Damon und Phintias

Damon und Phintias

Damon und Phintias sind die Helden einer antiken Erzählung aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., in der die Freundschaft und Treue der beiden verherrlicht wird. Schauplatz ist die Stadt Syrakus. Trotz der legendenhaften Ausschmückung der Geschichte ist davon auszugehen, dass es sich um historische Personen handelt und dass die Erzählung einen historischen Kern hat. Der Stoff wurde bis in die Moderne verschiedentlich literarisch verwertet.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die beiden waren Pythagoreer, gehörten also der Gemeinschaft an, die der Philosoph Pythagoras von Samos im 6. Jahrhundert in Unteritalien gegründet hatte. Bei den Pythagoreern wurde auf Freundschaft (philía) großer Wert gelegt. Darunter verstand man insbesondere unbedingtes gegenseitiges Vertrauen und vorbehaltlose Solidarität in Notlagen. Bekannt war der Spruch koiná ta tōn phílōn, der besagte, dass das Gut der Freunde ein gemeinsames Gut sei, also der eine mit seinem Besitz für den anderen einstehe.[1] Über die Umsetzung dieses Grundsatzes im Leben der Pythagoreer kursierten einige Anekdoten, von denen die Geschichte von Damon und Phintias die weitaus bekannteste war und ist.

Von der Erzählung sind mehrere Fassungen überliefert. Eine stammt von dem Philosophen Aristoxenos,[2] der ein Zeitgenosse von Damon und Phintias war, eine andere von dem Geschichtsschreiber Diodor (1. Jahrhundert v. Chr.).[3]

Darstellung des Aristoxenos

Als in Syrakus der Tyrann Dionysios II. herrschte, unterhielten sich seine Höflinge über die legendäre Freundestreue der Pythagoreer, die sie für Angeberei hielten, und spotteten darüber. Daraufhin beschloss der Tyrann, die Pythagoreer auf die Probe zu stellen. Er ließ Phintias kommen, beschuldigte ihn vor den Höflingen, an einem Komplott beteiligt zu sein, und verurteilte ihn umgehend zum Tode. Phintias nahm das Urteil gleichmütig hin und erbat nur die Erlaubnis, vor der Hinrichtung seine persönlichen Angelegenheiten in Freiheit zu regeln. Dionysios stimmte unter der Bedingung zu, dass Phintias’ Freund Damon mit seinem Leben für die Rückkehr des Verurteilten am selben Tag vor Sonnenuntergang haftete. Die Höflinge verspotteten Damon und sagten ihm voraus, Phintias werde fliehen, und er – Damon – müsse dann den Tod erleiden. Kurz vor Sonnenuntergang kehrte Phintias jedoch zurück. Dies beeindruckte den Tyrannen so stark, dass er die beiden bat, in ihren Freundschaftsbund aufgenommen zu werden, was sie aber ablehnten.

Darstellung Diodors

Im Unterschied zu Aristoxenos berichtet Diodor, dass Phintias dem Herrscher tatsächlich nach dem Leben trachtete und deswegen verhaftet und verurteilt wurde. Den weiteren Verlauf schildert Diodor ähnlich wie Aristoxenos. In seiner Version war Phintias kurz vor dem festgesetzten Zeitpunkt noch nicht zurückgekehrt. Eine Menschenmenge lief zusammen, und Damon wurde zur Hinrichtung geführt. Erst im letzten Augenblick traf Phintias ein. Darauf begnadigte ihn der Tyrann und bat um Aufnahme in den Freundschaftsbund. Wie die Freunde darauf reagierten, lässt Diodor offen.

Historischer Kern

In der Forschung ist strittig, welche der beiden Versionen glaubwürdiger ist. Der Zeitgenosse Aristoxenos behauptete, der Tyrann Dionysios selbst, der nach seinem Sturz in Korinth lebte, habe ihm die Geschichte erzählt. Dabei muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass Dionysios seine eigene Rolle verharmloste. Diodor lebte zwar viel später, im 1. Jahrhundert v. Chr., stammte aber aus Sizilien und kannte vielleicht eine dortige Überlieferung. Gegen seine Darstellung spricht allerdings der Umstand, dass es kaum plausibel ist, dass Dionysios einem Mann, der ihm kurz zuvor nach dem Leben getrachtet hatte, seine Freundschaft antrug.[4]

Neben den Schilderungen von Aristoxenos und Diodor gab es in der Antike noch spätere Fassungen der Geschichte, die jedoch für die Ermittlung des historischen Verlaufs ohne Bedeutung sind.

