkt der Stadt nicht mehr von der Schuhindustrie dominiert wird. Existierten auf dem Höhepunkt der Schuhindustrie rund 300 Betriebe, ist heute noch ungefähr ein Zehntel davon in Pirmasens ansässig, ebenso das deutsche Schuhhandelszentrum. Ansonsten erinnern die Deutsche Schuhfachschule, das Schuhmuseum im städtischen Rathaus und das Dampfmaschinendenkmal an die Deutsche Schuhmetropole.

Ein Blick hinter die Kulissen bringt ans Tageslicht, dass die Arbeitsbedingungen in den Schuhbetrieben schlecht waren und die Entlohnung vieler Schuharbeiter im Niedriglohnsektor lag, da für die meisten Arbeitsplätze keine Berufsausbildung notwendig war. Um die Existenz der Familie zu sichern, mussten auch die meisten Ehefrauen in den Schuhfabriken arbeiten. In der Regel wurde im Akkord gearbeitet, was die Menschen teilweise sehr belastete. Wenn die vorgegebene Stückzahl nicht erreicht wurde, musste der Rest in Heimarbeit bewältigt werden. Wie in anderen Industriebereichen führte dies bei einem Teil der Beschäftigten zu Verkrüppelungen, Rundrücken und niedriger Lebenserwartung. Im Gegensatz dazu gelang es den Besitzern vieler Schuhfirmen, Millionäre zu werden.

Daran hat sich nur wenig geändert. Die gesundheitlichen Belastungen sind zwar nicht mehr so gravierend, aber immer noch vorhanden. Nach wie vor liegt die Entlohnung der ungelernten Beschäftigten auf niedrigem Niveau. Die zunehmende Technisierung in den weiter bestehenden Schuhfabriken hat jedoch dazu geführt, dass ein größerer Anteil der Mitarbeiter eine Ausbildung absolviert, eine Fachschule besucht oder studiert hat und damit auch besser bezahlt wird.

Nachweise und Literatur

Einzelnachweise

  1. LRP.DE : Auf leisen Sohlen die Zukunft einholen (PDF), Lebendiges Rheinland-Pfalz, Heft III-IV, 2004, ISSN 0934-9294, S. 4
  2. John R. McCulloch, C. F. E. Richter: Handbuch für Kaufleute. 3. Auflage, Cotta-Verlag, 1837, S. 356
  3. Wer-zu-wem: Peter Kaiser
  4. LRP.DE : Auf leisen Sohlen die Zukunft einholen, Lebendiges Rheinland-Pfalz, Heft III-IV, 2004, ISSN 0934-9294
  5. GIU Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung mbH: Projektblatt
  6. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Stadtumbau West

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