Erwin Egon Kisch

Erwin Egon Kisch
Egon Erwin Kisch in Melbourne, 1934

Egon Erwin Kisch (* 29. April 1885 in Prag; † 31. März 1948 ebenda) war ein Journalist und Schriftsteller. Er wurde als „rasender Reporter“ bekannt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kisch war der Sohn eines deutsch-jüdischen Tuchhändlers und verbrachte seine Kindheit und Schuljahre in Prag. Zu Schulzeiten war er Mitglied der SchülerverbindungNormannia“. Er nahm ein Studium an der Technischen Universität Prag auf und war in der paritätischen „Burschenschaft Saxonia Prag“ aktiv, einer schlagenden Studentenverbindung, die Christen sowie Juden aufnahm und sich 1939 nach der Besetzung von Prag auflöste; sie ist nicht zu verwechseln mit der deutschnationalen „BdSt Saxonia“-Prag, die heute in Nürnberg ansässig ist. Nach einem Volontariat beim „Prager Tagblatt“ besuchte er 1905 eine Journalistenschule in Berlin. 1906 war er erstmals als Lokalreporter bei der deutsch-liberalen Tageszeitung „Bohemia“ in Prag tätig.

1913 löste Kisch mit einem vorgetäuschten Dementi in der „Bohemia“ die Aufdeckung der Spionagetätigkeit des k.u.k. Obersten Alfred Redl aus, die vom Generalstab geheimgehalten werden sollte. Er hatte davon zufällig durch einen Fußballkameraden erfahren.

Im Ersten Weltkrieg nahm er 1914 als Soldat am Feldzug der österreichisch-ungarischen Armee gegen Serbien teil. Ab 1917 war er im Kriegspressequartier in Wien tätig. Er nahm als Berichterstatter unter anderem an der letzten Offensive der k.u.k. Kriegsmarine 1918 teil, die nach der Versenkung des Schlachtschiffs SMS Szent István vorzeitig abgebrochen wurde. Er war Mitbegründer der linksradikalen „Föderation Revolutionärer Sozialisten ‚Internationale‘“ und leitete die Beilage „Die Rote Garde“ der Wochenzeitschrift „Der freie Arbeiter“. Nach Gründung der Roten Garde in Wien im November 1918 wurde er deren Kommandant.

Kisch und Leo Rothziegel in Wien, November 1918

Am 12. November 1918, dem Tag, an dem sich Deutschösterreich zur Republik erklärt hatte, besetzte Kisch mit der Roten Garde (ca. 80 Personen) für einige Stunden die Redaktion der Neuen Freien Presse im 1. Bezirk, Fichtegasse 11, in der sein älterer Bruder als Redakteur tätig war. Dieser, wie alle anderen Redaktionsmitglieder aus dem Haus gewiesen, soll darauf mit den Worten „Egonek, Egonek, das schreibe ich der Mama“ reagiert haben. Mit „8 Uhr abends“ des gleichen Tages ist die zweite Sonderausgabe der Tageszeitung bezeichnet, die unter der Schlagzeile „Arbeiter und Soldaten Wiens!“ erklärt, die Kommunistische Partei Deutschösterreichs wolle mit der Besetzung der Redaktion „für die Idee der sofortigen Verwirklichung der sozialistischen Republik“ demonstrieren. Nach dem Erscheinen von zwei Sonderausgaben verlässt die Rote Garde das Gebäude wieder[1].

Kisch in Australien, 1934

1919 trat Kisch in die KPÖ ein. Er unternahm Reportagereisen in die Sowjetunion, in die USA und die Republik China. In der Nacht des Reichstagsbrandes in Berlin (27./28. Februar 1933) wurde er verhaftet und mit anderen prominenten Nazigegnern in das von der Gestapo zum „Schutzhaft“-Lager umfunktionierte Gefängnis Spandau – das ab 1946 als Kriegsverbrechergefängnis Spandau diente – gebracht, bald darauf aber als tschechoslowakischer Staatsbürger abgeschoben. Prompt veröffentlichte Kisch seine Erfahrungen mit der deutschen Unrechtsjustiz und deckte als erster das Terrorregime der Nazis auf. Von 1933 bis 1939 lebte er in Prag und im Exil in Paris. 1937/1938 nahm er am Spanischen Bürgerkrieg in den Internationalen Brigaden teil und berichtete von Bombenangriffen gegen zivile Ziele. 1939 floh er in die USA. Seit Ende 1940 hielt er sich in Mexiko auf, bis er im März 1946 nach Prag zurückkehrte. In Mexiko verfasste er den autobiografischen Bericht „Marktplatz der Sensationen“. 1948 verstarb er an einem Schlaganfall.