Rezeption

Cicero war der erste lateinisch schreibende Autor, der die Erzählung aufgriff und in etwas abgewandelter Form knapp zusammenfasste, wobei er nicht Dionysios II., sondern dessen Vater Dionysios I. von Syrakus als den beteiligten Tyrannen bezeichnete.[5] Valerius Maximus, der unbekannte Autor der Fabulae Hygini und der Rhetor Polyaen, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte, folgten – mit einigen Abweichungen – der Version Diodors, indem sie von einem ernst gemeinten Todesurteil ausgingen. Sie dehnten den zeitlichen Rahmen von ursprünglich einem Tag auf mehrere Tage bzw. sechs Monate (Polyaen) aus. Der Autor der Fabulae Hygini und Polyaen gaben an, der Verurteilte habe noch auswärts die Hochzeit seiner Schwester arrangieren wollen und zu diesem Zweck den Aufschub der Hinrichtung erlangt. In den Fabulae Hygini wird als vorgesehene Hinrichtungsart die Kreuzigung bezeichnet und als Grund für die späte Rückkehr ein Gewitter genannt, das einen Fluss, der überquert werden musste, anschwellen ließ.

Später nahmen zwei Kirchenväter, Lactantius und Ambrosius von Mailand, auf die Erzählung Bezug.[6]

Im Spätmittelalter fand die Erzählung erneut Interesse. Jacobus de Voragine nahm sie – der Darstellung des Ambrosius folgend – in seine Legenda aurea auf. Jacobus de Cessolis gab sie in seinem Buch über die allegorische und moralische Deutung des Schachspiels wieder, wobei er sich an die Version des Valerius Maximus hielt. Dieser Fassung folgte auch Vinzenz von Beauvais in seinem enzyklopädischen Werk Speculum maius.[7] Der Verfasser der Gesta Romanorum machte aus Damon und Phintias zwei Räuber und Mörder, von denen einer gefasst und zu Recht verurteilt wurde; der andere verbürgte sich für ihn, und am Schluss erfolgte die Begnadigung.[8]

Der englische Schriftsteller Richard Edwards schrieb im Jahr 1564 eine Tragikomödie Damon and Pithias, die 1571 veröffentlicht wurde.[9] Friedrich Schiller folgte in seiner 1798 verfassten Ballade Die Bürgschaft der Version der Fabulae Hygini und fügte noch weitere dramatische Elemente in den Ablauf ein. Bei ihm war infolge einer Namensvertauschung Damon der Attentäter.

Literatur

  • Ernst Gegenschatz: Die 'pythagoreische Bürgschaft' – zur Geschichte eines Motivs von Aristoxenos bis Schiller, in: Begegnungen mit Altem und Neuem, hg. Peter Neukam, München 1981, S. 90-154

Weblinks

Anmerkungen

  1. Bartel Leendert van der Waerden: Die Pythagoreer, Zürich – München 1979, S. 175-180; Johan C. Thom: “Harmonious Equality“: The Topos of Friendship in Neopythagorean Writings, in: Greco-Roman Perspectives on Friendship, hg. John T. Fitzgerald, Atlanta 1997, S. 77-103.
  2. Überliefert durch Iamblichos von Chalkis, De vita Pythagorica 233-236, und Porphyrios, Vita Pythagorae 59-61.
  3. Diodor 10.4.2-6.
  4. Kurt von Fritz: Pythagorean Politics in Southern Italy, New York 1940, S. 21-25; Walter Burkert: Weisheit und Wissenschaft, Nürnberg 1962, S. 93 Anm. 36; Gegenschatz S. 108-112.
  5. Die Cicero-Stellen hat Gegenschatz S. 117-119 zusammengestellt und erörtert.
  6. Ihre Äußerungen zitiert und bespricht Gegenschatz S. 124-133.
  7. Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale 4.26 und Speculum doctrinale 6.84.
  8. Gesta Romanorum Kapitel 108.
  9. Online-Text von „Damon and Pithias“

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