Emil Lederer

Emil Lederer

Emil Lederer (* 22. Juli 1882 in Pilsen; † 29. Mai 1939 in New York) war ein böhmisch-österreichischer Ökonom und Soziologe. Er gilt als bedeutender deutschsprachiger Sozialwissenschaftler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Lederer wurde 1882 als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er studierte mit anderen Kommilitonen, wie Ludwig von Mises, Josef Schumpeter, Felix Somary, Otto Bauer und Rudolf Hilferding, Rechtswissenschaften und Nationalökonomie an der Universität Wien bei renommierten Lehrern wie Heinrich Lammasch, Theodor Inama von Sternegg, Franz von Juraschek, Carl Menger, Friedrich von Wieser, Eugen von Böhm-Bawerk und Eugen von Philippovich. Er promovierte 1905 an der Universität Wien zum Dr. iur. und 1911 an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Dr. rer. pol.. Im Folgejahr habilitierte er sich an der Universität Heidelberg mit der Schrift Die Privatangestellten in der modernen Wirtschaftsentwicklung.

Während des Ersten Weltkriegs war Lederer verantwortlicher Redakteur des Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, in welchem er auch seine Abhandlung Zur Soziologie des Weltkrieges mit der Leitthese, das Organisationsmodell des Heeres werde im Krieg gesellschaftlich verallgemeinert, veröffentlichte.[1]

1918 wurde er zunächst zum außerordentlichen Professor an der Universität Heidelberg ernannt, blieb aber bis 1920 in Österreich. Anfang 1919 wurde er neben Hilferding und Schumpeter noch Mitglied der deutschen Sozialisierungskommission. 1920 wurde er außerordentlicher Professor für Sozialpolitik an der Universität Heidelberg, 1920 ordentlicher Universitätsprofessor für Sozialpolitik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Von 1923 bis 1925 war er Gastprofessor an der Universität Tokio. Von 1923 bis 1931 war Lederer, zusammen mit Alfred Weber, Direktor des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften. Im Jahr 1931 folgte er Werner Sombart auf den renommierten deutschen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin.

Wie fast allen Ökonomen der „Heidelberger Schule“, wurde auch Lederer von den Nationalsozialisten am 14. April 1933 nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ beurlaubt. „Der Kommissar des Reiches" schrieb an Lederer: „Auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (R. G. B1. S. 175 ff) sehe ich mich veranlasst, Sie bis zur endgültigen Entscheidung mit sofortiger Wirkung aus Ihrem Amte zu beurlauben. Diese Beurlaubung gilt auch für jede Tätigkeit, die Sie in Verbindung mit Ihrem Hauptamt oder im Zusammenhang mit Ihrer Universitätsstellung ausüben. Ihre Gehaltsbezüge werden Ihnen bis auf weiteres in der bisherigen Weise weitergezahlt"“[2] Zudem geht aus der Entlassungszustellung hervor, dass Lederer von der Universität denunziert wurde, weil er seit 1925 Mitglied der SPD und zudem „Nichtarier“ war. Lederer emigrierte zunächst nach Japan und danach in die USA. Lederer gehörte 1933 zu den Mitbegründern der einzigartigen University in Exile an der The New School for Social Research in New York City, der späteren Graduate Faculty of Political and Social Science, als deren erster Dekan er bis zu seinem plötzlichen Tod wirkte. Emil Lederer starb 1939 an den Folgen einer Operation.

Lederer war Herausgeber der SPD-Theoriezeitschrift Die Neue Zeit.

Wirken

Lederer war der wichtigste Vertreter eines interdisziplinarischen Ansatzes in den Heidelberger Sozialwissenschaften, indem er Ökonomie und Soziologie miteinander verband. Sein gesellschaftspolitisches Engagement als demokratischer Sozialist spiegelt sich in seinen Forschungsschwerpunkten Wirtschaftstheorie und Klassenstrukturanalyse wider. Lederer war u. a. von Karl Marx und Joseph Schumpeter beeinflusst. Er propagierte Eingriffe in die Freiheiten des Marktes. Er untersuchte Ineffizienzen von Monopolen. Die positiven Wirkungen des technischen Fortschritts lehnte Lederer mit seinem Stagnationstheorem teilweise ab.

Werke (Auswahl)

  • Die Veränderungen im Klassenaufbau während des Krieges, 1918
  • Die Soziologie der Gewalt, In: Soziologische Probleme der Gegenwart, 1921, S. 16-29
  • Technischer Fortschritt und Arbeitslosigkeit, 1931

Literatur

  • Emil Lederer. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 5, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1972, S. 82 f. (Direktlinks auf S. 82, S. 83).
  • R. Richter/K. Zapotoczky: Lederer, Emil, in: Wilhelm Bernsdorf/Horst Knospe (Hgg.): Internationales Soziologenlexikon, Bd. 1, Enke, Stuttgart ²1980, S. 238 f.
  • Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Emil Lederer: Der Massenstaat. Gefahren der klassenlosen Gesellschaft. (Bibliothek Sozialwissenschaftlicher Emigranten, Bd.II), Nausner & Nausner Graz/ Wien 1995, ISBN 3-901402-03-9
  • P. Michaelides, J. Milios und A. Vouldis: Schumpeter and Lederer on Economic Growth, Technology and Credit, European Association for Evolutionary Political Economy, Proceedings of the 19th Annual International Conference Porto, 2007, 1-3 November (CD-ROM).
  • P. Michaelides, J. Milios und A. Vouldis: Emil Lederer and the Schumpeter, Hilferding, Tugan-Baranowsky Nexus, Research Workshop in Political Economy, International Initiative for the Promotion of Political Economy. organized by : University of London and University of Crete, Rethymnon, 14-16 September, 2007

Quellen

  1. Lederer, Emil, Zur Soziologie des Weltkrieges; in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 39 (1915) 3, 347-384
  2. Dr. Fritz Köhler: Zur Vertreibung humanistischer Gelehrter. [1]

Weblinks


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