Dehnen von Piercings

Dehnen von Piercings
Dehnen eines Lobe-Piercings

Das Dehnen von Piercings (auch Stretching) bezeichnet die beabsichtigte Vergrößerung des Stichkanals eines Piercings, um Piercingschmuck mit größerem Durchmesser tragen zu können.

Meist wird diese Praxis beim gepiercten Ohrläppchen durchgeführt, grundsätzlich kann jedoch jedes Piercing auf einen gewissen Durchmesser erweitert werden. Knorpelpiercings sind gewöhnlich schwieriger zu dehnen und können dabei Wulstnarben bilden, wenn sie zu schnell gedehnt werden. Problematisch ist auch das Weiten von Oberflächenpiercings, da diese einer starken Spannung ausgesetzt sind. Um den Stichkanal nicht zu verletzen, wird er üblicherweise in kleinen Schritten gedehnt. [1]

Inhaltsverzeichnis

Methoden

Mit Skalpell auf 10 mm geschnittenes Piercing. Vorher und nachher

Zur Vergrößerung eines Piercings gibt es verschiedene Methoden unterschiedlichen Ursprungs und für verschiedene Zwecke. Das einfache Dehnen des Stichkanals erfordert dabei meist etwas Geduld, da das Gewebe zwischen den einzelnen Schritten einige Wochen benötigt, um sich zu lockern und bei weiterer Vergrößerung nicht einzureißen. Der gedehnte Stichkanal bildet sich nach Herausnehmen des Schmucks jedoch nach einiger Zeit wieder um einige Millimeter zurück. Das Einschneiden des Kanals dagegen ist schmerzhafter und kann nur durch einen weiteren chirurgischen Eingriff wieder rückgängig gemacht werden.

Eine weitere Methode der Körpermodifikation, um größeren Schmuck tragen zu können, ist das sogenannte Dermal Punching, wobei kein bereits vorhandener Stichkanal vergrößert, sondern ein entsprechend großes Loch direkt herausgestanzt wird. Meist wird diese Methode in der Ohrmuschel bevorzugt, da sich Knorpelgewebe nur sehr schlecht dehnen lässt. Zudem verläuft der Heilungsprozess in der Regel zügiger, da weniger Druck auf den Schmuck entsteht[2].

Verwendung eines Dehnungsstiftes

Dehnungsstifte in Millimetern

Dies ist die verbreitetste Technik um Piercings zu dehnen. Dabei wird ein konisch verlaufender Dehnungsstift (Taper) verwendet, der zuvor mit Gleitgel bestrichen und vorsichtig in den Stichkanal eingeführt wird. Der Schmuck mit größerem Durchmesser wird anschließend am Ende des Dehnungsstiftes angesetzt und hinterhergeschoben. Alternativ kann auch eine kreisförmige Dehnungssichel verwendet werden. Die Dehnungsstifte sind in verschiedenen Größen erhältlich und werden über das größere Ende definiert und haben dort eine Hohlstelle um den einzuführenden Schmuck besser ansetzen zu können. Meist sind sie aus Edelstahl oder Acryl gefertigt. Die Länge der Dehnungsstifte variiert zwischen fünf und zehn Zentimeter.

Verwendung anderer Hilfsmittel

Verschiedene Objekte können zum Dehnen verwendet werden.

Neben kommerziell hergestellten und vertriebenen Dehnungsstiften können prinzipiell verschiedenste Gegenstände zum Dehnen verwendet werden. Entweder handelt es sich um konische Objekte, die zum Ende hin breiter werden und eine glatte Oberfläche aufweisen oder es werden verschiedene kleinere Objekte neben einander verwendet. Beim eigenhändigen Dehnen von Piercings werden oft einfache Stricknadeln oder Kugelschreiber verwendet. Hierbei ist besonders auf Hygiene und unverkratzte Materialien zu achten. Wie auch bei Dehnungsstiften ist die Verwendung von Gleitmittel wie Vaseline oder Öl ratsam.

Verwendung von Teflon-Band

Teflon hat die Eigenschaften, dass es sehr glatt und verträglich ist. Hierbei wird der Schmuck herausgenommen und eine dünne Schicht von nicht-klebendem Teflonband um das Piercing gewickelt. Anschließend wird der Schmuck wieder eingesetzt und der Prozess wiederholt sobald sich das Piercing an den größeren Durchmesser angepasst hat. Handelsübliches Teflonband ist ca. 0,1 mm dick. Um die empfohlene Dehnungsrate von 1mm je Monat zu erreichen wird alle 6 Tage je eine neue Schicht Teflonband um den Schmuck gewickelt.