„Der rasende Reporter“

Egon Erwin Kisch (DDR-Briefmarke 1985)

Dieser Titel seines Buches wurde bald zum Synonym für die Person Kisch selbst.

Kisch gilt als Schöpfer der literarischen Reportage.[2] Exakte und tabulose Milieuschilderungen machten ihn berühmt. Seine ornamentalen Ausschmückungen sollten den Leser informieren und unterhalten. Trotz seines unsteten Lebenswandels konnte er ein beachtliches Netzwerk von linksintellektuellen deutschen Emigranten aufbauen, um für seine kommunistischen Ideale zu agitieren. Nach dem Krieg und der Machtergreifung der Kommunisten musste er die Vertreibung seiner deutschsprachigen Mitstreiter aus Prag erleben, behielt aber sein sozialistisches Weltbild bei.

Kisch – der Weltbürger

Gedenktafel an einer Prager Hauswand

Kisch ist in der K.u.K. Monarchie geboren, als deutscher Prager, der auch Tschechisch beherrschte. Die „Bohemia“ war eine Prager deutsche Zeitung. In der Tschechoslowakei, die aus dem zerfallenden Kaiserreich nach dem Ersten Weltkrieg entstand, lebte eine bedeutende deutsche Minderheit. Prag galt damals als Stadt, in der weltweit das schönste Deutsch gesprochen wurde, denn die Prager pflegten nur auf Tschechisch zu fluchen. Kisch lebte in Österreich, der Tschechoslowakei, in Deutschland, Frankreich, Spanien, den USA und Mexiko − und überall fühlte er sich zu Hause, auch wenn er aus seinem Heimweh nach Prag kein Geheimnis machte.

Egon Erwin Kisch (Briefmarke der Deutschen Bundespost von 1985)

Heute gilt Kisch als einer der bedeutendsten deutschen und europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er wird in der Tschechischen Republik, in Österreich, in Deutschland und bei der jüdischen Gemeinde weltweit anerkannt und gefeiert. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg tat man sich im Westen allerdings schwer mit dem kommunistischen Kosmopoliten und Juden, während in seiner tschechoslowakischen Heimat gerne unterschlagen wurde, dass Kisch ein Prager Deutscher war, ein deutscher Jude noch dazu – aber er selbst wollte alles sein und nannte sich schlicht „Weltbürger“. Gegenüber Friedrich Torberg fasste er diese Widersprüchlichkeiten während seines Exils 1938 zusammen: „Weißt Du, mir kann eigentlich nichts passieren. Ich bin ein Deutscher. Ich bin ein Tscheche. Ich bin ein Jud. Ich bin aus gutem Hause. Ich bin Kommunist. Ich bin Corpsbursch. Etwas davon hilft mir immer.

Zwischen 1977 und 2004 wurde in Deutschland an seinem Geburtstag der von Henri Nannen gestiftete Egon-Erwin-Kisch-Preis verliehen – eine Auszeichnung für die beste journalistische Arbeit sowie für eine engagierte literarische Leistung. Der Journalistenpreis ging im Jahr 2005 in der Kategorie „Reportage“ des neu geschaffenen Henri-Nannen-Preises auf.

Anekdoten

  • Kisch hatte von Geburt an eigentlich nur den Vornamen Egon. Einer seiner Lehrer missdeutete das abgekürzte E. auf einer Klassenarbeit kurzerhand als „Erwin“; seitdem nannte sich Kisch „Egon Erwin“.
  • Egon Kisch wuchs zweisprachig auf – er sprach gleichermaßen gut Deutsch und Tschechisch. Sein anarchisches Grundtemperament fand darin seinen Ausdruck, dass er mit K.u.K.-Behörden und -Beamten stets tschechisch sprach und korrespondierte.[3]

Werke

Die Gesammelten Werke in Einzelausgaben sind zuletzt 1993 im Aufbau-Verlag erschienen, ISBN 3-351-01986-6.

