Rationalismus (Architektur)

Rationalismus (Architektur)

Der Rationalismus ist eine architektonische Stilbewegung der späten 1920er-Jahre, der sich durch eine Rationalisierung im Sinne einer Abstraktion durch Reduktion von architektonischen Grundelementen sowie dem bewussten Einsatz, damals revolutionärer Baumaterialien wie Eisenbeton, Stahl und Glas auszeichnet. Der Rationalismus wurde nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich von norditalienischen Architekten (unter anderen Giuseppe Terragni bzw. der Gruppo 7) entwickelt. Er versteht sich als revolutionäre Haltung gegenüber den akademischen Stilen, die u. a. an den Universitäten und Akademien gelehrt wurden (Historismus, Neoklassizismus, Eklektizismus, Nuovecento). Der sogenannte razionalismo kann allgemein auch als Teilbewegung der architektonischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstanden werden.

Ein architektonischer Grundtyp des Rationalismus ist der Skelettbau, ohne vorgehängte dekorierte Fassade mit einer Vierkantpfeilerarkade im Erdgeschoss bzw. über großzügige Treppen erreichbarem Hochparterre, regelmäßiger Fenstergliederung im statischen Raster oder in einer Lochfassade ausgebildet und orthogonaler Stahl -oder Aluminiumprofilrahmenunterteilung der Fensterscheiben. Oft wurden die Sichtbetonfassaden trotz hohen Abstraktionsanspruchs dennoch bemalt, verputzt oder mit Natursteinplatten (u. a. Travertin) verkleidet.

Inhaltsverzeichnis

Ziel der Rationalisten

Ziel der Bewegung war die Modernisierung der italienischen Architektur durch eine Rationalisierung, das heißt den Verzicht auf applizierte Ornamentik, die Reduktion der Grundrissdisposition mit Hilfe der Vereinfachung auf architektonische Grundtypen (auch mit Bezug auf Bautypen der römischen und griechischen Antike und Renaissance: Tempel, Basilika, Rundbau, Kuppel, sowie deren Stilelemente wie beispielsweise der Arkade)). Ein Zitieren historischer Architekturstile im Sinne eines Eklektizismus wurde aber bewusst abgelehnt. So wurden Archetypen durch einen Abstraktionsprozess rationalisiert und den gegenwärtigen bautechnischen Bedingungen angepasst. So wurde beispielsweise der Typus der römischen Arkade auf einen orthogonalen Säulengang mit kapitelllosen Vierkantpfeilern reduziert. Oder Pilaster, die in ihrer Anwendung tragende oder nichttragende Funktion erfüllen können, wurden bewusst als tragende Elemente ausgebildet und nicht als ornamentale Applikation eines Gebäudeteils, um der von den Rationalisten geforderten Funktionserfüllung der Architektur gerecht zu werden.

Manifest der Gruppe 7

Die wesentlichen Punkte des Razionalismo wurden in den 4 note im Manifest der Gruppo 7[1], die sich aus sieben Abgängern des Mailänder Polytechnikums zusammensetzt, schriftlich festgehalten. Dazu zählen: Gino Pollini, Giuseppe Terragni, Adalberto Libera, Luigi Figini, Sebastiano Larco, Carlo Enrico Rava und Guido Frette.

Die 4 Teile des Manifests wurden Etappenweise nacheinander verfasst:

  • Teil 1 (Architettura) im Dezember 1926,
  • Teil 2 (Gli Stranieri) im Februar 1927,
  • Teil 3 (Impreparazione incomperensione prediudizi) im März 1927,
  • Teil 4 (Una nuova epoca arcaica) im Mai 1935.

Zitate

Die neue Architektur, die wahre Architektur muss aus einer engen Verbindung mit der Logik und der Rationalität resultieren. Wir haben keinen Anspruch auf die Schaffung eines neuen Stils, sondern wir bedienen uns stets der Rationalität. [...] Die Schönheit entsteht dabei durch die Veredelung des noch nicht als edel erscheinenden, der abstrakten Perfektion eines reinen Rhythmus sowie der simplen Konstruktion, die alleine keine Schönheit beinhalten würde. [...] Der Wunsch nach Aufrichtigkeit, der Wunsch nach Ordnung und Logik und vor allem die Klarheit, das sind die wirklichen Eigenschaften dieses neuen Geistes (Rassegna Italiana, 1926)

Frühe wichtige Bauten (Auswahl)

  • Giuseppe Terragni: Casa del Fascio, Como, 1932–1936
  • Giuseppe Terragni: Nuovocomum, Wohnungsbau in Como, 1927–1936
  • Giovanni Michelucci: Santa Maria Novella, Hauptbahnhof in Florenz, 1932–1935
  • Gino Pollini und Luigi Figini: Casa Elettrica, Monza, 1930

Literatur

  • Pfammatter, Ueli: Moderne und Macht; 'Razionalismo'; Italienische Architekten 1927-1942; Braunschweig: Vieweg Verlag 1990
  • Danesi, Silvia / Patetta, Luciano: Il Razionalismo e l'architettura in Italia durante il fascismo, Venedig 1976
  • Terry Kirk: The Architecture of Modern Italy, Vol. 2: Visions of Utopia, New York, 2005

Einzelnachweise

  1. Ueli Pfammatter, ‚Razionalismo’: Italienische Architekten 1927–1942, Braunschweig / Wiesbaden 1990, „Architektur und eine neue Epoche der Klassik – Die vier Schriften des Gruppo 7“, S. 164ff.

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