Verwendung von Gewichten

Mit Gewichten gedehnte Ohrläppchen

Großer, schwerer Piercingschmuck oder andere schwere Objekte können zum Dehnen verwendet werden. Diese Methode wird nur selten angewandt, da sie sehr unkomfortabel ist und das Piercing zum Wandern bringen kann. Besonders am Ohr führt diese Methode zu einer dauerhaften Verdünnung des Gewebes.Dennoch handelt es sich hierbei um die traditionelle Methode verschiedener Volksstämme wie den Dayak in Borneo, die extreme Formen der Ohrlochvergrößerung praktizieren.

Ohne Verwendung von Hilfsmitteln

Der Schmuck kann auch ohne Verwendung von Hilfsmitteln durch das vorhandene Piercing gedrückt werden, was allerdings oft zu Blutungen, Entzündungen oder Vernarbung führt und das weitere Dehnen erschwert. Auch kann der gesamte Stichkanal bei unvorsichtiger Anwendung herausgestülpt werden.
Manche Piercings dehnen sich auch selbstständig durch das einfache Tragen von Schmuck, wodurch größere Durchmesser problemlos eingesetzt werden können. Oft passiert dies an Stellen an denen das Piercing viel in Bewegung ist oder bei regelmäßigem Spielen (wie z. B. beim Zungenpiercing).

Schneiden

Bei dieser Methode wird der Stichkanal nicht wie üblich gedehnt, sondern unter Verwendung eines Skalpells aufgeschnitten um den Durchmesser zu erweitern. Häufig wird dieser Eingriff angewandt um das Piercing schnell auf einen größeren Durchmesser zu bringen und besonders große Fleischtunnel oder Earplugs einsetzen zu können. Auch kann die Position eines größeren Piercings damit leicht versetzt werden.

Verwendung von Skalpell und Dehnungsstift

Auch wird gelegentlich eine besonders schmerzhafte Methode angewandt, bei der das Gewebe erst eingeschnitten und anschließend mit einem Dehnungstift auf einen größeren Durchmesser gedehnt wird.

Maße

Der Schmuck wird in Europa in Millimetern gemessen. In den USA dagegen in Gauge beginnend bei 20 g bis zu 0000g. Größere Durchmesser werden in Zoll (Inch) angegeben.

Die folgende Tabelle zeigt die üblichen Maße der erhältlichen Schmuckstücke.

Millimeter Gauge Zoll
1,0 mm 18 g 5/127″
1,2 mm 16 g 3/64″
1,6 mm 14 g 1/16″
2,0 mm 12 g 5/64″
2,4 mm 10 g 3/32″
3,2 mm 8 g 1/8″
4,0 mm 6 g 5/32″
5,0 mm 4 g 3/16″
6,0 mm 2 g 1/4″
Millimeter Gauge Zoll
8,0 mm 0 g 5/16″
10,0 mm 00 g 3/8″
11,0 mm 000 g 7/16″
12,7mm 0000 g 1/2″
14,0 mm 9/16″
16,0 mm 5/8″
19,0 mm 3/4″
22,0 mm 7/8″
25,0 mm 1″

Schmuck

Spiralen dienen als Schmuck, wobei das Piercing gleichzeitig gedehnt wird

Für geweitete Piercings gibt es eine große Auswahl an einsetzbarem Piercingschmuck. Sobald das gedehnte Piercing abgeheilt ist, können auch Materialien eingesetzt werden, in denen Schmuck in geringeren Durchmessern nicht erhältlich ist. Neben einfachen Ball Closure Rings und Barbells in größeren Materialstärken, können beispielsweise im Septum-Piercing spezielle Septum Tusks getragen werden.

Im Ohr wird meist ein Plug oder ein durchschaubarer Fleischtunnel getragen. Erhältlich ist der Schmuck in verschiedenen Materialien wie Stein, Holz, Horn, Silikon, Bernstein oder Glas. Da viele Materialien wie Holz oder Horn besser atmen, als dies bei Metall oder Kunststoff der Fall ist, kommt es hierbei zu weniger Talgbildung.