  • Zyankali gegen den Generalstab
  • Prager Kinder. Haase: Prag, Wien, Leipzig 1913
  • Der Mädchenhirt. Erich Reiß Verlag: Berlin 1914
  • Die Abenteuer in Prag. Verlag Ed. Strache: Wien, Prag, Leipzig 1920
  • Die gestohlene Stadt. Erich Reiß Verlag: Berlin 1922 Lustspiel
  • Klassischer Journalismus. Rudolf Kaemerer Verlag: Berlin 1923

Reportagen

  • Aus Prager Gassen und Nächten. 1912; Aufbau-Verlag 1994, ISBN 3-7466-5056-9
  • Der rasende Reporter. Berlin 1924; Aufbau-Verlag 2001, ISBN 3-7466-5051-8
  • Der Fall des Generalstabschefs Redl. Berlin 1924
  • Hetzjagd durch die Zeit. Berlin 1926; Aufbau-Verlag 1994, ISBN 3-7466-5055-0
  • Zaren, Popen, Bolschewiken. Berlin 1927; Aufbau-Verlag 1992, ISBN 3-7466-0148-7
  • Marktplatz der Sensationen. Mexiko-Stadt 1942; Aufbau-Verlag 2002, ISBN 3-7466-5058-5
  • Wilde Musikantenbörse 1925

Reiseberichte

  • Kriminalistisches Reisebuch. Berlin 1927
  • Wagnisse in aller Welt. Berlin 1927
  • Paradies Amerika. Berlin 1930, Aufbau-Verlag 1951
  • Käsebier und Fridericus Rex, Aus dem Prager Pitaval. 1931
  • Asien gründlich verändert. Berlin 1933
  • Eintritt verboten. Paris 1934
  • Geschichten aus sieben Ghettos. Amsterdam 1934
  • Abenteuer in fünf Kontinenten. Paris 1936
  • Landung in Australien. Amsterdam 1937
  • Soldaten am Meeresstrand. Barcelona/Madrid 1938
  • Die drei Kühe. Madrid 1938
  • Entdeckungen in Mexiko. Mexiko 1945
  • Kapitalistische Romanze von den Bagdad-Juden, in: China geheim!, Berlin 1993, ISBN 3-88520-604-8

Autobiographisches, Tagebuch

  • Soldat im Prager Korps. Prag 1922 (bekannter unter dem Titel Schreib das auf, Kisch!)
  • Marktplatz der Sensationen. Mexiko-Stadt 1942; Aufbau-Verlag 2002, ISBN 3-7466-5058-5

Politische Texte

  • Sieben Jahre Justizskandal Max Hoelz. Mopr Verlag Berlin 1928
  • Über die Hintergründe des Reichstagsbrandes. 1934
  • Unkastrierte Untermenschen. Die neue Weltbühne 48 1936
  • Karl Marx in Karlsbad. Berlin 1949, letzte Arbeit, kurz vor seinem Tod 1948 entstanden

Literatur

  • Klaus Haupt und Harald Wessel: KISCH war hier, Verlag der Nation, Berlin 1985
  • Markus G. Patka: Egon Erwin Kisch – Stationen im Leben eines streitbaren Autors, Wien, Köln, Weimar 1997, ISBN 3-205-98612-1.
  • Markus G. Patka (Hg.): Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch – Eine Biographie in Bildern, Berlin 1998. ISBN 3-351-02472-X.
  • Renate Beckmann und Klaus Ihlau: Egon Erwin Kisch – Erinnerungen an den Rasenden Reporter. Audio-Verlag, 2001.
  • Karin Schanne: Anschläge, Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch, Klett, Stuttgart 1983. ISBN 3-12-920071-1.
  • Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2008; ISBN 978-3-462-03962-7. (Zu Kisch Seite 85-87)
  • Egon Erwin Kisch: Prager Farben - Studentenverbindungen und Verbindungsstudenten im alten Prag. Hilden: Verlag WJK, 2001; ISBN 3-933892-36-8.

Einzelnachweise

  1. Franz Endler: Österreich zwischen den Zeilen. Die Verwandlung von Land und Volk seit 1848 im Spiegel der „Presse“, Verlag Fritz Molden, Wien 1973, ISBN 3-217-00467-1, S. 216 ff.
  2. Klaus Jarchow: Als es noch Reporter gab.
  3. "Es gibt nichts Sensationelleres als die Zeit, in der man lebt". In: "Der Neue Tag", 22./23. Januar 1924

Weblinks


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