Vergleichbar zu Tunneln existieren sogenannte Plugs, die sich dadurch unterscheiden, dass sie in der Mitte nicht hohl sind. Auch diese können aus unterschiedlichen Materialien gefertigt sein und bilden oft ein Motiv oder Muster ab.

Darüber hinaus existiert auch Schmuck, der auch zum Dehnen verwendet wird. Oftmals in Form von Spiralen kann er in regelmäßigen zeitlichen Abständen weitergeschoben werden, wodurch das Piercing gedehnt wird.

Um den Effekt eines größeren Schmuckstücks zu erzielen, ohne das Piercing zuvor auf eine entsprechende Stärke weiten zu müssen, können spezielle Anfertigungen, sogenannte Fake-Plugs getragen werden, die mit Hilfe eines dünnen Steges in zwei Teile auseinander genommen und durch ein gewöhnliches Ohrloch mit kleinem Stichkanal gesteckt werden können. So entsteht die Illusion eines durchgängigen Schmucks mit massiver Materialstärke.

Beispiele für gedehnte Piercings

Üblicherweise findet das Dehnen bei einem Piercing des Ohrläppchens statt. Allerdings können auch Piercings in anderen Körperregionen gedehnt werden. Voraussetzung dafür ist lediglich, dass genügend Gewebematerial zwischen der Hautoberfläche und dem Stichkanal vorliegt, da sonst ein Dehnen zum Herauswachsen des Piercings führen kann.

Heilung und Pflege

Die meisten Dehnungsmethoden hinterlassen keine Wunde und ordnungsgemäß durchgeführte Vergrößerungen müssen anschließend nicht verheilen, sondern brauchen lediglich eine „Ruhepause“ bevor sie weiter geweitet werden. Soweit es die Elastizität und Beschaffenheit des Gewebes erlauben, können Piercings auf sehr große Durchmesser gebracht werden. Je größer und länger ein Piercing gedehnt wurde, desto geringer verkleinert sich der Durchmesser nach dem Herausnehmen des Schmucks, was jedoch auch individuell vom Alter und Gewebe des Trägers abhängig ist. Schnell gedehnte Kanäle schließen sich in der Regel geringfügiger als langsam gedehnte Kanäle. Übermäßig oder unsachgemäß gedehnte Piercings können irreparable Schäden verursachen. Dabei kann es zu Narbenbildung kommen. Vernarbtes Gewebe ist schwieriger zu dehnen. Besonders bei größeren Durchmessern sollten sowohl das Schmuckstück als auch der Stichkanal regelmäßig gereinigt werden, da es zu erhöhter Talgablagerung und Geruchsbildung kommen kann.

Probleme/Gefahren

Besonders bei neu gedehnten Piercings ist die Haut oft dünner und durchlässiger für Bakterien, wodurch ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Bei gedehntem Zungenpiercing kann der massivere Schmuck Zahnschäden verursachen. Bei einem zu großen Stichkanal kann das Sprechen aufgrund der Luftzirkulation massiv beeinflusst werden. Zu stark gedehntes Bindegewebe und besonders beim Dehnen entstandene Deformationen von Knorpelgewebe sind meist irreparabel, weswegen der Dehnungsprozess nicht zu schnell vollzogen werden darf. Gewebeschäden entstehen meist als Resultat zu großer einzelner Dehnungsschritte.

Geschichte und Kultur

Tutanchamun mit gedehntem Ohrläppchen

Gedehnte Piercings sind wahrscheinlich so alt wie Piercings selber. Alle modernen Dehnungsmethoden wurden bereits von indigenen Kulturen angewandt.

Aus der Bildhauerkunst ist bekannt, dass besonders in Asien gedehnte Ohrlöcher bereits vor tausenden von Jahren üblich waren, und viele afrikanische und südamerikanische Volksstämme nutzen diese Form des Körperschmucks noch heute, wobei unter anderem die Lippen auf zum Teil enorme Größen gedehnt werden.

Heutzutage hat die moderne Form des Körperschmucks diese alte Technik erneut populär gemacht und ist in zahlreichen Jugend- und Subkulturen zu finden. Diese Entwicklung wurde besonders von der Bewegung der Modern Primitives vorangetrieben.

Einzelnachweise

  1. Elayne Angel: The Piercing Bible: The Definitive Guide to Safe Body Piercing, Crossing Press, ISBN:1580911935
  2. Ear Lobe Stretching FAQ

Weblinks

 Commons: Dehnen von Piercings – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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